Viele Informationen hier habe ich engagierten ForscherInnen zu verdanken, die weiter auf Twitter vertreten sind. Besonders hervorheben möchte ich den Lehrer aus Indiana, USA, Ryan Hisner – hier ein Porträt im „Guardian“, ohne besondere Vorbildung in Virologie, aber ein klassischer „pattern thinker“, sowie Mike Honey, der seit 3 Jahren die Sequenzierdaten verfolgt.

Phylogenetischer Stammbaum von SARS-CoV2 – mit BA.2.86 sehr weit vom Ursprungsvirus entfernt, Quelle: Eric Topol, 25.10.23
Spike-Aminosäure Mutationen relativ zum Wildtyp von BA.2, XBB.1.5, JN.1 und BA.2.87.1

Alles zur Impfwirksamkeit gegen Varianten steht unter Impfstoff-Entwicklung, hier geht es mehr um die intrinsischen Eigenschaften (Mutationen, Infektiösität, Schwere der Erkrankung) der Virusvarianten selbst. Ich kann des Umfangs wegen nicht alle relevanten Varianten abdecken und beschränke mich hier auf jene, die vor allem in Mitteleuropa dominant wurden.

Stand 13.12.23 in Österreich, Häufigkeit bestimmter Virusvarianten im Abwasser. Zuletzt war HV.1 relativ gleichbleibend, JN.1 legte zu, die XBB-Varianten nahmen langsam ab, Quelle: Gert Bachmann, Biostatistiker

Die Steckbriefe hier werden laufend aktualisiert.

Mutations-Steckbriefe

Eine einzelne Mutation kann den Unterschied machen, so wie zu Beginn der Pandemie mit D614G, dann L455S bei JN.1,

  • Furin Cleavage Site (FCS), um Spike-Proteine 681-685 herum situiert, eines der ausgeprägtesten Eigenschaften von SARS-CoV2. Seine Anwesenheit verursacht, dass das Spike-Protein innerhalb der Zelle von Furin zerteilt wird (S wird zu S1 und S2), damit wird es für die Membranverschmelzung vorbreitet und für den Zelleintritt (welches ein zweites Spike-Protein benötigt, das von TMPRSS2 zerschnitten wurde). FCS ist essentiell für die Infektion der Lungen, für Weitergabe und Immunflucht, durch P681R/P681H wird FCS verstärkt (Ke et al. 2023 preprint) – bei JN.1 sind vermehrt FCS-zerstörende Mutationen aufgekommen (v.a. S:683W, seltener S:E683Q), trotzdem ist JN.1 dominant geworden, also vmtl. ein Tradeoff mit anderen Mutationen
  • L452R entkommt zellulärer Immunität und erhöht Infektiösität (Motozon et al. 2021)
  • P681R erhöht und beschleunigt virale Fusion (Saito et al. 2021)
  • R203K und G204R: Mutationen im Nukleokapsid: erhöhte Infektiösität
  • nsp6 deletion (Delta 105-107): Immun Escape
  • Delta69-70 deletion – Wechsel auf S:H69+ S:V70, kann normalerweise nicht rückgängig gemacht werden. Es gab noch nie eine insertion an der Stelle S:69-70: nur wenn eine neue Variante aus einer alten, verschwundenen Linie entsteht, die diese Mutation nie hatte und sich monatelang in einer Person entwickelt
  • R346T – höherer Immun Escape (Chakraborty et al. 2023)
  • H655Y, N679K, P681H: effektiverer Zelleintritt
  • F456L führt zu Immun Escape von 1,5fachem Titerabfall, etwa bei EG.5 und HK.3, oft gefolgt von L455F (FLip), entkommt Class-1-Antikörper (Focosi et al. 2023, Arantes et al. 2024)
  • XBB-Linien konvergieren auf die RBD 455-456, das erhöht Immun Escape und ACE2-Bindung (Jian et al. 2023)
  • Y473F – riesiger Immun Escape, aber geht massiv zulasten der ACE2-Bindung, daher selten gesehen.
  • Q493R: Immun Escape
  • ORF3a: K67N: Immun Escape? (Azad and Khan 2021, bis 14.09.20 gesammelte Daten)
  • Q493E: erste große Spike-Mutation seit JN.1, echte strukturelle/epistatische Veränderung gegenüber der stufenweise AK-Mutationen, die kaum mit der zunehmenden Bevölkerungsimmunität mithalten konnten (Thread von Ryan Hisner, 2024)

JN.1-KP- und DeletionVarianten

Relevante Mutationen in Zusammenhang mit dem Wachstumsvorteil von JN.1-Varianten gegenüber der Muttervariante JN.1. Mit Abstand am schnellsten wächst KP.3.1.1, gefolgt von LP.1, die Deletion-Mutation S31 ist in allen schnell wachsenden Varianten enthalten, R346T und Q493 arbeiten nicht gut zusammen (Anmerkung: imho sollte es LB.1, nicht LP.1 heißen)

KP.3 mit weltweiten Wachstumsvorteilen und auch steigenden Hospitalisierungszahlen. KP3 sorgt für die Sommerwelle! (Stand 13.06.24)

Den ersten Wachstumsvorteil hatten die FLiRT-Varianten gegenüber der Muttervariante JN.1, dann kam KP.3 mit Q493E („FLuQe“) und im Laufe des Mais LB.1 (FLiRT+ S31del).

