Gesundheitsminister Rauch (Grüne), der eigentlich mit den Nationalratswahlen im Herbst angekündigt hatte, in Pension gehen zu wollen und kürzlich andeutete, vielleicht doch zu verlängern, versagt weiterhin auf ganzer Linie, wenn es um den Schutz der Bevölkerung vor Infektionswellen geht. Längst nicht nur bei SARS-CoV2, sondern auch anderen Infektionskrankheiten mit potentiell tödlichem Ausgang. Über seine Rolle als Verharmloser und Blockierer von sinnvollen Maßnahmen in der Akutphase der Pandemie schrieb ich letztes Jahr schon.
Jetzt hat Rauch neben der verschleppten Einigung über die Gratis-Covidtests bei den niedergelassenen Ärzten, der fehlenden Impfkampagnen und der verzögerten Ausschreibung eines Referenzzentrums für MECFS auch die Beschaffung eines wichtigen RSV-Medikaments (Nirsevimab, monoklonaler Antikörper) für Säuglinge verschlafen.
„Die vergangenen Erkältungssaisonen haben gezeigt, dass RSV auf dem Vormarsch ist und vor allem für Säuglinge schwere gesundheitliche Folgen mit sich bringen kann, die lebensbedrohlich sein können. Mit der RSV-Prophylaxe für Säuglinge stünde uns in Österreich während der Erkältungssaison eine wirksame und sichere Möglichkeiten zur Verfügung, unsere Jüngsten bestmöglich zu schützen. Der Gesundheitsminister hat aus dem Fiasko des vergangenen Winters beim Corona-Medikament Paxlovid leider überhaupt nichts gelernt und die Bestellung verschlafen. Wir Ärztinnen und Ärzte haben eindringlich davor gewarnt, dass Österreich auf den Herbst wieder nicht ausreichend vorbereitet ist.“
Johannes Steinhart, Präsident der österreichischen und Wiener Ärztekammer, 19. Juli 2024 (Presseaussendung)
Die RSV-Impfung für Schwangere ist weiterhin Privatleistung und sehr teuer, die Tests bei Symptomen sind ebenfalls selbst zu zahlen. Das wird in der kommenden RSV-Saison wieder Kleinkindern das Leben kosten und bei überlebenden Säuglingen ihr Risiko für Asthma und Allergien im Erwachsenenalter deutlich erhöhen, und ihre Lebenserwartung verringern (Allinson et al. 2023).
Wir haben eine Coronawelle, aber keine Gratistests
Selbst der WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Kluge, wies kürzlich darauf hin, dass sich die Patientenzahlen bei niedergelassenen Ärzten in 53 Mitgliedsstaaten in Europa und Zentralasien in den letzten 8 Wochen verfünffacht haben, die Hospitalisierungszahlen in den letzten 4 Wochen war um 51% höher als in den 4 Wochen davor. Und die Zahl der gemeldeten Toten um 32% höher. Die Mehrzahl der bestätigten Fälle sind 65 Jahre alt und älter.
Kluge bekräftigte zudem auf Twitter das, was wir alle längst wissen, nämlich, dass Corona zu jedem Zeitpunkt im Jahr große Wellen auslösen kann, auch im Sommer. Wenn man jetzt die typischen Symptome – Fieber, Husten, Erschöpfung – aufweist, ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit Corona.
„Ich finde es skandalös, dass man bei so hohen Inzidenzen, die man ja nur noch durch Abwasserdaten und RKI-Meldedaten erfassen kann, in Gesundheitseinrichtungen keine Maske mehr vorschreibt.“
Hausärztin katharina Apelt-Glitz, 19.07.24 (NDR)
Sie rät dazu, jede weitere Infektion zu vermeiden, weil:
„Es ist eine Multi-Organ-Erkrankung, eine Gefäßentzündung mit einem Risiko für kardio-vaskuläre Komplikationen und einer anhaltenden Immunveränderung, die dazu führt, dass man auch andere Infektionen leichter bekommt.“
Und ja, liebe LeserInnen, das ist Deutschland, aber das Virus bei uns bzw. die Österreicher unterscheiden sich physiologisch nicht übertrieben stark von Deutschen. Auch ihre anderen Aussagen sind am Punkt.
