Es gibt gegenwärtig drei parallel verwendete Nomenklaturen für die verschiedenen Virusvarianten von SARS-CoV2.
- GISAID-Nomenklatur: Global Initiative on Sharing all Influenza Data, seit 2008 – Untervarianten werden in Kladen (geschlossene Abstammungsgemeinschaft) zusammengefasst, nach dem Einbuchstabencode mit der relevantesten Aminosäurenveränderung, z.B. Alpha als GRY (D614G, G204R und N501Y)
- Nextstrain: seit 2015 Echtzeitdaten, ebenfalls Kladen
- Pango-Nomenklatur: seit 2020, Darstellung als phylogenetischer Baum, feinerer Maßstab als Nextstrain und GISAID.
- seit 31. Mai 2021 durch WHO: Buchstaben des griechischen Alphabets für VOI/VOC
Funktion der Pango-Nomenklatur:
Jede Linie hat eine numerische Bezeichnung, die mit A oder B beginnt. Jedes Mal, wenn sie einen Nachfolger bekommen, erhalten sie denselben Buchstaben mit einer neuen Zahl am Ende. Wenn B.1 weitere Nachfahren bekam, waren es B.1.1, B.1.2, etc… Damit die Zahlenreihen nicht zu ausschweifend wurden, zog man einen Deckel bei 3 Zahlen. Sobald eine Linie eine vierte Zahl bekam, wurden sie zum nächstverfügbaren Buchstaben im Alphabet konvertiert:
B.1.1.7 (Alpha), B.1.1.28.1 (Pi), B.1.617.2 (Delta), B.1.1.672.1 (AY.1.), bei einer Rekombination beginnt die Variante mit X.
Varianten unter Beobachtung, von Interesse und zur Beunruhigung
Seit dem 27. Oktober 2022 hat sich die WHO-Definition für eine Variant of Concern (VOC) geändert. Sie wird nurmehr vergeben, wenn es mehr schwere Verläufe, eine Überlastung der Gesundheitssysteme durch steigende Fallzahlen oder eine deutliche Abnahme der Impfwirksamkeit gegen schwere Verläufe gibt.
Seit dem 4. Oktober 2023 lautet die Arbeitsdefinition der WHO folgendermaßen:
- Variant under Monitoring (VUM): frühe Zeichen für einen Wachstumsvorteil gegenüber anderen zirkulierenden Varianten, ungewöhnlich viele Mutationen, und Community Transmission in mindestens zwei Ländern innerhalb einer 2-4 wöchigen Periode
- Variant of Interest (VOI): genetische Veränderung, die Übertragbarkeit, Immun Escape und therapeutische Intervention beeinflussen und einen nachgewiesenen Wachstumsvorteil in mindestens einer WHO-Region (Afrika, Amerika, Südostasien, Europa, östliche Mittelmeerregion, Westpazifik) aufweisen
- Variant of Concern (VOC): wie VOI, zusätzlich mindestens eine weitere Änderung, wie schwerere Verläufe, erhebliche Überlastung der Gesundheitssysteme, dadurch Gegenmaßnahmen der Öffentlichen Gesundheit erforderlich, oder deutliche Abnahme der Impfwirksamkeit verfügbarer Impfstoffe gegen schwere Verläufe
Expliziter Handlungsbedarf für WHO-Mitgliedsstaaten hinsichtlich Wiedereinführung von Schutzmaßnahmen besteht bei keiner der drei Einstufungen. Wir kennen diese Vorgehensweise von Staaten, die schrittweise trotz hoher Krankheitslast alle Maßnahmen seit Anfang 2022 beendet haben. Es nennt sich „Torpfosten verschieben“ und ist eine klassische Desinformationsmethode. Die Messlatte wird stetig nach oben verschoben, um keine Maßnahmen mehr verhängen zu müssen. Zudem werden neue Buchstaben nurmehr für eine VOC vergeben. Viele Regierungen argumentieren mit dem „milden Omicron“ um keine Maßnahmen mehr verhängen zu müssen.