  • KP.3 verdrängt KP.2 durch Q493E (höhere ACE2-Affinität, immunevasiver, entkommt besonders Class 1 Antikörper V3-53/66, entkommt auch JN.1-Infektion), dadurch kann KP.3 auch hochflüchtige RBD-Mutationen wie A475V aufsammeln
  • KP.3 mit Wachstumsvorteil durch Epistasis von F456L und L455S, nur dadurch ist Q493E nicht mehr schädlich für ACE2-Bindung.
  • KP.3.1.1 in Spanien mit deutlichem Wachstumsvorteil, 4 Spike-Mutationen: S31del, F456L, Q493E und V1104L

Mit Stand 31.05.24 sind die Varianten mit Deletions auf dem Vormarsch mit deutlichem Wachstumsvorteil. In den USA wird LB.1, sofern keine weitere Variante kommt, etwa Mitte Juni dominant. Diese Berechnungen sind mittlerweile aber sehr mit Vorsicht zu genießen, weil es weltweit an Sequenzierproben mangelt.

Sowohl S:∆S31 als auch S:R190T fügen Glykane hinzu, Zuckerketten können u.a. dem Spike-Protein dabei helfen, sich vor Antikörpern zu verstecken. Bei JN.1 ist die aktivste Region für Mutationen S:22-35, die erfolgreichsten Mutationen dort haben entweder eine dramatische Änderung erzeugt (S31F, klein und hydrophil, zu großen hydrophoben Aminsäuren) oder ein Glykan hinzugefügt (T22N, T29N, ∆S31, F32S). Zudem wurde eine S:16_MPLF hinzugefügt. Insertionen sind dort extrem selten. In Kombination mit 24-27 kehrt das Spike-Protein zur Länge des Wildtyps zurück. Die jetzigen Mutationen wurden teilweise auch bei Gamma beobachtet. Ryan Hisner, der dies hier auf Twitter geschrieben hat, spekuliert, ob JN.1 tatsächlich mehr in Richtung Fledermaus-Sarbecovirus zurückmutiert, das vor allem im Magendarmtrakt aktiv ist. Dafür gibt es aber noch keine direkte Evidenz. Die beiden Unteräste LB.1. mit R190T und KP.3 mit 417T sind zwar interessant, aber noch insignifikant. Hingegen sind Mutationen wie ∆S31, die Glykane hinzufügen, tiefgreifend und dürften längere Zeit den Variantenzirkus dominieren.

  • Sato Lab: KP.3.1.1 hat höhere Übertragbarkeit (Re) als andere JN.1-Subvarianten, ist mit Pseudovirus infektiöser, deutlich niedrigere Neutralisation mit XBB.1.5/JN.1-Infektion sowie XBB.1.5-Impfstoff: Potential für nächste dominante Variante hoch (Kaku et al. 2024 preprint, 17.07.24)
  • FLuQe (KP.3.*)-Varianten haben bereits die FLiRT-Varianten abgelöst, aber S31del-Varianten werden wahrscheinlich die nächste Welle antreiben
  • DeFluQe (KP.3.1.1. mit S31del auf F456L und Q493E) wächst signifikant in England, Schottland und Wales (15.07.24), dominant in Valencia, Spanien (16.07.24),
  • Kaku et al., Virological characteristics of the SARS-CoV-2 KP.3, LB.1, and KP.2.3 variants (27.06.24 – alle drei Varianten mit höherem R_e als JN.1, wobei LB.1 und KP.2.3 auch höheren R_e als KP.2/KP.3 aufweisen, weiterer Wachstumsvorteil weltweit garantiert, hoher Immun Escape gegen XBB.1.5-Impfstoffe, auch nach XBB-Infektion deutlicher Immun Escape.
  • Erste Rekombinationen von LB.1 mit KP.2 und KP.3.2 beobachtet (29.05.24), die bereits global verbreitet sind
  • LB.1 (FLiRT+S31del) mit deutlichem Wachstumsvorteil (100% gegenüber JN.1), auch gegenüber 493E (Stand 21.05.24: Starker Vorteil in den USA (11%), Neuseeland (10%) und Singapur (7%))
  • KP.3+ ∆29728-29776 (größere s2m deletion) bereits auf 3 Kontinenten sequenziert (Stand 20.05.24)

konvergente JN.1*-Varianten: „FLiRT“

Wachstumsvorteile der FLiRT-Varianten relativ zu JN.1 (Quelle), Stand: 17.04.24 – KP.3 ist in der Größenordnung von JN.1 verglichen mit EG.5.1 (siehe unten), mehrere Varianten aber dicht auf den Fersen

alle Untervarianten mit R346T und/oder F456L – relatives Wachstum weltweit, aber wegen schlechter Surveillance keine seriösen Daten mehr über zeitnahe Entwicklung

  • KP.2.3 (H146Q, Orf3a:K67N )
  • KP.3 (ohne R346T, mit Q493E, erhöht ACE2-Bindung)
  • JN.1.16.1 (mit R346T, F456L)
  • KP.2 (mit V1104L, F456L, R346T ) mit deutlich weniger ACE2-Binding als JN.1 (weniger ansteckend)
  • KS.1 (mit A1087S, R346T, F59S, F456L)
  • KR.1 (JN.1.1 + R346T, F456L)

Am 18.3. haben die FLiRT-Varianten bereits 23% Anteil in Singapur und 10% in den USA erreicht. Auch in England wächst der Anteil sprunghaft. In Deutschland steigt der R-Wert langsam an, in Österreich hat R ein recht großes Konfidenzintervall – im Abwasser zeichnet sich eine Verschiebung bei den Variantenanteilen ab.