Das Problem in Österreich: Es gibt immer noch keine Einigung bei der Übernahme der Kosten für die Schnelltests beim Hausarzt. Wer sich erinnert – Ende März lief die Gratistest-Regelung aus. Anfang April hieß es: „Bald Lösung für Gratis-Tests beim Arzt.“ Mitte April hätte die Lösung stehen sollen. Jetzt ist Mitte Juli und erneut heißt die Überschrift in den Zeitungen „Kostenübernahme für Corona-Tests bei Risikopatienten bald geklärt“ und mit Anfang August soll ein Modell stehen.
Schön, dass man sich so viel Zeit lässt, die Infektionswelle ist JETZT hoch, und jetzt sollte es möglich sein, gratis zu testen. Vor allem muss man bedenken, dass es manchmal mehrere Antigentests in Serie ab Symptombeginn braucht, um SARS-CoV2 zweifelsfrei identifizieren zu können. Deswegen wäre die Übernahme von PCR-Tests für Risikopatienten auch sinnvoller.
Neue (kluge) Impf-Empfehlungen vom Nationalen Impfgremium:
Wie zuletzt schon berichtet, hat die EMA sich auf den JN.1-Impfstoff festgelegt, mit der Begründung, er würde auch gut gegen KP.2 und KP.3 wirken, während die FDA in den USA auf den KP.2-Impfstoff setzt.
Die Neutralisationstiter beim KP.2-Impfstoff sind höher als mit dem JN.1-Impfstoff – sie enthalten die entscheidende F456L-Mutation.
Österreich hat laut APA-Interview mit Molekularbiologe Ulrich Elling heuer über 1 Million Impfdosen von Pfizer JN.1 bestellt, die wieder im niedergelassenen Bereich verimpft werden.
„Die derzeit neu zirkulierende Variante KP.2 ist aus immunologischer Sicht der JN.1-Variante sehr ähnlich und es ist daher davon auszugehen, dass der angepasste Impfstoff eine schützende Antwort für beide Varianten hervorruft.“
Neue Impfempfehlungen (Ausgabe vom 18.07.24)
Wie die EMA in einer neuerlichen Aussendung hinweist, scheint sich KP.3 jetzt gegen KP.2 durchzusetzen, was sie als Beleg dafür anführen, dass JN.1 als Basis für den angepassten Impfstoff besser sei als KP.2.
KP.3 verdrängt KP.2 wegen der erfolgreichen Q493E-Mutation (infektiöser und mehr Immunflucht) und die S31del-Mutation auf KP.3 draufgesetzt (KP.3.1.1.) scheint noch erfolgreicher und steigt relativ bereits stark an. Bis nennenswert viele Menschen geimpft sind (letztes Jahr: 7% Durchimpfungsrate mit dem XBB.1.5-Booster) existiert KP.2 wahrscheinlich nicht mehr oder kaum noch.
Aus den vorläufigen Mäusedaten geht allerdings hervor, dass der KP.2-Impfstoff auch gegen FLuQe-Varianten (mit Q493E) höhere Neutralisationstiter erzeugen würde als der JN.1-Impfstoff. Das reicht der EMA offenbar nicht. Novavax hat bereits Ende Juni um Zulassung seines angepassten Protein-Impfstoffs angesucht, aber diese noch nicht erhalten.
Halten wir fest: Bisher hat das Gesundheitsministerium nur Pfizer bestellt, es gibt also für Empfehlungen, heuer früher impfen zu gehen, keine Alternative für jene, die mRNA lieber meiden wollen, weil sie Bestandteile der Impfung nicht so gut vertragen und denen etwa ein Protein-Impfstoff empfohlen wird. Das ist ärgerlich.
Der Hauptgrund, weshalb eine KP.2-Impfung wahrscheinlich besser gegen KP.3 wirken sollte als die JN.1-Impfung, ist die bei KP.2 enthaltene F456L-Mutation. Aber da wir den KP.2 wahrscheinlich nicht bekommen werden (mit den bestellten Impfdosen von Pfizer könnten rund 15 % der Bevölkerung geimpft werden, mehr werden es sicher nicht), rate ich dazu, nicht lange zu warten, und sich mit dem an JN.1 angepassten Pfizer-Impfstoff impfen zu lassen. Für jene, die Pfizer nicht bekommen wollen oder sollten, habe ich leider keine zufriedenstellende Antwort. Und das Impfgremium außer Satzverschachtelungen offenbar auch nicht:
„Personen mit Long COVID benötigen eine individuelle Betreuung. Impfentscheidungen sollten im Rahmen dieser Betreuung individuell erfolgen.“
Sonst find ich die Impfempfehlung wie gesagt gut. Kernaussagen:
- für alle Menschen ab 6 Monaten und älter grundsätzlich möglich
- „allen empfohlen, die das Risiko eines möglichen schweren Krankheitsverlaufs reduzieren möchten“ (erst darunter sind Indikationen aufgelistet für Risikopersonen)
- Mindestabstand von 12 Monaten empfohlen zu Impfung/bekannter Infektion, Immungeschwächte auch kürzere Intervalle möglich, 4 Monate sollten nicht unterschritten werden
- 3 Tage körperliche Schonung und 7 Tage Sportkarenz sind empfohlen
- Zur Erkrankung ist explizit festgehalten, dass es sich um eine Multisystemerkrankung handelt.
