Daten, Fakten, Aufklärung

Monat: Juli 2024

ZiB2: Themenverfehlung mit meiner ORF-Haushaltsabgabe

Übernahme des Wordings der Pandemieleugner: „Leak der RKI-Files“ in der Ankündigung auf die Zib2 auf X

Der ORF hat einen Bildungsauftrag. Der besteht während (!) einer Coronawelle nicht darin, das Interesse von Verschwörungserzählern zu befriedigen, sondern die Bevölkerung über das zu informieren, was gerade ist und wie man sich schützen kann – über die neuesten Impf-Empfehlungen, dass wir bereits eine deutliche Welle haben ebenso wie über Infektions-Langzeitfolgen.

Problematisch am ZiB2-Beitrag vom 23. Juli 2024 war vor allem der Beitrag vor dem Interview mit Ex-Gesundheitsminister Anschober, aber auch die Fragen von Armin Wolf selbst. Nichts gelernt aus den letzten vier Jahren. Der ORF thematisiert hier anstelle der akuten Infektionswelle die wichtigste Wahlkampfmotivation der Rechtsextremen und kleinerer Parteien, die den kommenden Herbst immer noch als „Denkzettelwahl“ betrachten, und leisten ihnen damit einen Bärendienst.

Zudem warnt inzwischen sogar die Bundesstelle für Sektenfragen in einem Bericht von April 2024 vor der Szene vor extremen Pandemieverschwörungsgruppen.

Warum gibt es überhaupt die ständigen Diskussion wegen „Impfung würde nicht vor Ansteckung schützen“? Weil die öffentliche Kommunikation von Beginn an auf ein Lehrbuchvirus ausgelegt war. Die Bevölkerung würde sich infizieren und dadurch Herdenimmunität erreichen. Die Impfung würde die Pandemie beenden. Doch SARS-CoV2 ist kein Lehrbuchvirus. Es war nur im ersten Jahr relativ stabil und mutierte kaum. Es war Glück, dass zwei Impfdosen noch gegen die Alpha-Variante wirksam waren und Ansteckungen in hohem Maß verhinderten. Mit Delta reichten 2 Impfdosen nicht mehr. Israel setzte bereits im Juli 2021 auf 3 Impfdosen. Die STIKO und das NIG zogen zu spät nach. Die Bundesregierung hatte plötzlich ein Kommunikationsproblem, denn das Narrativ „Für Geimpfte ist die Pandemie vorbei“ geriet in Konflikt mit einer notwendigen dritten Impfdosis. Die Kampagne für die dritte Impfung kam zu spät, der vierte Lockdown war unvermeidlich. Statt die Fehler in der Strategie einzugestehen, kam der populistische „Lockdown für Ungeimpfte“, gefolgt vom Lockdown für alle. Die Regierung hielte am Narrativ „Die Impfung beendet die Pandemie“ fest, weshalb die Impfpflicht beschlossen wurde. In der Delta-Welle, als in den Spitälern mehrheitlich Ungeimpfte lagen. Mit einer Impfpflicht hoffte man, künftige Lockdowns zu verhindern. Mit Omicron ab Dezember 2021 brachten auch 3 Impfdosen keinen ausreichenden Schutz mehr vor Ansteckungen. Auch Geimpfte konnten das Virus übertragen. Aus Sicht der Verhinderung schwerere Verläufe hätte es weiterhin Gründe für die Impfpflicht gegeben, aber nicht mehr als kollektiver Übertragungsschutz.

Diese ganzen Grautöne der Virusentwicklung, insbesondere der Variantenbildung wurde 2021 lange Zeit verharmlosend wiedergegeben und zu spät darauf reagiert. Omicron wurde daraufhin fälschlicherweise als mild geframed, aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

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Präventionsversagen in Österreich: Wen juckt’s?

