Ein leichter Aufwärtstrend ist erkennbar, aber noch weit unter den vergangenen Wellen, Stand 01. Juni 2024

Derzeit bewegt sich die Anzahl der Neuinfektionen pro Tag geschätzt bei rund 8000. Hoppala, das klingt viel. Im April waren es rund 4000. Wie kommen diese Inzidenzen zustande, wo es schon seit letztem Jahr keine repräsentativen PCR-Tests mehr gibt? Sie basieren auf den repräsentativen Kohorten der ONS/UKHSA (Winter CIS) und der Uni Mainz (SentiSurv RLP), die auch für die Schweiz herangezogen werden. Die Abwasserwerte könnten die realen Inzidenzen ein wenig unterschätzen, was an bestimmten Mutationen seit der BA.5-Welle liegen könnte (Endo et al. 2024). Da SARS-CoV2 in Österreich nicht mehr meldepflichtig ist und Krankenhausdaten stark zeitverzögert aufschlagen, fällt der Wiederanstieg womöglich erst nicht auf – außer, dass die Krankheitswellen wieder zunehmen und Genesungsphasen länger dauern als bei anderen zirkulierenden Viren.

Verantwortlich für die möglicherweise beginnende Sommerwelle sind nicht mehr die bis dato gewachsenen JN.1+FLiRT-Varianten mit den beiden kennzeichnenden Spike-Mutationen F456L und R346T, sondern KP.2 (zusätzlich V1104L) und KP.3 (ohne R346T, mit Q493, deutlich erhöhte ACE2-Bindung). Damit ist aber noch das Ende der Mutationsfahnenstange für dieses Jahr erreicht. Einen Wachstumsvorteil gegenüber KP.3/KP.2 weisen nun Varianten wie LB.1 auf, die neben FLiRT durch eine Deletion gekennzeichnet sind (hier: S:∆S31). LB.1 dürfte ab Mitte Juni in den USA dominant werden. Ihr Anteil steigt weltweit sehr schnell. Auch Rekombinanten von LB.1 mit KP.3/KP.2 wurden schon beobachtet.

Mein uneducated guess ist mit dem jetzigen Stand, dass die Infektionszahlen weiterhin langsam steigen werden, wobei unklar bleibt, wie groß der Einfluss der vermehrten Reisetätigkeit durch die Fußball-EM Mitte Juni bis Mitte Juli sein wird. Richtung August dürfte sich dann wieder die Reiserückkehrer-Aktivität bemerkbar machen. Wie hoch die Sommerwelle ausfällt, traue ich mir aber nicht zu sagen. Molekularmediziner Emanuel Wyler ist sich da auch nicht sicher.

Präventionsdilemma

Es gibt derzeit keinen Schutz vor Infektionskrankheiten, egal ob Masern, Corona, Keuchhusten, Rhinoviren, aber auch Streptokokken und andere langwierige Erkrankungen, die mit einfachen Infektionsschutzmaßnahmen verhindert, zumindest aber verringert werden könnten. Denn, wie ich einmal an einem öden Nachmittag mit ein bisschen Google-Recherche herausfand, auch Rhinoviren, humane Coronaviren, Influenza, RSV, „Sommergrippe“ und Parainfluenza können über Aerosole übertragen werden (siehe unten unter „Evidenz für airborne transmission auch bei anderen respiratorischen Erregern“).

Es wird keine allgemeine Maskenpflicht mehr geben, bis wieder eine neue Pandemie völlig überraschend über uns hereinbricht. Ein ganz heißer Kandidat hierfür ist das aktuell vor allem in den USA grassierende Vogelgrippevirus H5N1, das in Kühen endemisch geworden ist, auf Katzen, Alpakas und andere Säugetiere übertragbar ist und auch erste Fälle beim Menschen beobachtet wurden, die erstmals Symptome der oberen Atemwege aufweisen. Virologen und Epidemiologen wie Michael Mina, Isabella Eckerle, Florian Krammer oder Adam Kucharski, die bereits in der SARS-CoV2-Pandemie vielfach seriöse Einschätzungen getroffen haben, warnen bereits davor, dass wir am Beginn einer neuen Pandemie stehen könnten. Dagegen hat die Bevölkerung keine Immunität vorzuweisen. Es gibt zwar Impfstoffkandidaten, aber hier beginnt das Dilemma:

