Wie man hier deutlich sieht, werden Coronawellen zu 100% von Saisonalität getrieben. Es gab einen zugegeben kurzen Frühling und Sommer im späten Februar, aber nun kehren wir erneut in den Winter zurück. Wissenschaftler sagen, wir sind im siebten Winter in zwei Jahren.” (Marc Bevand, @zorinaq, Twitter)

Syndromic Trends (USA): SARS-CoV2 (gelb) und Rhinovirus (blau) verhalten sich azyklisch (Herbst 2022 bis Juli 2024)

„Seasonality, a periodic surge in disease incidence corresponding to seasons or other calendar periods.“

David fisman (2007)

„In broad terms, seasonality represents oscillation in pathogens‘ effective reproductive number, which, in turn, must reflect oscillatory changes in infectiousness, contact patterns, pathogen survival, or host susceptibility.“

David Fisman (2012)

Eine Infektionskrankheit ist dann saisonal, wenn sie zu bestimmten Jahreszeiten oder Kalenderperioden wiederkehrt. Das muss nicht zwingend in der kalten Jahreszeit der Fall sein. FMSE und Borreliose treten z.B. verstärkt im Frühjahr auf, wenn die übertragenden Käfer und Insekten besonders aktiv sind. Bei den von Mensch zu Mensch übertragbaren Krankheiten kommt es zu Häufungen in der kalten Jahreszeit, weil sich die Menschen dann vermehrt in schlecht belüfteten geschlossenen Räumen aufhalten. Die Lufttemperatur im Freien ist ein Faktor, der die Immunabwehr beeinflusst, aber nicht der Wichtigste. Nachlassende Immunität, beeinträchtigte Immunsystemleistung durch wiederholte Infektionen, Schulferien und Reiseverkehr spielen die wichtigere Rolle. Auch eine anfällige Immunabwehr wird nur überwunden, wenn Virus zirkuliert.

Entwicklung der Wellen in den ersten Pandemiejahren in Österreich

2020: Wildtyp

Das Virus zirkulierte bereits im Dezember 2019 in den USA, die ersten bestätigten Fälle gab es in Österreich im Februar 2020. Mit dem strengen Lockdown im März und April 2020 sank die Infektionsrate deutlich ab. Mit Fall der Maskenpflicht Mitte Juni 2020 stiegen die Infektionszahlen wieder an. Der Höhepunkt wurde im Dezember 2020 erreicht, ehe der zweite Lockdown wirksam wurde.

2021: Alpha und Delta

Im Dezember 2020 setzte sich in Großbritannien die Alpha-Variante durch, die im März und April 2021 in Österreich die nächste Welle erzeugte. Der dritte Lockdown (im Osten) sowie die Impfkampagne flachten die Welle stark ab. Abermals wurde gelockert und ab Juli setzten Wiederanstiege mit der Delta-Variante ein, gefördert durch die nachgeholte EM im Juni. Der Höhepunkt der Delta-Welle fand im Dezember statt, ehe der vierte Lockdown griff.

2022: BA.1, BA.2, BA.5 und konvergente Varianten (Omicron)

Achtung: Nachlassende Testfrequenz ab Sommer 2022

Omicron entstand im Sommer der Südhalbkugel (Südafrika) und breitete sich rasch ab Ende November auf der Nordhalbkugel aus. In Österreich begann die BA.1-Welle durch die Nachwirkung des vierten Lockdowns verzögert, ehe sich die etwas infektiösere BA.2-Variante durchsetzte. Durch einen sogenannten Overshoot (so viele Infektionen gleichzeitig, dass das Virus keine empfänglicheren Wirte mehr findet) flachte die Welle von selbst im April ab. Trotz Sommerferien gab es aber eine große BA.5-Welle im Juli und August. Völlig anachronistisch zur Virusentwicklung begann der im März 2022 angelobte Gesundheitsminister Rauch von der „Vorbereitung für den Herbst“ zu reden, während BA.2 und BA.5 durchs Land zogen. Im Herbst geschah natürlich nichts. BA.5 sorgte mit Schulbeginn erneut für eine (kleinere) Welle. Im Dezember konnte sich keine Variante durchsetzen, dafür sorgte eine starke Influenzawelle für hohe Übersterblichkeit.

2023: XBB.1.5, EG.5.1 und JN.1 (Pirola)

Abwasserdaten aus dem Abwassermonitoring der Bundesländer

Im Februar und März dominierte XBB.1.5, eine Rekombinante, bei uns. Die Welle blieb klein, flachte aber mit Aufhebung der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln in Wien nur langsam ab. Ab Mai wurde auch im Gesundheitswesen die Maskenpflicht aufgehoben. Damit stabilisierte sich das Virusgeschehen auf erhöhtem Niveau. Mit Ende der Meldepflicht ab Juli stiegen die Werte durch die EG.5.1-Welle langsam wieder an über den Sommer hinweg. Im Spätherbst zog JN.1 davon und sorgte für die bis dahin größte Infektionswelle in Österreich, zumindest aber in der Größenordnung der BA.2-Welle.

Von April bis Juli 2023 wurde die Abgabe der kostenfreien PCR-Gurgeltests auf fünf pro Monat beschränkt und danach abgeschafft. Seit April 2024 sind auch die Schnelltests beim Hausarzt kostenpflichtig.

