Abwärtsspirale aus ständigen Neuinfektionen, mehr Mutationen, mehr Infektionen, Krankenständen, Exposition und LongCOVID, Grafik von Prof. Pagel und adaptiert von Prof. Hoffmann

Ich bin mir vollkommen bewusst, dass in diesem Stadium der kollektiven Verdrängung Faktenchecks nichts mehr bringen. Dennoch kann man nach so einem Interview, wie Armin Wolf am 2. Juli 2024 in der ZiB2 mit Virologin Dorothee von Laer, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir reden hier über Dammbrüche, über die Macht der Worte, über Entmenschlichung und über schwerwiegende Konsequenzen.

Die Realitätsverzerrung hat schon in der Vorwoche mit einem STANDARD-Artikel begonnen, wo die Autorin herumlaviert hat, ob es sich schon um eine Welle handelt oder nicht. Eine genaue Definition dafür gibt es epidemologisch offenbar nicht – sie kennzeichnet sich durch einen Anstieg der Neuinfektionen in der Grafik.

Von einer neuen Covid-Welle kann man dabei in Österreich noch nicht sprechen, zuletzt sind die Werte im Abwasser aber wieder leicht gestiegen,“ und zwei Sätze weiter „Es könnte sein, dass sich die Welle, die sich gerade beginnt aufzubauen, durch die beginnenden Ferien einbremst„.

Der Wendepunkt laut Abwassermonitoring war um den 7. April herum. Seitdem steigen die Abwasserwerte beständig an, ab etwa 5. Mai mit exponentiellem Wachstum. In Inzidenzen ausgedrückt waren das gemäß Kalibrierung mit Sentisurv RLP, CIS, AMELAG, etc. rund 4000 Neuinfektionen pro Tag Mitte April und rund 8000 Neuinfektionen pro Tag Mitte Mai. Seitdem haben sich die Abwasserwerte vervierfacht – die Zahl der Neuinfektionen ist also klar fünfstellig und das hört man auch, wenn man sich im öffentlichen Raum bewegt und sich ein bisschen umhorcht im Bekannten- und Kollegenkreis. Zum Vergleich: In der zweiten Welle (sic!) im Herbst 2020 gab es zu diesem Zeitpunkt bereits einen Lockdown. Fazit: Wir sind bereits in einer Welle!

Der vorläufige Höhepunkt war wohl die Wortmeldung vom PVA-Verwaltungsratsmitglied für die Dienstgeber, Rolf Gleißner, in mehreren Zeitungen:

„Wir hoffen sehr, wenn die Immunabwehr gegen Covid oder Grippe wiederhergestellt ist, dass wir dann wieder zu niedrigen Krankenständen zurückkehren,“

Rolf Gleißner im KURIER, 02.07.24

„Das könnte daran liegen, dass die Immunabwehr der Menschen durch ebendiese Hygienemaßnahmen nachhaltig geschwächt worden sei,“

derselbige im STANDARD

Gleißner entgegnete auf massive Kritik, dass damit die „Nachholeffekte“ gemeint seien, doch welcher Logik folgt das? Für SARS-CoV2 und auch für Influenza gibt es keine anhaltende Immunität, da jährlich ein anderer Virusstrang dominiert und die Immunität durch Impfung und Infektion unterläuft. Ärzte hätten ihm das „unisono“ gesagt, freilich nennt er keine Namen.

„Auch wenn die Krankenstände 2022 und 2023 … gestiegen sind, ist das Niveau langfristig gesehen vergleichsweise niedrig …“

ÖGK-Obmann für die arbeitnehmer, Andreas huss, Fehlzeitenreport 2024

Niedrig? Nicht wirklich. Ein für österreichische Transparenz umfangreiches Dashboard zu Krankenständen, unterteilt in Altersgruppen, Branchen und Art der Erkrankung gibt es seit kurzem.

