Corona-Zitate von Infektiologe Wenisch (Klinik Favoriten) und Public-Health-Mediziner Sprenger (Uni Graz) sowie vom Sendungsverantwortlichen Settele (Dok1, ORF)

Am 20. September 2023 sendete der ORF die Dokumentation „Dok1 – Die verschwundene Seuche“ von Hanno Settele über SARS-CoV2. Ich schrieb am Folgetag einen ausführlichen Faktencheck zum Beitrag. In meinem Blogtext bin ich zudem darauf eingegangen, wie Settele auf Kritik an der Sendung reagiert hat – mit ad hominem-Angriffen und völlig uneinsichtig, als man auf die WHO-Statements zur Pandemie verwiesen hat.

Aufgrund dieser Uneinsichtigkeit schrieb ich an den ORF-Publikumsrat eine Beschwerde und begründete diese ausführlich. Ich unterlegte alle kritischen Kommentare mit mehreren Quellen/Fachliteratur, um meinen Standpunkt zu untermauern – schließlich bin ich kein Mediziner oder Biologe, und man glaubt mir nicht einfach so alles, nur weil ich es studiert habe (/end sarcasm). Lange geschah überhaupt nichts und ich hatte schon den Eindruck, man würde meine Anfrage ignorieren – am 31. Jänner 2024 kam schließlich die Stellungnahme vom Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses, welche die Beschwerde als unbegründet abwies.

Sowohl die formale als auch inhaltliche Beantwortung meiner Beschwerde ist in meinen Augen skandalös , weswegen ich diese öffentlich mache: Schließlich finanziert der Steuerzahler in Österreich den ORF- seit 2024 mit einer allgemeinen Haushaltsabgabe. Es ist also auch im Interesse des Bürgers und der Bürgerin, dass die journalistische Qualität und die Standards im ORF eingehaltet werden. Denn wie mit Beschwerden und Anregungen umgegangen wird, hat auch Einfluss darauf, wie künftig überhaupt noch Kritik geübt werden kann und Verbesserungen möglich sind. Derzeit kann man das an den ORF-Kundendienst oder beim Pubikumsrat tun (Kontaktadressen).

Erst hinterher hab ich mich damit auseinandergesetzt, wie der Publikumsrat besetzt wird und wer für die Beantwortung von Beschwerden zuständig ist. Derzeit weisen 14 von 30 Mitgliedern im Publikumsrat ÖVP-Nähe auf. Das einzige Mitglied mit einem medizinisch-naturwissenschaftlichen Hintergrund ist der Internist Dr. Siegfried Meryn. Im Beschwerdeausschuss sitzt gar kein Naturwissenschaftler, dafür gilt der Vorsitzende Bernhard Wiesinger als Leiter der ÖAMTC-Interessensvertretung als ÖVP-nah und die stellvertretende Vorsitzende Barbara Nepp wurde von der FPÖ entsandt.

Das ist – diplomatisch formuliert – nicht übermäßig demokratisch, den staatlichen Rundfunks durch Regierungsfunktionäre oder parteinahe Personen kontrollieren zu lassen, wenn es um Sendungen geht, die die Regierungs- und Oppositionsarbeit etreffen. Es hat jedenfalls wenig mit Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Medien zu tun – und zwar egal, von welcher Partei die Personen kommen.

Formale Beantwortung

„Infolge Ihrer Beschwerde hat der Sendungsverantwortliche die interviewten Ärzte um schriftliche Stellungnahme gebeten.“

Cui bono?

Man hätte eine Stellungnahme von Dritten einholen müssen, die kein Naheverhältnis zu den interviewten Ärzten haben oder aus anderen Gründen befangen sein konnten.

  • Auf die mitgelieferten Literaturhinweise meiner Beschwerde ist niemand eingegangen
  • Die schriftlichen Stellungnahmen der interviewten Ärzte enthalten keine Belege in Form von Literaturhinweisen.
  • Kein Arzt ist auf Spätfolgen einer SARS-CoV2-Infektion eingegangen, weshalb Infektionsvermeidung sinnvoll war und ist.
  • Die kritisierten Aussagen in der Dok1 wurden erneut bekräftigt und um weitere Desinformation ergänzt.
  • Meinungen werden als Fakten präsentiert und geben nicht den wissenschaftlichen Mehrheitskonsens wieder.
  • Die politische Nähe von Franz zur FPÖ (er ließ Kickl durch eine Blutabnahme bestätigen, dass er nicht geimpft sei, und war Kandidat für eine FPÖ-Ärzteliste in Niederösterreich 2017) und die Bereitschaft von Sprenger, rechtsextremen Medien (Auf1) Interviews zu geben, sich von Kickl zitieren zu lassen, in Impfgegner-Filmen mitzumachen („Eine andere Freiheit“ – gemeinsam mit AIDS-Leugner Fiala und Verschwörungsideologin Guerot) und sich von radikalen Impfgegnern zitieren zu lassen, wird vom Sendungsverantwortlichen offenbar als nicht relevant genug erachtet

Die inhaltliche Entgegnung wurde abgeschlossen mit folgender Begründung für die Abweisung der Beschwerde:

In der Diskussion im Rahmen des Beschwerdeausschusses gab der Sendungsverantwortliche zu bedenken, dass es ein sehr großes Feld sei und man mittlerweile zu jeder Behauptung eine Gegenstudie finden könne.

Das ist eine klassische Argumentation von Leugnern wissenschaftlicher Fakten, auch False Balance genannt. Darauf bin ich auch im letzten Absatz meiner Beschwerde eingegangen:

Wenn einer sagt, es stürmt und schneit, und ein anderer, es ist trocken und scheint die Sonne, kann man nicht sagen, dass man ausgewogen berichtet. Dann muss man eben aus dem Fenster sehen und schauen, wie es wirklich ist – da kann nur einer von beiden richtig liegen.

Ralph Janik, Lehrbeauftragter für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen vor kurzem auf Twitter:

„Von radikalen Impfgegnern bis hin zu russischer Propaganda: Wir alle müssen endlich lernen, Blödsinn offen und öffentlich als Blödsinn zu bezeichnen. Müll als Müll. Lüge als Lüge. Nix mit „das kann man so sehen und so sehen“. Manche Dinge kann man nur so sehen. Verblödung und politische Verantwortungslosigkeit haben reale Auswirkungen [Vaccine Hesitancy]. Das ist halt alles kein Spaß for ach so lustige Talkshows mit irgendwelchen halbgebildeten Wissenschaftsfeinden mehr. Noch was, das wir kollektiv lernen müssen: Meinung von Fakten unterscheiden. Ob, zB, die Welt eine Scheibe oder die Impfung gegen Masern sinnvoll und wichtig ist hat nichts mit ersterem und so zirka alles mit Zweiterem zu tun.“

„Im Herbst 2023 seien die Datenlage und der Wissensstand zu Covid19 natürlich ein anderer gewesen als zu Beginn oder in den früheren Stadien der Pandemie. Die Sendung habe sich aber genau mit dem Verlauf der Pandemie und den sich daraus ergebenden Verwerfungen innerhalb unserer Gesellschaft beschäftigt. Mit dem heutigen Wissen würden die handelnden Personen Sachverhalte anders beurteilen und das eine oder andere anders formulieren. Die Mitglieder des Beschwerdeausschusses haben sich dieser Argumentation angeschlossen und waren der Meinung, dass der Beitrag in keine Richtung tendenziös sei.“

Die Datenlage ergab schon im Herbst 2020 ein klares Bild über die Übertragungswege, zum Beitrag der Kinder und Jugendlichen am Infektionsgeschehen, zunehmende Berichte und Studien zu Langzeitfolgen von SARS-CoV2 (die von den interviewten Ärzten mit keinem Wort erwähnt werden) sowie klare Aussagen darüber, was zu spätes Handeln und Überlastung des Gesundheitswesens für Folgen haben würde.