Kaku et al., Virological characteristics of the SARS-CoV-2 KP.2 variant (26.04.24 preprint – XBB.1.5-Impfstoff und Durchbruchsinfektionen mit XBB.1.5 und JN.1 signifikant schlechtere Neutralisierung als gegen JN.1, hoher Immun Escape erklärt teilweise die Zunahme der effektiven Reproduktionszahl von KP.2)

Jian et al., Humoral immunogenicity comparison of XBB and JN.1 in human infections (22.04.24 preprint – JN.1-Durchbruchsinfektionen erzeugen höhere Immunität gegen JN.1 als mit XBB-Varianten, zudem deutliche Abnahme bei FLiRT-Varianten beobachtbar)

Stand 09.05.24:

  • Q493E erhöht Fitness durch stärkere ACE2-Bindung deutlich, Wachstumsvorteile gegenüber FLiRT-Varianten

Evolutionärer Sprung: JN.1 und Abkömmlinge

JN1.23

Prognostizierter Immun Escape versus ACE2-Bindung für derzeitig dominante Varianten (JN.1 und JN.1.4) und JN.1.23 (rot, ganz rechts oben), Stand 21.02.24

(+K444R+Y453F)

Ende Jänner erstmals in Brasilien detektiert, Anfang Februar rund ein Dutzend weiterer Sequenzen, 12/13 von Bahia, aber aus 11 verschiedenen Städten.

Y453F erhöhte bisher bei früheren Varianten die ACE2-Bindung erheblich.

JN.1 mit der entscheidenden Immun-Escape-Mutation L455S hat dadurch nahezu die gesamte zusätzliche (hohe) ACE2-Affinität von BA.2.86 verschwendet. Dadurch hatte JN.1 wenig Spielraum, weitere RBD-Mutationen zu entwickeln, die nahezu immer ACE2 verringern.

Bis 03.02. in 3 Kontinenten nachgewiesen, Immun Escape und ACE2-Binding (vorhergesagt) übertrifft alle anderen Varianten bei weitem.

(Quelle: Ryan Hisner, 05.02.24)

BA.2.87.1

Mit Stand 01.02.24 wurden 8 Genomsequenzen einer neuen Virusvariante mit über 100 Mutationen in Südafrika gefunden, in 3 Bezirken (Capricorn, Johannesburg, Tshwane) zwischen 20.09. und 29.11.23. Die Variante unterscheidet sich erheblich von JN.1 und stammt von BA.2 ab. Bisher gibt es keine Signale dafür, dass die Variante einen Wachstumsvorteil erlangt hat.

Mehr als 30 Mutationen betreffen das Spike-Protein sowie die RBD. Zudem gibt es Mutationen nahe der FCS (N679R, S691P).

  • 2 Mutationen betreffen Class-3-Antikörper (K444N, V445G)
  • 2 Mutationen betreffen Class-2-Antikörper (L452M, N481K)
  • 1 Mutation betrifft Class-1-Antikörper (K417T)

Man erinnere sich an BA.2.86 – eine hohe Mutationszahl reicht noch nicht für eine rasche Verbreitung. Es müssen die entscheidenden Mutationen passieren, wie bei JN.1, damit es der vorhandenen Immunität besser entkommt. Mit anhaltend hoher Viruszirkulation schaffen wir diese Voraussetzungen. Sollte dies bei BA.2.87.1 passieren, öffnet sich der Variante wieder ein neuer Pool an infizierbaren Wirten, ohne nennenswerte Kreuzimmunität durch die hohe JN.1-Welle.

Weshalb BA.2.86/JN.1 Pi heißen sollte:

Wang et al., Robust Neutralization of SARS-CoV-2 Variants Including JN.1 and BA.2.87.1 by Trivalent XBB Vaccine-Induced Antibodies (16.02.24 preprint – NTD deletions trugen signifikant zu Immun Escape bei)

  • evolutionärer Sprung mit vielen neuen Escape-Mutationen
  • kein zusätzlicher Schutz mehr vor Hospitalisierung durch die alten bivalenten Booster (auch wenn sie deswegen nicht nutzlos sind, da weiterhin XBB-Varianten zirkulieren)
  • weltweit dominant
  • erhebliche Belastung der Gesundheitssysteme durch gleichzige Influenza- und JN.1-Welle, wie in Österreich oder Italien oder Frankreich oder Deutschland oder Schweden oder Großbritannien oder Kanada oder Spanien

William A. Haseltine: JN.1: The Odd Man Out Among Omicron Sublineages (27.10.23)

Wachstumsvorteil relativ zu EG.5.1: JN.1 hängt alle anderen Varianten mit großem Abstand ab, Stand 30.11.23 (Quelle)
Trajektorie von SARS-CoV2 von den ersten Varianten bis JN.1 – Das Virus spezialisiert sich zunehmend auf einen bestimmten Pool von ACE2. Zu Beginn der Pandemie favorisierte das Virus einen ACE2-Pool, der abgeschnitten/gespalten sein musste, um an zwei Stellen in die Zellen eindringen zu können (Furin Cleavage und TMPRSS2, v.a. in den Lungen) .

Speziell JN.1 begünstigt nun ungespaltetenes ACE2 (Aggarwal et al. 12/2023 preprint), was vermehrt im Magendarmtrakt anzutreffen ist und weniger in den Lungen – unklar, was das bedeutet, bei BA.2.86-Sublinien ist die Furin Cleavage Site immer seltener anzutreffen (Ryan Hisner, 25.12.23).

JN.1. wird seit 22.11.23 von der WHO als „Variant of Interest“ geführt, von der UK Health Security Agency (UKHSA) wird sie seit 4.12.23 als V-23Dec-01 geführt.

Vorhersagter Immun Escape vs. ACE2-Bindung (verglichen mit BA.2), Quelle – 16.12.23 – die JN-Varianten haben maximalen Immun Escape bisher bei gleichzeitig starker ACE2-Bindung.

