Ausbildung der verschiedenen Antikörper nach einer Infektion, Quelle: Institut für medizinische Diagnostik Berlin

Dieser Begriff ist mehrdeutig:

  • Bevölkerungsimmunität: Verringerung von schweren Verläufen und Todesfällen auf Bevölkerungsebene, aber nicht zwingend für den Einzelnen
  • Sterile Immunität: Schutz vor Ansteckung gibt es nach einer Impfung höchstens für wenige Wochen bis wenige Monate, nach einer überstandenen Infektionen für wenige bis mehrere Monate, aber selten länger als ein Jahr
  • Herdenimmunität: Eine immune Mehrheit schützt eine Minderheit, die noch nicht geimpft werden kann (z.B. Säuglinge), nicht darf (Autoimmunerkrankungen) oder keine ausreichende Antikörperantwort entwickelt (Immunsuppression) – bei SARS-CoV2 ebenso wenig erreichbar wie bei Influenza, solange die Impfstoffe die Infektion nicht effektiver verhindern,

Die Immunabwehr besteht aus der zellulären und humoralen Immunabwehr:

  • zellulär: T-Zellen bzw. T-Gedächtniszellen können jahrelang Schutz vor schwerer Krankheit bieten
  • humoral: B-Zellen, v.a. IgG-Antikörper, erkennen und neutralisieren das Virus und schützen unsere Lungen somit präventiv vor dem Befall. Ihre Lebensdauer ist deutlich kürzer (wenige Wochen bis Monate). Nach der Impfung ist die IgG-Konzentration sehr hoch, ca. 1000-10000x höher als vor der Impfung (De Gruyter 2021)
  • sekretorisch: IgA-Antikörper verhindern eine lokale Infektion der Schleimhäute im Nasen/Rachenraum durch Schleimhaut-Immunität. In den Muskel injizierte Impfstoffe wirken vor allem im unteren Atemwegstrakt, für effektive Schleimhautimmunität bräuchte man in die Nase injizierte Impfstoffe. Nach schwerem Verlauf verschwindet der Schleimhaut-Schutz nach etwa 9 Monaten, eine nachfolgende Impfung erhöht den Schutz nicht (Liew et al. 2022).

Erhöhte IgM-Antikörper-Werte weisen auf eine momentane Infektion hin, nach einer Impfung sind ebenfalls kurzzeitig erhöht.

Nach durchgemachten Infektionen “vergisst” das Immunsystem zunehmend das SARS-CoV2-Spike Protein und erinnert sich vermehrt an andere SARS-CoV2-Proteine. Bei einer Reinfektion werden B-Gedächtniszellen aktiviert und bilden vorwiegend nicht neutralisierende Antikörper aus (die nicht an die Rezeptorbindungsdomäne (RBD) des Spike binden und nicht die Bindung zwischen Virus und Zelle verhindern). Auch nach einer Infektion sollte man unbedingt impfen, nur so werden B-Gedächtniszellen gegen das Spike-Protein erzeugt.

Keine langlebige Immunität durch Infektion:

Die ersten Ergebnisse waren noch zuversichtlich. Alle Infizierten machen Antikörper und CD4+T-Zellen, 70% machten messbare CD8+T-Zellen (Grifoni et al. 2020). Obwohl der Anteil neutralisierender Antikörper gering war, wurden bei allen Studienteilnehmern Gedächtnis-B-Zellen gefunden (Robbiani et al. 2020). Die vorhandenen neutralisierenden Antikörper waren in der Lage, das Virus für mindestens drei Monate zu neutralisieren (Rodda et al. 2020, Wajnberg et al. 2020). Bereits im Oktober 2021 erkannte man in England, dass die bevölkerungsweite Immunität durch Antikörperbildung nicht beständig war. Noch bis zur Dela-Welle ist man davon ausgegangen, dass die Immunantwort bis zu 15 Monate beständig war, aber gegen Alpha, Beta und Gamma sind bereits 8fach geringere neutralisierende Titer gemessen worden (Marcotte et al. 2022).

Hybrid-Immunität (Impfung plus Infektion)

zur sogenannten Hybrid-Immunität:

Den Begriff „Hybrid“-Immunität gab es vor der Pandemie nicht. Die „Hybrid“-Immunität ist nicht erstrebenswert, weil jede Infektion ein langfristiges Gesundheitsrisiko darstellt, siehe dazu auch dieses Lancet Editorial (10.11.2022). Durchbruchsinfektionen bringen wenig Schutz vor erneuter Infektion (Koutsakos et al. 2022, Reynolds et al. 2022, Yao et al. 2022), wenngleich es variantenspezifische Unterschiede gibt (Malato et al. 2023, Bobrovitz et al. 2023, Chen et al. 2023).

Manche Studienergebnisse sind widersprüchlich: Nach Barateau et al. (2023) erzeugen Impfung und Infektion bessere Immunität als Infektion oder Impfung alleine, bei Gao et al. (2023) ersetzt eine Infektion nach Impfung eine erneute Auffrischimpfung nicht. Impfung plus Infektion neutralisiert auch die letzten dominanten Virusvarianten EG.5.1 und JN.1 gut. Impfung oder Infektion alleine neutralisieren neue Varianten deutlich schlechter (Bekliz et al. 2024 preprint), Caveat: Als nur geimpft, nie infiziert galten jene mit zwei bzw. drei Impfdosen (Wildtyp), spätere Impfungen wurden nicht berücksichtigt.