Bisher mussten die Impfstoffe zwei Mal aufgrund von „Omicron-Varianten“ aktualisiert werden (BA.5 und XBB.1.5), wir hatten mehrere separate Omicron-Subvarianten-Wellen, aber dennoch nach 2 Jahren und 2000 verschiedenen Omicron-Varianten keine neue Bezeichnung. Zwischen Mai und November 2021 wurden 13 Griechische Buchstaben vergeben, viele Varianten waren einander sehr ähnlich. Manche Omicron-Varianten unterscheiden sich untereinander viel stärker (mehr zur Kritik an der WHO-Nomenklatur hier).
Echtzeit-Tracking:
- Übersicht der WHO über Variants of Monitoring, Interest and Concern
- Variant-Tracker von Cornelius Römer
Mythos „virologische Sackgasse“
Entgegen früherer Aussagen etwa von Virologe Drosten (Die Zeit, 23.11.22) sieht es nicht nach einer „virologischen Sackgasse“ aus. SARS-CoV2 ist nicht saisonal geworden und verhält sich weiterhin wie eine Driftvariante, was eine zeitnahe passende Impfstoffentwicklung erschwert (mehr zum evolutionären Druck bei SARS-CoV2 in diesem Beitrag von Adam Kucharski, 16.08.23)
Omicron war ein „shift“-Ereignis, das der vorherrschenden Immunität entkam und neuen antigenischen Raum ausbeutete, ähnlich verhält es sich imho mit JN.1.
Mehr Infektionen sorgen über verschiedene Prozesse für mehr Virusvarianten, insbesondere chronische Infektionen in immungeschwächten Patienten, die Monate oder sogar Jahre dauern können (Harari et al. 2022, Golonzales-Reiche et al. 2023, Ghafari et al. 2024). Entgegen der Aussagen von manchen Medizinern oder Experten entwickelt sich das Virus dabei nicht zu einer milderen Form (Lustig et al. 2022 preprint). Als potentieller Wirt für Virusentwicklung können u.a. durch das HI-Virus geschwächte Personen dienen (Cele et al. 2022, Riddell et al. 2022 – preprints), was einmal mehr betont, wie wichtig weltweite Impfgerechtigkeit wäre, aber auch spezifische Virusmutationen, die durch das antivirale Medikament Molnupiravir getriggert wurden (Sanderson et al. 2023).
In Dänemark wurden im Herbst 2020 über 15 Millionen Nerze gekeult, weil man befürchtete, dass eine mutierte Coronavirusvariante zurück auf den Menschen springen könnte. Glücklicherweise war die mutierte Variante nicht übertragbarer beim Menschen (Zhou et al. 2022).
Eine Hypothese von JP Weiland (Infektionskrankheitsmodellierer):
Varianten können sich durchsetzen, wenn sie entweder infektiöser sind als vorherige Varianten oder das Immunsystem besser umgehen können. Beide Eigenschaften machen sie ansteckender (kontagiöser). Obwohl XBB.1.5 einen Wachstumsvorteil aufwies, erzeugte es weltweit gesehen keine große Welle. XBB.1.5 war infektiöser durch bessere ACE2-Rezeptorbindung, aber hatte keinen größeren Immun Escape. Dadurch eröffnete sich kein neuer Pool an empfänglichen Personen, sondern der bestehende Pool wurde einfach schneller ausgeräumt.
Die meisten Varianten, die bisher dominant wurden, weisen erhöhten Immun Escape auf und führen damit zu einem größeren empfänglichen Pool und daher zu mehr Infektionen. Der „Trick“ von JN.1 war die Immun-Escape-Mutation L455S, daher könnte es mehr Auswirkungen haben als XBB.1.5.
Relative und absolute Häufigkeit
Relative Häufigkeit ist der Anteil an allen Sequenzen zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einer bestimmten Variante. Mit Jahresbeginn 2024 waren 70% aller sequenzierten Samples JN.1. Die absolute Häufigkeit ist die tatsächliche Zahl an Infektionen mit einer bestimmten Variante. Diese Zahl ist unklar, weil nicht jedes Sample sequenziert wird, weil viele Fälle nicht gemeldet werden. Wir kennen den Nenner nicht. Abwasserdaten umgehen dieses Problem teilweise, weil es keine Rolle spielt, ob Leute testen. Wir kennen dadurch die absolute Virusmenge, die ausgeschieden wird, und wie sie sich zusammensetzt.