„Seit der Pandemie sei das Bewusstsein dafür, erkrankt nicht in die Arbeit zu gehen, um niemanden anzustecken, gestiegen. Das sei wiederum für die Betriebe eine große Belastung.“

Gleißner im ORF, 02. Juli 2024

Kompletter Schwachsinn. Das Bewusstsein ist überhaupt nicht gestiegen, im Gegenteil. Im besten Fall machen jetzt kranke Menschen mehr Homeoffice (schonen sich dadurch aber auch nicht), aber es ist sonst fast schlimmer als vor der Pandemie, es gehen mehr Menschen krank arbeiten und sie müssen das auch, weil es keinen Kündigungsschutz im Krankheitsfall gibt. Es bleiben jedenfalls nicht mehr zuhause, sondern es sind einfach mehr krank. Diese stecken dann ihre Kollegen an und so leidet dann die Wirtschaft unter den steigenden Krankenständen. Würden alle zuhause bleiben mit Symptomen, gäbe es weniger Angesteckte in den Betrieben, also in Summe weniger Krankenstände.

Update, Drosten-Interview mit NTV, 07.07.24:

Ja, es ist vorbei als Pandemie. Wir erwarten im Moment eine Sommerwelle in ganz Europa und auch in anderen Teilen der Welt. Noch gelingt es bestimmten Varianten besonders gut, der Immunität zu entkommen. Daher sind wie zurzeit eben Sommerwellen noch möglich. Später wird das für das Virus wohl nur noch im Winter funktionieren. Dennoch: Die Krankheit ist in ihrer Spitze begrenzt durch die breite Immunität in der Bevölkerung. Wir wissen nicht ganz genau, wie häufig ein Erwachsener eine Infektion haben muss, um diese dann gar nicht mehr zu bemerken. Im Moment scheint das noch nicht zu reichen. Viele Leute haben jetzt so zwei, drei oder sogar vier Infektionen hinter sich. Und trotzdem werden sie immer noch krank, wenn sie so eine Variante bekommen. Viele haben noch ein bisschen Fieber und fühlen sich allgemein sehr krank. […] Wir sind jetzt da, wo viele das Virus am Anfang der Pandemie gerne gehabt hätten: bei einer normalen Influenza ungefähr. […]

Siehe restlichen Blogtext. Der Influenza-Vergleich passt nicht. Die Anmerkung, dass man sich noch nicht oft genug reinfiziert hat, damit das Virus milde genug ist, erscheint zynisch angesichts der vielen Betroffenen, deren Leben schon nach einer milden Infektion von der Qualität her vorbei ist. Saisonalität? Warum sind Rhinoviren ganzjährig effektiv? Ich verstehe einiges nicht, was ich ihn gerne fragen würde. Sein Buch hab ich mir übrigens bestellt, weil ich ihn als Wissenschaftler schätze.

Faktencheck zur ZiB2

Es gibt jetzt eine neue Transkriptfunktion, die von der APA übernommen wird. Statt einer einzigen Grafikdatei gibt es das Transkript als Drop-Down-Text. Wenn ich also ein Interview archivieren will, muss ich, wie in diesem Fall sechs Screenshots machen und kann auch nicht mehr auf das Transkript direkt verlinken. Keine Verbesserung für den Endnutzer also, aber das sind wir im Kaufhaus-Österreich-Land ja gewohnt. Zumindest die Barrierefreiheit ist hergestellt.

Der Faktencheck erfolgt mit der bewährten Truth-Sandwich-Methode.

