Käsescheibenmodell: Einzelmaßnahmen bringen wenig, viele Maßnahmen vergrößern den Erfolg

In der Reihenfolge der Wirksamkeit:

  1. Hochwertige FFP2/FFP3-Masken (verhindert Infektionen auf Nah- und Ferndistanz)
  2. Kürzlich aufgefrischte Impfung (verringert schwere akute Verläufe und Tod, kurzzeitig auch Ansteckungen, mildert Symptome)
  3. Saubere Luft durch Frischluftzufuhr und/oder Luftreiniger (verringert Infektionen durch Ferndistanz)

SARS-CoV2 wird überwiegend über die Luft übertragen (Duval et al. 2022), andere Übertragungswege (Tröpfchen, Schmierinfektion) spielen eine geringere Rolle (Zhang et al. 2022). Am gefährlichsten ist das Inhalieren winziger, mit Virus beladener Aerosole direkt in die Lunge (Czypionka et al. 2021).

Nonpharmazeutische Interventionen (NPIs)

Wir wissen, dass NPIs generell etwas bringen (Haug et al. 2020, Brauner et al. 2020, Mendez-Brito et al. 2021, Oh et al. 2021, Aknin et al. 2022), auch nach Ausrollung der Impfstoffe (Xiaona et al. 11/2023 preprint).

Positive Beispiele für Prävention aus anderen Ländern

Exkurs: Warum waren Lockdown-Maßnahmen notwendig?

„Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass Versammlungs- und Ausgangsbeschränkungen, Homeoffice-Regelungen, Schulschließungen, Maskengebote sowie die Testpflichten und Kontaktverfolgung erfolgreich gewesen seien. Schlechte Evidenz gebe es bei der Schließung von Geschäften. Auch der Erfolg der Hygienekonzepte sei aus Sicht der Wissenschaft bisher nicht geklärt. „Die Evidenz ist manchmal auch deswegen wackelig, weil die Studien dazu nicht gut genug angelegt waren“,

Virologe DROSTEN im Interview mit der dpa/T-Online (22. März 2024)

Über vier Jahre nach Ausbruch der Pandemie geht der gesellschaftliche und politische Trend zur Banalisierung der Gefahr, die von SARS-CoV2 von Beginn an ausgegangen ist. Vor allem neoliberale (FDP, NEOS) und rechtsextreme (AfD, FPÖ) Parteien stellen die Schutzmaßnahmen nachträglich als übertriebene Grundrechtseinschränkungen dar. Dabei hatte z.B. die FPÖ selbst im März 2020 einen strengen Lockdown gefordert. In Österreich sind es zudem die mitregierenden Grünen, in Deutschland auch die SPD, welche die Schulschließungen infragestellen und für künftige Pandemien bzw. Krankheitsausbrüche grundsätzlich unterbinden wollen.

Um selektiven Erinnerungen vorzubeugen: Es gab echte Ausgangssperren in China sowie etwa in Italien, Spanien oder Frankreich. Die europäischen Länder mit den schärfsten Maßnahmen hatten zu Beginn jeweils zu spät reagiert und liefen jeweils in eine humanitäre Katastrophe mit hohen Sterblichkeitsraten und kollabierendem Gesundheitssystem. Zu berücksichtigen ist dabei aber auch die Überalterung der Bevölkerung in den jeweiligen Ländern und den Hotspots der Ausbrüche.

In Deutschland, Österreich und Schweiz gab es Ausgangsbeschränkungen bzw. Ausgangsregeln. Der Aufenthalt im Freien war grundsätzlich gestattet und wurde auch millionenfach genutzt. Ab der zweiten Welle gab es zudem etliche Ausnahmen, sodass von „Einsperren“ keine Rede sein konnte.

