Übersicht zu LongCOVID-Folgen – öffentlich bekannt ist nur der rechte obere Teil (PEM und POTS) – Screenshot aus Arsboni 444, 16.10.23

“long haulers,” “post-acute COVID-19,” “persistent COVID-19 symptoms,” “post COVID-19 manifestations,” “post COVID-19 syndrome,” “chronic COVID-19 syndrome,” “post-infectious COVID-19,” “post-acute sequelae of SARS-CoV-2 infection” ,“post COVID-19 recovery syndrome”

Definition(en)

Der Begriff LongCOVID wurde von Patienten erfunden. Zu den Pionieren zähletu.a. Elisa Perego et al. (2020). Epidemiologin und selbst Betroffene Nisreen Alwan plädierte frühzeitig dafür, dass die Schwere der Erkrankung nach der Dauer der Krankheit definiert wird, und nicht danach, ob jemand hospitalisiert werden muss (Alwan 2020).

Die erste WHO-Definition gab es am 13.02.21, die am 06.10.21 aktualisiert wurde.

Definitionen für LongCOVID von NICE, AWMF, CDC und WHO, aus Rabady et al. (2023)

Seit Oktober 2021 im ICD-10 unter U09.9 („post COVID-19 condition“, nicht näher bezeichnet) deskriptiv erfasst.

In der Regel stellen sich die Symptome bis 3 Monate nach Beginn der Infektion ein, bestehen mindestens 2 Monate lang, sind nicht durch andere Diagnose erklärbar, schränken Alltagsfunktion der Betroffenen ein, fluktuieren oder kehren im Verlauf zurück und können auch als chronischer Verlauf der akuten Erkrankung existieren.

Webtool für „Management postakuter Zustände am Beispiel Post-Covid-19“ basierend auf der entsprechenden S1-Leitlinie – Zusatzkapitel ME/CFS (Hoffmann et al. 25.01.2024)

Ein 187 Seiten starkes PDF zur Definition: A Chronic, Systemic Disease State with Profound Consequences (2024)

Symptome (Übersicht)

Überblick über Organprobleme bei Covid19, übersetzt aus Davis et al. (2023)

LongCOVID ist ein Sammelbegriff für alle Symptome und Schäden, in zeitlichem Zusammenhang mit einer akuten Infektion stehen, dazu zählen …

  • anhaltende Beschwerden nach schweren Verläufen (zB PICS)
  • Verschlechterung einer bestehenden Grund- oder residualen Erkrankung
  • Organerkrankungen als Spätschaden wie zB Herzinfarkt, Schlaganfall
  • postvirale Folgen mit PEM (MECFS)

Wenn es um Diagnostik und Therapie geht, sollten diese Gruppen differenziert betrachtet werden. LongCOVID nach schweren Verläufen kommt häufiger vor, weil akute Organschäden beteiligt sind. Impfungen und Paxlovid bewirken eine Risikoreduktion für LongCOVID, mitunter aber nur, weil schwere Verläufe verhindert werden.

Die vielzitierte Fatigue hat nichts mit normaler Müdigkeit oder Erschöpfung zu tun, die LongCOVID und MECFS-Patienten erleben. Darüber schrieb Ed Yong von „The Atlantic“ in diesem packenden Text (07/2023).

Prävalenz

Häufigkeit von LongCOVID-Symptome 6, 12 und 24 Monate nach Erkrankungsbeginn (Liu et al. 12/2023)

Eine der ersten Warnungen vor Langzeitfolgen kamen von langjährigen MECFS-Betroffenen, wie hier Dr. Daniel Loy auf Twitter (08. April 2020), die falsche Zweidimensionalität der Krankheitsverläufe kritisierte: Am Ende gibt es mehr als nur genesen oder tot (langer thread).

Meine ersten Hinweise auf Langzeitsymptome bekam ich durch Paul Garner, der am 20. Mai 2020 seine persönlichen Erfahrungen schilderte und in Österreich gab es Ende April 2020 Warnungen an Taucher vor erhöhter Unfallgefahr nach einer Infektion.

ausführlichere Angaben zur Prävalenz und Inzidenz (neu!)

abhängig von Schwere des Anfangsverlaufs

Wir wissen inzwischen, dass LongCOVID-Symptome unabhängig von der Schwere des Anfangsverlaufs auftreten, das heißt, symptomfreie, milde und schwere Verläufe können LongCOVID nach sich ziehen.