Delta wurde komplett durch BA.1 ersetzt. Obwohl BA.2 ab März in den USA relativ dominant wurde, kann nicht die Rede davon sein, dass BA.1 komplett ersetzt wurde. Bei BA.2.86 nahmen selbst die Anteile der Nicht-BA.2.86-Sequenzen (v.a. HV.1.) während der JN.1.-Welle noch zu.
Das bedeutet, dass man die Zunahme von z.b. Hospitalisierungen nicht zwingend einer bestimmten Variante zuordnen kann.
Overshoot
Bis zur BA.2-Welle wurden Peak und Abfall der Welle in Österreich maßgeblich durch Schutzmaßnahmen sowie im Fall der Alphawelle Durchimpfungen beeinflusst.
Die BA.5-Sommerwelle lief ungebremst durch, ebenso die hohe Frühwinterwelle mit JN.1 Ende 2023.
Verantwortlich für den steilen Abfall nach dem Peak der JN.1-Welle war ein sogenannter Overshoot. Die Weihnachtsferien und die beginnende Influenzawelle können ebenfalls beigetragen haben, waren aber nicht hauptverantwortlich.
Der Peak ist dort, wo effektive Reproduktionszahl ca. 1 geworden ist, also der Herdenimmunitätssschwellenwert (HIT). R_eff ergibt sich aus der Reproduktionszahl vor Immunität und der Immunität der Bevölkerung:
R_eff = R0* (1-S), wobei S der Anteil der empfänglichen Personen ist.
Alle, die sich nach dem Overshoot anstecken, sind über HIT hinausgeschossen. Das drückt R_eff dann aber weiter, weil S deutlich sinkt.
Übersicht über prominentere Varianten:
- Wildtyp (A und B)
- D614G-Variante (seit Februar 2020, höhere Infektiösität)
- Alpha (B.1.1.7, N501Y), infektiöser als die D614G-Variante
- Beta (B.1.351, N501Y, E484K), mehr Immun Escape
- Gamma (P.1, N501Y, E484K, K417T), infektiöser, vermehrt Reinfektionen (Yépez et al. 2022)
- Delta (B.1.1.617.2, P681R, L452R, T478K), infektiöser als Alpha
- Omicron (B.1.1.529, 66 Mutationen, von Beginn an BA.1 und BA.2), viel mehr Immun Escape
- BA.1, weniger pathogen als Delta, geringere Viruskonzentration im Stuhl (Baldovin et al. 2023)
- BA.2 (ohne Löschung 69/70), pathogener als BA.1
- BA.4/BA.5, vermutlich Rekombination
- XBB.1.5 (Rekombinante, F486P)
- EG.5.1 (F456L, Q52H), VOI
- HV.1 (S:F456L+L452R)
- Pirola (BA.2.86, über 30 Mutationen, P681R), keine Rekombinante, vmtl. im Sommer 2022 entstanden durch chronische Infektion, VOI seit 22.11.23
- JN.1 (L455S, separate VOI seit 18.12.23, signifikanter Immun Escape, besser übertragbar, keine leichteren Verläufe)
- KP.2 (JN.1 + F456L, R346T und V1104L) und KP.3 (ohne R346T, mit Q493E), bzw. KP.3.1.1. (mit S31Del), signifikant höhere ACE2-Bindung und höherer Immun Escape; KP.3 nach Stand Mitte Juni 2024 treibende Variante
Spezielle Varianten sind in Österreich immer wieder beobachtet worden, vor allem in den Skigebiets-Bundesländern Vorarlberg, Nordtirol und Salzburg, haben sich aber nicht im restlichen Land durchgesetzt.