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Vorbericht zum Interview:

Naghme Kamaleyan-Schmied (Ärztekammer Wien):

„Covid wird totgeschwiegen. Es redet keiner mehr über Covid und das wird eine Belastung sein. Und ich wünsche mir, dass man aus den Fehlern der letzten Jahre gelernt hat und einfach vorausschaut. Ich meine, wir haben, es wiederholt sich ja die Geschichte. Die Reiserückkehrer kommen zurück, bringen Covid rein, im Herbst haben wir wieder die Kontakte, die Schule beginnt, die Zahlen eplodieren.“

Neuwirth errechnet aus den Abwasserdaten eine Inzidenz von 100 pro 100 000 pro Woche, für andere Experten nicht nachvollziehbare Zahlen (siehe oben). Kamaleyan-Schmied fordert wieder Gratistests, geeignet hat sich die Ärztekammer aber noch nicht mit der Sozialversicherung. Neuwirth fordert den Zugriff auf die einzelnen Kläranlagen der 48 Standorte, um regional aussagekräftigere Zahlen zu bekommen.

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Fakt: Wir haben eine Sommerwelle.

Abwassermonitoring Bundesländer Österreich, Stand: 30.06.24

Behauptung: „Wir sehen einen ganz leichten Anstieg im Wasser, im Abwasser.“

Dissenz: Wie oben ausgeführt haben wir bereits eine Welle. Das Schuljahr geht gerade zu Ende, viele SchülerInnen sind krank, in einzelnen Betrieben kommt es zu Personalengpässen. Nicht einmal ein Zehntel der Gesamtbevölkerung hat letzten Winter den angepassten Impfstoff erhalten. Es gibt hunderttausende Betroffene von LongCOVID, aber keine effektive Therapie und kaum Anlaufstellen. Es gibt, obwohl in geringerer Inzidenz als vor ein paar Jahren, weiterhin neue Betroffene von Langzeitfolgen, die mehrheitlich Frauen betreffen.

Wolfs Frage war, „wie besorgniserregend“ die aktuellen Zahlen sein würden, aber es geht nicht um Sorge, sondern darum, den Menschen nahezulegen, wieder mehr auf Prävention zu achten – für sich selbst und für andere. (Zitat Jakob-Moritz Eberl, Experte für politische Kommunikation).

Fakt: Die derzeit vorhandenen Schnelltests erkennen auch die neuen Varianten zuverlässig, wenn man sie richtig anwendet.

Vier Jahre nach Pandemiebeginn hat sich der Peak der Viruslast verschoben zu Tag 3-4 nach Symptombeginn und nicht mehr um den Symptombeginn herum (eigene Skizze, nach Frediani et al. 09/2023

Behauptung: „Die Antigentests reagieren mit den neuen Varianten etwas schlechter, die sind nicht mehr so aussagekräftig.“

Dissenz: Viele versichern einem derzeit, dass ihre respiratorischen Symptome (Schnupfen, Husten, Fieber, Halsweh) kein Covid seien, sie hätten einmal (sic!) getestet und der Test war negativ. Zur Erinnerung: Antigentests sind nicht als einmaliger Test gedacht – sie sind ungenau und schlagen zu 92% nicht bei den ersten Symptomen an. Nach zwei Tagen sinkt die Rate falschnegativer Testergebnisse auf 70%, nach drei Tagen bereits auf 33% (Middleton and Larremore 2024). Im Abstand von 48 Std. getestet erkennen drei Tests 94% der symptomatischen und 57% der asymptomatischen Fälle (Son et al. 2023).

Die Abstrichgenauigkeit erhöhen lässt sich, wenn man …

  • einen tiefen Rachenabstrich macht (mindestens eine Stunde davor nichts mehr essen/trinken)
  • erst Rachen, dann Nase testet
  • vor dem Nasenabstrich Nase putzen
  • Naseninnenwände gut abstreicht, an mehreren Stellen Sekret entnehmen
  • in der Testflüssigkeit mindestens zwei Minuten belassen, gut ausquetschen
  • einen fetten Kontrollstrich hat (sonst ist der Test nicht mehr gültig)
  • auch dünne Striche/Schatten gelten als positiv

Fakt: Jeder Mensch sollte unabhängig vom Alter und Risikofaktoren testen, um die Art der Viruserkrankung zu erfassen. Das ist wichtig für die Dauer der Schonungszeit als auch für spätere etwaig auftretende Langzeitfolgen einer Corona-Infektion.

