“Derzeit bekommen Immunologen Befunde, die suggerieren, dass diese Alterung des Immunsystems bei Kindern nach Coronainfektion viel fortgeschrittener ist, als man es erwarten würde. Man kann sich nun zugespitzt fragen, ob ein ungeimpftes Kind nach Infektion vielleicht mit 30 das Immunsystem eines 80-Jährigen haben wird. Die Durchseuchung der Kinder wäre dann ein riesiger Fehler gewesen. Das wäre ein extremes Szenario, das man aber mit erwägen muss. Allerdings haben wir keine Infektionskrankheit so gut erforscht wie Sars-Cov-2. Gut möglich, dass es sich bei anderen Infektionen auch so verhält und das Phänomen nach zwei, drei Jahren verschwindet, weil gerade junge Kinder noch naive Immunzellen nachproduzieren können. Wir wissen all dies noch nicht. Ich hatte aus Vorsicht immer für die Impfung und den Infektionsschutz von Kindern plädiert.” (Virologe Drosten am 27.12.22, Tagesspiegel)
Prävalenz und Inzidenz
Die Mehrheit der Infektionen verlaufen asymptomatisch oder mit sehr milden Symptomen. Spätfolgen wie Mikrothromben (Dioro et al. 2020), Herzerkrankungen (Sabatino et al. 2022), beeinträchtigte Lungeninfektion (Heiss et al. 2022) und infizierte Mandeln (Miura et al. 2022) wurden zwar auch für gering symptomatische Infektionen beschrieben, waren auf auf die Anfangszeit der Pandemie beschränkt bzw. konnten diese Ergebnisse soweit mir bekannt nicht repliziert werden. Zudem handelte es sich um immun-naive PatientInnen.
Rund 1% der symptomatischen Infektionen führt zu Long Covid. Nach wenigen Monaten verschwinden bei der Mehrheit die Symptome. Bei manchen können diese allerdings mehr als ein Jahr anhalten und zu signifikanten Behinderungen führen: Fatigue, PEM und Angstzustände – manche PatientInnen entwickeln POTS und eine kleine Anzahl erfüllt die MECFS-Kriterien (Toepfner et al. 2024).
Nach drei Jahren werden die Auswirkungen bei einem Subset signifikanter und anhaltender. Es besteht dann auch ein zunehmendes Risiko von Autoimmunerkrankungen. Impfungen und Booster verringern das Risiko – vor allem bei Jugendlichen (Camporesi et al. 2024).
In Wien sind laut einer Medizinerin Kinder an LongCOVID verstorben (06.07.21).
Biomarker
Wie bei erwachsenen Betroffenen kann sich eine ausgeprägte Blut-Proteinstruktur durch die anhaltende endotheliale Entzündung entwickeln (Buonsenso et al. 2025).
Im Speichel gefundene Biomarker wie TOS, ADA2, Gesamtproteine und AOPP können Long Covid nachweisen (Tyrkalska et al. 2024)
Risikofaktoren
… Vorerkrankungen
Risikofaktoren für anhaltende Symptome nach schweren Verläufen waren eine Vorgeschichte mit Allergien sowie Teenager-Alter (Osmanov et al. 2022, Wildtyp-Zeitraum). Unabhängig von der Symptomschwere der Akutinfektion kann sich das Virus im Körper für Wochen und Monate halten. Hier besteht kein Unterschied zu Erwachsenen (Buonsenso et al. 2023).
Mit und ohne Herzgrunderkrankung kommt es zu signifikant erhöhtem Risiko für verschiedene Herzkreislauf-Erkrankungen, wobei andere Grunderkrankungen das erhöhte Risiko begünstigen. (Zhang et al. 2025 – Teilnehmer aus Kinderspitälern ausgewählt, Selection Bias)
…. Reinfektion …
Kinder werden im Kindergarten und in Schulen regelrecht in Viren gebadet und infizieren sich damit von allen Bevölkerungsgruppen tendenziell regelmäßig mit SARS-CoV2.
Ob Reinfektionen einen kumulativen Effekt auf das Long Covid-Risiko haben, ist unter Forschern weiterhin umstritten. Manche Studien stellen das nicht fest (Pereira et al. 2023 – Einfluss der Impfung nicht untersucht), bei anderen Studien nahmen mit der Folgeinfektion etwa POTS und kognitive Probleme ab, wo man sich mit klassischem Long Covid aber eine Zunahme erwarten würde (Zhang et al. 2025 preprint).
Zu bedenken ist auch, dass die Viruslast bei jeder Infektion unterschiedlich sein kann, es hängt dann auch davon ab, wann der letzte Antigenkontakt erfolgt (vorher existierende Immunität) und ob vorangegangene Virusinfekte das Immunsystem vorübergehend geschwächt haben. Mit diesen Einflussfaktoren kann auch die vierte oder fünfte Covid-Infektion erst zu Long Covid führen. Ich würde dann aber nicht von einem kumulativen Effekt sprechen (meine persönliche Spekulation).