Eine infizierte Person hat es nicht überstanden, sobald die akuten Symptome abgeklungen sind, sondern erst dann, wenn auch mehrere Wochen oder Monate nach dem Ende der Symptome bzw. einem negativen Test keine (neuen) Beschwerden auftreten. Strenggenommen gilt aber auch das nicht, weil Covid19 auch subklinisch, das heißt, ohne Krankheitswert, für Veränderungen im Gewebe bzw. Organfunktionen sorgen kann. Wir werden erst in einigen Jahren wissen, ob sich diese Veränderungen einmal negativ auswirken, speziell wenn sie sich durch mehrfache Infektionen akkumulieren.

Hinweis: Die in den jeweiligen Kapiteln angegebenen Studien beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf milde Anfangsverläufe. Sie erhöhen das Risiko für mehr als 60 verschiedene Symptome mehr als 3 Monate nach der Infektion (Subramanian et al. 2022).

asymptomatischer Anfangsverlauf

Im Herbst 2020 fand man erstmals persistierende Viren im Magen-Darm-Trakt vier Monate nach einer asymptomatischen Infektion (Gaebler et al. 2020). Bei symptomfreien Kindern hat man Mikrothromben gefunden (Diorio et al. 2020), sowie Herzfunktionsstörungen (Sabatino et al. 2022) und eine Zerstörung von dendritischen Zellen und Lymphozyten in den Mandeln – der Ort, wo Streptokokken A attackieren (Miura et al. 2022). Covid19 schädigt allgemein die Mikrozirkulation des Herzens (Marfella et al. 2021) und erhöht das Risiko von Herzkreislauf-Erkrankungen unabhängig von der Symptomschwere (Tereshchenko et al. 2021). Die Blutgefäße werden durch winzige Blutgerinnsel geschädigt (Ami et al. 2023).

schwerer Anfangsverlauf (Hospitalisierung)

„Ein Spitalsaufenthalt wegen Covid sollte in jedem Fall verhindert werden, da stecken ja Schicksale dahinter.“ (Gesundheitsökonom Thomas Czypionka, STANDARD, 21.09.20)

Es gehört zu einen der schwerwiegenden Sünden der Risikokommunikation so zu tun, als ob man wieder gesund aus dem Krankenhaus entlassen wird, wenn nur genügend freie Betten zur Verfügung stehen. Das ist mitnichten nach schweren Covid19-Verläufen der Fall.

Mehrere spezifische Plasmaproteine können als Biomarker für LongCOVID nach schweren Verläufen dienen (Liew et al. 2024).

Sowohl Schäden durch Langzeitbeatmung als auch Organschäden treten gehäuft auf mit langwieriger Rehabilitation (Raman et al. 2020, Evans et al. 2022). LongCOVID ist deutlich wahrscheinlicher als nach milden Verläufen (Carfi et al. 2020, Munro et al. 2020, Arnold et al. 2020, Chou et al. 2021, Daughertly et al. 2021). Manche Patienten entwickeln nach der Hospitalisierung Atemwegssymptome, die Monate anhalten (Vijayakumar et al. 2022). Viele Betroffene müssen erneut ins Krankenhaus, die Sterblichkeit ist erhöht (Chopra et al. 2020, Ayoubkhani et al. 2021, Günster et al. 2021, ), auch kognitive Einschränkungen treten gehäuft auf ( Becker et al. 2021). Ältere Menschen mit Grunderkrankungen werden durch einen schweren Covid19-Verlauf noch kränker (Cohen et al. 2022).

Nach 3 Jahren hat sich bei den meisten Patienten die Lungenfunktion nahezu normalisiert, es gibt ein höheres Reinfektionsrisiko als bei Personen ohne LongCOVID und bei der Hälfte bleiben weiterhin Symptome bestehen (Zhang et al. 11/2023).

Von schweren Verläufen sind tendenziell etwas häufiger Männer betroffen, rund ein Fünftel braucht mechanische Beatmung. Die Sterblichkeit liegt bei 14%. Zu denn Risikofaktoren zählen neben 65+ Jahre erhöhte Kreatin/Troponinwerte, Lymphozytenmangel, Lungeninfiltrate. Hohe Viruslast und niedrige Antikörperwerte tragen zur Sterblichkeit bei. Ein Viertel der Überlebenden entwickelt Post-Covid-Symptome. Einzig bekannter Risikofaktor hier ist das weibliche Geschlecht (Ozonoff et al. 2022).