2024 (Stand Juli): FliRT, FLuQe, S31del-Varianten

Stand Mitte Juli steigen die Infektionszahlen seit etwa Mitte Mai langsam wieder an, zuerst durch die FLiRT-Varianten, seit Juni durch FLuQe (KP.3*). Von den Abwasserwerten her liegen die Fallzahlen zwar deutlich unter den letzten Wellen, von der Inzidenz her (Kalibrierung mit repräsentativen Stichproben-Projekten aus UK und Deutschland von 2023) liegen sie aber in der Größenordnung Delta-Welle.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass es in Österreich im Sommer ebenso wie im Winter zu regelmäßigen Wellen kommt. In den Übergangsjahreszeiten sind kleinere und größere Wellen ebenfalls zu beobachten. Weltweit gab es zwischen März 2020 und Dezember 2022 eine ausgeprägte Saisonalität von November bis April (Wiemken et al. 2023). Mit dem Wildtyp bezifferte man den Einfluss des saisonalen Effekts auf rund 40% (Gavenciak et al. 2022). Im vergangenen Jahr ging man noch davon aus, dass es regelmäßig zu kleineren Wellen kommen wird, etwa alle 4 Monate durch nachlassende Immunität und neue Escape-Varianten (Ewen Callawy 2023, Markov et al. 2023).

COVID-19 has peaks in the winter and also at other times of the year, including the summer, driven by new variants and decreasing immunity from previous infections and vaccinations.“

CDC: COVID-19 can surge throughout the year (03.07.24)

Bekannte Faktoren, die Auftreten und Länge von Infektionswellen beeinflussen

  • Schulen als Hauptfaktor, wo viele fremde Haushalte bei schlechter Luftqualität aufeinandertreffen -> Schulferien als unterbrechender Faktor
  • Single-Quote im Land (Spitzenreiter: Schweden)
  • Homeoffice-Quote im Land
  • Kündigungsschutz/Fortzahlung im Krankheitsfall (Osteuropa kaum)
  • Empfänglichkeit durch nachlassende Immunität und neue Varianten
  • Aufenthalt in geschlossenen Räumen (auch: bei Hitzewellen, Umluft statt Frischluft)
  • trockene Luft durch übertriebenes Heizen und durch Klimaanlage (Schleimhautreinigung der Atemwege stark beeinträchtigt)
  • kalte Luft: Aktivierung der zelleigenen Immunantwort bei 28°C deutlich verzögert, seltener gelüftet (Anstieg CO2-Werte begünstigt Übertragung direkt)
  • Reiseverkehr v.a. im Sommer (Davis et al. 2021)

Mit ausreichendem epidemiologischen Forcing (Force of Infection: FOI) kann selbst im Sommer Influenza oder RSV übertragen werden.

  • immunologisch naive Bevölkerung
  • Superspreading Events (z.B. mehrtägige Konzerte, große Sportevents wie EM oder Olympia)
  • erhöhte Empfänglichkeit (z.B. temporäre Schwächung der Immunabwehr)

Bei kalten Witterungsperioden ebenso wie bei Großveranstaltungen steigt das Risiko, auf infizierte oder empfängliche Menschen zu treffen. Andere Viren mutieren seltener, sind weniger ansteckend und brauchen entsprechend günstigere Bedingungen, etwa engen Kontakt, sodass sie überproportional in der kalten Jahreszeit vertreten sind. Influenzafälle im Sommer sind meistens reiseassoziiert.

Influenza und RSV zeigen klare saisonale Höhepunkte, während SARS-CoV2 (orange) ganzjährig zirkuliert (Quelle: Wochenberichte RKI, 2021-2023)

Saisonalität bedeutet NICHT: „nur eine Erkältung“

Übertragungsdynamik hat nichts mit Pathogenität zu tun.

Abwassertrends in den USA:

Es gibt eine bemerkenswerte Stabilität der Winterwelle, die jedes Jahr um die gleiche Zeit startet und zur gleichen Zeit den Höhepunkt erreicht.

Saisonalität bedeutet NICHT, dass es außerhalb der Saison keine Übertragungen gibt.

Saisonaler Antrieb treibt vorhersagbares Verhalten.

Saisonalität bedeutet nicht, dass die gesamte Übertragung und Wellenpeaks nur im „saisonalen Fenster“ stattfinden müssen. Es ist wie beim Sport. Es gibt eine Fußballsaison, aber es wird auch im Sommer in Wettbewerben gespielt.

Es gibt auch eine sekundäre, kleinere Saison, ein paar Monate vor dem Winter-Peak – der Sommerpeak. Man vermutet dazu vor allem im Südosten der USA die Menschenansammlungen in klimatisierten Räumen, und weil die Südstaatler reisen und das Virus in die Nordstaaten transportieren.

Texas Medical Center

Starke saisonale Muster mit Winterpeak und großem Sommerpeak.

Abwasser in Massachusetts

Hier gibt es einen markanten Peak zu Jahresbeginn sowie zunehmende Übertragungen ab Oktober und kleinere Sommerpeaks. Hier sind die Sommer weniger heiß als in Texas, also häufiger wird gelüftet und die Menschen sind draußen.

Antriebe, die außerhalb der Saison für größere Wellen sorgen, sind z.B. eine signifikante Mutation, aber selbst dann kann man größere Wellen erwarten, sobald das „saisonale Fenster“ naht.

(Erklärungen von Epidemiologe und Immunologe Michael Mina)