Public Health besteht seit der SARS-CoV2-Pandemie offenbar nurmehr aus Impfempfehlungen, und selbst die beziehen sich nurmehr auf eng gefasste Risikogruppen, wozu laut deutscher Impfkommission STIKO Kinder und Schwangere NICHT dazu zählen. Gesunde Personen unter 60 Jahren sollen laut ihren Vorstellungen keine Impfung mehr bekommen. In Neuseeland kann sich hingegen jeder über 30 Jahre halbjährlich impfen lassen. Der ganze Irrtum, nur noch einer kleinen Bevölkerungsgruppe eine weitere Auffrischimpfung zu empfehlen, basiert auf der Ignoranz der Langzeitfolgen, wovon es mittlerweile Unmengen an Studien gibt. Gerade für die erwerbsfähige Bevölkerung im produktivsten Alter (25-50) ist der Schutz vor Reinfektionen aus ökonomischer Sicht besonders wichtig. Doch nicht nur Erwachsene sind betroffen, auch Kinder leiden unter Spätfolgen – sie haben gleichzeitig das höchste Reinfektionsrisiko durch das wöchentliche Zusammentreffen in schlecht belüfteten Räumen mit 25-30 anderen Haushalten. In den Risikogruppen stieg die Übersterblichkeit im letzten Winter durch die große JN.1-Welle deutlich an, z.B. in Österreich, Deutschland, Schweden und Kanada.

Derzeit haben wir einen XBB.1.5-Impfstoff, der wahrscheinlich noch gut bei den neuen Varianten wirkt, weil sich diese nur in wenigen Mutationen von der Muttervariante JN.1 unterscheiden. Doch bis zur Zulassung eines auf JN.1 angepassten Impfstoffs im September oder Oktober 2024 vergehen noch gut 3-4 Monate, und dann dominiert möglicherweise eine Variante, die sich wieder deutlicher von JN.1 unterscheidet. Wir wissen das schlichtweg nicht. Doch selbst im besten Fall, dass der angepasste Impfstoff hochwirksam ist und z.B. wie der monovalente XBB.1.5-Impfstoff jede zweite Infektion verhindern kann, was nützt der beste Impfstoff, wenn ihn kaum einer will?

Es mag zwar tröstlich sein, wenn die Experten von den Dächern pfeifen, dass mit steigender Impfrate das LongCOVID-Risiko abnimmt, möglicherweise Schwere und Dauer verkürzen, mit Sicherheit aber Folgen wie Thrombosen, Herzmuskelentzündungen, Herzkreislauferkrankungen, Diabetes verringern. Doch wer profitiert davon? Bei einer Boosterrate von unter 10% sind auch etliche von der Risikogruppe ungeimpft, obwohl ihnen ausdrücklich eine Impfung empfohlen wurde.

Das Narrativ vom milden Corona, das nurmehr ein grippaler Infekt oder gar eine weitere Erkältungskrankheit sei, sorgt eben für eine stetige Verharmlosung, die auch bei den Risikogruppen-Angehörigen nicht spurlos vorübergeht. Schwere akute Lungenverläufe sind nicht mehr das Thema, aber SARS-CoV2 sorgt eben auch im restlichen Körper mit Zeitverzögerung für erhebliche medizinische Probleme. So ist selbst drei Jahre nach einer milden Infektion das Risiko für bestimmte Organschäden, Magendarm-Erkrankungen und Störungen des Nervensystems noch erhöht, bei hospitalisierten Patienten beobachtet man ein deutlich erhöhtes Sterberisiko. Im Gehirn beobachtet man auch nach leichten Infektionen kleine strukturelle Veränderungen, die zu kognitiver Beeinträchtigung, Geruchsstörungen und ausgeprägter Erschöpfungsmüdigkeit führen können (Zhang et al. 2023, Cai et al. 2024, Hosp et al. 2024).

Davon liest man aber in Zusammenhang mit neuen Varianten und potentiellen Frühlings- oder Sommerwellen herzlich wenig (ebenso nicht im oben verlinkten Tagesspiegel-Artikel). Es kommt dabei gar nicht so sehr auf die jeweilige Variante und einzelne Mutationen an, als auf das steigende Risiko einer Reinfektion, da vorherige Impfungen und Infektionen keine ausreichende Immunität gegen neue Varianten erzeugen.