Beeinflussungen der Höhe von Infektionswellen durch nichtpharmazeutische Maßnahmen:
Die Delta-Welle im Spätherbst 2021 wurde durch den vierten Lockdown in Österreich abgeflacht, dann kamen noch die Weihnachtsferien. Das hat die BA.1-Welle deutlich gebremst. In den USA war die Delta-Welle deutlich geringer, dafür gab es nur eine BA.1-Welle. Diesen Doppelgipfel von BA.1 und BA.2 als langgestreckte Welle gab es imho nur in Mitteleuropa. Die Alpha-Welle wiederum wurde durch die Impfkampagne im Frühjahr 2021 deutlich abgeflacht und bremste den Anstieg der Delta-Welle. In einer weitgehend maßnahmenfreien Phase wie ab dem Sommer 2022 sieht man wesentlich kürzere Abstände zwischen den Wellen.
Maßgeblich zur Ausbreitung neuer Virusvarianten trägt der internationale Flugverkehr bei:
„We have never in the history of our species encountered a situation anything like this one, with a coronavirus that is infecting *billions* of hosts, year-round, repeatedly up to several times per year, and being transported all over the world through mass global travel.“
T. Ryan Gregory, 27.12.23
- Tegally et al., Dispersal patterns and influence of air travel during the global expansion of SARS-CoV-2 variants of concern (07/2023)
- De Leon et al., Unravelling Causal Associations between Population Mobility and COVID-19 Cases in Spain: a Transfer Entropy Analysis (10/2023, preprint)
Varianten verlängerten die Pandemie
Wir erhielten mit mit Alpha, Beta und Gamma verschiedene Linien, die sich deutlich schneller verbreiteten und alle dieselbe Spike-Mutation N501Y aufwiesen, obwohl sie aus unterschiedlichen Teilen der Welt stammten. Warum geschah das erst nach einem rund einem Jahr Pandemie? Am wahrscheinlichsten stammten alle drei von chronischen Infektionen in immungeschwächten Personen ab. Mit monatelanger Infektion wird ein Virus buchstäblich „in die Schule geschickt“, es hat dabei genügend Zeit, verschiedene Änderungen von Kombinationen zu testen, was es nicht kann, während es „arbeitet“ (zirkuliert). In den meisten Fällen passiert nichts und es bleibt bei dem einen Patienten. Alpha, Beta und Gamma hatten neben N501Y auch andere Mutationen (z.b. bei der FCS) und waren alles B.1/B.1.1-Nachfahren (mit D614G). Offenbar entstanden in der Zeit, als B.1/B.1.1 übernahmen ein paar chronische Infektionen und einige Monate später begannen alle drei Varianten erneut zu zirkulieren.
Bis zum Frühling 2021 waren die ersten VOC großteils durchgerauscht und es schien so, als könnte mit Pandemie – mithilfe der Impfkampagnen – bald vorbei sein. Wir dürfen aber nicht überrascht sein, dass dies nicht geschah. Zahlreiche Experten aus aller Welt haben davor gewarnt, zu zögerlich und ohne zusätzliche Maßnahmen in Infektionswellen hineinzuimpfen, z.B. dieser anonyme angepasste Virologe (Paul Bieniasz, 02.01.21) oder Saray Toy in diesem Meinungsartikel für die WSJ (02/2021). Dabei hätte eine schnelle Durchimpfung bei gleichzeitigen Kontaktbeschränkungen die Ausbreitung von Varianten deutlich verlangsamt (Lobinska et al. 2022). Auch die Beschränkung der Impfstoffentwicklung auf die RBD des Spike-Proteins begünstigte die Entwicklung von Fluchtmutationen (Van Egeren et al. 2021). Der Erfolg einer „Vaccine-only“-Strategie wurde bereits im Sommer 2021 als fragwürdig angesehen (Stoddard et al. 2021).