Behauptung: „Es würde ausreichen, wenn kranke Menschen daheim bleiben.“

Dissenz:

Es betrachten sich auch Menschen als gesund, die Risikofaktoren haben, diese aber verdrängen. Das ist das Eine. Das Zweite ist, dass erkrankte Menschen nicht nur in Single-Haushalten leben, sondern im Familienverband und zuhause bleiben nicht reicht, sondern sich bestenfalls isolieren, Maske tragen, viel lüften und Luftreiniger benutzen, um Folgeansteckungen zu vermeiden. Drittens ist es wichtig für einen selbst und behandelnde Ärzte zu wissen, ob man gerade Covid hatte, wenn im Abstand von ein paar Wochen oder Monaten plötzlich unerklärliche oder neue Symptome auftreten (Long/Post Covid), um die Ursache korrekt zu behandeln. Viertens sollte man sich nach einer Corona-Erkrankung auch nach Abklingen aller Symptome anders verhalten als etwa bei einem Rhinovirus, das heißt, mehrere Wochen schonen und maximal leichte körperliche Aktivität, ohne die Belastungsgrenze zu überschreiten, um Folgeschäden zu minimieren bzw. zu verhindern.

Fakt: Wir haben jetzt schon eine Welle und bedrohlich sind die Infektionszahlen auch ohne Überlastungsgefahr von Intensivstationen, nämlich für all jene mit Kindern, die selbst oder deren Angehörige Risikofaktoren aufweisen und sich de facto nicht schützen können.

Behauptung: „Ich rechne sogar im Sommer jetzt mit einem kleinen Buckel, vielleicht noch keine Welle. Keine bedrohliche Welle, was Hospitalisierung betrifft. „Aber man sollte auch jetzt schon, wenn man einen Risikofaktor hat, vielleicht im Gedränge in der Bahn oder ähnlichem dann doch eine Maske aufsetzen.“

Dissenz: Bereits von Long COVID oder MECFS Betroffene dürfen sich nicht erneut anstecken, weil das oft eine Zustandsverschlechterung zur Folge hat. Menschen mit Risikofaktoren leben nicht im Vakuum oder auf einer Insel, sondern sind – waren – Teil der Gesellschaft, mit Jobs, mit schulpflichtigen Kindern, Teil einer Gemeinschaft oder eines Vereins. Wie sollen sich diese Menschen vor einer Infektion schützen, wenn sonst niemand mitmacht? Zudem gefährden hohe Infektionszahlen durchaus die gesundheitliche Versorgung, wenn vermehrt Gesundheitspersonal erkrankt, aber auch Patienten, die wegen einer anderen Erkrankung im Spital liegen, durch Covid eine Verschlechterung erfahren oder versterben.

Fakt: Wir sind alle Menschen und unterscheiden seit Ende des Nationalsozialismus als gesellschaftlicher Grundkonsens hoffentlich nicht mehr zwischen „normal und gesund“ und „abnormal und krank.“ Das amerikanische Center for Disease Control and Prevention (CDC) empfiehlt die Auffrischimpfung unabhängig von Alter und Risikofaktoren für alle Menschen ab 6 Monaten und älter.

Hospitalisierungen seit letztem Jahr, nach Altersgruppen (SARI-Dashboard)

Behauptung: „Als normaler gesunder Mensch hätten wir alle inzwischen eine gute Immunität. Im Krankenhaus würden immer die 65 Jährigen und älteren landen, aber auch Asthma- und Diabetespatienten. Die normalen gesunden Erwachsenen und Kindern sollten sich auf keinen Fall mehr zu einem „Impfzwang“ oder zu einer Impfverpflichtung verpflichtet fühlen.“

Dissenz: Strohmann-Argumente und Wording der Rechtsextremen haben nichts verloren aus dem Mund einer seriösen Wissenschaftlerin. Es gab nie einen Impfzwang, die Impfpflicht wurde nie exekutiert. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren wären sowieso ausgenommen gewesen. Die gute Immunität konnte leider über eine halbe Million LongCOVID-Betroffene nicht verhindern und es kamen auch aus der letzten Winterwelle (JN.1-Welle) neue Betroffene hinzu, sagen Spezialisten der Erkrankung, die u.a. entsprechende Ambulanzen betreuen. Darunter Menschen ohne bekannte Risikofaktoren, auch Kinder.