Die BA.2.86-Subvariante JN.1 enthält die Escape-Mutation L455S und verringert die Wirksamkeit der Antikörper um die Hälfte, verglichen mit den starken FLip-Varianten und BA.2.86, dafür zulasten der ACE2-Affinität (vorläufige Daten von Yunlong Richard Cao, 18.10.23, veröffentlicht unter Yang et al. 15.12.23).

Wenn die ACE2-Affinität allerdings vom Start weg hoch ist wie bei BA.2.86 (Wang et al. 2023 preprint), können gewisse Abschläge toleriert werden, wenn der Immun-Escape dafür durch Mutationen effektiver wird.

BA.2.86 hatte keine Mühe, Klasse 2 und 3 Antikörper zu durchbrechen, wurde aber gut durch Klasse 1 Antikörper neutralisiert, wodurch XBB.1.5-Impfung weiterhin eine gewisse Wirksamkeit verspricht. L455S durchbricht nun aber auch Klasse-1-Antikörper.

Die Neutralisierungskapazität von Durchbruchsinfektionen mit XBB.1.5 [Winterwelle 2023 in Österreich] und EG.5.1. [Spätsommerwelle 2023 in Österreich] gegen JN.1 war signifikant niedriger als von FLip-Varianten wie HK.3 oder der Muttervariante BA.2.86.

Zudem zeigt sich JN.1 stark resistent gegen das monovalente XBB.1.5-Vakzin (Kaku et al. 03.01.24).

Der Zeitraum, den eine Subvariante brauchte, um von 0,1 auf 50% global zu wachsen:

  • EG.5: 6,5 Monate
  • XBB.1.5: 3,5 Monate
  • BA.2: 2,5 Monate
  • JN.1: 2,5 Monate
  • BA.5: 2,5 Monate
  • BA.1: 1,25 Monate

In Europa, Nordamerika und in Frankreich hat JN.1. seine Prävalenz deutlich gesteigert und verdrängt durch den hohen Immun Escape auch den Vorgänger BA.2.86 sowie die bisher vorherrschenden Varianten HV.1 und JD.1.1., die beide XBB.1.5 plus FLip-Mutationen enthalten (Yang et al. 17.11.23 preprint), in Dänemark seit Ende November dominant, in Singapur seit KW 45-46, mit Anstieg bei den Hospitalisierungen., auch in Frankreich eine deutliche Zunahme, in Deutschland warnte die Berliner Charité am 22.12.23 vor vermehrten schweren Verläufe, 10% lungenunterstützungspflichtig (ECMO)

Virusvariantenentwicklung von BA.2.86 und JN.1, Stand 29.11.23
  • Neuester Fitnesskandidat ist XDD, eine Rekombinante aus JN.1. und EG.5.1
  • SLip: Variante, die neben L455S auch F456L aufgesammelt hat
  • JN.2 hat die Aminosäure-Substitution ORF1a:Y621C-Mutation (aber nicht L455S)

Wenn eine neue Variante zu einer Zunahme von Infektionen oder Hospitalisierungen führt, sehen wir für gewöhnlich dafür keine Anzeichen, bis die Variante 50% Anteil erreicht hat.

Aktueller Stand von Eric Topol (7.12.23)

XDK wurde am 18.12.23 benannt, eine Rekombinante aus JN.1.1.1 und XBB, sie verdoppelt ihren Anteil derzeit pro Woche.

About one third of our cohort of relatively young and healthy subjects had low or no detectable neutralisation against the most recently circulating variants XBB.1.5, EG.5.1, BA.2.86 and JN.1. This suggests that a considerable fraction of the population may be susceptible to reinfections during the coming winter months in the northern hemisphere.

Jeworowski et al. 2023

BA.2.86 („Pirola“)

BA.2.86 wird seit 17. August von der WHO als Variant of Monitoring geführt.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Spike-Protein zwischen BA.2.86 und XBB.1.5, Credits: @RaijlabN, 17.08.23

Die Variante BA.2.86 wurde zunächst als der größte evolutionäre Sprung seit BA.1 nach DELTA bezeichnet. Sie ist weiter weg von BA.2 als BA.2 vom Wildtyp. Erstmals aufgetaucht ist die Sequenz am 13. August in Israel mit 18 RBD-Mutationen (3 Reversionen und 1 Deletion). In Summe sind es 35 Spike-Mutationen, inklusive P681R, die bei DELTA zu schwereren Verläufen geführt hat. Im Vergleich zu EG.5.1 sind es 24 neue Spike-Mutationen.

BA.2.86 unterscheidet sich durch die Mutationen wesentlich von bisherigen Varianten, Yang et al. 09/2023

Caveat: Die Variante unterscheidet sich genetisch stark von den anderen Varianten, aber antigenisch besteht kaum ein Unterschied. Die Muttervariante BA.2.86 erzeugte kaum mehr Immun Escape als etwa die FLip-Varianten. Erst mit den Abkömmlingen JN.* begann sich Pirola deutlich von anderen Varianten abzusetzen. Pirola entstand nach Aussage von Elling, um BA.2 Immunität zu umgehen, nicht XBB. Diese Anpassung geschieht erst jetzt.

Schlüsselmutationen: N450D, K356T, L452W, A484K, V483del, C445H

Die Mutationen treten nicht zufällig auf, sondern entkommen spezifisch der Immunität gegen RBD und NTD, darunter auch monoklonalen Antikörpern.

BA.2.86 verhält sich anders als die OMICRON-Subvarianten, eher wie der Wildtyp und geht stärker auf die Lunge.

Infektiösität: Erstmals wurde am 11.09.23 nachgewiesen, dass BA.2.86 Nierenzellen (293T-ACE2) geringer infiziert als andere Varianten, aber Lungenzellen (CaLu-3) stärker infiziert werden. CaLu-3 sind Krebszellen der Lunge, meist von Adenokarzinomen (schwerere Verläufe bei Krebspatienten?). In beiden Fällen hat sich die Variante damit wieder Richtung Wildtyp entwickelt (= kein Omicron!). Bestätigt wurde dieses Infektionsverhalten der Zellen von Lassaunière et al. 2023.