Der Standard, 10. März 2022

Gesundheitsminister Rauch (Grüne), der eigentlich mit den Nationalratswahlen im Herbst angekündigt hatte, in Pension gehen zu wollen und kürzlich andeutete, vielleicht doch zu verlängern, versagt weiterhin auf ganzer Linie, wenn es um den Schutz der Bevölkerung vor Infektionswellen geht. Längst nicht nur bei SARS-CoV2, sondern auch anderen Infektionskrankheiten mit potentiell tödlichem Ausgang. Über seine Rolle als Verharmloser und Blockierer von sinnvollen Maßnahmen in der Akutphase der Pandemie schrieb ich letztes Jahr schon.

Jetzt hat Rauch neben der verschleppten Einigung über die Gratis-Covidtests bei den niedergelassenen Ärzten, der fehlenden Impfkampagnen und der verzögerten Ausschreibung eines Referenzzentrums für MECFS auch die Beschaffung eines wichtigen RSV-Medikaments (Nirsevimab, monoklonaler Antikörper) für Säuglinge verschlafen.

„Die vergangenen Erkältungssaisonen haben gezeigt, dass RSV auf dem Vormarsch ist und vor allem für Säuglinge schwere gesundheitliche Folgen mit sich bringen kann, die lebensbedrohlich sein können. Mit der RSV-Prophylaxe für Säuglinge stünde uns in Österreich während der Erkältungssaison eine wirksame und sichere Möglichkeiten zur Verfügung, unsere Jüngsten bestmöglich zu schützen. Der Gesundheitsminister hat aus dem Fiasko des vergangenen Winters beim Corona-Medikament Paxlovid leider überhaupt nichts gelernt und die Bestellung verschlafen. Wir Ärztinnen und Ärzte haben eindringlich davor gewarnt, dass Österreich auf den Herbst wieder nicht ausreichend vorbereitet ist.“

Johannes Steinhart, Präsident der österreichischen und Wiener Ärztekammer, 19. Juli 2024 (Presseaussendung)

Die RSV-Impfung für Schwangere ist weiterhin Privatleistung und sehr teuer, die Tests bei Symptomen sind ebenfalls selbst zu zahlen. Das wird in der kommenden RSV-Saison wieder Kleinkindern das Leben kosten und bei überlebenden Säuglingen ihr Risiko für Asthma und Allergien im Erwachsenenalter deutlich erhöhen, und ihre Lebenserwartung verringern (Allinson et al. 2023).

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Die Sommerwelle ist da: 10 Fakten zu SARS-CoV2

Die Virusevolution seit Pandemiebeginn verläuft nicht linear, sondern mit Sprüngen, die Impfstoff-Anpassungen erforderlich machen. Sie ist in Wahrheit auch komplizierter als hier (von mir) skizziert: Etwas Immun Escape hatte bereits Delta, während die Omicron-Varianten zeitweise auch etwas ansteckender geworden sind. Mit fortschreitender Immunisierung der Bevölkerung und Verbreiterung der Immunantwort ist der dominante Mechanismus aber die Immunflucht, um der bestehenden Immunität auszuweichen.

Die aktuelle Infektionswelle scheint viele Fragen aufzuwerfen bei jenen, die sich weiterhin schützen wollen oder bereits infiziert sind. Wissenschaft verändert sich stetig und neue wissenschaftliche Erkenntnisse erfordern geistige Mobilität und Anpassungen. Wir leben nicht mehr im Jahr 2020, wo die Übertragungswege und Präventionsmaßnahmen unzureichend erforscht waren. Es dominieren heute ganz andere Virusvarianten als in der ersten Welle und das erfordert wiederholte Anpassungen des Impfstoffs. Wir sollten auch schon viel weiter sein, was den Umgang mit Infektionskrankheiten an sich betrifft. Stattdessen erleben wir ein öffentliches Verkehrsdesaster in Wien durch mehrere Großbaustellen und zahlreiche Menschen, von Pendlern bis Touristen, die trotz Symptomen in überfüllten Verkehrsmitteln keine Maske tragen. Getestet wird nicht mehr und die bisherige Berichterstattung trägt zur weiteren Verharmlosung bei, während die Krankenstände mitten im Hochsommer in die Höhe schnellen. Muss das noch sein, nach allem, was die Wissenschaft uns die letzten Jahre geliefert hat?