Doch dann betrat mit Delta eine neue VOC die Bühne, nicht besonders immunflüchtig, aber schnell. Es hatte die am stärksten vorhergesagte FCS aller Varianten bis dato, und änderte 681P zu 681R (Liu et al. 2021). Delta war ansteckender und verursachte mehr schwere Verläufe. Delta wurde dominant wie keine andere Variante davor. Viele Experten glaubten, dass alle künftige Linien von Delta abstammen mussten. Hypothese: Aus Delta gab es zwar viele Nachfahren, die die Pango-Bezeichnung AY* bekamen, aber keine davon war viel fitter als die anderen, daher erhielten wir zwar AY.134, aber keine neue Delta-Welle.
Molekularbiologe Elling warnte damals in der Wienerzeitung davor, dass uns im Winter „die Varianten um die Ohren fliegen würden.“
Im November 2021 wendete sich das Blatt erneut mit einer neuen VOC, die in Südafrika zirkulierte und eine Menge Fluchtmutationen aufwies. Zu diesem Zeitpunkt (Anfang 2022) war die Immunität gegen SARS-CoV2 relativ einheitlich – wir waren alle mit dem ungefähr gleichen Virus infiziert oder dagegen geimpft. Das machte es für Omicron etwas einfacher, sich so erfolgreich zu verbreiten (Tan et al. 2022).
Von Beginn an gab es zwei Omicron-Linien (BA.1 und BA.2), beide waren sehr verschiedenen, aber hatten klar einen gemeinsamen Vorfahren – möglicherweise stammten beide von derselben chronischen Infektion. BA.1 fegte als erstes über den Globus, verschwand aber nach sechs Monaten wieder und erzeugte keine nennenswerten Nachfahren. BA.1 war ein virologisches Zufallsereignis. Das Britische Beratungsgremium NERVTAG warnte davor, dass die nächste Variante wahrscheinlich ähnlich schwere Verläufe verursachen würde wie vorhergehende Varianten.
„The loss of virulence as viruses evolve is a common misconception“ (NERVTAG, 10.02.22)
BA.2 war ausdauernder, verursachte aber anfangs aber weniger Infektionen. Dafür erzeugte es die potenteren Nachfahren mit BA.2.12.1, BA.2.75, CH und schließlich BA.2.86/JN.1
Nach BA.2 kamen BA.4 und BA.5, die sehr eng verwandt waren, deren Ursprung aber bis heute ungeklärt ist – wahrscheinlich handelte sich um Rekombinanten. In der Omicron-Ära entstand eine regelrechte „Variantensuppe“ mit konvergenten Änderungen. Verschiedene Varianten sammelten dieselben Mutationen, um der Rest-Immunität von Patienten zu entkommen.
Bis Jahresende 2022 stammten die zirkulierenden Linien meistens von BA.4 oder BA.5, aber ein paar BA.2-Nachfahren blieben ebenfalls präsent. Schließlich entstand aus zwei verschiedenen BA.2-Linien die recht fitte Rekombinante XBB.
XBB konnte sich anfangs nicht gegen die BA.4/BA.5-Dominanz durchsetzen, bis es die Schlüsselmutation S:486P erlangte. Viele XBB-Nachfahren mit dieser Mutation zirkulierten Ende 2023 noch (XBB.1.5, XBB.1.9, XBB.1.16).
Im Sommer 2023 kam die nächste unerwartete Wendung: BA.2.86 erschien erstmals in Israel, offenbar ein Jahr davor entstanden, als BA.2 noch zirkulierte. Innerhalb einer Woche tauchte die exakt gleiche Linie auf drei verschiedenen Kontinenten auf. Das war beunruhigend. Sie wies 66 neuartige Mutationen auf, war aber nicht viel immunflüchtiger als EG.5 oder HK.3. Es zeigte sich, dass Klasse-1-Antikörper BA.2.85 weiterhin gut neutralisieren konnten, gegen die EG.5 und HK.3 aufgrund der Mutationen F456L und L455F Resistenz aufwiesen. JN.1 erlangte die Mutation L455S und das war der Gamechanger.