Die effektive Reproduktionszahl ist 1,29fach höher als XBB.1.5, damit werden vergleichbar viele oder etwas mehr Personen angesteckt als mit EG.5.1, der bisher ansteckendsten XBB-Variante.

Auffallend ist die sehr hohe Rezeptoraffinität (Wang et al. 09/2023, preprint, (Yang et al. 17.11.23 preprint). BA.2.86 ist es damit gelungen, den Kompromiss zwischen verringertem Fitnessvorteil (schlechtere ACE2-Bindung) und vergrößertem Immun Escape zu optimieren. (Raisinghani et al. 21.11.23 preprint).

Immun Escape: Die hohe Kontagiösität geht v.a. auf den hohen Immun Escape zurück (auch gegen bivalente Impfstoffe, monoklonale Antikörper und Durchbruchsinfektionen mit XBB*), damit ist BA.2.86 eine der höchstimmunflüchtigen Varianten bisher ist (Uriu et al. 2023).

Pathogenität:BA.2.86 might constitute an elevated health threat as compared to previous Omicron sublineages“ (Zhang et al. 2024)

Impfwirksamkeit der angepassten Impfstoffe:

Der XBB.1.5-Booster von Moderna sorgt für starke neutralisierende Aktivität gegen BA.2.86 (Chalkias et al. 2023, preprint). Pfizer detto, aber noch kein Preprint. Novavax hat bisher nur gegen neue Varianten bei Tieren getestet.

Monovalente mRNA-Impfstoffe zeigen hohe Wirksamkeit gegen BA.2.86 und Nachfolgervarianten inklusive JN.1 (Wang et al. 27.11.2023 preprint) und weniger ausgeprägte Imprinting-Effekte als der bivalente BA.5-Impfstoff.

Ruth Ann Crystal, Stanford University (10.09.23)

Eric Topol: A Quick Update on the BA.2.86 Variant (24.08.23)

Zusammenfassung von Erin Prater für Fortune (18.08.23)

Risk assessment for V-23Aug-01 (BA.2.86) von UK Health Security (18.08.23)

Die Subvariante BA.2.86.1 wurde am 05.09.23 in Colorado entdeckt, sie enthält die zusätzliche Mutation ORF1a:K1973R – in einer kritischen Region, die dem Virus hilft, sich selbst zu kopieren.

FLip-Varianten

S:L455F-Mutation, z.B. bei HK.3, bei XBB-Linien.

BA.2.86 ist weniger immunevasiv als die FLip-Varianten (Qu et al. 2023, preprint).

DV.7.1 (BA.2.75.3.4.1.1.1.1.1.7.1, von CH.1.1 abstammend) weist die FLip-Mutation auf (L455F+F456L), entkommt nicht nur Immunantwort, sondern erhöht ohne Stabilitätsverlust die ACE2-Affinität.

EG.5.1

BA.5 hat über 15 verschiedene Spike-Mutationen gegenüber EG.5.1, daher nützt der bivalente BA.5-Booster jetzt nicht mehr viel und wir brauchen den monovalenten XBB-Impfstoff (auf XBB.1.5 zugeschnitten), Quelle: Eric Topol

EG.5.1 ist die erste Welle seit BA.5, die sich weltweit durchsetzen kann. Sie wurde am 19. Juli 2023 von der WHO als „Variant of Monitoring“ aufgenommen und gilt seit 9. August 2023 als „Variant of Interest“.

EG.5 (XBB.1.9.2.5) ging aus XBB.1.5 plus zusätzliche Spike-Mutation F456L hervor. EG.5.1 ist durch eine weitere Spike-Mutation S:Q52H entstanden und breitet sich seit Mai/Juni aus: Die Aminosäure an der Position 52 ändert sich von Glutamin zu Histidin.

Spannende Ergebnisse:

EG.5.1 zeigt einen Wachstumsvorteil auf, ist aber weder infektiöser noch immunflüchtiger als vorherige Varianten. XBB-Durchbruchsinfektionen können keine effektive Antikörperantwort gegen XBB-Sublinien aufbauen (Kabu et al. 2023, preprint). F456L verursacht bei EG.5.1. eine leichte Immunflucht mit weniger als 2fachem Rückgang der Neutralisation verglichen mit früheren XBB-Varianten ohne diese Mutation (Wang et al. 2023, preprint).

Interpretation:

EG.5 ist nicht die erste XBB-Variante, die die 456L-Mutation erlangt hat. Die erste war XBB.1.5.10 im Februar. Es scheint so, als hätte 456L keinen Wachstumsvorteil geboten. Der wurde größer, als die Bevölkerungsimmunität gegen XBB zugenommen hat (mehr dazu auf Github).

Rekombinierende OMICRON-Varianten

Konvergente Entwicklung bei XBB: L455F+F456L bilden sich in XBB.1.5.70 (aus XBB.1.5 entstanden) und HK.3 (aus EG.5 entstanden) ab, Quelle: @dfocosi, 07.08.23

XBB* ist eine rekombinierte Variante aus BA.2.10.1.1 (BJ.1) und BA.2.75.3.1.1 (BM.1.1.1). Zu signifikanten Infektionswellen geführt haben XBB.1.5 und XBB.1.16, die Variante XBB.1.9.* hat die XBB.1.5-Welle in Österreich noch etwas gestreckt (wie damals BA.2 die BA.1-Welle verlängert hat).