Weiters sind auch erneute Infektionen ein bekannter Risikofaktor für Langzeitfolgen, das kann auch erst nach der dritten, vierten oder fünften Infektion der Fall sein (z.B. Marra et al. 2023, Hadley et al. 2023, Kostka et al. 2023, Kukreti et al. 2024). LongCOVID-Forscher Al-Aly hat dieses Risiko zuletzt in einem Interview mit Statnews (09/2023) erneut dezidiert festgehalten.

Das CDC empfiehlt den Booster unabhängig von allen Faktoren ab dem Säuglingsalter. Die Grafik zu den Spitalsaufnahmen wegen SARS-CoV2 bekräftigt diese Sichtweise ebenso wie die Tatsache, dass auch bei Kindern und Jugendlichen LongCOVID auftritt (z.B. Pereira et al. 2024, Foret-Bruno et al. 2024, Mandel et al. 2024, Rao et al. 2024) und die Mechanismen für bestimmte LongCOVID ähnlich oder identisch zu den Erwachsenen scheinen (z.b. Okuducu et al. 2024, Buosenso et al. 2023). Insbesondere der Anstieg von Diabetes bei Kindern infolge einer SARS-CoV2-Infektion ist hier zu nennen (D’Souza et al. 2021, Weiss et al. 2023), genetisch vorbelastete Kleinkinder haben ein deutlich erhöhtes Diabetes-Risiko (Lugar et al. 2023).

Fakt: Der Vektorimpfstoff von AstraZeneca wird schon seit langem nicht mehr verimpft und muss daher auch nicht mehr erwähnt werden.

Aussage von Dorothee von Laer zu den Adenovirusimpfstoffen und gelegentliche Thromboseneigung, auf Nachfrage 1: 50000-100000 (gemeint war vermutlich die Sinusvenenthrombose), die Älteren würden den Impfstoff besser vertragen, und jüngere müssten sich nicht unbedingt impfen lassen.

Klarstellung: Für Österreich bestellt werden nurmehr mRNA-Impfstoffe (Pfizer) und Protein-Impfstoffe (Novavax). Auch bei jüngeren Menschen reduziert die Impfung das LongCOVID-Risiko (Yousaf et al. 2023). In Kalifornien hat die Impfung bei den 6-17jährigen in den 4-7 Monaten ab Impfstoffverfügbarkeit über 375 000 Fälle und 270 Hospitalisierungen verhindert (Head et al. 2024). Bei jungen Männern kommen wie erwähnt Herzmuskelentzündungen nach der Impfung zwar etwas häufiger vor, aber immer noch seltener als nach einer Infektion selbst (Ahktar et al. 2023).

Fakt: Es hätte vor der Impfstoffzulassung wahrscheinlich nicht ausgereicht, die Schulen mit Masken und Tests alleine sicherer zu machen.

Behauptung: „Mit der Testung in den Schulen und auch mit den Masken hätte man die Schulen nach der ersten Welle nicht mehr unbedingt schließen müssen.“