Daraus ergeben sich eben NICHT die Schlussfolgerungen der interviewten Ärzte, dass andere Interessen zu wenig berücksichtigt wurden, dass die Schulschließungen ein Fehler waren und dass das Virus immer harmloser geworden wäre.

Datenlage und Wissensstand sind das eine, Wahltermine und Populismus das andere.

man ließ die doch recht zahlreichen kritischen Stimmen einfach zu wenig zu Wort kommen (Das hat übrigens auch Hanno Settele sinngemäß bei der Vorbesprechung zum gegenständlichen Interview gesagt). 

Marcus Franz in der schriftlichen stellungnahme (s.u.)

Settele vertrat hier offenbar die Meinung der „kritischen Stimmen“, die er mit Wenisch, Sprenger und Franz zu Wort kommen lässt. Auf ihre eklatanten Fehleinschätzungen und -aussagen in den letzten Jahren hat Settele diese nicht angesprochen (siehe Beispiele in der Titelgrafik). Ich nenne das tendenziös.

Inhaltliche Kritik

Rot eingefärbt meine Beschwerde, die in der Beantwortung angeführt wurde.

Pandemische Phasen laut WHO (2009)

Wir befinden uns klar nicht mehr in der akuten Phase (5-6), sondern bereits nach dem Höhepunkt, aber noch (?) nicht mit saisonalen Verläufen. Es handelt sich also um die post-akute Phase der Pandemie, aber noch nicht „nach der Pandemie“.

Settele: Wenisch folgt damit den Aussagen der GesundheitsministerInnen Österreichs, Deutschlands, Schwedens und weiterer mehr als 100 Staaten.

Wenisch: Meine Aussage bezog sich darauf, dass wir im Falle von COVID19 vom Zustand einer Pandemie in den Zustand einer Endemie gekommen sind. Das bedeutet: Patient*innen werden saisonal und dauerhaft von der Viruserkrankung betroffen sein. Glücklicherweise haben wir mittlerweile Therapieoptionen zur Verfügung.

Gesundheitsminister sind Politiker. Politiker können keine Pandemie beenden. Die Pandemie ist vorbei, wenn die Daten zeigen, dass die Pandemie vorbei ist, und nicht, wenn Regierungen sich damit nicht mehr beschäftigen wollen.

It is therefore with great hope that I declare Covid19 over as a global health emergency. However, that does not mean COVID-19 is over as a global health threat. Last week, COVID-19 claimed a life every three minutes – and that’s just the deaths we know about“. (WHO-Chef Tedros am 05.05.23)

„Auch wenn die gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite wohl vorüber ist, die Pandemie ist es sicher nicht“ (WHO-Europa-Regionaldirektor Kluge am 12.06.23)

Die Pandemie wurde von der WHO nicht beendet, sondern die Internationale Gesundheitsnotlage. Das haben führende WHO-Mitarbeiter im gesamten letzten Jahr betont. Die letzte Welle mit der Virusvariante JN.1 hat eindrucksvoll gezeigt, dass die Pandemie nicht vorbei ist – die Variante hat sich innerhalb von 2,5 Monaten weltweit ausbreitetet und neue Wellen angetrieben, unabhängig von der Jahreszeit.

Das Virus ist daher – anders als Wenisch hier behauptet – nicht saisonal, aber auch nicht endemisch, denn die Viruszirkulation ist weder lokal/regional begrenzt noch auf niedrigem Niveau.

Was Wenisch hier als Intensivmediziner wohl meint, sind Therapieoptionen bei schweren Verläufen, die in der post-akuten Phase der Pandemie glücklicherweise seltener vorkommen, weil die Bevölkerungsimmunität durch Impfung und überstandene Infektionen gestiegen ist. Es gibt jedoch keine Therapieoptionen gegen LongCOVID generell oder die chronifizierte Form MECFS.

Therapieoptionen wie Paxlovid werden kaum verschrieben und seit Februar 2024 nur nach Vorlage eines positiven Tests. Das Medikament beugt aber nur dann am effektivsten schweren Akutverläufen vor, wenn es so früh wie möglich ab Infektionszeitpunkt gegeben wird (Wong et al. 2023).

Auch 2023 gab es eine weltweite Übersterblichkeit von 3,2 Millionen Toten (Economist)

Wenisch: Ich setze COVID-19 Erkrankungen auch nicht mit anderen Viruserkrankungen gleich, sondern erkläre lediglich, dass COVID-19 wie andere Infektionserkrankungen dauerhaft ein Thema bleiben wird, mit dem wir umgehen müssen.

Die WHO hat zu „dauerhaftes Thema und Umgang damit“ ein klares Statement am 5. Mai 2023 getroffen:

„This virus is here to stay. It is still killing, and it’s still changing. The risk remains of new variants emerging that cause new surges in cases and deaths. The worst thing any country could do now is to use this news as a reason to let down its guard, to dismantle the systems it has built, or to send the message to its people that covid-19 is nothing to worry about.” (Tedros, 05.05.23)

Österreich hat exakt das Gegenteil getan. Es hat die Meldepflicht abgeschafft, alle Schutzmaßnahmen beendet und sammelt auch keine Daten mehr über die Sterblichkeit durch SARS-CoV2. Es wird kaum noch getestet und LongCOVID-Ambulanzen wurden geschlossen. Es wird wiederholt behauptet, es sei nun eine Erkältungskrankheit.

Mehrere Studien zeigen eine 4-5x höhere Sterblichkeit von SARS-CoV2 in der Omicron-Ära gegenüber Influenza, bzw. eine viel größere Belastung des Gesundheitssystems durch LongCOVID als durch Spätfolgen nach Influenza.

SARS-CoV2 kann daher nicht wie andere Infektionskrankheiten behandelt werden.

Settele behauptet nicht, dass die Zeit der Akutverläufe vorbei sei. Settele verweist auf jene Zeiten, als in der Klinik Favoriten Dutzende, wenn nicht hunderte Menschen Woche für Woche ob Covid-19 in Lebensgefahr schwebten und dort intensivmedizinisch behandelt werden mussten.