Zu sagen, dass 2024 auch bedeutet, dass wir weniger Todesfälle und schwere Akutverläufe als zu Beginn der Pandemie durch SARS-CoV2 erleben, ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn die Aussage übersieht die wachsende Zahl aller anderen Infektionskrankheiten, die das „weniger“ an Krankheit durch SARS-CoV2 mühelos kompensieren. SARS-CoV2 ist zusätzlich da, zur ohnehin schon schweren Infektionskrankheit Influenza, und den zunehmenden Fällen an Keuchhusten, Masern und Streptokokken (u.v.a.). Warum keine Lösung, die Infektionskrankheiten generell reduziert. Warum versuchen wir nicht einmal das und versauen uns schon wieder den ruhigen Sommer, früher auch die ruhigere Zeit in den Arztpraxen und Spitälern, die Zeit der Urlaube statt mit Fieber im Bett zu liegen?

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Faktencheck zum 02.07.24 – Fokussierte Inkompetenz und Desinformation

Abwärtsspirale aus ständigen Neuinfektionen, mehr Mutationen, mehr Infektionen, Krankenständen, Exposition und LongCOVID, Grafik von Prof. Pagel und adaptiert von Prof. Hoffmann

Ich bin mir vollkommen bewusst, dass in diesem Stadium der kollektiven Verdrängung Faktenchecks nichts mehr bringen. Dennoch kann man nach so einem Interview, wie Armin Wolf am 2. Juli 2024 in der ZiB2 mit Virologin Dorothee von Laer, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir reden hier über Dammbrüche, über die Macht der Worte, über Entmenschlichung und über schwerwiegende Konsequenzen.

Die Realitätsverzerrung hat schon in der Vorwoche mit einem STANDARD-Artikel begonnen, wo die Autorin herumlaviert hat, ob es sich schon um eine Welle handelt oder nicht. Eine genaue Definition dafür gibt es epidemologisch offenbar nicht – sie kennzeichnet sich durch einen Anstieg der Neuinfektionen in der Grafik.

Von einer neuen Covid-Welle kann man dabei in Österreich noch nicht sprechen, zuletzt sind die Werte im Abwasser aber wieder leicht gestiegen,“ und zwei Sätze weiter „Es könnte sein, dass sich die Welle, die sich gerade beginnt aufzubauen, durch die beginnenden Ferien einbremst„.

Der Wendepunkt laut Abwassermonitoring war um den 7. April herum. Seitdem steigen die Abwasserwerte beständig an, ab etwa 5. Mai mit exponentiellem Wachstum. In Inzidenzen ausgedrückt waren das gemäß Kalibrierung mit Sentisurv RLP, CIS, AMELAG, etc. rund 4000 Neuinfektionen pro Tag Mitte April und rund 8000 Neuinfektionen pro Tag Mitte Mai. Seitdem haben sich die Abwasserwerte vervierfacht – die Zahl der Neuinfektionen ist also klar fünfstellig und das hört man auch, wenn man sich im öffentlichen Raum bewegt und sich ein bisschen umhorcht im Bekannten- und Kollegenkreis. Zum Vergleich: In der zweiten Welle (sic!) im Herbst 2020 gab es zu diesem Zeitpunkt bereits einen Lockdown. Fazit: Wir sind bereits in einer Welle!

