Die Infektionszahlen steigen weltweit und auch die Anzahl der Krankenhauseinweisungen steigt gleichzeitig in vielen Ländern, was zumindest eines bedeutet: Die neuen Varianten sind nicht harmloser geworden! Gleichzeitig bleibt die hohe Zahl an bereits betroffenen LongCOVID/MECFS-Patienten und die Gefahr von Verschlechterungen durch Reinfektionen weiterhin ein Thema. In Österreich geht bezüglich MECFS-Awareness immerhin etwas weiter. Nach dem Konsensus-Statement im DACH-Raum (Hoffmann et al. 05/2024) gibt es nun auch einen neuen Praxisleitfaden für Betroffene (Hainzl et al. 06/2024). Für die Psychosomatikfetischisten sei zudem nochmal auf die klaren, anerkannten Diagnosekriterien für MECFS nach IOM und Kanada verwiesen. LongCOVID und MECFS sind KEINE Einbildung – siehe dazu die kürzlich erschienene Veröffentlichung zu LongCOVID-Definitionen.
SARS-CoV2 weiterhin gefährlicher als Grippe
Die Infektionszahlen steigen auch in Österreich deutlich an. Bei Influenza oder RSV würde man ab 5% Positivrate bereits von einer Welle sprechen, SARS-CoV2 hat nun 10% Positivrate in den Sentinelproben. Man sieht die Anstiege aber auch im nationalen Abwassermonitoring, bei der Stadt Wien und im Vorarlberger Monitoring. Umgerechnet auf Fallzahlen sind das etwa 8000 bis 10000 Neuinfektionen pro Tag in ganz Österreich – so viel hatten wir im Herbst 2021 am Höhepunkt der Delta-Welle, ehe der vierte Lockdown kam. Es heißt jetzt oft, dass die Situation heute weitaus weniger besorgniserregend sei als damals, aber das bezieht sich seit Beginn der Pandemie ausschließlich auf die Kapazitätsengpässe in den Spitälern – und da auch ausschließlich aufgrund von SARS-CoV2 und nicht auf die Gesamtbelastung. Aufgrund der Impfungen und Omicron-Varianten treten deutlich weniger schwere Lungenverläufe auf, die invasive Beatmung erfordern, daher ist die Zahl der Normal- und Intensivpatienten in den letzten zwei Jahren kontinuierlich gesunken.
Trotzdem liegt die Zahl der Einweisungen aufgrund einer SARS-CoV2-Diagnose in Österreich weiterhin deutlich über jenen anderer schwerere Infektionskrankheiten. Zu Spitzenzeiten waren es rund 1500 pro Kalenderwoche bei JN.1, während die Influenza an ihrem Peak knapp 680 vorzuweisen hatte – einmal im Jahr wohlgemerkt, während es mit SARS-CoV2 weiterhin etwa alle vier Monate eine neue Variante gibt und zumindest zwei größere Wellen im Jahr.
Hier irrt Virologe Drosten, der im letzten STANDARD-Interview behauptet hat, dass wir beim Sterberisiko oder Krankenhausaufnahmen in einen vergleichbaren Bereich kommen würden, siehe Kopel et al. 2023 oder Xie et al. 2023. Dafür erwähnt er als Einziger, dass es immer noch viele neue Long-Covid-Fälle gibt, „dieses Risiko scheint auch bei wiederholten Infektionen bisher nicht deutlich weniger zu werden.“ Enttäuschend vor allem die Interview-Führerin Pia Kruckenhauser, die 2023 noch für einen LongCOVID-Artikel ausgezeichnet wurde, hier aber drei Mal bei den Schulschließungen nachhakt, ohne zu erwähnen, dass Kinder und Lehrer ebenfalls von LongCOVID betroffen sind, geschweige denn durch die später offenen Schulen viele vulnerable Eltern gestorben oder schwer erkrankt sind.
KP.3-Varianten mit schnellstem Wachstum
Meine vereinfachte Skizze zeigt, dass die ersten Varianten bei einer immunnaiven Bevölkerung zunächst deutlich infektiöser wurden, mit wachsender Immunität durch Impfung und Durchseuchung nahmen die Escape-Mutationen zu. Das ist kein entweder-oder, sondern es gibt immer Mutationen, die etwas infektiöser machen, meist aber zulasten der Fluchtmutationen.
Der Gewinner ist jetzt KP.3.1.1
KP.3 entkommt vor allem Class-1-Antikörper und kann stark flüchtige rezeptorbindende Mutationen wie A475V aufsammeln. Durch das Gleichgewicht von F456L und L455S ist Q493E nicht mehr schädlich für die ACE2-Bindung. Untervarianten von KP.3 mit der Spike-Mutation ∆S31 sind noch effektiver im Wachstum, denn sie fügen Glykane hinzu. Zuckerketten können dem Spike-Protein dabei helfen, sich vor Antikörpern zu verstecken (Liu et al. 2024).