Wenisch antwortet: „Richtig ja, das ist vorbei.“

In der JN.1-Welle wurden pro Woche laut SARI-Dashboard zu Spitzenzeiten 50-60 Patienten auf die Intensivstation aufgenommen.

Die Zeit der Akutverläufe ist nicht vorbei, sondern der Höhepunkt ist überschritten. Es kommen aber weiterhin, vor allem ältere Menschen, ins Spital, die den Impfempfehlungen nicht folgen und vom Hausarzt kein Paxlovid bekommen.

50-60 Patienten pro Woche, die in der letzten Welle intensivmedizinisch behandelt werden mussten sind nicht nichts, zumal sie im Gegensatz zu den ersten Jahren jetzt gemeinsam mit anderen Viren auftreten. Patienten mit schwere Verläufen haben ein höheres Risiko für Spätfolgen sowie eine verringerte Lebenserwartung. Ältere Menschen mit Grunderkrankungen werden durch einen schweren Covid19-Verlauf noch kränker (Cohen et al. 2022).

Übersterblichkeit 2020 bis 2024, verglichen mit den Jahren vor der Pandemie (inklusive Influenza-Tote!) in Österreich, Deutschland und Schweden, Stand 31.12.2023 (Our World in Data)

Und es sterben auch nach wie vor Menschen an SARS-CoV2. In Österreich aufgrund der katastrophalen Impfrate deutlich mehr als in anderen Ländern.

Stellungnahme Dr. Sprenger: Die Aussage ist korrekt. Die Frage bezieht sich auf die aktuellen Varianten von SARS-CoV-2. Das Erkrankungs- und Sterberisiko der aktuellen Varianten von SARS-CoV-2 sind vergleichbar mit anderen respiratorischen Viren, wie z.B. den vier bereits endemischen Coronaviren, Influenzaviren für ältere Menschen (auch aufgrund der Impfung), oder RS-Viren für Säuglinge.

Diese Aussage ist falsch, das gilt auch für die aktuellen Varianten – siehe Übersterblichkeit 2022 und 2023, siehe Spätfolgen. Sprenger bezieht sich ausschließlich auf Akutverläufe. Damit wird ein wesentlicher Teil der Krankheitslast von SARS-CoV2 unterschlagen.

Gewöhnliche Coronaviren lösen kaum Spätfolgen aus. Zudem ist SARS-CoV2 kein respiratorisches, sondern ein multisystemisches Virus (Varga et al. 2020). Die britische Heart Foundation erläutert ausführlich, wie Corona die Gefäße schädigt (BHF 2023). Viele Studien haben seitdem diese Erkenntnisse untermauert, dass Gefäßerkrankungen und Thrombosen für zahlreiche Symptome verantwortlich sind (Libby and Lüscher 2020, Lei et al. 2021, Wygrecka et al. 2021, Spudich and Nath 2022).

Epidemiologe Robert Zangerle:

„Bei der ILI-Aktivität dominierten die Grippeviren, auch in den Notfallambulanzen war der Anteil der Grippekranken höher als der Anteil der Covidkranken, aber bei den Aufnahmen ins Krankenhaus überwog Covid gegenüber Grippe; noch deutlicher fiel dieses Verhältnis bei den Todesfällen aus. Die Todesfälle durch Covid sind nur noch ein Bruchteil dessen, was sie vor 2-3 Jahren waren, aber es sterben an Covid immer noch viel mehr Menschen als an Grippe.

(Seuchenkolumne, 19.01.24)

Settele: „Also keine Notwendigkeit mehr für Lockdowns und ähnliches?

Settele: Das ist eine Frage gewesen und keine Aussage.

Und meine vollständige Kritik war: Das ist eine manipulative Frage gewesen, denn niemand fordert heute mehr Lockdowns. Public-Health-Mediziner mit Fokus auf Prävention kennen längst gelindere Maßnahmen, die Infektionszahlen reduzieren, z.B. Umrüstung von Gebäuden mit modernen Raumabluftanlagen, Luftreiniger und anderer Technologie, um die Luft in Innenräumen frei von Viren zu halten, z.B. beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2023, wo keine Kosten für modernste Schutzmaßnahmen gescheut wurden.

(Zitat Sprenger: „Ich glaube, wir müssen diese Scheinwerfer abschalten. Weil wenn wir jedes Mal genau wissen wollen, welche Bakterien in uns und auf uns sind und welche Viren gerade um uns sind oder auf uns sind, dann machen wir uns nur verrückt.“)

Stellungnahme Dr. Sprenger: Ich weiß nicht, was genau die Frage von Hanno Settele war, auf die sich meine Antwort bezieht. Faktum ist, wir haben mehr bakterielle Zellen und Viren in und auf uns, als wir eigene Körperzellen haben (das menschliche Biom besteht aus ungefähr 40 Billionen Bakterien und das menschliche Virom besteht aus zirka 400 Billionen Viren). Meine Aussage bezieht natürlich nicht auf indizierte medizinisch-diagnostische Tests bei denen gezielt auf bakterielle und virale Infektionen getestet wird.

Die Frage war: „keine Notwendigkeit mehr für Lockdowns und ähnliches?“

Den letzten Satz seiner schriftlichen Stellungnahme hat er im Interview weggelassen. So suggeriert es, dass nicht mehr getestet werden soll bei Symptomen von Infektionskrankheiten. Es macht aber einen Unterschied gerade für Patienten mit Risikofaktoren, ob sie Paxlovid oder Tamiflu erhalten sollen.

Settele: Internist Franz hat, wie viele Berufskollegen und -kolleginnen auch, hunderte infizierte Personen behandelt. Es war Ziel dieser Sendung, vermehrt Gelehrte aus der Praxis einzubauen, um dabei einen Eindruck zu gewinnen, was sich in den Praxen abgespielt hat.

Das war nicht die Frage, sondern nach dem fachlichen Hintergrund, die epidemiologische Entwicklung des Virus beurteilen zu können. Auch Hausärzte behandeln hunderte von Corona-Patienten, aber gehen in der Regel nicht ins Fernsehen und orakeln, wann eine Virusvariante dominant wird und wie viele Personen sich in einer Welle infizieren („epistemic trespassing“). Das ist eine Frage, die man Virologen und Epidemiologen oder Molekularbiologen stellen kann, z.b. Judith Aberle, Florian Krammer, Andreas Bergthaler, Ulrich Elling, Dorothee von Laer, Redlberger-Fritz, etc. etc.

Franz ist Facharzt für Gastroenterologie und Onkologie, weder Infektiologe noch Epidemiologe.

Settele: Warum die Tatsache, dass Dr. Franz bei FPÖ-Chef Herbert Kickl eine Blutabnahme durchgeführt hat, dessen medizinischen Qualifikationen bestreiten soll, geht aus der Beschwerde nicht hervor. Wir haben Dr. Franz auch nicht nach seiner politischen Präferenz gefragt.