Der Unterschied zwischen XBB.1.5 und XBB ist, dass die kostspieligere F486S-Mutation gegen F486P ausgetauscht wurde, daher hat XBB.1.5 nicht mehr Immun Escape als XBB.1 (was bereits F486P hat), aber bessere ACE2-Affinität (höhere Übertragbarkeit).

Unterschiede in der Krankheitsschwere konnten nicht beobachtet werden (Luoma et al. 2023), allerdings ist die Fusogenität bei XBB.1.5 höher, was auf schwerere Verläufe hinweisen würde (Qu et al. 2023).

XBB wurde zuerst in Singapur, dann in den USA dominant, größter Wachstumsvorteil aller bekannten Varianten gegenüber BA.5 (Eric Topol 2022).

Bei XBB.1.16 ist die Schlüsselmutation in ORF1a:L3829F zu finden, an der Stelle von NS96 von ORF1b (keine Ahnung, was das heißt, aber fürs Protokoll). Bei den XBB-Rekombinanten scheint die neue Virusstraegie zu sein, der T-Zellen-Immunität zu entkommen, indem mehr Mutationen in Nicht-Spike-Regionen wie N-Protein und ORF induziert werden. T-Zellen wird es erschwert, infizierte Zellen zu erkennen und anzuzielen, so kann sich das Virus ungehindert ausbreiten.

XBB.1.16 wies keine schwereren Verläufe, aber auch keine leichteren Verläufe auf (Karyakarte et al. 2023), Sotrovimab wirkte noch abgeschwächt gegen XBB-Varianten (Yamasoba et al. 2023). Bei Kindern traten gehäuft Bindehautentzündungen im Auge auf, allerdings wurde das auch schon beim Wildtyp beobachtet (Vashishta and Kumar 2023, preprint).

Entgegen mancher, auch meiner, Befürchtungen erzeugte XBB.1.16 keine neue große Welle in Europa, vermutlich aufgrund der durch die BA.5- und XBB.1.5-Wellen erzeugten Bevölkerungsimmunität.

  • Die Kombination aus XBB+L455F und F456L nimmt ebenso rasch zu und macht derzeit über 2% der Genomsequenzen weltweit aus.
  • F456L bedeutet Immun Escape, sogar nach XBB-Infektion
  • L455F und F456L gemeinsam verstärken Immun Escape und könnten außerdem ACE2-Binding verstärken
  • Der Aufstieg der 455 und 456-Mutationen wurde bereits vor einem halben Jahr vorhergesagt. Interessanterweise wird die Mutation F456L auf dem Rückgrat von XBB.15 viel besser toleriert als bei BA.2, was erklären könnte, weshalb jetzt diese Mutation jetzt erst ansteigt.
  • Diesen Winter können wir weitere XBB-Abkömmlinge erwarten, die Kombinationen wie L455F, F456L, K478R tragen oder sogar zusätzliche Immunfluchtmutationen (Quelle: Yunlong Richard Cao, 05.08.23)

Konvergente OMICRON-Varianten

In einer Phase zwischen ca. August 2022 bis Februar 2023 dominierten konvergente Varianten, die sich als unterschiedliche Sublinien entwickelten, dabei aber sehr ähnliche Mutationen aufwiesen. Dadurch konnte sich keine dieser Varianten durchsetzen. Diese „Variantensuppe“ dürfte neben der vorübergehenden Immunisierung der Bevölkerung durch die großen BA.2 und BA.5-Wellen und der starken Influenzawelle der Grund gewesen sein, weshalb die erste Winterwelle 2022/2023 viel schwächer ausfiel als befürchtet.

Bei den Sublinien BA.2.75.2, BA.2.75 und BQ.1.1 wirkten Evusheld und andere Antikörper kaum bis gar nicht mehr (Sheward et al. 2022), vier Monate nach der letzten Boosterimpfung konnten bei 3fach Geimpften neutralisierende Titer kaum noch nachgewiesen werden (Planas et al. 2022).

BA.2.75 wies 8 Mutationen im Spike-Protein auf, insgesamt 16, Schlüsselmutationen waren G446S und R493Q. Sie war deutlich im Wachstumsvorteil gegenüber BA.5, die schlechter geschützt waren nach Durchbruchsinfektion (Cao et al. 2022). Die intrinsische Schwere schien vergleichbar mit BA.5, aber stärker als BA.2 (Saito et al. 2022).

BQ.1.1 näherte sich in der Viruslast DELTA an (Aggarwal et al. 2022).

Der Grund für die konvergente Entwicklung sahen Cao et al. (2022) in der verringerten Diversität von neutralisierenden Antikörper-Bindungsorten nach BA.2 und vor allem BA.5-Durchbruchsinfektion, und schlossen daraus, dass die aktuelle Herdenimmunitöt und BA.5-Boosterimpfstoffe eine Infektion mit den konvergenten Varianten nicht effektiv verhindern könnten.

BA.4/5

Zelleintritt (Tropismus) bei DELTA, BA.1 und BA.5: Die Abbildungen zeigen die einzelnen Varianten in Zellen mit TMPRSS2 (Quelle: Immunovirologe Stuart Turville, New South Wales,06/2022)

BA.5 verwendete wieder wie Delta das Gen TMPRSS2 als Zelleintritt, wie alle humanen Coronaviren und Influenza, die Infektion über die Atemwege wird so effektiver. Es wird vermutet, dass BA.5 dadurch wieder stärker auf die Lunge ging als BA.1 (Kimura et al. 2022). In Frankreich nahmen Geruchsverlust und längere Dauer der Symptome gegenüber BA.1 zu (06/2022). Israel sah 70% mehr schwere Verläufe innerhalb einer Woche (06/2022). In Dänemark wurden mehr schwere Verläufe mit BA.5 beobachtet (Hansen et al. 2022), ebenso in Portugal (Kislaya et al. 2022). Gegenüber BA.1/BA.2 gab es stärkere Entzündungsreaktionen (Tamura et al. 2022) und rund ein Fünftel der Infizierten hatten LongCOVID-Symptome (Qasmieh et al. 2022). BA.2 und BA.5 gingen stärker auf das Herz als BA.1 (Nchioua et al. 2022).

