Man glaubt immer wieder, es könnte einen nichts mehr überraschen, aber wie man in einer „Rückblicksdokumentation“ auf die Idee kommt, ausgerechnet Sprenger, Franz und Wenisch zu befragen, ist schon starker Tobak. Da reißt LongCOVID/MECFS-Experte Stingl die Sendung auch nicht mehr heraus, denn das Framing ist klar: Die Pandemie ist vorbei, Kinder können nicht schwer erkranken, Impfschäden werden LongCOVID-Folgen gleichgestellt und Prävention brauchen wir nicht.
Ehe ich auf die Sendung eingehe, ein kurzer Faktencheck zu den Rechtfertigungen Hanno Setteles auf Twitter, die Pandemie für beendet zu betrachten.
Behauptung: „WHO hat die Pandemie am 5.5. des Jahres für beendet erklärt. Und mit dem „endemischen Zustand“ ersetzt. Der auch arg genug ist, freilich. Aber: Es tut mir leid, dass ich Ihre – offenbar der WHO überlegene – Expertise nicht berücksichtigt habe. Was bildet Ihr Euch eigentlich ein?“
Wahr: „Auch wenn die gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite wohl vorüber ist, die Pandemie ist es sicher nicht“ (WHO Regionaldirektor für Europa, Hans Henri P. Kluge, 12.06.23)
Was hat die WHO am 05. Mai 2023 also getan:
„It is therefore with great hope that I declare Covid19 over as a global health emergency. However, that does not mean COVID-19 is over as a global health threat. Last week, COVID-19 claimed a life every three minutes – and that’s just the deaths we know about“. (WHO-Chef Tedros am 05.05.23)
und:
„The worst thing any country could do now is to use this news as a reason to let down its guard, to dismantle the systems it has built, or to send the message to its people that Covid19 is nothing to worry about.„
Genau das hat Österreich aber getan. Alle Schutzmaßnahmen beendet, das Testsystem abgebaut, die Meldepflicht abgeschafft und wiederholt behauptet, dass die Situation nun eine andere sei. Rauch hat nur für ein Fünftel der Bevölkerung pro Jahr Impfstoff beschafft, wenn Risikogruppen zwei Mal pro Jahr geimpft würden, sogar nur für ein Zehntel. Es gibt keine Impfstraßen mehr, sondern nurmehr Impfung bei niedergelassenen Ärzten, denen das Impfhonorar gekürzt wurde.
Wie ist Pandemie definiert?
Die Boston University definiert endemisch als “gewöhnliche Häufigkeit einer Krankheit an einem bestimmten Ort”. Eine Epidemie ist eine Zunahme der Häufigkeit über der endemischen Rate. Epidemie und Ausbruch sind synonym zu verstehen. Pandemie bezieht sich auf zahlreiche Epidemien weltweit. Auch das ist selbstverständlich noch erfüllt. Die Definition Pandemie hat übrigens nichts mit der Schwere der Erkrankung zu tun.
Settele: „Sind Sie mir böse, dass ich mich mit meinen Aussagen mehr an den Publikationen der Berliner Charité als an Ihnen Einschätzungen orientiere? Ich hoffe nicht.“ und zitiert eine Podcast-Folge mit der neuen Direktorin des Instituts für internationale Gesundheit und des Zentrums für Global Health an der Charité, Beate Kampmann.
Darin wird erneut die Falschaussage wiederholt, die WHO hätte die pandemische Phase als abgeschlossen erklärt und das Virus sei jetzt endemisch.
Weiters behauptet sie: „Und ob man da die Kinder schützen muss, ist noch eine ganz andere Frage, denn die Immunität, die man durch die Corona-Impfung induziert, bleibt ja nicht fürs ganze Leben. Da ist mehr die Frage, dass man die Leute schützen muss, die schwere Auswirkungen von dem Krankheitsverlauf hätten, und das sind in der Regel eher die Älteren. Es gibt noch keine Impfstoffe für Neugeborene. Das halte ich auch nicht für die Zielgruppe, mit der wir uns befassen müssen. Als Kindermedizinerin habe ich natürlich auch Fälle von COVID bei Kindern gesehen, aber in der Regel sind die alle sehr, sehr mild verlaufen. Und ich glaube, da haben wir ein paar andere Prioritäten.“
Das Interview ist vom 28.07.23, nicht vom Herbst 2020. In England starben mindestens 70 Kinder an Covid19, über 30000 mussten im Spital behandelt werden (Wilde et al. 2023). Zwei Übersichtsarbeiten zeigen eine Häufigkeit von 23-25% bei Kindern nach einer SARS-CoV2-Infektion, wobei ähnlich wie bei Erwachsenen Fatigue, Schlafstörungen, Atemnot, Geruchs- und Geschmacksverlust häufig und beständig sind (Lopez-Leon et al. 2022, Zheng et al. 2023).