Meine vollständige Kritik war:

„Marcus Franz hat bei FPÖ-Chef Kickl eine Blutabnahme gemacht, damit Kickl beweisen konnte, dass er nicht geimpft sei. Ein politisches Naheverhältnis darf wohl angenommen werden.“

Kein seriöser Experte oder Mediziner würde den Chef einer Partei unterstützen, die die Pandemie leugnet, die Impfung schlechtredet und Werbung für ein nutzloses bzw. sogar schädliches Medikament macht. Franz hat selbst öffentlich behauptet, die Impfung würde das Immunsystem von Kindern schwächen.

Natürlich spielt die politische Präferenz bei seinen Aussagen eine Rolle.

The loss of virulence as viruses evolve is a common misconception“ (NERVTAG, 10.02.22)

Epidemiologe Zangerle: „Dass das Virus keinen Übertragungsvorteil hätte,
wenn es den Wirt töte, ist bei SARS-CoV-2 unzutreffend, vor allem weil die
meisten Übertragungen Tage bis Wochen, also relativ knapp vor dem Tod
passieren.
“ (16.02.22, Seuchenkolumne)

Molekularbiologe Elling: „Das Virus hat keinerlei „Interesse“ (=Selektionsvorteil) milder zu werden, denn Ansteckung passiert sowieso präsymptomatisch.“ (16.02.22, Twitter)

Stellungnahme Dr. Franz: Das beste und aktuellste Beispiel, dass respiratorisch übertragene Viren tendenziell harmlos werden, ist das Coronavirus selbst: die Omikron-Variante war der Gamechanger in der Pandemie, weil diese Mutation zwar ansteckender, aber viel weniger krankmachend ist als der Wildtyp bzw. die Ursprungsvariante.

Richtig ist: Die Virusvariante Omicron besteht aus zahlreichen (mittlerweile tausenden) Untervarianten, von denen nur die allererste – BA.1 – harmloser war als Delta, aber immer noch schwerer als der Wildtyp. Mit den nachfolgenden Varianten, die bei uns hohe Infektionswellen ausgelöst haben – BA.2, BA.5, XBB.1.5, EG.5.1 und JN.1 – ist die Krankheitsschwere wieder gestiegen.

Für Krebspatienten waren die Omicron-Varianten die tödlichste Welle, um 4% höhere Sterblichkeit als bei vorherigen Varianten (Potter et al. 2023). Die milderen Verläufe gab es vor allem durch Impfung und vorhergehende, überstandene Infektionen, das zeigt eine Studie, die die Übersterblichkeit bei Delta und Omicron vergleicht (Faust et al. 2022).

Es gab zwar deutlich weniger Krankenhausaufenthalte mit BA.1, aber aufgrund der höheren Übertragbarkeit war die Gesamtzahl höher (Wang et al. 2022). Mit BA.2 war die Viruslast doppelt so hoch wie bei BA.1 Lentini et al. 2022), die intrinsische Schwere war ähnlich hoch wie beim Wildtyp, die Impfung machte den Unterschied (Mesfin et al. 2022, Wong et al. 2023).

BA.4/BA.5 waren wieder pathogener als BA.1/BA.2 durch effektivere Unterdrückung der angeborenen Immunabwehr (Reuschl et al. 2024).

“Für das erste Halbjahr 2022 ist das Rätsel gelöst. Die hohe Sterblichkeit [in der Schweiz] kann zum grössten Teil mit den Auswirkungen der Omikron-Welle erklärt werden.” (NZZ, 29.04.23)

Die Entwicklung von SARS-CoV2 ist jedenfalls nicht vorhersehbar (Kun et al. 2023).

Auch Prof. Drosten bezeichnet COVID ja mittlerweile als Erkältungskrankheit.

Franz

Auch Prof. Drosten sollte seine Aussagen bzgl. Erkältungskrankheit begründen. So geht er in seinen Interviews ebenfalls nicht auf die Krankheitslast durch LongCOVID ein.

Wir sahen und sehen weiters seit vielen Jahrzehnten bei diversen Influenza-Epidemien, dass nach einer Saison mit einer sehr pathogenen Variante in den Jahren danach meist wieder harmlosere Typen nachkommen.

Franz

Und danach kommen wieder schwerere Saisonen, durch unterschiedliche Virusstränge und nachlassende Immunität. Wo ist die Entwicklung hin zu immer harmloseren Verläufen in den letzten 100 Jahren?

Influenza fordert jährlich 290 000 bis 650 000 Tote. 19% der Influenzatoten unter 5 Jahren geschehen in Entwicklungsländern (mehr Infos bei der WHO).

Bei den Rhinoviren (die banalen Schnupfen verursachen) ist dies ebenfalls zu beobachten: Ein Schnupfen ist zwar lästig, aber für den betroffenen Menschen im Grunde immer harmlos. Die beständig harmlosen und überall vorkommenden Rhinoviren begleiten daher den Menschen seit undenklichen Zeiten.

Franz

Das Rhinovirus besteht aus rund 100 verschiedenen Subtypen und verursacht rund die Hälfte aller „gewöhnlichen Erkältungskrankheiten“ und kann bis in die Antike zurückverfolgt werden. Es beeinträchtigt anders als ursprünglich angenommen nicht nur die oberen, sondern auch die unteren Atemwege und ist nach RSV das zweithäufigste Virus, das bei keuchenden Kleinkindern detektiert wird. Die Rhinovirus.-Spezies A und C können schwerere Verläufe bis hin zu Asthma bei Kleinkindern auslösen.

Die Aussage, dass es „im Grunde immer harmlos“ ist, trifft also auf Kleinkinder nicht zu.

Ein weiteres Beispiel ist das Respiratory Syncitial Virus (RSV), das gerade jetzt oft in den Medien erwähnt wird: Das RSV ist für kleine Kinder mitunter gefährlich, für die große Masse der Erwachsenen aber harmlos. Für alte geschwächte Menschen kann es dann (wie alle anderen Infektionen) wieder problematisch werden. 

Franz

RSV ist das tödlichste Virus für Kleinkinder:

Importantly, the annual global hospitalization rate of RSV infection in young children is nearly 10% and is associated with approximately 59,600 deaths.“

und mehr als „problematisch“ für ältere Menschen:

Morbidity and mortality are also high in elderly adults, with approximately 14,000 deaths annually due to RSV in the USA.

(Giallonardo et al. 2018)

Eine Virusevolution zu harmloseren Verläufen bei RSV ist nicht bekannt oder beschrieben, das war die Frage. Es ging nicht um Viren, die vielleicht schon immer „harmlos“ für die Mehrheitsbevölkerung waren. Mein Beispiel mit MERS hat er übergangen. Oder Ebola. Oder Marburg-Virus.

