Laut den heute aktualisierten Sentinaldaten in Österreich gibt es keine Überraschungen. Bei einer Gesamtprobenzahl von n = 206 (deutlich gesunken) sind 26% von Influenza, wobei Influenza A weiter zurückgeht und Influenza B leicht zunimmt. Influenza B hat im Vorjahr die Saison mit einem deutlich flacheren Gipfel bis Anfang April gestreckt. RSV ist mit 11% stabil und SARS-CoV2 mit 1,4% stabil niedrig. Der Rest sind Rhinoviren und humane Coronaviren, die beide grippale Infekte verursachen – aber in der Regel kaum mit Spätfolgen verbunden sind.

Die Masern sind leider auch weiter am Vormarsch und daher sollte man seinen eigenen Impfpass einmal überprüfen. Wer nach 1970 geimpft wurde, hat den Lebendimpfstoff zumindest einmal erhalten (Masern-Mumps-Röteln-Kombinationsimpfung). Wer davon noch einen messbaren Impftiter vorzuweisen hat oder als Kind die Masern durchgemacht hat, ist lebenslang geschützt. Empfohlen wird aber schon länger eine zweite MMR-Impfung, um Impfversager vom ersten Mal mitzunehmen. Die 2. Impfung gilt daher nicht als Booster. Ich hab das vor kurzem unkompliziert in einer Ordination für Reiseimpfungen nachgeholt, ohne vorherige Titerbestimmung, denn Überimpfen geht nicht.

Viruslast im Abwasser, nach Bundesländern und Gesamt (schwarz), bis 20./21. Februar 2024

Die aktuelle Abwasserkurve zeigt eine Stabilisierung der SARS-CoV2-Werte auf niedrigem Niveau – geringer als im Winter 2022/2023, aber noch höher als im Juli 2023. Die dominante Variante ist JN.1 und Sublinien. In Vorarlberg gibt es einen leichten Wiederanstieg, der vor allem auf die Gebiete Hofsteig und Bregenz (unteres Rheintal) zurückzuführen ist, sich aber schon wieder abgeschwächt hat – wahrscheinlich ein lokaler Cluster. In Wien zeigt die Tendenz weiter nach unten – hier dürften die Werte nahe dem absoluten Minimum seit Beginn der Abwasseraufzeichnungen liegen.

JN.1.23

Prognostizierter Immun Escape versus ACE2-Bindung für derzeitig dominante Varianten (JN.1 und JN.1.4) und JN.1.23 (rot, ganz rechts oben), Stand 21.02.24

Die JN.1.-Subvariante JN.1.23 zeichnet sich durch die zusätzlichen Mutationen K444R und Y453F aus und wurde bis Anfang Februar auf drei Kontinenten nachgewiesen, also innerhalb einer Woche eine weltweite Ausbreitung. Von der vorhergesagten Immunflucht und ACE2-Bindung her übertrifft sie alle bisherigen Varianten bei weitem – also deutlich ansteckender und mit Potential, eine weitere Infektionswelle auszulösen.

Eine weitere Gefahr sind Varianten, die durch den Einsatz des antiviralen Medikaments Molnupiravir entstehen können (Sanderson et al. 2023). Leider wird dieses Medikament immer noch in mehreren Ländern verschrieben, darunter USA, Japan, Südkorea und Israel. Ein Cluster bestehend aus drei JN.1-Sequenzen mit über 60 neuen Mutationen tauchte gerade in Israel auf, die beiden Wochen davor weitere Varianten in den USA und in Südkorea (Danke, Ryan Hisner, für den Hinweis.)

Mit Stand 26.02.24 gibt es aber vorerst keine weiteren Daten, wie verbreitet potentiell Wellen auslösende Varianten schon sind und ob es bereits zu Wiederanstiegen kommt, die nicht mit JN.1 zusammenhängen. Die gute Nachricht ist, dass die angepasste XBB-Impfung auch gegen JN.1 wirkt und sogar die Übertragung für einige Zeit unterbinden kann (zahlreiche Paper sind hier aufgelistet).

Die schlechte Nachricht ist, dass nun die ersten LongCOVID-Fälle der hohen JN.1-Welle eintrudeln, aber auf genauso wenig Gehör stoßen wie die Jahre vorher. „Corona ist vorbei“ und es redet niemand mehr darüber, während vor Masern gewarnt wird. Dabei sind sich beide Virusinfektionen insofern ähnlich, als das SARS-CoV2 zumindest vorübergehende Störungen des Immunsystems auslösen kann und Masern das Immungedächtnis teilweise löscht (erst seit 2019 bekannt). Beide Erkrankungen tarnen sich durch grippale Anfangssymptome, können danach aber im ganzen Körper randalieren. Masern kann zu schweren Spätfolgen, auch bei Kindern, führen, die tödlich enden können – SARS-CoV2 hat diese Spätfolgen allerdings auch im Angebot. Über Masern wird jetzt aufgeklärt, zu Corona nicht mehr. Diese Heuchelei ist unerträglich.