Entwicklung der variantenspezifischen Pathogenität
- Wang et al., Current clinical findings of acute neurological syndromes after SARS-CoV-2 infection (09.03.24 – häufiger neurologische Komplikationen seit Omicron-Varianten dominieren)
- Reuschl et al, Evolution of enhanced innate immune suppression by SARS-CoV-2 Omicron subvariants (16.01.24 – BA.4/BA.5 pathogener als BA.1/BA.2 durch effektivere Unterdrückung der angeborenen Immunabwehr)
- Wiedenmann et al., SARS-CoV-2 variants of concern in children and adolescents with COVID-19: a systematic review (09.10.23 – Diabetes und Übergewicht während gesamter Pandemie Risikofaktoren, Kleinkinder übertragen mehr als ältere Kinder in Tageskinderstätten, unter 5% von Langzeitfolgen betroffen)
- Proust et al., Differential effects of SARS-CoV-2 variants on central nervous system cells and blood–brain barrier functions (03.08.23 – alle Varianten erzeugen Stress fürs zentrale Nervensystem, OMICRON geht mehr auf die Gefäße als frühere Varianten)
- De Melo et al., Neuroinvasion and anosmia are independent phenomena upon infection with SARS-CoV-2 and its variants (26.07.23 – Hamsterstudie, unabhängig der Varianten löst Covid19 Geruchsverlust aus und dringt ins Gehirn ein)
- Maffia-Bozzozero et al., Viable SARS-CoV-2 Omicron sub-variants isolated from autopsy tissues (22.05.23 – OMICRON geht auf Lunge und Herz!)
- Moriyama et al., Enhanced inhibition of MHC-I expression by SARS-CoV-2 Omicron subvariants (09.03.23 – Immunflucht von CD8-T-Zellen, längere Verweilzeit des Virus im Körper, LongCOVID erleichtert)
- Wong et al., Intrinsic and effective severity of COVID-19 cases infected with the ancestral strain and Omicron BA.2 variant in Hong Kong (21.02.23, preprint – OMICRON ähnlich schwer wie Wuhan-Typ, aber in Geimpften/bei Reinfektion weniger schwer)
- Moriyama et al., SARS-CoV-2 Omicron subvariants evolved to promote further escape from MHC-I recognition (23.12.22, preprint – bessere Umgehung der T-Zellen-Immunität)
- Robinson et al., Impact of SARS-CoV-2 variants on inpatient clinical outcome (19.12.22, OMICRON milder als DELTA, aber schwerer als Wildtyp)
- Machado-Curbelo et al., A Shift in SARS-CoV-2 Omicron Variant’s Entry Pathway Might Explain Different Clinical Outcomes (31.10.22)
- Looi and Mahase, Has covid-19 become milder? (27.10.22 – nein, zwar geht Omicron weniger stark auf die Lunge, aber es verschlechtert dafür Grunderkrankungen, dazu kommt LongCOVID )
- Nyberg et al., Comparative analysis of the risks of hospitalisation and death associated with SARS-CoV-2 omicron (B.1.1.529) and delta (B.1.617.2) variants in England: a cohort study (16.03.22 – 59% reduziertes Risiko von Hospitalisierung, 69% Tod, verglichen mit DELTA – keine Aussage zu LongCOVID)
- Servellita et al., Neutralizing immunity in vaccine breakthrough infections from the SARS-CoV-2 Omicron and Delta variants (26.01.22, preprint – “We found a significantly smaller rise of neutralization titers associated with milder Omicron breakthrough infection in vaccinated individuals, to only approximately one-third of the rise associated with boosting.”)