Vereinfacht ausgedrückt: Wir können empirisch davon ausgehen, dass respiratorische Viren kein grundsätzliches „Interesse“ haben, dass ihre jeweiligen Wirte ständig und immer schwer erkranken oder sterben, das würde ihnen ja langfristig bzw. evolutionsbiologisch betrachtet quasi die Existenzgrundlage entziehen. Eine Entwicklung in Richtung Harmlosigkeit ist also aus evolutionärer Sicht für die Viren sinnvoll – so wie es auch die Anpassung unserer Immunsysteme durch die angeborene und erworbene Immunität ist. Aus der Immunität heraus entsteht ja ebenfalls förmlich spiegelgleich die Harmlosigkeit von viralen Antigenen. 

Das ist eine veraltete und längst widerlegte Theorie.

Die Idee, dass Infektionen mit der Zeit weniger tödlich werden, wurde erstmals durch den Bakteriologen Dr. Theobald Smith in den späten 1800er Jahren vorgeschlagen. Seine Theorie wurde später als „Gesetz der niedergehenden Virulenz“ tituliert (Méthot 2012). Sie basierte darauf, dass Pathogene sich dahingehend entwickeln, ihre menschlichen Wirte nicht mehr umzubringen, um über eigenes Überleben zu sichern. Stattdessen erzeugen sie nur eine milde Infektion, womit Menschen herumlaufen und andere anstecken können. Gut für das Virus und wohl gut für uns (fast die exakt gleichen Worte wie im Artikel verwendet auch Veterinärvirologe Nowotny, wenn er über Omicron spricht).

In den letzten 100 Jahren haben Virologen aber gelernt, dass die Virusentwicklung viel chaotischer ist – eine Frage von Zufällen. Das Virus ist kein denkendes und strategisch planendes Lebewesen. Der evolutionäre Druck beinhaltet multiple Faktoren, darunter die Zahl der empfänglichen Wirte, wie lange die Menschen nach der Infektion leben, die Reaktion des Immunsystems und die Inkubationszeit.

Nachdem es keinerlei mehr Maßnahmen gibt, kann SARS-CoV2 aus dem Vollen schöpfen und weiter (oft) mutieren. Viele Varianten entwickeln keinen Wachstumsvorteil gegenüber bestehenden Varianten und sterben aus, manche sammeln aber eine oder mehrere entscheidende Mutationen auf, die einen Wachstumsvorteil erzeugen. Varianten mit Fitnessvorteilen sind aber nicht zwingend harmloser als vorherige Varianten. Das hängt maßgeblich von der Immunabwehr des Wirts ab.

Franz spricht übrigens nur von angeborener und erworbenen Immunität, aber nicht von Immunität durch Impfung, das ist hier aber der entscheidende Unterschied. Als die Omicron-Varianten kamen, war die Impfung bereits da. Mit der Impfung waren die Verläufe deutlich weniger schwer als davor. Die Impfung hier auszuklammern stellt ihre hohe Effektivität auf die Reduktion von schweren Verläufen und Todesfällen in Abrede. In Europa hat die Ankunft der Impfung rund 1,4 Millionen Menschen das Leben gerettet (WHO European Respiratory Surveillance Network, 13.01.24 preprint).

Entwicklung der Viruslast im Abwasser von Österreich (48 Regionen)

Settele: Diese Aussage ist im Kontext mit den im Film unmittelbar zuvor getätigten Aussagen der Experten zu werten. Sie beinhaltet außerdem das Wort „derzeit“, wodurch keinerlei Zukunftsprognose erstellt wird.

Derzeit war schon zum Ausstrahlungszeitpunkt falsch, wenn man die WHO-Warnungen und den internationalen Trend mit steigenden Hospitalisierungen beachtete, ebenso die Medienberichte vor allem im Ausland über wirtschaftliche Schäden durch die hohe Krankheitslast.

Seine Aussage:

„Wo ich immer schon dagegen war, und wurde ja auch kritisiert. Ich find halt, dass man Kindergarten, Volksschule, Unterstufe nie schließen hätte dürfen. Zumal ja die Kinder ohnehin im Großen und Ganzen eher mildere Verläufe hatten. Im 20er Jahr war das noch ok, aber 2021 sicher nicht, 2022.“

Stellungnahme Dr. Wenisch: Ich begründe meine Aussage zu den Schulschließungen sehr wohl – nämlich damit, dass Kinder von Beginn der Pandemie an sehr viel mildere Krankheitsverläufe gezeigt haben. Die wissenschaftliche Evidenz, auf die wir mittlerweile verweisen können, zeigt dies auch ganz klar. Im Übrigen habe ich bei vielen Gelegenheiten während der Pandemie öffentlich argumentiert, weshalb die antipandemischen Maßnahmen im Bereich von Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen überschießend waren.

Wenisch unterliegt hier einem Bias, weil er auf seiner Erwachsenen-Intensivstation nun einmal keine Kinder mit schweren Verläufen zu Gesicht bekommt oder kaum bekam. Genau dafür gibt es nun einmal Daten und Fakten aus klinischen Studien, das hat mehr Gewicht als Anekdoten.

Kinder sind selbst von schweren Erkrankungen betroffen:

  • In den USA zählt Covid19 zu den führenden Todesursachen bei Kindern und Jugendlichen unter 19 Jahren (Flaxman et al. 2022, Flaxman et al. 2023).
  • In Österreich gab es von März 2020 bis November 2022 6583 Patienten im Alter von 0-19 Jahren, bei Kleinkindern (0-4 Jahre) 3552 Patienten, 521 Kinder mussten auf die Intensivstation, 15 Kinder starben
  • Das Multientzündungssyndrom MISC hat vor Omicron (also auch 2021) mehrheitlich Kinder ohne Risikofaktoren betroffen (Sorg et al. 2022)
  • Ein höheres Sterberisiko haben Kinder mit Immunschwäche (Abolhassani et al. 2022) und Downsyndrom (Clift et al. 2020). Das heißt im Umkehrschluss: Ohne Schutzmaßnahmen in Bildungseinrichtigungen schließt man kranke und behinderte Kinder vom Sozialleben aus.
  • In England mussten von 3,2 Millionen infizierten Kinder rund 30000 ins Krankenhaus, 70 Kinder starben (Wilde et al. 2023)

Kindergärten und Schulen verbreiten das Virus in die Haushalte und damit zu den „vulnerablen Gruppen“

  • keine unterbrochenen Infektionsketten mehr („Durchseuchung“), das Virus gelangt immer von den jüngsten zu den ältesten Altersgruppen und richtet dort die meisten schwere Verläufe und Todesfälle an
  • Kindergartenkinder können Kontaktpersonen anstecken (Ergebnisse der deutschen KITA-Studie 2022), nur bei niedriger Hintergrundinzidenz gibt es weniger Übertragungen (Hoehl et al. 2020), KindergärtnerInnen haben ein doppelt so hohes Risiko einer SARS-CoV2-Infektion wie andere
  • Daten aus Neuseeland, Deutschland, Dänemark und Schweden zeigen, dass Erziehungsberufe zu den am meisten gefährdeten Gruppen für Infektions- und Longcovid-Risiko zählen.