Bei niedrigen Impfraten in der Bevölkerung kann es innerhalb von wenigen Monaten mit derselben Variante erneut zu einer Welle kommen. Hohe Impfraten können diese zweite Welle abflachen bzw. verzögern. Hybrid-Immunität hat nur begrenzten Einfluss auf künftige Wellen mit Immun-Escape-Varianten (Le et al. 2024). Selbst niedrige Impfraten verringern aber langfristig das Infektionsrisiko von Geimpften, die sich vorwiegend bei Ungeimpften infizieren (Fisman et al. 2024).

Serum neutralisierende Antikörper (nAbs) durch Infektion erklären nur zu einem geringen Teil den entwickelten Immunschutz , der größte Teil kommt vermutlich durch T-Zellen-Antwort, sowohl im Serum als auch in der nasalen Schleimhaut, zustande (Sun et al. 2024).

„Leaky Immunity“

Beim Menschen wurde nachgewiesen, dass man nach einer Impfung, einer Infektion oder beidem gegen Ansteckung geschützt ist, wenn die Virusexposition niedrig bis moderat ist – und zwar sowohl bei DELTA als auch bei OMICRON. Wenn die Virusexposition hingegen hoch war, hatte keine der genannten Gruppen genügend Immunität gegen eine Ansteckung ( Lind et al. (2023).

Nach der mRNA-Impfung sinken die Antikörpertiter erst deutlich, dann kommt eine Stabilisierungsphase – das ist wie aus dem Lehrbuch der Immunologie, Plasmablasten machen die Titerspitze nach der Impfung, zerfallen aber rasch. Die Antikörper überdauern länger, weil IgG eine Halbwertszeit von etwa 4 Wochen hat. In der Stabilisierungsphase werden die Körper von langlebigen Plasmazellen gemacht, die ins Knochenmark wandern. Dort überdauern sie möglicherweise lebenslang.

Nach den beiden ersten Impfungen plus Infektion sind die Titer allgemein höher, doch scheint die (dritte) Boosterdosis als Gleichmacher zu wirken. Langlebige Immunantworten garantieren keinen langlebigen Schutz vor symptomatischer Infektion. Vor Omicron gab es keine Durchbruchsinfektion nach Impfung und Infektion, nur bei Geimpften. Mit Omicron gab es sie bei beiden Gruppen, wenngleich die Geimpften und Infizierten etwas besser geschützt sind. Durchbruchsinfektionen wirken bei Geimpften ohne vorherige Infektion wie eine Boosterdosis. Bei Geimpften mit Infektion erzeugen sie jedoch keine starken Serumantikörpertiter, wahrscheinlich, weil es weniger Virusreplikation und Antigenexposition gab. (Srivastava et al. 2024).

Solange bindende Antikörper (BAU) vorhanden sind, ist man selbst bei schlecht passender Immunität gegen schwere Akutverläufe (!) und Tod geschützt. (Vikström et al. 2023) Über LongCOVID sagen die Studien allerdings nichts aus.

Bis BA.2 war der Schutz vor erneuter Infektion nach Impfung und Infektion höher als nach der Impfung alleine (Mongin et al. 2023, Diexer et al. 2023). Auch Schutz durch bivalente Impfstoffe und Risikofaktoren für LongCOVID sind nicht berücksichtigt (v.a. Diexer et al.). Die Genfer Studie zeigt aber klar, dass Geimpfte seltener übertragen als Ungeimpfte, was sogar einen messbaren Effekt von 65% Reduktion von Infektionen während der ersten Omicron-Wellen in Tokio zur Folge hatte (Kayano and Nishiura 2023).

Kreuzimmunität durch andere Coronaviren?

Herdenimmunität und endemischer Zustand

Sporadisches (blau), epidemisches (rot) und endemisches (grün) Infektionsgeschehen – welches Aktivitätslevel ist uns lieber? (Quelle: Global Biosecurity)

Die allgemein bekannte Interpretation von Herdenimmunität ist der solidarische Schutz einer immunen Mehrheit für eine ungeimpfte Minderheit, wobei dafür nicht nur Impfunwillige, sondern auch nicht impfbare Menschen stehen. Das Virus kann sich demnach nicht mehr verbreiten, sondern läuft in der Bevölkerung tot (R0 < 1). Diesen Zustand erreichen wir nur noch für wenige Monate als befristete Immunität gegen die vorherrschende Variante und ähnliche Nachfolger-Varianten. Dauerhafte Herdenimmunität ist dreieinhalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie nicht erreichbar, da …

  • der Impfschutz der Weltbevölkerung unvollständig ist
  • der Schutz vor (erneuter) Infektion nach Impfung und Infektion mit der Zeit schwindet (waning)
  • das Virus weiterhin mutiert und den bestehenden Immunschutz unterläuft
  • keinerlei Maßnahmen für hohe Zirkulation und Mutationsspielraum sorgen

Chronologie :

Endemisch ist definiert als „auf eine bestimmte Region beschränkt“, z.B. ist Malaria in Afrika endemisch. Eine Epidemie sind regionale Ausbrüche mit Infektionswellen (z.B. Influenza im Winter auf der Nordhalbkugel). Bei einer Pandemie finden die Ausbrüche kontinentübergreifend statt. Die Schwere der Erkrankung sowie die Höhe der Infektionswellen spielen dabei keine Rolle.

Nach allen Definitionen befinden wir uns im August 2023 weiterhin in einer Pandemie.