Abwassermonitoring Wien: Influenza, RSV und SARS-CoV2-Viruslast (Sonntagswerte), jeweils aktuelle Saison (rot) und Vorjahr (blau)

Die Krankheitswellen von SARS-CoV2, Influenza und RSV erreichten in diesem Winter neue Höchststände. Möglich gemacht hat dies das Ende von Public Health, das Ende jeglicher Primärprävention, die darauf abziehlt, Infektionen zu vermeiden, und Sekundärprävention wie die Impfung, die einen kleinen Teil an Infektionen vermeidet, aber vor allem schwere Verläufe verhindern kann.

Zumindest die Influenzakurve von diesem Jahr (rot) ist von den Werten zu hinterfragen, der scharfe Knick schaut unplausibel aus und im Vergleich zur Vorwoche sind die Höchstwerte im selben Zeitraum deutlich niedriger, da könnte also noch ein Hund drin sein. #GrainOfSalt

So oder so bleibt aber die Erkenntnis, dass wir mit signifikanten Krankheitswellen zu tun haben, die wir durch PRÄVENTION deutlich verringern könnten – wenn wir es denn nur wollen würden. Laufende Krankenstände sind das eine, die Spätfolgen das andere – und wer beides nicht für relevant hält, muss nur auf die Absagenflut im Skizirkus schauen – sowohl Ausfälle durch akute Krankheitsfälle oder schwere Stürze für alle schlechten Vorbilder, die trotz Krankheit Höchstleistungen vollbringen wollen, als auch vorzeitiges Karrierende von sehr jungen Sportlern, die gesundheitsbedingt aufhören müssen. Das C-Wort wird naturgemäß in den seltensten Fällen erwähnt – man möchte die Zuschauer schließlich nicht verunsichern, ihre eigene Verleugnung zu hinterfragen.

SARS-CoV2 hat im Herbst eine Rekordwelle erzeugt. Öffentliche Wortspenden in Richtung „verantwortlich ist die schwere Grippewelle für die vielen Krankenstände“ oder „die Allergien sind es“ sind Bullshit.

Übersterblichkeit seit Pandemiebeginn in Schweden, Deutschland und Österreich (Quelle: Our World in Data, bis 31.12.2023)

In der allgemeinen Berichterstattung geht völlig unter, dass die JN.1*-Welle im Dezember eine hohe Übersterblichkeit verursacht hat. Österreich dabei gleichauf mit Schweden.

Anzahl der stationären Aufnahmen mit SARS-CoV2, Influenza und RSV (Normal- und Intensivstationen), SARI-Dashboard

Die Y-Achse zeigt klar: Es waren unvergleichbar mehr Menschen mit SARS-CoV2 im Krankenhaus als mit Influenza oder RSV. Die Krankheitslast durch SARS-CoV2 ist also weiterhin deutlich höher.

Für Influenza war letztes Jahr bereits eine Rekordsaison, heuer liegt der Peak zumindest in Wien noch einmal darüber. Die Impfquote grundelt bei beschämenden 8% herum, das spüren die Spitäler deutlich und auch die niedergelassenen Ärzte.

Man kann sich mit dem gleichen Subtyp wieder anstecken, aber wahrscheinlich seltener – die Dominanz des RSV-Subtyps ändert sich jede zweite bis dritte Saison. 2021/2022 dominierte Subtyp-A, 2022/2023 war es Subtyp-B in Österreich (Redlberger-Fritz et al. 2023)

Auch für RSV war es im Vorjahr bereits eine Rekordsaison – 2022/2023 dominierte vor allem RSV B, heuer sind 2/3 der RSV-Sentinelproben von RSV A. Derzeit ist die Virenfracht 3fach höher als beim Peak vom letzten Jahr. Glücklich dürfen sich die Säuglinge und Kleinkinder der Saison 2020/2021 schätzen – diese fiel dank der SCHUTZMASSNAHMEN in den Schulen vollständig aus. In den ersten Lebensjahren sind schwere Verläufe mit RSV besonders häufig und teilweise tödlich. Jede vermiedene Infektion in den ersten Lebensjahren ist ein langfristiger Gewinn für den Erhalt der Gesundheit.

Die Sentineldaten der Virologie Wien zeigen:

  • Influenza: 34% (+)
  • RSV: 19%
  • Rhinoviren: 7%
  • saisonale Coronaviren: 5% (am häufigsten hCoV-OC43)
  • SARS-CoV2: 4%

Hinzu kommt ein explosionsartiger Anstieg von Masern, von 2022 auf 2023 war es ein 45facher Anstieg. In Österreich erwartet man ein „furchtbares Masernjahr„, wenn die Durchimpfungsrate nicht gesteigert wird – nötig für Herdenimmunität sind 95%, derzeit sind es rund 85%.

Bitte berücksichtigen: Viele haben sich vor 1990 nur 1x die Dreifachimpfung Masern-Mumps-Röteln geben lassen. Besser sind aber zwei Impfungen, um Impfversager beim ersten Mal zu erwischen. Die zweite Impfung ist KEIN Booster. Auch für Erwachsene ist die Impfung weiterhin sinvoll. Die Impfung bietet sterile Immunität bei 95% der Geimpften. Unklar ist allerdings, ob mehrfache SARS-CoV2-Infektionen den Immunschutz gegen Masern abschwächen – bisher gibt es dazu aber nur anekdotische Evidenz.