Unterm Strich bleibt also:
Die neuen Varianten entkommen der bestehenden Immunität durch Infektion (zuletzt JN.1-Welle) und Impfung (XBB.1.5-Impfstoff, nur 7% in Österreich geboostered), weshalb es viele Reinfektionen und Durchbruchsinfektionen gibt. Bei älteren und immungeschwächten Menschen spielt auch waning eine Rolle, also der natürliche Abbau der Immunität gegen schwere Verläufe. Sonst sind vor allem ungeimpfte Kleinkinder gefährdet, die mit dem Virus noch nie Kontakt hatten.
Die FDA hat angekündigt, dass die neuen Impfstoffe für Herbst 2024 den KP.2-Virusstrang enthalten sollten, der Protein-Impfstoff von Novavax wird mit JN.1 aktualisiert, soll aber auch gegen KP.2 und KP.3 wirken.
Wir sind mehr krank als vor der Pandemie
Ein Bloomberg-Artikel bestätigte neulich den subjektiven Eindruck, dass weltweit Menschen häufiger krank sind als vor der Pandemie. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Sinkende Impfraten wie gegen Keuchhusten und Masern, nachlassende Immunität wie gegen Influenza und durch Erderwärmung häufiger auftretende Erkrankungen wie Dengue-Fieber oder Cholera. Doch das sind nicht die einzigen Ursachen. Keuchhusten trat vor der Pandemie erheblich seltener auf als jetzt. Infektiologen sehen fast täglich Fälle, auch bei zuvor gesunden Menschen. Ebenfalls deutlich gestiegen sind die Fälle an Streptokokken und Parvovirus B19 (Ringelröteln, nicht zu verwechseln mit Röteln, gegen das geimpft werden kann). Ich hab mich bewusst zurückgehalten, aber es ist nicht mehr verschweigbar, dass durch SARS-CoV2 beeinträchtigte Immunsysteme eine wesentliche Rolle spielen.
Wie von Drosten im Interview oben wohl zähneknirschend angedeutet, zeigen mehrere Studien der letzten Jahre, dass mit weiteren Infektionen das LongCOVID-Risiko zunimmt, bei manchen Betroffenen war es mitunter erst die vierte, fünfte oder sechste Infektion. Es ist natürlich logisch, dass dieser Eindruck in längeren Phasen mit geringer Viruszirkulation abgeschwächt ist, weil dann schlicht die Wahrscheinlichkeit sinkt, sich erneut zu infizieren.
(Update, 29.06.24 – Grafik entfernt, nachdem der Ersteller auf Anfragen bzgl. einer zweifelhaften Kurve nicht reagiert hat)
Die EM fördert den Anstieg der Welle
Ich habe immer wieder auf diese Gefahr hingewiesen, und mit der Europameisterschaft 2020, die im Juni 2021 nachgeholt wurde, verglichen. Erste Hinweise darauf gab es in Italien, wo Gesundheitsexperten im Juli 2021 auf einen Zusammenhang mit steigenden Infektionszahlen hinwiesen. Nachgewiesen wurde das dann für Schottland (Marsh et al. 2021) und später in 17 Ländern, die an der EM teilgenommen hatten (Casini and Roccetti 2021). Später wurde gezeigt, dass die EM 2021 rund 840 000 zusätzliche Corona-Infektionen verursacht hat (Dehning et al. 2023), und zwar weniger in den Stadien als bei privaten Treffen, in Kneipen und Wohnungen, wo gemeinsam Spiele geschaut wurden.
Im Gegensatz zu damals gibt es jetzt Null nichtpharmazeutische Interventionen und der Massentourismus Reiseverkehr hat teilweise ein höheres Niveau als vor der Pandemie erreicht.
Viel Glück!
Es hilft das, was immer hilft: Kein Volltrottel sein
Mit Symptomen zuhause bleiben, Maske tragen, ABSTAND zu anderen Menschen halten, und nicht wie der Volltrottel im fast leeren Bus mit dem Keuchhusten, der sich genau nebenan in die Reihe setzt, obwohl ich extra ganz hinter gegangen bin.
Lufthygiene, Luftreiniger, regelmäßig Lüften, blabla. Ich mag nix mehr sagen, weils eh jedem wuascht ist. Durch Augen verschließen verschwinden Probleme halt nicht, aus dem Alter sollten wir längst draußen sein.
Danke!!!! für ihre unermüdliche, wertvolle Information – auch wenn’s ermüdend ist ….
Vielen Dank!!!
Danke!
Und es ist nicht jedem wurscht. Aber viel zu zu vielen Leuten, leider ja.
Dank „kein Trottel sein“ und ein bissl Glück seit 5 oder 6 Jahren kein Infekt mehr. Gar keiner.