Der vorläufige Höhepunkt war wohl die Wortmeldung vom PVA-Verwaltungsratsmitglied für die Dienstgeber, Rolf Gleißner, in mehreren Zeitungen:

„Wir hoffen sehr, wenn die Immunabwehr gegen Covid oder Grippe wiederhergestellt ist, dass wir dann wieder zu niedrigen Krankenständen zurückkehren,“

Rolf Gleißner im KURIER, 02.07.24

„Das könnte daran liegen, dass die Immunabwehr der Menschen durch ebendiese Hygienemaßnahmen nachhaltig geschwächt worden sei,“

derselbige im STANDARD

Gleißner entgegnete auf massive Kritik, dass damit die „Nachholeffekte“ gemeint seien, doch welcher Logik folgt das? Für SARS-CoV2 und auch für Influenza gibt es keine anhaltende Immunität, da jährlich ein anderer Virusstrang dominiert und die Immunität durch Impfung und Infektion unterläuft. Ärzte hätten ihm das „unisono“ gesagt, freilich nennt er keine Namen.

„Auch wenn die Krankenstände 2022 und 2023 … gestiegen sind, ist das Niveau langfristig gesehen vergleichsweise niedrig …“

ÖGK-Obmann für die arbeitnehmer, Andreas huss, Fehlzeitenreport 2024

Niedrig? Nicht wirklich. Ein für österreichische Transparenz umfangreiches Dashboard zu Krankenständen, unterteilt in Altersgruppen, Branchen und Art der Erkrankung gibt es seit kurzem.

„Seit der Pandemie sei das Bewusstsein dafür, erkrankt nicht in die Arbeit zu gehen, um niemanden anzustecken, gestiegen. Das sei wiederum für die Betriebe eine große Belastung.“

Gleißner im ORF, 02. Juli 2024

Kompletter Schwachsinn. Das Bewusstsein ist überhaupt nicht gestiegen, im Gegenteil. Im besten Fall machen jetzt kranke Menschen mehr Homeoffice (schonen sich dadurch aber auch nicht), aber es ist sonst fast schlimmer als vor der Pandemie, es gehen mehr Menschen krank arbeiten und sie müssen das auch, weil es keinen Kündigungsschutz im Krankheitsfall gibt. Es bleiben jedenfalls nicht mehr zuhause, sondern es sind einfach mehr krank. Diese stecken dann ihre Kollegen an und so leidet dann die Wirtschaft unter den steigenden Krankenständen. Würden alle zuhause bleiben mit Symptomen, gäbe es weniger Angesteckte in den Betrieben, also in Summe weniger Krankenstände.

Update, Drosten-Interview mit NTV, 07.07.24:

Ja, es ist vorbei als Pandemie. Wir erwarten im Moment eine Sommerwelle in ganz Europa und auch in anderen Teilen der Welt. Noch gelingt es bestimmten Varianten besonders gut, der Immunität zu entkommen. Daher sind wie zurzeit eben Sommerwellen noch möglich. Später wird das für das Virus wohl nur noch im Winter funktionieren. Dennoch: Die Krankheit ist in ihrer Spitze begrenzt durch die breite Immunität in der Bevölkerung. Wir wissen nicht ganz genau, wie häufig ein Erwachsener eine Infektion haben muss, um diese dann gar nicht mehr zu bemerken. Im Moment scheint das noch nicht zu reichen. Viele Leute haben jetzt so zwei, drei oder sogar vier Infektionen hinter sich. Und trotzdem werden sie immer noch krank, wenn sie so eine Variante bekommen. Viele haben noch ein bisschen Fieber und fühlen sich allgemein sehr krank. […] Wir sind jetzt da, wo viele das Virus am Anfang der Pandemie gerne gehabt hätten: bei einer normalen Influenza ungefähr. […]

Siehe restlichen Blogtext. Der Influenza-Vergleich passt nicht. Die Anmerkung, dass man sich noch nicht oft genug reinfiziert hat, damit das Virus milde genug ist, erscheint zynisch angesichts der vielen Betroffenen, deren Leben schon nach einer milden Infektion von der Qualität her vorbei ist. Saisonalität? Warum sind Rhinoviren ganzjährig effektiv? Ich verstehe einiges nicht, was ich ihn gerne fragen würde. Sein Buch hab ich mir übrigens bestellt, weil ich ihn als Wissenschaftler schätze.

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