- Auf nichtpharmazeutische Maßnahmen wie Masken tragen wird verwiesen
Das NIG weist darauf hin, dass die Impfung das Risiko reduziert, LongCOVID zu entwickeln. Man vergleiche den Unterschied in der politischen Kommunikation zu Gesundheitsminister Rauch:
„Die Impfung ist sicher, schützt vor einem schweren Krankheitsverlauf und langanhaltenden Folgen wie Long COVID“
Gesundheitsministerium, Presseaussendung, 19. Juli 2024
Rauch begeht den Kardinalsfehler in der Risikokommunikation in der Pandemie neuerlich, indem er klare ja/nein-Aussagen trifft, die von der Wissenschaft nicht gedeckt sind. Es gibt keinen 100%igen Schutz! Es erkranken trotz Impfung immer noch rund 3-5% an langanhaltenden Folgen wie Long COVID. Wer also nach einer Impfung entsprechende Symptome entwickelt, wird sie auf die Impfung schieben statt auf eine später erfolgte Infektion. Ebenso bedeutet sicher nicht nebenwirkungsfrei und das NIG betont hier aus gutem Grund körperliche Schonung nach der Impfung, um gerade bei jungen Menschen das Risiko einer Herzmuskelentzündung zu minimieren.
Die Informationsseite zur Covid19-Impfung verbreitet leider in einem Punkt Desinformation:
Der beste Zeitpunkt ist vor einer Infektionswelle, die nicht – wie hier suggeriert – nur in der kalten Jahreszeit stattfindet, sondern temperaturunabhängig, wie die aktuelle Sommerwelle zeigt. Zwar sind die Sommerwellen meist etwas niedriger als die Herbst- und Winterwellen, aber nicht immer (Ausnahme: BA.5 2022). Deswegen rät Elling oben jetzt auch zu einem früheren Impfzeitpunkt.
Erstmals Kapitel zu PAIS in einem Lehrbuch für Allgemeinmedizin – leider nur im E-Book
Es gibt erstmals ein Kapitel zu PAIS (Postakute Infektionssyndrome), darunter auch LongCOVID und MECFS, in einem Lehrbuch für Allgemeinmedizin:
Hoffmann K. Postakute Infektionssyndrome und Erkrankungen, In: Zelko E et al. (Hrsg.). Lehrbuch für Allgemein-/ Familienmedizin. EBook. Trauner Verlag; 2024. ISBN 978-3-99151-341-4
Dieses Kapitel ist das Einzige im Lehrbuch, das ausschließlich in der E-Book-Version zu finden ist. Als Begründung wurde der Autorin Kathryn Hoffmann laut Twitter mitgeteilt, „weil es sehr lang und das Thema so dynamisch sei„. Nur: Das Kapitel habe 13 Seiten, andere in der Druckversion haben 20 und mehr Seiten. Das Thema PAIS gebe es bereits seit über 60 Jahren, leider immer von der Medizin sträflich vernachlässigt.
In der gedruckten Version fehlt außerdem ein Hinweis auf das Kapitel in der E-Book-Version (in der Leseprobe auf der Verlagsseite gibt es diesen Hinweis im Inhaltsverzeichnis, bezieht sich aber vmtl. aufs E-Book). Auf der Verkaufsseite fehlt ebenfalls ein dezidierter Hinweis, dass es hier ein zusätzliches Kapitel gibt.
Neurologe und MECFS-Experte Michael Stingl sprach von einem „Lehrbuchbeispiel“ wie man mit diesen Erkrankungen umgehen würde.
Wieder ein Artikel voller unschätzbar wertvoller Informationen! Danke!