Langzeitfolgen im einstelligen Prozentbereich

Karl Zwiauer, Kinderarzt und Mitglied des Nationalen Impfgremiums, war im September 2021 noch der Meinung: „Wir kennen keine Kinderkrankheit, die so belastend ist wie die Covid-Erkrankung.

Zur Verallgemeinerung, dass Kinder sehr viel mildere Verläufe zeigen:

Das war allerdings auch bei Poliomyelitis der Fall, wo 72% der Infektionen asymptomatisch verlaufen sind. Nur bei 1% traf die gefürchtete paralytische Poliomyelitis auf, die “klassische Kinderlähmung”. In den 60ern startete eine große Impfaktion, seit 2002 gilt Europa als poliofrei.

Vor der Pandemie wurden Volksschulen noch wegen Influenza geschlossen:

Im Pandemieplan für Influenza sind Schulschließungen explizit aufgeführt, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Was wäre denn die Alternative gewesen? Schulschließungen waren die effektivste Maßnahme, um die Pandemie einzudämmen:“

Richtig, sozial benachteiligte Kinder haben stärker unter den Schulschließungen gelitten als mit wohlhabenderen oder höherqualifizierten Eltern. In der Mathematik ist der Nachholbedarf höher als bei Lesekompetenzen. (Bock-Schappelwein et al. 2021). Allerdings hätte man benachteiligte Kinder sozial und finanziell stärker unterstützen können. Ihnen war nicht damit geholfen, keine Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

Stellungnahme Dr. Sprenger: Inzwischen ist es Allgemeinwissen, dass Schulschließungen ein Fehler waren.

Das entspricht nicht den Tatsachen.

  • SARS-CoV2-Infektionen bei Freunden und Angehörigen waren starke Auslöser für depressive Symptome und Angstsymptome bei Kindern (Pustake et al. 2023)
  • Schulschließungen wirkten sich in den USA nicht auf die psychische Gesundheit aus (Xiao et al. 2023).
  • Auch in Schweden, wo nur die Oberstufen ins Distance Learning musste, gab es weniger psychische Belastung als mit offenen Schulen, vor allem weniger Diagnosen von Angst und Depressionen (Björkegren et al. 2024). Schulschließungen führen zu einem Rückgang von Mobbing und Suiziden.
  • Bei Präsenzunterricht nehmen Suizide zu und bei Schulschließungen ab (Hansen et al. 2022)
  • die Pandemie hat nicht zu steigenden Suizidzahlen geführt (Sun et al. 2023).
  • „Laut Zwischenergebnissen der Neuauflage der Studie zur Psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen der Donau Universität Krems lasse sich der Trend ablesen, dass sich die Situation trotz Aufhebung der Corona-Maßnahmen im Vergleich zum vergangenen Herbst weiter verschlechtert habe.” (Bezirksnachrichten, 02.05.22)

„Schulschliessungen zwischen einem und sechs Monaten weisen keine negativen Zusammenhänge mit den Kompetenzen bei Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften auf.“

Bericht aus der schweiz, 05.12.23 bzw. „Tagesanzeiger“

In Summe waren Schulschließungen also kein Fehler, aber man hätte sie natürlich verhindern oder verkürzen können, wenn man schon ab Herbst 2020 die Forderungen zu sauberer Luft in Bildungseinrichtungen umgesetzt hätte und eine allgemeine Maskenpflicht konsequent durchgefahren, statt sich immer wieder an der Auslastung der Intensivstationen zu orientieren.

Sie waren erst Recht kein Fehler mit der Zahl der Todesfälle, Hospitalisierungen und Spätfolgen, die man durch die Unterbrechung von Infektionsketten verhindert hat. Settele stellte aber all diese Fragen im Interview nicht, was ein Durchlaufen wie in UK oder Schweden bedeutet hätte.

„und bevor die Baumärkte aufgehen, doch bitte die Schulen aufmachen.“

(Sprenger in der Dok1-Sendung)

Vergleich von Äpfel und Birnen: Baumärkte sind meist viel besser durchlüftet und spärlicher besetzt als Klassenzimmer und das Infektionsrisiko daher viel niedriger. Ein Baumarktkunde hält sich keine fünf Stunden mit 25 weiteren Kunden in einem kleinen Raum auf.

Begründung (vollständige Kritik):

„Settele interviewt Johannes Huber, der keinen medizinischen oder naturwissenschaftlichen Hintergrund hat. Huber zweifelte in mehreren Kommentaren den Sinn von Schulschließungen an, ignoriert LongCOVID und räumt Freiheitsrechten „im Zweifel Vorrang vor Beschränkungen“ ein – in einer Pandemie, wo es auf jeden Einzelnen ankommt, um Schwächere zu schützen, eine fatale Denkweise.“

Settele: Johannes Huber wurde nicht als Mediziner oder Naturwissenschafter, sondern als Medienschaffender interviewt. Es ging bei ihm darum, die viel kritisierte Rolle der Medien in der Pandemiezeit zu beleuchten. Mit keinem Wort kritisiert Huber die Einschränkung von Freiheitsrechten generell. Sowie Millionen von Österreichinnen und Österreichern stellt er sich aber die Frage, ob nicht die eine oder andere Maßnahme überschießend war. Das steht ihm zu.

Die Recherche von Hubers Texten zeigt, dass er tendenziell so denkt wie Sprenger oder Settele selbst. Wenn also der eine Medienschaffende hier stellvertretend für die „viel kritisierte Rolle der Medien“ spricht, dann ist das nicht objektiv, sondern verstärkt lediglich die grundsätzliche Behauptung, dass Maßnahmen übertrieben gewesen sein würden. Das ist mit mangelnder Objektivität gemeint.

Denn es gab auch eine Gruppe von Österreicherinnen und Österreichern, die sich die Frage stellte, ob nicht die eine oder andere Maßnahmen zu spät und zu schwach daherkam.

  1. Impfschaden nach Coronainfektion?

Settele: Die Aussagen des jungen Mannes geben zu 100% korrekt wieder, wie dieser seine Krankheit und deren Verlauf empfindet. Mit keinem Wort wird im Verlauf der ganzen Sendung insinuiert, dass die Covid-19 Impfung generell zu Erkrankungen führen würde. Ganz im Gegenteil.

Es wurden hier nicht die Empfindungen oder Symptome des Betroffenen in Frage gestellt, sondern die behauptete Ursache!

Vollständige Kritik:

„Der junge Fußballer leidet unter einer Herzmuskelentzündung. Er hatte insgesamt drei Impfungen, nach der dritten Impfung wären die ersten leichten Symptome aufgetaucht. Drei Monate später folgte eine Corona-Infektion und zwei Monate danach der Zusammenbruch. Trotzdem wird die Herzmuskelentzündung auf die Impfung geschoben, nicht auf die Infektion!