Alles auf die Impfkarte zu setzen, wird also nicht funktionieren, wenn weiterhin nicht ehrlich über das anhaltende Gefahrenpotential durch SARS-CoV2 und LongCOVID/MECFS aufgeklärt wird. Denn nur aufgrund einer geringen Wahrscheinlichkeit für einen schweren Verlauf wird man die Bevölkerung nicht mehr zur Boosterimpfung bewegen können.

Dann bleiben andere Schutzmaßnahmen wie Maske tragen, Lufthygiene betreiben mit Lüften und Luftreinigern, Homeoffice und erhöhter Kündigungsschutz im Krankenstand, wo es eher mau ausschaut, vor allem in Österreich. Gerade in den Schulen durch den ständigen Leistungsdruck darf bloß kein Schultag und keine Schularbeit verpasst werden. Also schickt man kranke Kinder in die Schule. Die stecken die Lehrer an, woraufhin Stunden ausfallen oder Ersatzlehrer einspringen müssen, die sich dann auch wieder anstecken. Die hohe Zahl der Unterrichtsausfälle seit dem Ende der Schutzmaßnahmen hinterfragt leider keiner in Verantwortung.

Leider ist nicht zu erwarten, dass sich daran auf absehbare Zeit etwas ändern wird.

Wahlen

Der Grund dafür sind die anstehenden Wahlen. Am 9. Juni wird ein neues Europa-Parlament gewählt. In mehreren Bundesländern von Deutschland finden gleichzeitig Kommunalwahlen statt. Im Herbst folgen Landtagswahlen in Ostdeutschland und Nationalratswahlen in Österreich. Bei allen Wahlen droht ein deutlicher Rechtsruck. Die rechtsextremen Parteien setzen erneut Corona auf ihre Agenda, um den etablierten Parteienregierungen einen Denkzettel zu verpassen. In Österreich haben sich nach der MFG 2021 mit DNA und Liste Petrovic zwei weitere Pandemieleugner-Parteien gegründet.

Keine Partei fasst das heiße Eisen Corona mehr an, geschweige denn Empfehlungen für Schutzmasken, von denen wir dank einer umfangreichen Studie nun erneut schon wieder wissen, dass MASKEN WIRKEN (Greenhalgh et al. 2024). Die SPÖ forderte mit der zweiten Presseaussendung seit Dezember 2023 zwar erneut saubere Luft in Klassenräumen, aber geht auf ihren Veranstaltungen und Räumlichkeiten nicht mit gutem Beispiel voran. Einzelne Gewerkschaften wie die unabhängige Lehrergewerkschaft setzen sich ein, andere Gewerkschaften ignorieren das Problem und verweisen gemeinsam mit der Arbeiterkammer auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Der hält sich wiederum an die geltenden, aber leider veralteten Gesetze, und sagt: Was genau wird jetzt kritisiert? Wir halten uns eh an die Vorschriften. Und damit endet dann die Einflussnahme als Gewerkschaftsmitglied. In Wien, einer Stadt mit knapp 2 Mio. Einwohnern, wo die SPÖ regiert, werden Eltern aktiv daran gehindert, selbst gezahlte Luftreiniger in Kindergärten und Schulen aufzustellen. Die Wiener Linien können sich zu keiner Masken-Empfehlung durchringen, selbst zu den schwersten Corona- und Grippewellen nicht. In Spitälern, Kuranstalten und anderen Kliniken, ja im gesamten Gesundheitswesen, wenn man keine aufgeklärten Haus- und Fachärzte kennt, ist man gegen Infektionen schutzlos ausgeliefert – spätestens dann, wenn man wegen einer Untersuchung die Maske abnehmen muss.

Seit April werden Schnelltests beim Hausarzt nicht mehr gezahlt, die aber Voraussetzung sind, um z.B. an Paxlovid zu kommen. Ab 15. April hätten sie für Hochrisikopatienten weiterhin gratis sein sollen, es gab aber keine Einigung zwischen Ärztekammer und Sozialversicherungsträger. Mit Stand Juni 2024 sind Schnelltests weiterhin kostenpflichtig.