Spätfolge Diabetes
Bei Kindern und Jugendlichen wurde ein Anstieg von Typ-I/II-Diabetes gemessen (D’Souza et al. 2021, Weiss et al. 2023). Genetisch vorbelastete Kleinkinder zeigen ein deutlich erhöhtem Diabetes-Risiko (Lugar et al. 2023). Auch nach Nachweis von Inselzellantikörpern im Blut (Vorstadium) häufiger Diabetes-1 (Friedl et al. 2024).
Große Beobachtungsstudie mit 10-19jährigen: Risiko für Typ-II-Diabetes um 58% erhöht (Miller et al. 2024).
Bei Kindern in Schweden wurde ein 62%iger Anstieg von Diabetes beobachtet, daher empfahl man nun doch die Impfung.
Spätfolge MISC
Ursache:
Eine der Ursachen für das Mulitentzündungssyndrom ist die Reaktivierung von Epstein-Barr-Viren durch die SARS-CoV2-Infektion (Goetzke et al. 2025). Siehe dazu auch die Presse-Aussendung der Charité Berlin.
Kriterien für eine MISC-Diagnose:
Kombination von Fieber, Entzündungsanzeichen, zumindest zwei beteiligte Organe und vorherige SARS-CoV2-Infektion (aus Nakra et al. 2020)

In vielen Fällen tritt MISC erst 4-6 Wochen nach der Infektion auf. Es handelt sich um eine Überaktivierung des Immunsystems. Im Gegensatz zu schweren Akutverläufen sind häufig auch gesunde Kinder betroffen. Am häufigsten werden die Kinder wegen Kreislaufproblemen intensivpflichtig (Radia et al. 2021). Herzerkrankungen sind häufig, etwa ein Fünftel hat akutes Nierenversagen (Dhar et al. 2022, systematic review). Die Behandlung erfolgt symptomatisch, über Infusionen oder kreislaufunterstützende Medikamente.
In Österreich mussten in der Wildtyp-Zeit 350 Kinder hospitalisiert werden und 20 Kinder auf die Intensivstation. Ähnlich wie den meisten akuten Folgen einer COVID19-Erkrankung ist auch bei MISC eine der Hauptursachen die Bildung von Blutgerinnseln und Proteinreaktionen im Immunsystem (McCafferty et al. 2022).
Seit Omicron-Varianten dominieren sowie mit der Impfung tritt MISC deutlich seltener auf (Holm et al. 2022). Zwischen 2021 und 2023 gab es einen starken Rückgang von Post-Covid-Syndrom bei Kindern, aber es gab 2023 mehr Begleitdiagnosen der Kawasaki-Erkrankung als 2021 und eine höhere Sterblichkeit von MISC (2,3%) als 2021 (0,6%).
Zwar ist MISC seltener geworden, präsentiert sich aber weiterhin mit schweren Verläufen (CDC 2024, vor Trump).
Spätfolge Hepatitis
Im Frühling 2022 wurden vermehrt schwere Hepatitis-Fälle bei Kindern berichtet. Die geographische Verteilung der Fälle korreliert mit den Fallzahlen in der Delta-Zeit (Juni bis November 2021). Bei Omicron hätte man eine ausgeglichenere Verteilung und weitere Fälle erwartet. Es liegt also der Verdacht nahe, dass die Delta-Variante diese Spätfolge begünstigt hat, während sie mit Omicron weitgehend verschwunden ist.
Symptome
„Die weiße Augenhaut (das Augenweiß, Sklera), färbt sich relativ früh im Krankheitsverlauf gelb, weil der Gallenfarbstoff Bilirubin im Blut ansteigt. Dann sollte man ein Krankenhaus aufsuchen. Bei dunkleren Hauttypen sieht man die Gelbfärbung auf der Haut erst relativ spät. Bessern sich die weniger spezifischen Symptome wie Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen auch nach mehreren Tagen nicht, sollte man die Werte der Leberenzyme bestimmen. Heller Stuhl und dunkler Harn wären bereits relativ späte Symptome, bei Säuglingen und Kleinkindern wäre ein grauweißer Stuhl ein Warnsignal.“
Leiter der Kinderklinik Innsbruck, Dr. Thomas Müller, rät Eltern jedenfalls, ihren Kindern in die Augen zu schauen.
Ursache:
Lange Zeit gab es widersprüchliche Ergebnisse über einen Zusammenhang zu Covid19. Die Epidemiologin Deepti Gurdasani hatte von Beginn vermutet, dass Hepaititsfälle gehäuft bei Kindern auftraten, die gerade eine Infektion durchgemacht hatten (siehe Review von Gurdasani et al. 2024).