Daher ist es durchaus ratsam und heilsam, an die Ausgangslage vor vier Jahren zu erinnern, die zu diesen dramatischen Maßnahmen geführt hat:

Am 31. Dezember 2019 meldete China die Häufung von atypischen Lungenentzündungen unbekannter Genese. Kurz darauf wurde ein unbekanntes Corona-Virus, anfangs als COVID19-Virus bezeichnet, als Ursache festgestellt. China reagierte drastisch und versetzte Wuhan, wo die ersten Infektionen registriert wurden, ab 23. Jänner 2020 in den Lockdown. Vom 23. Jänner bis zum 2. Februar entstand das Notkrankenhaus Huoshenshan, ein weiteres entstand im Stadtbezirk Jiangxia und wurde am 6. Februar 2020 eröffnet. Der rekordverdächtige Bau war notwendig, nachdem die Infektionszahlen innerhalb kürzester Zeit sprunghaft in die Tausenden angestiegen war. Zudem verbreiteten sich trotz Zensur Bilder und Videos auf Social Media, die zurückgelassene Leichen in den Fluren der Spitäler zeigten, während sich die Ärzte um andere Patienten kümmerten. In Europa gab es schon im Jänner die ersten Einschleppungen, etwa der Webasto-Cluster in Deutschland um den 19. Jänner, ebenso wurden in Italien chinesische Touristen positiv getestet. Ich war im Jänner 2020 auf Kur in Bad Mitterndorf und scherzte noch auf der Rückfahrt mit dem Regionalzug, dass ich mir den Sitzplatz hätte aussuchen können, entweder linke Reihe mit Influenza verseuchte Einheimische oder rechte Reihe mit Corona verseuchte Chinesen.

Am 20. Februar ging Mattia Maestri das zweite Mal in die Notaufnahme des Krankenhauses in Codogno, Lombardei. Entgegen den Vorschriften machte eine Ärztin einen Test auf SARS-CoV2 und der war positiv. Ab da begann man zu testen und stellte fest, dass das Virus in Norditalien schon seit Wochen unbemerkt zirkulierte. Am 25. Februar erkrankte eine italienische Rezeptionistin in einem Innsbrucker Hotel und war damit Patient Null in Österreich („Niemand darf heraus oder herein.“). Anfangs wurde in Zusammenhang mit Reisewarnungen nur getestet, wer gerade aus China bzw. aus der Provinz Hubei kam. Später wurden Reisewarnungen auf 11 Gemeinden in Venetien und der Lombardei ausgeweitet, galten aber nicht für das übrige Italien.

Österreich erlebte dann mit dem Ausbruch in Ischgl ab dem 3. März jene dramatische Ereignisse, die in weiterer Folge zur Abrieglung vom Arlberg und den österreichweiten Lockdown führte – nicht ohne vorher durch die unkontrollierte Ausreise ganz Europa mit tausenden infizierten Wintersporttouristen einzudecken und so ganz maßgeblich die erste Welle zu befeuern. (Am 24. August 2023 wurden alle Klagen gegen Ischgl eingestellt, das Oberlandesgericht sah keine Haftung des Bundes, da die „im Epidemiegesetz auferlegten Handlungspflichten “ausschließlich den Schutz der Allgemeinheit bezwecken„.)

Der Lockdown war also die unmittelbare Antwort auf die unkontrollierte Ausbreitung des Virus, von dem die österreichischen Behörden bzw. Regierung bis zum Zeitpunkt des Lockdowns und darüber hinaus nicht wussten, wie es sich überträgt und wie schwer die Folgen für die Gesamtbevölkerung sein könnten. Vor individuellen Schutzmaßnahmen wie Händewaschen und Maske tragen standen bundesweite Maßnahmen, um physische Kontakte zu beschränken – wenn man sich gar nicht begegnete, war es irrelevant, wie das Virus übertragen wurde (ausgenommen etwa Cholera, aber dafür hat Wien im 19. Jahrhundert die Hochquellwasserleitungen angelegt). In der Phase der allgemeinen Kontaktbeschränkungen durch Ausgangsregeln und Herunterfahren von Dienstleistungen, Bildungseinrichtungen, Gastronomie und Kultur hätte nun eruiert werden können, wie das Virus sich überträgt und welche gezielten Schutzmaßnahmen getroffen werden konnten, um künftige Lockdowns zu verhindern – stattdessen erklärte man die Pandemie aus dem Kanzleramt heraus schon im Juni für „überwunden“. Wo man zu spät reagierte (UK, Brasilien, Italien, Spanien, Frankreich) oder lange Zeit gar nicht (Schweden), gab es vor allem in der ersten Welle schreckliche Bilder. Massengräber in New York, Militärkonvois in Bergamo, Massenfriedhof in Manaus, überfüllte Spitäler in Teheran. Es gab die Berechnungen, dass 100 000 Menschen in Österreich hätten sterben können, wenn die Welle ohne Maßnahmen durchgefegt wäre („jeder wird jemanden kennen“).