BA.5 und XBB-Varianten zeigten erhöhtes neurotropisches Potential gegenüber BA.1 in Mäusen und im menschlichen Gehirn, das heißt sie beeinträchtigten die Gehirnfunktionen stärker (Stewart et al. 11/2023).

Südafrika hat die beiden Subvarianten BA.4 und BA.5 als Erstes gefunden, sie weisen zwei Mutationen auf, die Immun Escape verstärken: L452R und F486V. Es handelt sich um ein Rekombinationsereignis aus BA.1 und BA.3. Eric Topol bewertet die neue Variante ebenfalls als ungünstig für die Menschheit. (06/2022).

Es wurde eine weitere Abnahme bei zahlreichen therapeutischen Antikörpern beobachtet (Yamasoba et al. 2022, Aggarwal et al. 2022). Bebtelovimab war weiterhin wirksam (Qu et al. 2022, Wang et al. 2022, Hentzien et al. 2022). Evusheld verlor an Wirkung (Tuekprakhon et al. 2022). Die jeweiligen Studien zeigten auch eine verringerte Neutralisation nach Durchbruchsinfektion mit vorhergehenden Varianten, sprich die Kreuzimmunität/Hybrid-Immunität nahm ab (Khan et al. 2022, Malato et al. 2022). Ungeimpfte waren naturgemäß noch schlechter gegen Reinfektion geschützt als Geimpfte.

BA.2

BA.2 wies gegenüber BA.1 keine 69/70 deletion auf, es gab mehr Mutationen in der RBD und mehr Deletionen in der NTD.

BA.2 näherte sich in Punkto Lungenschäden wieder DELTA (Yamasoba et al. 2022 Hamsterstudie!) an und war etwas infektiöser als BA.1 ( Plesner-Lyngse et al. 2022), sonst aber vergleichbar (Yu et al. 2022). Die therapeutischen Antikörper Sotrovimab und Evusheld wirkten schlechter (Zhou et al. 2022). Reinfektionen mit BA.2 nach BA.1 kamen vor, die Häufigkeit war aber widersprüchlich in den Studien (Stegger et al. 2022, Chemaitelly et al. 2022). Eine BA.2-Durchbruchsinfektion erhöhte die Kreuzimmunität gegen BA.2.12.1 und BA.4/BA.5 (Muik et al. 2022), ein erstes Indiz dafür, dass zumindest für eine bestimmte Periode lang „Hybrid-Immunität“ vorherrschte.

Bei Lentini et al. 2022 war die Viruslast doppelt so hoch wie bei BA.1, bei anderen ähnlich oder zumindest von BA.1.1. gleichwertig mit BA.2 (Marking et al. 2022, Selvavinayagam et al. 2022)

Die intrinsische Schwere war ähnlich hoch wie beim Wildtyp, die Impfung machte den Unterschied (Mesfin et al. 2022, Wong et al. 2023). Es wurden mehr Symptome und stärkere Beeinträchtigung im Alltag als bei BA.1 beobachtet (Whitaker et al. 2022).

BA.1

OMICRON war zwar milder als DELTA, aber schwerer als ALPHA (Skizze von Virologe Björn Meyer, Infektionsmedizin Uniklinik Magdeburg)

Im Rückblick betrachtet eine Laune der Natur, dass BA.1 weniger pathogen war als die Varianten davor und danach. Leider hakten sich die Regierungen weltweit daran fest, dass SARS-CoV2 mit „OMICRON“ ab sofort mild war und ignorierten die pathogenere Entwicklung aller Folgevarianten.

Der Verlust von Geruchs- und Geschmacksinn nahm mit BA.1 ab (Brandal et al. 2021, Vihta et al. 2022, Chen et al. 2022), die Zahl der schweren Verläufe pro Person nahm ab, zuerst in Südafrika nachgewiesen (Wolter et al. 2021, Maslo et al. 2021, Davies et al. 2022). Bei Hamstern war die Lunge weniger stark betroffen (Abdelnabi et al. 2021).

In London wurde eine Rekordzahl an Hospitalisierungen bei Kleinkindern beobachtet (01/2022), vor allem verursacht durch Erkrankungen der oberen Atemwege wie Krupp-Husten (Martin et al. 2022). Es gab zwar deutlich weniger Krankenhausaufenthalte, aber aufgrund der höheren Übertragbarkeit war die Gesamtzahl höher (Wang et al. 2022). Die Zahl der MISC-Fälle bei Kindern nahm mit OMICRON ab, wie erste Daten andeuteten.

Ein kontroverser Artikel stellte eine ähnliche Schwere wie vorhergehende Varianten fest (Strasser et al. 2022), Kritik an Methodik hier und hier.

BA.1 stellte auch einen Ausreißer im Abwassermonitoring da, ging nämlich mit weniger Abwasserlast als bei anderen Varianten einher (siehe Seuchenkolumne und Rector et al. 2023).

Trotz OMICRON verhinderten drei Impfungen anfangs zum Teil noch eine symptomatische Infektion (Abu-Raddad et al. 2022, Accorsi et al. 2022, Hansen et al. 2022), allerdings sank der sterile Schutz von 53% nach einem Monat auf 16% nach drei Monaten (Palaton et al. 2022).

