Die multiplen Wellen einer Pandemie, die sich noch Jahre und Jahrzehnte später auswirken, mit Erlaubnis von Victor Tseng adaptiert

“All the efforts that have been made in preventative medicine over the last 30 to 40 years have been negated by COVID-19,” 

Professor Jeremy Nicholson – Covid-Experte, LongCOVID-Betroffener, 28.04.23

‚Endemic‘ SARS-CoV2 and the death of public health (John Snow Project Editorial, 06.11.23)

Globale Folgen der Pandemie:

Historische Parallelen: „Russische Grippe“

Es gab bereits 1895-1910 einen BIP-Einbruch durch Arbeitskräftemangel durch zu viele chronische Kranke, die zwischen 1890 und 1895 durch die Russische Grippe verursacht wurden.

TeufelskreisSchema von Prof. Christina Pagel, Mitglied der Independent SAGE

“An estimated 1 in 10 infections results in post COVID19 condition, suggesting that hundreds of millions of people will need longer-term care.” – Tedros, WHO, 26. April 2023

Im September 2022 wurden von der WHO noch 17 Millionen Betroffene in Europa geschätzt, im Juni 2023 waren es bereits 36 Millionen, von der OECD im Juni 2024 39 Millionen.

Lebenserwartung

Die Lebenserwartung fällt nur, wenn jüngere Menschen sterben. Wenn sie das 2022 auch tat, fällt sie erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg drei Jahre in Folge.

In Entwicklungsländern war die Infektionssterblichkeitsrate 2-3 mal höher als in Industrieländern, wegen mehr Übertragungen und schlechterer Gesundheitssystemen (Levin et al. 2022). Leopoldina-Präsident Haug konstatierte, dass LongCOVID „ein stark unterschätztes Problem“ sei (10/2022), Philip Finkelstein zieht einen Vergleich mit der „Spanischen Grippe“ (1918), die rund ein Drittel der Weltbevölkerung infizierte und 10% davon tötete (50 Millionen) und ebenfalls Spätfolgen nach sich zog. Er sieht die LongCOVID als „tickende Zeitbombe“ für die Öffentliche Gesundheit (04/2023).

In Österreich schmetterte der Oberste Gerichtshof eine Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich in Sachen Multiorganversagen der Behörden in Ischgl im Jahr 2020 ab, weil …

das Epidemiegesetz nur die Allgemeinheit, nicht aber auch Individuen schütze. Daher können einzelne Geschädigte von Behördenfehlern im Zuge einer Epidemie keine Ersatzansprüche an den Staat stellen“ (Quelle: VSV/Holzinger, 2023)

Eine Covid-Infektion führt über längeren Zeitraum zu einer exzessiven Belastung des Gesundheitssystems durch notwendige Arztbesuche und Behandlungen (Chambers et al. 2023, Lin et al. 2023 preprint).

Eine Herzversagen-Pandemie droht uns in den kommenden Jahren (Murata et al. 2023).

Schutz der Patienten im Gesundheitswesen („nosokomiale Infektionen“)

Die Vorstellung, dass wir durch die Pandemie keine dauerhaften Schutzmaßnahmen durch Maske tragen und/oder Belüftungsstandards als allgemeine Vorsichtsmaßnahme beschlossen haben, ist ähnlich absurd als hätten wir 1996 aufgehört, Handschuhe zu tragen, als es HIV-Medikamente gab.

Positivbeispiele

Negativbeispiele:

In Österreich herrscht leider kaum Bewusstsein, dass Patienten vor Infektionen geschützt werden muss – nicht nur SARS-CoV2.

Eine Bürgerin beschwerte sich beim Allgemeinen Krankenhaus Wien darüber, dass es keine Schutzmaßnahmen, z.B. Maskenpflicht für Hochrisikopatienten auf der Onkologie gibt. Auszug aus einer dreiseitigen Antwort: Man wolle während der größten, jemals verzeichneten COVID-Welle Alltag leben: Grob fahrlässig.

Quelle: @ixchella, 5.01.24 – Nachweislich hat es bereits Tote gegeben, nachdem sich Krebspatienten auf der Onkologie infiziert haben. Wiederholt gab es im Klinik Favoriten ebenfalls Cluster auf der Onkologie, und zwar schon ab der zweiten Welle im Herbst 2020.