Die Gegner von bundesweiten Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen, geschlossene Gastronomie, Schulschließungen oder Maskenpflicht im Unterricht, Maskenpflicht im Gesundheitswesen ebenso wie in Öffentlichen Verkehrsmitteln übersehen, dass jeder Mensch Teil der Pandemie ist. Menschen können sich anstecken und das Virus übertragen an andere Menschen mit höheren Risikofaktoren. Es können aber zuvor gesunde Menschen oder ohne bekannte Risikofaktoren schwer erkranken oder Spätfolgen entwickeln. Alte Menschen können nur geschützt werden, wenn ihr Umfeld mitmacht – sonst werden sie auf inhumane Weise völlig isoliert oder haben die höchste Sterblichkeit. Kinder kann man ignorieren und durchseuchen, Spätfolgen bei Kindern riskieren, Kinder mit schweren Grunderkrankungen gefährden oder völlig isolieren, ebenso die Angehörige der Kinder ignorieren. Oder sie werden geschützt, indem die Erwachsenen sich zurücknehmen und niedrigere Inzidenzen schaffen.

Die bundesweiten Maßnahmen dienten vor allem 3 Zielen:

  • die Spitäler nicht zu überlasten, was nicht gelungen ist, aber nicht, weil Masken und Lockdowns nicht wirken würden, sondern weil es zu viele Ausnahmen gab, weil sie zu spät und nicht lange genug eingesetzt wurden. Weil die Bereitschaft sich an Maßnahmen zu halten, im Verlauf der Pandemie abnahm – denn es mangelte an rationalen Erklärungen für ihre Fortführung. „Warum soll ich Maske tragen? Auf den Intensivstationen schaut es ruhig aus.“
  • Zeit zu gewinnen, um Test-Trace-Isolate-Quarantine hochzufahren und die mit gelinderen Maßnahmen wie Maske tragen einen neuerlichen Lockdown zu verhindern. Auch das ist nicht gelungen, weil es zu halbherzig versucht wurde. Nach jeder Welle dominierte das Wunschdenken, dass die Pandemie damit ausgestanden sei und nichts mehr getan werden müsse.
  • Zeit zu gewinnen, bis Impfstoffe und antivirale Medikamente entwickelt wurden. Solange musste eine immunnaive Bevölkerung vor Infektionen geschützt werden. Auch das ist nicht gelungen. Die zweite Welle sorgte für eine hohe Übersterblichkeit in Österreich, die dritte Welle traf vor allem den Osten schwer. Die Impfkampagne lief am Anfang sehr schleppend an, die Altersgruppen im produktivsten Alter mit den meisten Sozialkontakten kamen als Letztes dran. Die Impfkampagne war zu langsam und Delta sorgte erneut für viele Tote. Man wollte aber nicht warten, bis die Impfung für Kinder zugelassen war und öffnete die Schulen schon lange vorher. Sie blieben auch im Lockdown der vierten Welle offen. Als antivirale Medikamente endlich verfügbar waren, wurden sie mangels Aufklärung innerhalb der Ärzteschaft viel zu selten verschrieben, dann zu wenig bestellt und dann gab es einen Mangel.

Die Strategie ist also gescheitert, weil bundesweite Kontaktbeschränkungen als ultima ratio immer zu spät eingesetzt wurden. Eine koordinierte und kontrollierte Ausreise vom Arlberg hätte den Ländern in ganz Europa mehr Zeit gegeben, sich vorzubereiten, etwa Schutzkleidung zu beschaffen und früher Masken einzuführen, ebenso Testkapazitäten hochzufahren.

Länder wie Australien oder Neuseeland haben die Maßnahmen solange durchgezogen, bis ihre Bevölkerung „ausreichend“ gut durchgeimpft war. Weder Australien noch Neuseeland konnten damit rechnen, dass mit Omicron der Schutz vor Ansteckung so massiv unterlaufen wird, dass eine hohe Durchimpfungsrate nicht mehr ausreichen würde. Dennoch sind Australien und Neuseeland besser durch die Pandemie gekommen, mit niedriger Übersterblichkeit, lange sogar Untersterblichkeit, und in den Phasen zwischen den Lockdowns völlig ohne Kontaktbeschränkungen. Dort war das Leben zwischendurch wie früher, aber mit dem Unterschied, dass auch nahezu kein Infektionsrisiko bestanden hat.