Evolutionärer Jump: OMICRON (B.1.1.529)

Mutationsveränderungen im Spike-Protein bei DELTA (links) und OMICRON (rechts), in Summe 34 Spike-Mutationen: A67V, H69del, V70del, T95I, G142D, V143del, Y144del, Y145del, N211del, L212I, ins214EPE, G339D, S371L, S373P, K417N, N440K, G446S, S477N, T478K, E484A, Q493R, Q498R, G496S, T547K, D614G, H655Y, N679K, P681H, N764K, D796Y, N856K, Q954H, N969K, L981F

OMICRON ging ursprünglich aus der ALPHA-Linie hervor, wahrscheinlich in einem immungeschwächten, chronisch kranken Menschen über viele Wochen und Monate mutiert (Riddell et al. 2022). Als Südafrika die neue Variante entdeckt hat, ist sie längst in Europa zirkuliert. Die EU bestrafte Südafrika fürs vorbildliche Sequenzieren mit Reisebeschränkungen, denn mit den Passagiermaschinen kam auch dringend benötigte Fracht u.a. für PCR-Laborkapazitäten.

Die vorübergehend geringere Pathogenität mit OMICRON lag nicht am Spike-Protein, sondern an anderen Mutationen im Genom (Chen et al. 2022).

OMICRON war viel kontagiöser als vorherige Varianten durch den Immun Escape. Selbst bei weniger schweren Verläufen pro 100 infizierten Personen waren das bei vielen Infektionen immer noch mehr schwere Verläufe als bei einer weniger ansteckenden Variante. Wissenschaftler haben früher davor gewarnt, OMICRON zu verharmlosen (z.B. David Glassmann 01/2022, Alex Sigal 01/2022). Vermeintlich mildere Verläufe gab es ausschließlich durch die Impfung und vorhergehende Infektionen. Das bewies auch eine Studie zur Übersterblichkeit bei DELTA und OMICRON (Faust et al. 2022).

OMICRON war von Beginn an eine Driftvariante, unterteilt in die Subvarianten BA.1 und BA.2. Beide unterschieden sich bei rund 40 Aminosäuren und teilten den stark mutierten rezeptorbindenden Bereich (RBD) des Spike-Proteins, unterschieden sich aber in der N-terminalen Domain (NTD). BA.2 hatte mit BA.1 32 Mutationen gemeinsam, dafür 28 einzigartige Mutationen.

Mit der neuen Variante endete spätestens der Traum von Herdenimmunität. Eine vorhergehende Infektion schützte nicht gegen OMICRON-Infektion (Bekliz et al. 2022) und umgekehrt schützte eine OMICRON-Infektion ohne Impfung kaum gegen andere Varianten (Suryawanshi et al. 2022). Insbesondere stiegen die neutralisierenden Antikörpertiter bei milden Durchbruchsinfektionen deutlich geringer an als nach dem Booster (Servellita et al. 2022). Der Schutz vor Reinfektion sank von 85% bei DELTA auf 19% ab (Head and Elsland 2021).

Das Serienintervall verkürzte sich auf 2,2-3,4 Tage (Kim et al. 2021, Backer et al. 2022), die Inkubationszeit verkürzte sich also. OMICRON war ähnlich infektiös wie DELTA, aber breitete sich durch den Immun Escape schneller aus (Plesner-Lyngse et al. 2021, Puhach et al. 2022). Auch viele asymptomatische Fälle wurden beobachtet (Garret et al. 2021).

Die meisten OMICRON-Fälle waren mehrere Tage infektiös, bevor sie durch Antigentests entdeckt wurden (Adamson et al. 2022), weil die Antigentests auch deutlich schlechter ansprangen als bei DELTA (Osterman et al. 2022). Speicheltests schienen geeigneter zu sein (Marais et al. 2021).

Für Krebspatienten war OMICRON bisher die tödlichste Welle, um 4% höhere Sterblichkeit als bei früheren Varianten (Potter et al. 2023).

DELTA (B.1.351)

Mit DELTA änderte sich das Virusgeschehen signifikant. Die Viruslasten waren viel höher als vorher und fielen langsamer ab. Die Leute wurden schneller und schwerer krank, wie erste Berichte aus China zeigten. Kinder übertrugen die Variante zu 46% häufiger als junge Erwachsene (Allen et al. 2021, preprint). Das Hospitalisierungsrisiko erhöhte sich erheblich gegenüber ALPHA (Sheikh et al. 2021, Fisman and Tuite 2021, Twohig et al. 2021).

Besonders beunruhigend: Infizierte Personen waren schon am Tag nach einem negativen PCR-Test infektiös, die Viruslast 1000x höher als vorher (Li et al. 2021).

ALPHA (B.1.1.7)

Die ersten Sequenzen erschienen Mitte September 2020 in UK, im Dezember breitete sie sich in UK verheerend aus, in den USA erst im März 2021.

Das Kennzeichen der ersten Virusvariante nach dem Wildtyp, die sich weltweit ausgebreitet hat, war deren gestiegene Infektiösität vor allem bei jüngeren Menschen (Volz et al. 2021, Rasmussen 2021). Von Interesse war insbesondere eine Untervariante von ALPHA mit der zusätzlichen Mutation E484K (Technical Briefing Public Health England, 01/2021), die sich später teilweise in Tirol ausgebreitet hat. In Dänemark gab es vermehrt schwerere Verläufe mit ALPHA (Bager et al. 2021), in England wurden ebenfalls mehr schwere Verläufe mit Todesfolge nachgewiesen als mit dem Wildtyp (Grint et al. 2021), weitere Kohortenstudien bestätigten das (Challen et al. 2021, Davies et al. 2021). Gleichzeitige Infektionen von ALPHA mit Influenza A erhöhten die Infektiösität von SARS-CoV2 (Bai et al. 2021).