Es gibt klare Richtlinien für die Rückkehr zum Leistungssport nach einer Infektion mit Herzuntersuchungen (D’Ascenzi et al. 2022). Selbst nach leichten oder symptomfreien Verläufen treten Herzmuskelentzündungen gelegentlich auf, speziell dann, wenn sich die Betroffenen nicht ausreichend schonen, sondern zu früh mit dem Sport beginnen. Impfschäden treten nicht erst fünf Monate nach der Impfung auf.

Laut Epidemiologe Zangerle ist eine Herzmuskelentzündung bei 16-19jährigen am häufigsten, vor allem nach der 2. Impfung, aber sehr selten nach der dritten Impfung. Nach Auffrischung mit dem bivalenten Impfstoff im Herbst 2022 wurden 2 Fälle von Personen bis zum 40. Lebensjahr bei ca. 65 000 Dosen nachgewiesen.
Im Beitrag wurde aber nirgends erwähnt, dass auch Covid19-Infektionen Herzmuskelentzündungen verursachen können. Hier werden die Zuschauer in die Irre geführt, dass die Impfung für die ausgelösten Beschwerden verantwortlich sein müsse. So hält man besonders junge Menschen vom Impfen ab.“

Franz: „Und man braucht auch die Öffnung Richtung kritischer Stimmen, sodass man Leute, die was zu sagen haben, was vielleicht nicht dem allgemeinen Grundtenor entspricht, einbezieht, ohne die niederzumachen.“

in der Dok1-Sendung

Ausführliche Kritik:

„Natürlich hat man kritische Stimmen zugelassen, das hat auch Anschober dezidiert im Beitrag erwähnt mit den Einzelinteressen, denen zu stark nachgegeben wurde. Mit Allerberger, Gartlehner, Schernhammer, Oswald Wagner, Reinhold Kerbl, Matthias Strolz, Petra Apfalter wurden wiederholt
Berater geholt bzw. öffentlich befragt, die gegen Schulschließungen, Maskenpflicht oder sonstige Maßnahmen aufgetreten sind. Der „allgemeine Grundtenor“ sollte sich übrigens an den Fakten orientieren und nicht an Wahlkampfdaten oder Partikularinteressen.“

Stellungnahme Dr. Franz: Das ist keine Unterstellung dem ORF gegenüber, sondern eine vielfach gemachte und nachweisbare allgemeine Beobachtung, die zahlreiche Menschen teilen. 

Nochmal: Franz ist nicht nur Arzt, sondern Politiker – er trat im April 2017 als Kandidat für die FPÖ-Liste „Freiheitliche und Unabhängige Ärzte NÖ“ an, und traf Aussagen wie, dass „Hitler ein Linksextremist gewesen sei“ und spricht abfällig von „Menschenrechtsmanikern“.

Hier die politische Präferenz von Franz zu ignorieren, bedeutet, dass die Aussagen nicht im Kontext gesehen werden. Hier wird es als Tatsache präsentiert, es ist aber eine (politische) Meinung.

Stellungnahme Franz: Sukkus dieser meiner Anregung zur Öffnung  ist, dass man bei so großen Themen/Problemen wie „Corona“ mehrere Stimmen von verschiedene Seiten braucht und diese hören muss. Wie benötigen ausgewogene Diskussionsrunden, ohne Vorverurteilungen einzelner Personen und man muss in der jeweiligen Debatte ergebnisoffen bleiben, so wie es eigentlich gute Tradition des ORF ist. Gerade bei medizinischen Themen ist der sogenannte „Stand der Wissenschaft“ ein sich ständig ändernder und facettenreicher, es gibt nicht die EINE Meinung oder die EINE absolute Wahrheit in der Medizin, schon gar nicht in der Infektiologie.

Noch einmal: Es hat genau diesen „ausgewogenen“ Diskurs gegeben – ich verweise diesbezüglich auf meine Zitatsammlungen der ersten Pandemiejahre.

In der Pandemie ist der Eindruck entstanden, dass viele Journalisten aus dem deutschen und österreichischen ÖRR und aus den Qualitätsmedien kritische Ärzte und Naturwissenschaftler fast nie interviewt oder einfach ignoriert haben und deren Meinungen manchmal sarkastisch kommentiert oder auch abfällig wiedergegeben (gerne mit dem Codewort „der/die umstrittene“ XY) oder einzelne davon als „Schwurbler“ und dergleichen bezeichnet haben. 

In Ö1 wurde Martin Haditisch interviewt, im FALTER kam Andreas Sönnichsen zu Wort. Zu Beginn wurden wiederholt Sprenger, Apfalter, Allerberger interviewt.

Also nein, dieser Eindruck ist überhaupt nicht entstanden, im Gegenteil. Ab Lockdown 2 wurde nurmehr diskutiert, wie man Maßnahmen verzögern und schnell wieder aufheben kann. „Kritische Ärzte und Naturwissenschaftler“, die sich außerhalb es wissenschaftlichen Konsens und von Fakten bewegen und sonst auf Verschwörungsplattformen publizieren, muss man weiterhin entsprechend benennen statt mitdiskutieren lassen.

Stellungnahme Franz: Besonders stark ist dies auch auf den Social Media wie zB Twitter aufgefallen. Als Beispiel: Kapazitäten wie die deutschen Virologen Hendrik Streeck oder Klaus Stöhr wurden medial bzw. in Talk-Shows angegriffen, weil sie teilweise maßnahmenkritisch waren bzw. nicht zu 100% die in Österreich wie in Deutschland politmedial gepushte Meinung der deutschen Professoren Drosten, Priesemann, Ciesek etc . teilten. (Prof. Stöhr, langjähriger Leiter des WHO-Impfprogramms(!!),  musste übrigens wegen einer Falschdarstellung sogar den „Spiegel“ verklagen – und hat gewonnen.)

Sie wurden völlig zurecht kritisiert wegen zahlreicher wissenschaftsferner Äußerungen. Streeck detto, der sich ständig verschätzt hat mit seinen Einschätzungen:

Streeck-Zitate im ersten Pandemiejahr in Deutschland

Stellungnahme Franz: In Österreich wurden epidemiologisch erfahrene Leute wie der bekannte Grazer Public-Health-Experte Dr. Martin Sprenger oder der Psychiater Prof. Raphael Bonelli oder meine Wenigkeit, die wir uns sachlich-kritisch zu bestimmten Maßnahmen geäußert haben, von den Leitmedien lange praktisch ignoriert bzw. wurden Aussagen und Statements oft nicht objektiv behandelt, man ließ die doch recht zahlreichen kritischen Stimmen einfach zu wenig zu Wort kommen (Das hat übrigens auch Hanno Settele sinngemäß bei der Vorbesprechung zum gegenständlichen Interview gesagt). 