Im Landeskrankenhaus Salzburg stellt sich Infektiologe Greil, der die letzten Jahre immer wieder davor gewarnt hatte, Intensivkapazitäten als Ziel- und Steuerungsgröße für Maßnahmen zu instrumentalisieren, gegen den Trend der Fahrlässigkeit und führte auf seiner Abteilung eine generelle Maskenpflicht ein.

So geht Verantwortung und Berufsethos als Mediziner: Schutz der Patienten und Mitarbeiter während Infektionswellen

Auswirkungen auf Patienten und Personal

Auszug aus dem Deutschen Intensivbettenregister – von 379 durchgehend meldenden Stadt- und Landkreisen hatten innerhalb der vergangenen 7 Tage jweils 195 (51%) ein freies Intensivbett oder weniger, und 134 (35%) gar kein freies Intensivbett mehr für erwachsene Patienten – Stand 08.01.24, Anmerkung: mixed steht für Corona und Influenza (Winter 2022)

Spitalsmitarbeiter haben ein höheres Risiko für LongCOVID als die Normalbevölkerung (Gruber et al. 2023, Kromydas et al. 2023), Reinfektionen erhöhen das Risiko (Marra et al. 2023)

England

Schätzung der kumulierten Hospitalisierungen durch SARI-Daten. Die Belastung der Spitäler seit der Anwesenheit von SARS-CoV2 ist der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Zunahme an anderen pathogenen Erkrankungen im Gesundheitswesen

Wenn es weniger Schutzmaßnahmen als vor der Pandemie gibt, nehmen auch auch andere Erkrankungen weiter zu.

  • The risk for further spread of hypervirulent Klebsiella pneumoniae (hvKp) sequence type (ST) 23 between healthcare facilities is deemed high, warned the European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC, 15.02.24)

Abschätzung des Ausmaß der Pandemie

Seit Pandemiebeginn waren die Fallzahlen nie vertrauenswürdig. Dafür gibt es mehrere Gründe:

  • hohe Anzahl an asymptomatischen Fällen, Menschen, die nicht wissen, dass sie infiziert sind
  • unzureichende Zahl an Tests
  • mangelnde Testkapazitäten in bestimmten Ländern
  • Weigerung der Behörden, die Realität der Pandemie zu kommunizieren
  • Weigerung von Individuen, sich testen zu lassen

Die Fallzahlen waren immer ein unzuverlässiger Indikator, maximal ein Trend. Mehrere Studien, besonders über die Häufigkeit (Park et al. 2023), haben gezeigt, dass die kommunizierten Zahlen allenfalls 10-20% der Realität wiederspiegeln. Schlussfolgerungen aus dem Verlauf der Pandemie anhand von diesen Zahlen zu ziehen, ist sehr riskant. Eine kleine Welle, die auf der offiziellen Zahl der berichteten Fälle basiert, bedeutet nicht, dass es nicht eine viel größere Welle gab (Österreich: siehe BA.5-Sommerwelle und alle weitere Wellen mit deutlich zurückgehenden Testraten, aber hohen Abwasserwerten).

Um den Verlauf der Pandemie zu messen, verbleiben vier Indikatoren:

  • Abwassermonitoring: verlässlicher Indikator, aber auf sehr wenige Länder und Regionen beschränkt
  • Spitalspatienten: Abnehmende Zuverlässigkeit, weil immer mehr Spitäler nicht mehr testen und manche Spitäler andere Operationen verschieben/absagen, um die Betten frei zu halten. Zudem berücksichtigten Spitalspatienten nicht all jene, die krank sind und nie ins Krankenhaus müssen, dadurch unterschätzt man die Zahl der von LongCOVID betroffenen.
  • Sterblichkeitsrate: Annahme ist, dass die Todesursache korrekt festgestellt wurde, was selten der Fall ist.
  • Übersterblichkeit: vermeidet das Problem anderer Ursachen, kann aber andere Probleme aufweisen (Goldstein 2022)

Die Schwierigkeit eines zuverlässlichen Indikators ist nicht auf Covid beschränkt. Es ist derzeit auch unmöglich, die Zahl der kranken oder toten Vögel und das Ausmaß der Vogelgrippe abzuschätzen (Klaassen and Wille 2023).