- Robert Zangerle: Omikron: Wie ansteckend ist es? Wie krank macht es? Wie wirken die Impfungen? (28.12.21)
Evolution neuer Varianten – Chronologie
- Goliaei et al., Importations of SARS-CoV-2 lineages decline after nonpharmaceutical interventions in phylogeographic analyses (20.06.24)
- Lopes et al., Combining genomic data and infection estimates to characterize the complex dynamics of SARS-CoV-2 Omicron variants in the United States (08.11.23, preprint – BA.1 peakte bei 4 Mio Infektionen täglich, in Summe 48% der Bevölkerung, BA.5 peakte bei 800 000 Infektionen täglich, aber infizierte 36%)
- Meijers et al., Population immunity predicts evolutionary trajectories of SARS-CoV-2 (23.10.23 – Immunität durch Infektionen und Impfungen sind treibender Faktor für Entwicklung von Immun-Escape-Varianten)
- Duerr et al., Selective adaptation of SARS-CoV-2 Omicron under booster vaccine pressure: a multicentre observational study (20.10.23 – Booster-Impfungen förderten selektiven Vorteil für BA.2/BA.5 vor Zulassung des bivalenten Impfstoffs)
- Bouhaddou et al., SARS-CoV-2 variants evolve convergent strategies to remodel the host response (12.10.23 – erhöhte Virusreplikation und Übertragungsfähigkeit bei Umgehung der angeborenen und erworbenen Immunabwehr)
- Owen Dyer: Covid-19: Infections climb globally as EG.5 variant gains ground (16.08.23)
- Golonzales-Reiche et al., Sequential intrahost evolution and onward transmission of SARS-CoV-2 variants (03.06.23 – chronische Infektion führte zur Entwicklung einer neuen Subvariante von OMICRON, BA.1.23, über einen achtmonatigen Zeitraum)
- Ruis et al., A lung-specific mutational signature enables inference of viral and bacterial respiratory niche (15.05.23 – Omicron bewohnt den unteren Atemwegstrakt weniger als vorherige Varianten, es entstehen weniger G -> T Mutationen, die durch typische Lungenfaktoren verursacht werden, diese könnten als Proxy für Veränderung der Symptomschwere bei neuen Varianten herangezogen werden, da es üblicherweise Monate dauert, bis zuverlässige Auswertungen stattfinden können)
- Albright et al., Antibody escape, the risk of serotype formation, and rapid immune waning: modeling the implications of SARS-CoV-2 immune evasion (04.05.23, preprint – „we demonstrate that antigenic drift resulting in evasion of pre-existing immunity is highly evolutionarily favored and likely to cause waves of short-term transmission“)
- Ewen Callawy, COVID’s future: mini-waves rather than seasonal surges (04.05.23 – keine Anzeichen dafür, dass SARS-CoV2 einen saisonalen Verlauf annimmt wie Influenza)
- Van Egeren et al., Vaccines Alone Cannot Slow the Evolution of SARS-CoV-2 (16.04.23)
- Markov et al., The evolution of SARS-CoV-2 (05.04.23 – derzeit alle 4 Monate neue Wellen erwartet, bei einer IFR ähnlich Influenza gäbe es 3x so viele Tote jährlich, exklusive LongCOVID – ” it is important to bear in mind that the transition from a pandemic to future endemic existence of SARS-CoV-2 is likely to be long and erratic, rather than a short and distinct switch, and that endemic SARS-CoV-2 is by far not a synonym for safe infections, mild COVID-19 or a low population mortality and morbidity burden.”)
- Sanderson et al., Identification of a molnupiravir-associated mutational signature in SARS-CoV-2 sequencing databases (27.01.23, preprint – durch das antivirale Medikament Molnupiravir können spezifische Virusmutationen entstehen, die übertragungsfähige Varianten erzeugen können – peer-reviewed, 25.09.23, gewarnt wurde von Robert F. Service bereits am 07.11.21, in Ländern, die Molnupiravir zugänglich gemacht haben, wurden häufiger spezifische Mutationen beobachtet)
- Carabelli et al., SARS-CoV-2 variant biology: immune escape, transmission and fitness (18.01.23)
- Rössler et al., BA.2 and BA.5 omicron differ immunologically from both BA.1 omicron and pre-omicron variants (13.12.22)
- Roemer et al.: SARS-CoV2 evolution, post-OMICRON (25.11.22)
- Van Egeren et al., Rapid relaxation of pandemic restrictions after vaccine rollout favors growth of SARS-CoV-2 variants: A model-based analysis (24.11.21- „viral variants with reduced susceptibility to vaccinal and natural immunity threaten the utility of vaccines, particularly in scenarios where a return to pre-pandemic conditions occurs before the suppression of SARS-CoV-2 transmission“)
- Lustig et al., SARS-CoV-2 evolves increased infection elicited cell death and fusion in an immunosuppressed individual (24.11.22, preprint – SARS-CoV2 entwickelt sich bei anhaltender Infektion in immungeschwächten Personen nicht zu einem milderen Virus)
- Kann sich sowas wie OMICRON wiederholen? Ja. (22.11.22)
- Tan et al., SARS-CoV-2 Omicron variant emerged under immune selection (04.10.22 – wie vorhergesagt führt hohe Viruszirkulation unter steigender Bevölkerungsimmunität zu neuer Variantenbildung)
- Cao et al., Imprinted SARS-CoV-2 humoral immunity induces converging Omicron RBD evolution (16.09.22, preprint – BA.2.75.2 bisher immunevasivste Variante, nur BQ.1.1 kann mithalten; ” These results suggest herd immunity established by natural infection could hardly stop RBD evolution, and vaccine boosters using BA.5 may not provide sufficiently broad protection.”