Dissenz: Vor der zweiten Welle gab es noch keine Immunität in der Bevölkerung. Die Impfstoffzulassung war noch nicht absehbar. Kinder und Jugendliche waren und sind Teil des Infektionsgeschehen ((Manica et al. 2022, Van Iersel et al. 2022, Park et al. 2023, Tseng et al. 2023, Kremer et al. 2023). Kindergärten und Schulen waren Treiber der Pandemie durch die beengten Verhältnisse mit schlechter Luft und vielen Haushalten, wodurch ideale Superspreader-Bedingungen herrschten. Kinder werden regelrecht in Viren gebadet, wie eine Studie mit Luftproben gezeigt hat (Temte et al. 2023). KindergärtnerInnen haben ein doppelt so hohes Risiko einer SARS-CoV2-Infektion wie andere Berufsgruppen. Die PCR-Testerei durch das Gurgelprojekt in Wien diente lediglich der Überwachung des Infektionsgeschehen, Schulkinder wurden als Infektionsradar missbraucht. Positive Tests und nachfolgende Isolation haben zwar Folgeinfektionen verhindert, aber die Indexfälle nicht.

Um Infektionen effektiv zu verhindern, hätte man bereits ab der zweiten Welle den Empfehlungen von Arbeitsgruppen im Bildungsministerium folgen sollen, und Luftreiniger installieren und verstärkt auf Lüften zu setzen. Damit hätte man auch den den starken RSV-Wellen ab dem zweiten Pandemiejahr vorgebeugt, sowie der starken Influenzawelle im Winter 2022/2023.

Schulschließungen hätte man abfedern oder verkürzen können, indem man finanziell schwache Haushalte mit entsprechenden Tablets und Notebooks versorgt hätte, fallweise Distance Learning bei Clustern, weniger Leistungsdruck, bessere Absicherung der Eltern im Krankheitsfall und Pflegefreistellung.

Allen voran hätte aber gestanden, dass sich Erwachsene hätten stärker einschränken müssen als Kinder und Jugendliche. Mikrobiologe Michael Wagner hatte das während des zweiten Lockdowns bei Lou-Lorenz Dittelbacher in der ziB2 sinngemäß gesagt, dass in einer Pandemie alle zusammenhelfen müssten. Bequemlichkeit sei Fehl am Platz.

Abschließender Kommentar:

Interviews wie dieses machen mich sehr grantig, weil damit die Chancen verpasst werden, die Welle abzuflachen, bis der angepasste Impfstoff für die JN.1*-Varianten vorhanden ist. Kinder werden aus jeglichem Infektionsgeschehen herausgenommen, dabei sind Kindergärten und vor allem Schulen seit jeher Treiber für alle Infektionskrankheiten, die über die Luft übertragen werden. Von Laer und auch andere Wissenschaftler tun so, als ob „Menschen mit Risikofaktoren“ eine vernachlässigbare kleine Gruppe sein würde, die sich für den Zeitraum der Welle von der Außenwelt abkapseln könnte. Dabei sind es Menschen wie Du und ich, die mitten im Leben stehen und gerne am Leben teilhaben würden wie alle anderen auch. L

angzeitfolgen kommen wie schon in den anderen Interviews, vom STANDARD-Artikel bis zum Fehlzeitenreport gar nicht vor, obwohl sie die Mehrzahl der schweren Verläufe ausmacht. Denn die Lebensqualität mit einer chronischen, unheilbaren Erkrankung sinkt deutlich, bedeutet in vielen Fällen den Absturz in Teilzeit oder Invalidität und in die Armut (Leitner et al. 2024, Anderson et al. 2024). Seit Pandemiebeginn geht es immer nur um die Überlastung durch Covid-Patienten im Spital. Es ging nie um die Patienten selbst, dass viele mit einem schweren Verlauf ein nochmal höheres Risiko für Spätfolgen und Sterblichkeit in der Folgezeit haben. Vor allem aber geht es weiterhin nie um die LongCOVID- und MECFS-Patienten, die durch das nichtsaisonale SARS-CoV2 dauerhaft (!) mehr werden und von der Zahl her die akuten schweren Verläufe bei weitem übertreffen. Das ist der eigentliche Skandal, wie man rund 5% der Bevölkerung, die an Long COVID leiden, so übergehen kann, ohne sich schäbig oder schuldig zu fühlen.

Appendix A: Screenshots des ZiB2-Interviews, die Rechte liegen bei der APA