LongCOVID und Psyche

Gute Zusammenfassung in einem Artikel der Time (13.06.22)

Es sollte niemanden überraschen, dass Menschen mit Long COVID angesichts ihrer Situation und der oft fehlenden medizinischen Hilfe häufiger zu Depressionen und Angsterkrankungen neigen. Das ist aber Folge und nicht Ursache der Erkrankung (Rudenstine et al. 2022), ebenso haben viele Suizidgedanken (Matsumoto et al. 2022, Xie et al. 2023). Zudem scheint es Unterschiede zwischen einer Depression nach einer SARS-CoV2-Infektion und einer typischen Depression zu geben, mit höherer Neigung zu suizidalem Verhalten (Perlis et al. 2021 preprint).

Mortalität nach Long COVID

Bei plötzlichen und unerklärbaren Todesfällen wurde in allen Fällen Virus in der Lunge nachgewiesen, auch bei Kindern, bei den plötzlicher Kindstod (SIDS) klassifiziert wurde (Lisman et al 2023).

USA: Von 2000 bis 2020 lag die mittlere Todesrate von Herzkreislauferkrankungen bei jungen Menschen (20-49 Jahre) zwischen November und Februar bei 4,55 pro 100 000 (schwarze Linie), im Winter mehr Todesfälle durch Influenzaaktivität. Schockierend ist seit Pandemiebeginn nicht nur, wie viel mehr Todesfälle es gibt, sondern dass selbst im Sommerhalbjahr viel mehr Todesfälle auftreten als in der schlechtesten Winter-Influenzasaison der letzten 20 Jahre.

Die Gesamtsterblichkeit bei LongCOVID-Patienten nach einem milden Covidverlauf war vor OMICRON um 24% höher. Geimpfte hatten ein geringeres Risiko als Ungeimpfte (Xiang et al. 2022). OMICRON hat die Sterblichkeit verringert, allerdings starb eine hohe Zahl älterer Erwachsener mit neurologischer bzw. psychiatrischer Diagnose (Taquet et al. 2022).

Spätfolgen nach Virusexposition allgemein

Langzeitfolgen nach Viruserkrankungen gibt es nicht erst seit der Pandemie. Für Coronaviren allgemein sind sie schon lange bekannt (Robb and Bond 1979), einen kanadischen Zeitbericht zu MECFS gab es bereits 1989. Eine gute Übersicht gibt es von Staub et al. (2024), der Schweizer Beispiele aus den Pandemien von 1890, 1918-20 und später bringt.

Die gute Nachricht: Impfungen verringern das Risiko für Alzheimer, Parkinson und andere Erkrankungen dieser Art (Lehrer and Rheinstein 2022).

LongCOVID und Prävention sind miteinander verbunden

Am Anfang der Pandemie fürchtete ich mich vor einem schweren Verlauf mit Hospitalisierung bzw. so schwer zu erkranken, dass ich mir zuhause nicht mehr selbst helfen könnte. Ab April, Mai 2020 las ich die ersten Berichte zu möglichen Spätfolgen und bereits im Sommer 2020 warnte ich im Bekannten- und Kollegenkreis, dass auch milde Infektionen Folgen haben könnten. Meine Hinweise verhallten ungehört, „die einen sagen das, die anderen das„, „man findet für alles eine Studie“, „solange gibt es das Virus noch nicht, wie will man da etwas zu Langzeitfolgen wissen„. Ich habe mich seit dem Sommer 2020 vor allem deswegen vor Corona geschützt, weil ich LongCOVID nicht bekommen wollte. Insbesondere nicht jene Verläufe, die mit Fatigue und Bettlägerigkeit endeten, aber auch Graustufen dazwischen hätten das Ende meiner Leidenschaft Wandern bedeutet.