- Guo et al., Interferon resistance of emerging SARS-CoV-2 variants (22.07.22)
- Gonzalez-Reiche et al., Intrahost evolution and forward transmission of a novel SARS-CoV-2 Omicron BA.1 subvariant (27.05.22, preprint – erstmals nachgewiesen, dass ein mutiertes Virus in einem immungeschwächten Patienten auf einen anderen Menschen übertragen wurde)
- Amy Maxmen: Why call it BA.2.12.1? A guide to the tangled Omicron family (27.05.22)
- Dennehy et al., Where is the next SARS-CoV-2 variant of concern? (21.05.22)
- Thread zu den Kandidaten für weitere Virusvarianten, die Immun Escape erhöhen (21.05.22)
- Eric Topol: Climbing the ladder of infectiousness (04.05.22)
- DeGrace et al., Defining the risk of SARS-CoV-2 variants on immune protection (31.03.22)
- Markov et al., Antigenic evolution will lead to new SARS-CoV-2 variants with unpredictable severity (14.03.22)
- Lobinska et al., Evolution of resistance to COVID-19 vaccination with dynamic social distancing (24.02.22 – Zusammenfassung auf Nature)
- NERVTAG: Long term evolution of SARS-CoV-2 (10 February 2022 – “We caution that the milder symptoms in the human population, and in animal models, associated with the Omicron variant compared to previous variants, is likely a chance event. The next variant to achieve UK/global dominance is likely to have the same pathogenicity as previous variants. The loss of virulence as viruses evolve is a common misconception.”)
- Wratil et al., Three exposures to the spike protein of SARS-CoV-2 by either infection or vaccination elicit superior neutralizing immunity to all variants of concern (28.01.22)
- Drosten: „Omikron könnte stärker krankmachende Wirkung entwickeln“ (21.01.22)
- Eric Topol: Humans 2, Omicron 1 (05.01.22)
- Colson et al., Emergence in Southern France of a new SARS-CoV-2 variant of probably Cameroonian origin harbouring both substitutions N501Y and E484K in the spike protein (24.12.21)
- Fragen von Helen Branswell: A computational biologist weighs in on Omicron, the future of vaccines, and the CDC’s variant forecast (22.12.21)
- Moderna chief predicts existing vaccines will struggle with Omicron (30.11.21)
- Scientists warn of new Covid variant with high number of mutations (24.11.21)
- Gutierrez et al., Emergence and widespread circulation of a recombinant SARS-CoV-2 lineage in North America (19.11.21, preprint)
- Adenaiye et al., Infectious SARS-CoV-2 in Exhaled Aerosols and Efficacy of Masks During Early Mild Infection (14.09.21 – Virusvarianten produzieren mehr Aerosole, herkömmliche Masken wirken schwächer)
- Gifoni et al., SARS-CoV-2 human T cell epitopes: Adaptive immune response against COVID-19 (14.07.21 – CD4/CD8-T-cell epitopes largely conserved, für Omicron 86% CD8 und 72% CD4 )
- Andreas Bergthaler: Die Impfung der anderen (17.07.21)
- Harvey et al., SARS-CoV2-variants, spike mutations and immune escape (01.06.21)