Generell kann es mal nicht schaden, seinen Impfpass auf Lücken zu überprüfen, mit dem verfrühten Frühlingsbeginn sind bereits erste Zecken aktiv. FSME-Impfung ggf. auffrischen?

Wie geht es nun mit Corona weiter?

In vier Bundesländen fallen die Abwasserwerte nicht mehr, bei Kärnten zeichnet sich ein leichter Anstieg ab.

Derzeit stammen rund 59% der sequenzierten Abwasserproben von JN.1.4, die sich von JN.1 durch die ORF1a:T170I-Mutation unterscheidet), 29% von JN.1 und 3,9% von HV.1 (EG.5.1 + L452R-Mutation, entfernte XBB-Variante), wobei letztere derzeit ganz leicht ansteigt.

Ich bin immer noch vorsichtig optimistisch: Warum? Weil sich derzeit am Horizont keine Variante abzeichnet, die zu einem deutlichen Wiederanstieg führen sollte.

Varianten-Anteil in der Abwasserlast, Quelle: Zeitferne/Abwassermonitoring

Der Verlauf der letzten 3 Monate zeigt, dass der Peak der JN.1-Varianten noch vor Weihnachten erreicht wurde. Seitdem nimmt zwar der relative Anteil von JN.1.4 gegenüber JN.1 zu, aber die Abwasserwerte sinken schon länger weiter und es kam zu keinem Wiederanstieg mehr.

Zwei neue Varianten werden derzeit von Experten genauer überwacht:

  • JN.1 + K444R + Y453F, sie wurde Ende Jänner erstmals in Brasilien detekiert und wurde seitdem in 11 verschiedenen Städten der gleichen Region nachgewiesen, Y453F erhöht die ACE2-Bindung ganz erheblich
  • BA.2.87.1, bereits im Herbst 2023 in Südafrika erstmals sequenziert, sie weist über 100 neue Mutationen auf, aber nur wenige betreffen Antikörperklassen auf dem Spike-Protein, die die Immunität durch Impfung und Infektion herabsetzen könnten – bisher gibt es kein Indiz dafür, dass sie einen Wachstumsvorteil erlangt haben könnte.

In beiden Fällen gilt, dass wir eine weitere, vor allem clusterförmige Ausbreitung wahrscheinlich relativ spät erst mitbekommen werden, weil auf der Welt kaum noch sequenziert wird. Eine hohe Mutationsansammlung alleine reicht noch nicht für einen Fitnessvorteil. Eine oder mehrere entscheidende Mutationen machen den Unterschied, sonst stirbt die Variante aus. Mit der anhaltend hohen Viruszirkulation verschaffen wir leider stetig neue Gelegenheiten, diese Mutationen zu erlangen, die uns dann eine neue Welle bescheren.

(regelmäßige Updates in meinen Varianten-Steckbriefen)

Bei allem Unglück sollten wir froh sein, dass die SARS-CoV2-Grundinfektionsrate gerate deutlich niedriger als im Herbst ist, weil das auch bedeutet, dass weniger Patienten Paxlovid benötigen und damit ist ein akuter Mangel derzeit unwahrscheinlicher. Die Probleme liegen eher woanders. Wer testet sich noch regelmäßig? Welche Ärzte testen noch? Ende März läuft die Testregelung aus, dass Gratistests noch bezahlt werden. Gar nicht bezahlt werden Triple-Antigentests auf RSV, Influenza und Corona – momentan sicher sinnvoller als nur ein Antigentest alleine.

Was man im fünften Pandemiejahr wissen sollte:

  • man kann schon ansteckend sein, bevor man sich krank fühlt – gibt es auch bei Influenza, und bei Masern kann man schon ansteckend sein, bevor der charakteristische Hautausschlag kommt
  • Virusbeladene Aerosole können sich stundenlang in einem schlecht belüfteten Raum halten, selbst dann, wenn die infizierte Person längst gegangen ist – das gilt vor allem für Toiletten (anschauliches Video)
  • die zweite Linie auf dem Schnelltest muss nicht so kräftig sein wie die Kontrollinie – es reicht eine hauchdünne Linie, um infiziert zu sein
  • man kann sich auch im Freien anstecken, wenn die Windrichtung ungünstig ist
  • Zugluft und nasse Haare verursachen keine Erkrankung, sondern Viren – Kälte macht zwar anfälliger für Infektionen, aber es braucht trotzdem einen Krankheitserreger, sonst passiert nichts
  • eine durchgemachte Infektion schützt nicht dauerhaft vor Ansteckung und Erkrankung
  • Long COVID kann auch erst beim vierten, fünften oder sechsten Mal zuschlagen
  • ein intaktes Immunsystem schützt weder vor Erkrankung noch vor Long COVID und Folgeschäden
  • FFP2- und FFP3-Masken schützen dicht getragen hervorragend vor Ansteckungen, selbst wenn im Umfeld keine Masken getragen werden (z.B. Öffentliche Verkehrsmittel), höflicher ist es aber, sich eine aufzusetzen, wenn man andere mit Maske sieht