Im Jahr 2024 wird SARS-CoV2 als Viruserkrankung betrachtet, die sich zu anderen harmlosen Erkältungskrankheiten hinzugesellen würde. Das Lebensrisikoportfolio wurde also um ein weiteres Virus erweitert, ein Risiko, wie vom Auto überfahren oder vom Blitz getroffen zu werden. Diese Darstellung ist eine Verharmlosung und Irreführung der Öffentlichkeit. Das Risiko, als immunkompetenter Mensch durch eine saisonale Erkältungskrankheit (z.B. saisonale Coronaviren, RSV) behindert zu werden, ist so niedrig, dass es neben anderen Risiken toleriert werden kann. Bei SARS-CoV2 ist dieses Risiko höher. Insgesamt wurden 672 Erkrankungen, die mit erhöhtem Risiko für schwere Verläufe verbunden sind und/oder 72 Erkrankungen mit erhöhtem Risiko für LongCovid gefunden (Pietzner et al. 2024). Was ist, wenn man nicht weiß, eine dieser Erkrankungen zu haben?

Es macht einen fundamentalen Unterschied zwischen „Ich könnte an X erkranken, aber dann gibt es gute Therapien und die Lebensqualität kann aufrechterhalten werden.“ und „Wenn ich Long COVID bekomme, gibt es keine Standardtherapie, nur Off-Label, die man womöglich selbst zahlen muss, und Gesundheitsbehörden, Versicherungen, Arbeitsamt weigern sich, meinen (schlechten) Gesundheitszustand anzuerkennen. Ich gelte dann womöglich als arbeitsfähig, bekomme keinen Pflegegrad, obwohl ich hausgebunden oder bettlägerig bin.“ Dort, wo ich herkomme, aus der Meteorologie, nennt man das übrigens ein „low probability, high impact scenario.“

Nur einmal habe ich es erlebt, wie ich gefragt wurde, ob am Nachmittag des nächsten Tages noch Gewitter kommen, weil eine Veranstaltung mit 300 Teilnehmern im Freien stattfinden sollte. Ich sagte, die Wahrscheinlichkeit ist zwar gering, aber wenn Gewitter kommen, fallen diese sehr heftig aus und es bestünde akute Lebensgefahr. Die Fragestellerin zögerte nicht lange, sondern sagte die Veranstaltung daraufhin ab. Gekommen sind dann übrigens tatsächlich Gewitter, die zumindest in die Nähe des Veranstaltungsortes zogen.

Heißt das nun auf SARS-CoV2 übertragen, dass man gar keine Risiken mehr eingehen sollte, weil die Langzeitfolgen so eine schlechte Prognose haben und Spontanheilung eher der Glücksfall ist? Nein. In den meisten Fällen ist das mit dem Alltag einer Familie oder dem Beruf nicht vereinbar, geschweige denn mit dem sozialen Wesen Mensch. Das Verhalten muss man die Veränderung des Risikos angepasst werden, das nicht überall gleich ist. Für Familien ungleich schwieriger umzusetzen als für ein kinderloses Paar oder einen Single, der im Homeoffice arbeitet. Es gibt Berufe, wo Ansteckungsrisiken allgemein höher sind, wie beim Gesundheits- und Bildungspersonal, bei Busfahrern oder als DJ in einem Club, es gibt Anlässe, wo es höher ist, wie Feste, Feiern oder berufliche Treffen. Es gibt saisonale Höhepunkte von Erkrankungswellen und das Risiko steigt auch durch/nach einer Immunsuppression, etwa eine Krebserkrankung oder Transplantation, medikamentös bedingt oder nach einer Viruserkrankung.

Es war und ist bis heute meine tiefste Überzeugung, dass Long COVID immer in einem Atemzug mit Prävention und umgekehrt genannt werden muss. Das Bewusstsein, Infektionen zu vermeiden, würde sich nur dann in der Mehrheitsgesellschaft durchsetzen, wenn diese durch Infektionen ihre Lebensqualität bedroht sieht, wenn ihr geplanter Lebensweg, ihr Lebensstil dadurch gefährdet wäre. Ich verstand schon vor der zweiten Welle nicht, warum Spätfolgen kontinuierlich ausgeblendet wurden und nur von Intensivstationen die Rede war. In meinen Augen hätte man vor allem die jüngere Bevölkerung mit Aufklärung ins Boot holen können, für den Selbst- und Fremdschutz. Ich sollte mich noch sehr lange wundern, weshalb man diesen Motivationsansatz, sich und andere zu schützen, nie gewählt hat.