Verschiedene Studien zeigen erhöhte Risiken für Folgeerkrankungen nach einer Covid19-Infektion, z.b. Roessler et al. (2022) oder Kompaniyets et al. (2022). Gestiegen ist vor allem das Risiko für akute Lungenembolie, Herzmuskelentzündung, venöse Thrombosen, Nierenversagen und Diabetes-Typ-1. Es kommt seit der Pandemie zu einem Anstieg von Typ-I- und II-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen (D’Souza et al. 2021, Weiss et al. 2023), wobei genetisch vorbelastete Kleinkinder ein deutlich erhöhtes Diabetes-Risiko aufweisen (Lugar et al. 2023), das Risiko für neue chronische (neurologische) Erkrankungen steigt durch eine Infektion um 78% (Chiara et al. 2023).
Unabhängig von der Symptomschwere der Akutinfektion kann sich das Virus im Körper für Wochen und Monate halten. Hier besteht kein Unterschied zu Erwachsenen (Buonsenso et al. 2023).
Kampmann war vor ihrer jetzigen Tätigkeit lange an der London School für Hygiene and Tropical Medicine, sie hat den „schwedischen Weg“ in UK durch Chris Whitty selbst mitbekommen. Ihre Aussagen waren schon davor umstritten:
„Je weiter wir mit der Impfung von Erwachsenen kommen, umso weniger benötigen wir die Impfung für Kinder.“ (26.03.21, Blick)
„Viele dieser Erscheinungen legen sich nach einer gewissen Zeit, das haben wir schon gesehen. Auch bei Kindern haben wir ja auch Long Covid erfahren. Da gibt es jetzt auch Studien, da bin ich mehr vertraut als bei den Erwachsenen, wo nach drei oder vier Monaten die Symptomatik dann auch einfach wieder weg war. Da ist viel einfach auch Begleiterscheinung von dem, was Leute während der Coronazeit erlebt haben„
Eine Verharmlosung körperlicher Folgen und Unterstellung psychischer Symptome durch Maßnahmen.
Was bedeutet endemischer Zustand?
Ein endemischer Zustand bedeutet nicht, dass Covid19 dadurch harmlos geworden ist (Aris Katzourakis, 24.01.22). Endemisch heißt, das eine Krankheit kontrollierbar ist oder unterhalb eines „akzeptablen“ Niveaus zirkuliert. Was akzeptabel ist, variiert von Ort zu Ort, über die Zeit, verglichen mit anderen Krankheiten, aber es gibt jedenfalls einen Schwellenwert. Bei einer schweren Erkrankung ist dieser Wert sehr niedrig, etwa bei der Pest, bei anderen sehr hoch, etwa bei Schnupfenviren. Endemisch heißt, wir müssen SARS-CoV2 dauerhaft überwachen und einschreiten, wenn die Fälle über das akzeptable Niveau ansteigen. Bei Influenza machen wir das auch. (Epidemiologin Ellie Murray, 21.01.22)
Die österreichische Regierung hat – ohne die Bevölkerung über die Folgen aufzuklären – entschieden, dass die derzeitigen Hospitalisierungs-, Todes- und LongCOVID-Raten ein akzeptables Niveau sind, mit dem wir leben können. Ganzjährig erhöhte Krankenstände, Arbeitskräftemangel in allen Bereichen, besonders aber in Bildung und Gesundheit zählen jetzt zur Normalität „nach der Pandemie“. So ehrlich müsste man sein.
Settele: „Einen klügeren, reflektierteren und erfahreneren „Meinungsmacher“ als Primar Wenisch gibt es in der Behandlung von Covid19 wohl kaum in Österreich. Wie kommt er dazu, dass Sie – Expertise Lebensmitteltechnologie – ihn so verunglimpfen? WAS WISSEN SIE? Heraus damit! Hier, jetzt!„
Gesammelte Aussagen von Wenisch die letzten Jahre:
Verschwunden ist die Seuche jedenfalls nie, so das Resümee des medizinischen Direktor des Zentrums für Infektionskrankheiten in Vancouver, Kanada, Dr. Brian Conway:
„And probably we didn’t make it clear enough that COVID was never gone and none of us who work in the field had an expectation that COVID would be gone. So, it’s here, it never left.“
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