Raphael Bonelli, der gemeinsam mit Wolfgang Wodarg, Sucharit Bhakdi, Allerberger und Ionnadis im „Corona.film“ mitgewirkt hat, der von Impfgegner Bert Ehgartner und OvalMedia-Gründer Robert Cibis gedreht wurde – sachlich-kritisch? Naja.

Am 21. Juni 2021 behauptete der damalige Leiter (!) der Öffentlichen Gesundheit der Gesundheitsbehörde AGES, Infektiologe Allerberger, in einem Interview mit OVAL-Media:

„Ohne PCR-Tests wäre Pandemie niemandem aufgefallen“

Keine weiteren Fragen.

Manche Maßnahmen- bzw. Impfkritiker wurden teilweise sogar disziplinarrechtlich von der Ärztekammer verfolgt, weil sie medizinisch andere Meinungen vertraten als die politmedial verbreitete. Die Ärztekammer hat damals besonders in der Impffrage einen eher autoritären Stil verfolgt – trotz der Tatsache, dass etliche Aussagen, die zu Beginn der Impfungen offiziell seitens der Politik getroffen wurden (wie zB der oft gebrachte Satz „die Impfung ist nebenwirkungsfrei und sicher“) nachweislich falsch waren.

Mein o.g. Satz ist also keine Unterstellung, sondern die Beschreibung eines Eindrucks, den ich in den Jahren der Pandemie gewonnen habe.

In einer Pandemie sollte es darum gehen, Leben zu retten und nicht politische Opposition zu betreiben. Bis zum ersten Lockdown hat das sogar die FPÖ verstanden, die sogar einen strengen Lockdown gefordert hatte.

Man sollte bei Impfungen schon noch zwischen unmittelbaren Impfreaktionen, die nach Tagen wieder abklingen und anhaltenden Nebenwirkungen unterscheiden. Dass oft behauptet worden wäre, die Impfung sei nebenwirkungsfrei, lässt sich so nicht nachvollziehen. Es war auch nicht nachweislich falsch zu sagen, dass die Impfung sicher ist – aber da kommen wir schnell in eine ideologisch geprägte Debatte, auf die ich mich nicht einlassen werde.

Bezug war die Aussage von Huber:

Es gibt die gesundheitliche Dimension, es gibt aber vor allem auch die Soziale und die Wirtschaftliche. Und die sind uns genauso wichtig. Wir müssen das Ganze in einer Balance halten. Wir dürfen nicht nur sagen, sobald ein Coronafall auftaucht,wir sperren das ganze Land zu. Das ist Wahnsinn. Weil es gibt nicht DIE Wissenschaft, nicht DIE Wahrheit. In dem Fall zeigt sich das brutal.

Settele: Diese Aussage ist in Bezug auf die Covid-19-Pandemie nachweislich unrichtig. Weltweit beklagen Forscherinnen und Forscher, dass es zu Pandemiezeiten eben keine vergleichbaren Daten und Fakten gegeben hat. Der Grund lag und liegt in der Tatsache, dass die einzelnen Länder auf höchst unterschiedlichen Grundlagen „Daten und Fakten“ veröffentlicht haben. Die Stimmen, dass in Österreich bis in vielen Bereichen eigentlich keine verlässlichen Erkenntnisse statistischer Natur vorliegen, sind bis heute nicht verstummt.

Meine Aussage bezieht sich nicht auf die unzureichende Datenlage in Österreich, sondern darauf, dass es zu jeder Zeit außerhalb von Österreich jede Menge Studien und Daten zu Übertragungswegen, Rolle der Kinder, Long COVID, Risikofaktoren, Wirksamkeit von Masken, Wirksamkeit der Impfung, neue Varianten gegeben hat.

Die Aussage von Huber, man würde bei einem Fall „das ganze Land“ zusperren, ist ein weiterer Strohmann, denn niemand in Österreich hat das je gefordert.

Was Huber in seinem Statement in der Dok1-Sendung meint, ist das, was ab Welle 2 tatsächlich eingetreten ist: Es wurden zunehmend „andere Interessen“ berücksichtigt: Vom Skitourismus über den Weihnachtshandel bis zu den Bundesländern. Keiner wollte für seinen Bereich mehr neue oder verlängerte Maßnahmen. Eine Pandemie fußt aber auf der Anzahl der Übertragungen von Mensch zu Mensch, und da kann kein gesellschaftlicher Bereich einfach ausgeklammert werden, weil es für diesen bequemer ist.

Soziale Härtefälle werden nicht vermieden, wenn man Schutzmaßnahmen vermeidet, sondern dadurch noch potenziert. Denn überproportional sind sozial benachteiligte Menschen auch von schwereren Verläufen oder Spätfolgen betroffen. Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen haben höhere Risikofaktoren als gesunde und wohlhabende Menschen, die zudem besseren Zugang zu medizinischer Versorgung haben.

Hätte man vielleicht sogar mehr Tote verhindern können mit vorausschauenden Maßnahmen statt kurzfristig dominierender Gier der Wirtschaftstreibenden, deren Horizont nicht weiter als 2-3 Wochen zu reichen scheint?

Wer die Gesundheit aufgibt, um Wirtschaft zu schützen, der wird am Ende beides verlieren.“

Das Ergebnis sehen wir jetzt: 30% mehr Krankenstände, Mehrkosten in Milliardenhöhe.

Schlussfolgerung

Der Sinn der Maßnahmen wird hinterfragt, aber die Folgen ungebremsten Durchlaufenlassens ohne Maßnahmen ausgeblendet. Kritische Stimmen seien zu wenig gehört worden, aber nur in Richtung übertriebene Maßnahmen. Über vier Jahre Zitate sammeln, wo ich schwerpunktmäßig diese „kritischen“ Stimmen dokumentiert habe, belegen das Gegenteil: Gartlehner, Schernhammer und Weiss waren regelmäßig in der ZiB2, Wenisch in „Wien heute“, Sprenger und Haditsch in Ö1, Apfalter im ORF-Report – Maßnahmenkritik gab es durchgehend.

Die Kritiker und Interessensvertreter haben sich letztendlich durchgesetzt, denn der zweite Lockdown war weniger streng als der erste. Der dritte fand nur im Osten statt. Die Schulen blieben ab dem Sommer 2021 überhaupt offen. Der vierte Lockdown war spät und halbherzig. Und danach wurden alle Maßnahmen sukzessive aufgehoben. 2023 wurde sogar die Meldepflicht abgeschafft und auch die Covid-Todesstatistik. Mangels Tests ist die Dunkelziffer bei LongCOVID enorm: Aus den Augen, aus dem Sinn.

Die „Argumente“ des Beschwerdeausschusses, in der Dok1-Sendung keine tendenziöse Berichterstattung zu erkennen, kann ich nicht nachvollziehen. Immerhin lassen die Stellungnahmen vor allem von Settele und Franz jetzt besser nachvollziehen, wie es zur Einladung von Franz in den Beitrag gekommen ist.