Trotz meiner zahlreichen Bemühungen, zumindest die psychologische Barriere zu verstehen, die die Mehrheitsbevölkerung daran hindert, sich und andere vor pathogenen Erregern zu schützen – Stichwort Trauma und unreife Abwehrmechanismen – regt es mich nach wie vor auf, wie wenig man aus den vergangenen Jahren gelernt hat. Saubere Luft ist egal, außer es geht um Staubbelastung und allergische Symptome. Kaum einer scheint den Sinn darin zu verstehen, über mobile Luftreiniger (und regelmäßiges Lüften) die Viruslast aller möglicher Pathogene zu verringern, und damit das eigene Infektionsrisiko.

Das Narrativ des „Immunsystem trainieren“ hat sich festgesetzt in den Hirnen. Stattdessen greift Esoterik weiter um sich, mit den hochdosierten Vitamintabletten als Vorbeugung von Infekten, statt die Virusübertragung an sich zu verhindern oder zumindest einzudämmen. Infekte scheinen schicksalsgegeben, unbeeinflussbar zu sein. Wir sollten klüger sein: Es scheint nicht bekannt, dass erworbene Immunität durch Impfung und/oder Infektion Ansteckungen verhindern kann, wenn die Viruslast niedrig ist (Lind et al. 2023) – ein Ansatz, den ich selbst oft wähle, wenn ich mit dem CO2-Messgerät oder Luftreiniger vor Ort entscheide, ob die Luft wortwörtlich rein ist, um indoor etwas zu essen oder zu trinken.

Ist die Pandemie vorbei?

Pandemische Phasen laut WHO (2009)

Von Zeit zu Zeit werde ich diese Frage stellen, um meinen eigenen Kompass einzunorden, damit ich mich nicht falsch abbiege gegenüber dem wissenschaftlichen Mehrheitskonsens. Weltweit gesehen befinden wir uns nach wie vor hinter dem Höhepunkt der Pandemie, in der „post peak“ Phase.

Für die WHO ist die Pandemie dann vorbei, wenn sich die Virusaktivität auf saisonalem Niveau bewegt, sprich wie bei Influenza Winterwellen jeweils auf der Nord- und Südhalbkugel, aber nicht auf beiden Hemisphären gleichzeitig.

Spekulation: Saisonalität wird bei SARS-CoV2 wahrscheinlich nicht möglich sein – dafür mutiert es zu häufig und ist deutlich ansteckender als Influenza. Es reichen dann auch ungünstigere Bedingungen – etwa sommerliche Wetterbedingungen – für R_eff > 1, während Influenza offenbar nur unter günstigen Bedingungen (Kälte) gedeihen kann. Jetzt haben wir noch dazu die Sondersituation, dass JN.1 die vorher dominanten XBB-Wellen weggefegt hat, aber keine neue Variante nachkommt, die auf absehbare Zeit übernehmen wird – soweit man das mit der schwindenden Surveillance weltweit sagen kann. Dann bleibt als Ursache für erneute Anstiege nur mit der Zeit nachlassende Immunität („waning“), also ab Hochsommer bis Frühherbst auf der Nordhalbkugel. Nicht sonderlich saisonal auf die Witterung bezogen, wenn man die Erderwärmung einbezieht (sommerlich warm bis Oktober). Wenn also maßgeblich neue Varianten und nachlassende Immunität Wellen antreiben, kann das saisonal sein, muss aber nicht. Es kann genauso sein, dass die nächste Variante erst auf der Südhalbkugel dominant wird, wo dann Winter herrscht, und gleichzeitig auf der Nordhalbkugel im Sommer.

In der Schweiz wird die Inzidenz derzeit auf rund 500 geschätzt – dort infiziert sich pro Woche also ca. jede 200. Person. Ich weiß nicht, was als akzeptable endemische Grundinfektionsrate bezeichnet werden könnte, aber eine Inzidenz von 500 erscheint mir dafür jedenfalls zu hoch. In Österreich wird sie etwas niedriger sein, aber immer noch zu hoch.

Ich bin kein Epidemiologe, aber mit meinen Laienaugen betrachtet ist SARS-CoV2 ein Präzedenzfall. Es ist deutlich ansteckender als Influenza, aber nicht mit der Impfung ausrottbar wie Masern – jedenfalls nicht mit den intramuskulären Impfstoffen. Es ist nicht saisonal, aber auch nicht endemisch, weil sich Varianten innerhalb weniger Wochen weltweit ausbreiten (danke, Reiseverkehr, der wieder wie 2019 floriert). Epidemisch passt dazu genauso wenig, also was zur Hölle ist SARS-CoV2 dann? Und wie soll man mit so einer Viruserkrankung dauerhaft leben können, die derart schwerwiegende Spätfolgen wie LongCOVID und MECFS anrichtet?

Wenn sich auch im Frühling und Sommer auf der Nordhalbkugel keine weitere Welle abspielt, bin ich auch geneigt, die Pandemie als zu Ende zu betrachten, aber ich bin mir unklar, wie der Zustand dann heißen soll. Sicher ist nur, dass das Virus nicht mehr weggeht, und Reinfektionen dauerhaft ein Risiko darstellen werden – aber mit längeren Pausen dazwischen würden Reinfektionen seltener passieren und schon dadurch die Inzidenz von LongCOVID weiter sinken.