In eigener Sache

Ich habe mich Ende April im Zuge einer Schulung beinahe erwartungsgemäß mit einem Virus infiziert (nicht SARS-CoV2) und kämpfte insgesamt 25 Tage mit den Folgen („Hyperreagibilität des Bronchialepithels“, alias trockener Reizhusten). Seitdem trage ich die FFP3-Maske wieder ein wenig konsequenter in allen Öffentlichen Verkehrsmitteln und beim Einkaufen. Auf weitere Indoor-Lokalbesuche habe ich seitdem verzichtet, mit Ausnahme unserer Kantine zu Randzeiten, wo ich weiß, dass die Lüftungsanlage sehr effizient ist (niedrige CO2-Werte). Mit gereizteren Schleimhäuten ist es nämlich erst recht wichtig, sich nicht anzustecken, das gilt auch nach anderen schweren Infekten mit Lungenbeteiligung, wo z.B. noch längere Zeit Cortison inhaliert werden muss (medikamentöse Immunsuppression) – gerade dann sollte man Maske tragen statt zu denken „juhu, jetzt bin ich immun“. Gegen Rhinoviren gibt es wegen rund 100 Subtypen übrigens keine nennenswerte Immunität. Etwas defensiver bin ich schon alleine aus dem Umstand, dass ich im Juni noch einen Wanderurlaub habe und mir diesen nicht vermiesen will.

Letzter Programmpunkt:

Bitte geht wählen, auch wenn es keine Partei gibt, die Eure wichtigsten Themen abdecken. Für mich sind das z.B. diese hier:

Vier große Themen, die die nationalen und europäischen Wahlen beherrschen

In Österreich ist das eine Qual der Wahl, die mir nicht leicht gefallen ist. Als Auslandsdeutscher darf ich jedoch ohnehin nurmehr bei der EU-Wahl und auf Bezirksebene in Wien wählen. Ich musste mich also entscheiden, was mir wichtiger ist – eine fast unmögliche Wahl. Auf EU-Ebene geht es um viel, ein Rechtsruck muss unbedingt verhindert werden. Daher – wählt das kleinste Übel, wählt vernünftig. Auch wenn uns in der Pandemie viele Parteien verraten haben, ist immer noch eine Steigerung möglich. Die engagierte Aufklärungsarbeit von Lufthygiene-und Selbsthilfe-Aktivisten war sonst für nichts, mit einem Rechtsblock wird man nichts durchsetzen können, mit sozialdemokratischen Parteien besteht zumindest eine minimale Chance, an eine Art von Gewissen appellieren zu können, in der Hoffnung, die tiefsitzende Esoterik in diesem Land irgendwann überwinden zu können.

Update, 04.06.24 – Weltweite Anstiege

Nach wie vor für einen möglichen Einflussfaktor halte ich die kommende EM 2024 in Deutschland, siehe Delta-Welle ab Juli 2021 (Schottland: Marsh et al. 2021, Italien: Zeitungsbericht, Europaweit: Casini & Roccetti 2021)

Mutmaßlich KP.2/KP.3 sind nach den neuesten Meldungen jetzt für teilweise starke Anstiege verantwortlich, z.B. in …

California, San Fransisco

Quelle: @CovidDataReport

Belgien:

KU Leuven, Quelle: @ELwollants (Virologie)

Spanien meldet ebenfalls steigende Infektionszahlen, so wie

Portugal:

Quelle – auch wenn ich den Graphen dort nicht finde (unter Vorbehalt, ich kann kein portugiesisch)

Auch das neueste Update des österreichischen Sentinelsystems zeigt nun einen leichten Anstieg von SARS-CoV2 (auf 5,4%), dominant sind weiterhin Rhinoviren (14%). Einschränkung: Nur 56 Einsendungen feiertagsbedingt.

Quelle: Judith Aberle, Leiterin der Virologie MedUni Wien (Twitter)

In Woche 22 sind laut wöchentlichem ECDC-Report europaweit die Zahl der positiven Tests bei Hausärzten auf 8% angestiegen, nach einer längeren Phase mit niedriger Aktivität.