In einer Untersuchung hatten sechs von acht Kindern eine Covid19-Infektion, sechs brauchten eine Lebertransplantation, das Adenovirus wurde bei keinem Kind in der Leber gefunden, sie wurden mit dem Virustatikum Cidofovir behandelt (Deep et al. 2022). Dann wurde behauptet, dass die Hepatitisfälle bei Kindern mit einem adenoähnlichen AAV2-Virus zusammenhängen sollen, davon waren aber nicht alle Fachleute überzeugt.
Eine Kreuzreaktion mit T-Zellen erzeugt eine Autoimmunreaktion, die zu Hepatitis führt (Liu et al. 2023). Das würde erklären, weshalb nur bei einer Untergruppe von Kindern diese schweren Symptome aufgetreten sind. Ein Zusammenhang wurde kürzlich erneut nahelegt (Röttele et al. 2025).
Spätfolge Long Covid Syndrom
- Bei Kindern (6-11) und Heranwachsenden (12-17) zeigen sich unterschiedliche Longcovid-Profile– bei Kindern treten vermehrt neurokognitive, schmerz- und Magendarmsymptome auf, bei Jugendlichen eher Geruchsverlust, Schmerzen und fatigue-ähnliche Beschwerden (Gross and et al. 2024).
- Das Risiko für neue chronische (neurologische) Erkrankungen stieg bei immun-naiven Kindern durch eine Infektion um 78% (Chiara et al. 2023).
- akute Lungenembolie, Herzmuskelentzündung, venöse Thrombosen, Nierenversagen (Roessler et al. 2022, Kompaniyets et al. 2022)
- Mikroblutgerinnsel und aktivierte Plättchen aufgrund überschießender Entzündung nachgewiesen (Okuducu et al. 2024)
- neurologische Auffälligkeiten bei 43,7% der untersuchten Kinder (bis Delta-Welle, n = 327, Safadieh et al. 2024 – vor der Impfung)
- unabhängig von Vorerkrankungen können sich Herzkreislauf-Erkrankungen entwickeln (Zhang et al. 2024 preprint)
- Morrow et al., Orthostatic Intolerance in Children With Long COVID Utilizing a 10-Minute Passive Standing Test (09.08.24)
- anhaltende strukturelle, funktionale und kognitive Gehirnveränderungen in wesentlichen Gehirnbereichen bei Jugendlichen (Invernizzi et al. 2024)
Therapie
Mögliche Behandlungen gibt es für chronische Magendarmsymptome bei Kindern mit LongCOVID mit Lactoferrin (Morello et al. 2022), sowie experimentiell bei Mikroblutgerinnseln mit hyperaktiven klebrigen Blutplättchen (bei dem betroffenen Kind kam es zu einer nahezu vollständigen Erholung innerhalb eines Jahres). Dies kann sehr kleine Blutgefäße blockieren, die Sauerstoff in Muskeln und Nerven produzieren, kann auch Fatigue (Sauerstoffmangel im Gewebe) und autonome Dysfunktion (small fiber neuropathy) erklären.Voraussetzung ist aber eine Diagnostik mit fluoriszierender Mikroskopie.
POTS und Herzrhythmusstörungen können, wenn über Schellong-Test, 24-Stunden-EKG, Herzratevariabilität, etc. richtig diagnostiziert, behandelt werden (Spera et al. 01/2024).
Wie bei Erwachsenen sollte bei Kindern mit klassischem Post-Covid-Syndrom (mit PEM, Fatigue) KEINE aktivierende Reha vollzogen werden (siehe Interview mit Kinderfachärztin Beate Biesenbach, 09.05.24).
Soziale Folgen:
hnlich wie bei Erwachsenen sind auch Kinder von sozialen Stigmata aufgrund von LongCOVID betroffen, ihnen sind ihre körperlichen Grenzen unangenehm, sie fühlten sich weniger wertgeschätzt und weniger ernstgenommen, wenn sie von ihren Beschwerden erzählten (Buonsenso et al. 2023, n = 40)
Kinder sind aufgrund ihres Alters und den damit verbundenen Stereotypen von „doppelter Unsichtbarkeit“ betroffen (Wild et al. 2024).
Medienberichte
- Sarah Novak: Long COVID Rates in Kids Revised Upward: What to Know (02.10.24)
- Corona-Folgen: So lebt eine 14-Jährige mit Post-Covid (06.09.24)
- Deutschland: Warten auf die Ambulanz für Kinder (07.08.24)
- Sweden saw 62% rise in children’s diabetes diagnoses – one reason could be Covid-19 (19.06.24)
- „Kinder mit Long COVID sind teilweise kränker als die Krebspatienten“ (28.02.24)