Daten, Fakten, Aufklärung

Faktencheck: ORF Dok 1 „Die verschwundene Seuche“ von Hanno Settele

Seit Juli steigen die Abwasserwerte wieder an, aber: Verschwunden ist Covid19 nie – es wird nur nicht mehr getestet. Die Abwasserwerte werden nicht mehr auf der ORF-Startseite verlinkt, weil man es für journalistisch nicht relevant hält („Andere Bürger sehen das anders und argumentieren auch mit ihren bezahlten Gebühren, das ist ja mein Punkt, es ist eine Frage der journalistischen Relevanz und wenn sich die ändert, kommt auch der Infopoint wieder auf die Seite“, Christian Staudinger, verantwortlich für orf.at, am 24.07.23 in einer Twitterantwort)

Man glaubt immer wieder, es könnte einen nichts mehr überraschen, aber wie man in einer „Rückblicksdokumentation“ auf die Idee kommt, ausgerechnet Sprenger, Franz und Wenisch zu befragen, ist schon starker Tobak. Da reißt LongCOVID/MECFS-Experte Stingl die Sendung auch nicht mehr heraus, denn das Framing ist klar: Die Pandemie ist vorbei, Kinder können nicht schwer erkranken, Impfschäden werden LongCOVID-Folgen gleichgestellt und Prävention brauchen wir nicht.

Ehe ich auf die Sendung eingehe, ein kurzer Faktencheck zu den Rechtfertigungen Hanno Setteles auf Twitter, die Pandemie für beendet zu betrachten.

Behauptung: „WHO hat die Pandemie am 5.5. des Jahres für beendet erklärt. Und mit dem „endemischen Zustand“ ersetzt. Der auch arg genug ist, freilich. Aber: Es tut mir leid, dass ich Ihre – offenbar der WHO überlegene – Expertise nicht berücksichtigt habe. Was bildet Ihr Euch eigentlich ein?“

Wahr: „Auch wenn die gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite wohl vorüber ist, die Pandemie ist es sicher nicht“ (WHO Regionaldirektor für Europa, Hans Henri P. Kluge, 12.06.23)

Was hat die WHO am 05. Mai 2023 also getan:

It is therefore with great hope that I declare Covid19 over as a global health emergency. However, that does not mean COVID-19 is over as a global health threat. Last week, COVID-19 claimed a life every three minutes – and that’s just the deaths we know about“. (WHO-Chef Tedros am 05.05.23)

und:

The worst thing any country could do now is to use this news as a reason to let down its guard, to dismantle the systems it has built, or to send the message to its people that Covid19 is nothing to worry about.

Genau das hat Österreich aber getan. Alle Schutzmaßnahmen beendet, das Testsystem abgebaut, die Meldepflicht abgeschafft und wiederholt behauptet, dass die Situation nun eine andere sei. Rauch hat nur für ein Fünftel der Bevölkerung pro Jahr Impfstoff beschafft, wenn Risikogruppen zwei Mal pro Jahr geimpft würden, sogar nur für ein Zehntel. Es gibt keine Impfstraßen mehr, sondern nurmehr Impfung bei niedergelassenen Ärzten, denen das Impfhonorar gekürzt wurde.

Wie ist Pandemie definiert?

Die Boston University definiert endemisch als “gewöhnliche Häufigkeit einer Krankheit an einem bestimmten Ort”. Eine Epidemie ist eine Zunahme der Häufigkeit über der endemischen Rate. Epidemie und Ausbruch sind synonym zu verstehen. Pandemie bezieht sich auf zahlreiche Epidemien weltweit. Auch das ist selbstverständlich noch erfüllt. Die Definition Pandemie hat übrigens nichts mit der Schwere der Erkrankung zu tun.

Settele: „Sind Sie mir böse, dass ich mich mit meinen Aussagen mehr an den Publikationen der Berliner Charité als an Ihnen Einschätzungen orientiere? Ich hoffe nicht.“ und zitiert eine Podcast-Folge mit der neuen Direktorin des Instituts für internationale Gesundheit und des Zentrums für Global Health an der Charité, Beate Kampmann.

Darin wird erneut die Falschaussage wiederholt, die WHO hätte die pandemische Phase als abgeschlossen erklärt und das Virus sei jetzt endemisch.

Weiters behauptet sie: „Und ob man da die Kinder schützen muss, ist noch eine ganz andere Frage, denn die Immunität, die man durch die Corona-Impfung induziert, bleibt ja nicht fürs ganze Leben. Da ist mehr die Frage, dass man die Leute schützen muss, die schwere Auswirkungen von dem Krankheitsverlauf hätten, und das sind in der Regel eher die Älteren. Es gibt noch keine Impfstoffe für Neugeborene. Das halte ich auch nicht für die Zielgruppe, mit der wir uns befassen müssen. Als Kindermedizinerin habe ich natürlich auch Fälle von COVID bei Kindern gesehen, aber in der Regel sind die alle sehr, sehr mild verlaufen. Und ich glaube, da haben wir ein paar andere Prioritäten.

Das Interview ist vom 28.07.23, nicht vom Herbst 2020. In England starben mindestens 70 Kinder an Covid19, über 30000 mussten im Spital behandelt werden (Wilde et al. 2023). Zwei Übersichtsarbeiten zeigen eine Häufigkeit von 23-25% bei Kindern nach einer SARS-CoV2-Infektion, wobei ähnlich wie bei Erwachsenen Fatigue, Schlafstörungen, Atemnot, Geruchs- und Geschmacksverlust häufig und beständig sind (Lopez-Leon et al. 2022, Zheng et al. 2023).

Verschiedene Studien zeigen erhöhte Risiken für Folgeerkrankungen nach einer Covid19-Infektion, z.b. Roessler et al. (2022) oder Kompaniyets et al. (2022). Gestiegen ist vor allem das Risiko für akute Lungenembolie, Herzmuskelentzündung, venöse Thrombosen, Nierenversagen und Diabetes-Typ-1. Es kommt seit der Pandemie zu einem Anstieg von Typ-I- und II-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen (D’Souza et al. 2021, Weiss et al. 2023), wobei genetisch vorbelastete Kleinkinder ein deutlich erhöhtes Diabetes-Risiko aufweisen (Lugar et al. 2023), das Risiko für neue chronische (neurologische) Erkrankungen steigt durch eine Infektion um 78% (Chiara et al. 2023).

Unabhängig von der Symptomschwere der Akutinfektion kann sich das Virus im Körper für Wochen und Monate halten. Hier besteht kein Unterschied zu Erwachsenen (Buonsenso et al. 2023).

Kampmann war vor ihrer jetzigen Tätigkeit lange an der London School für Hygiene and Tropical Medicine, sie hat den „schwedischen Weg“ in UK durch Chris Whitty selbst mitbekommen. Ihre Aussagen waren schon davor umstritten:

Je weiter wir mit der Impfung von Erwachsenen kommen, umso weniger benötigen wir die Impfung für Kinder.“ (26.03.21, Blick)

Viele dieser Erscheinungen legen sich nach einer gewissen Zeit, das haben wir schon gesehen. Auch bei Kindern haben wir ja auch Long Covid erfahren. Da gibt es jetzt auch Studien, da bin ich mehr vertraut als bei den Erwachsenen, wo nach drei oder vier Monaten die Symptomatik dann auch einfach wieder weg war. Da ist viel einfach auch Begleiterscheinung von dem, was Leute während der Coronazeit erlebt haben

Eine Verharmlosung körperlicher Folgen und Unterstellung psychischer Symptome durch Maßnahmen.

Was bedeutet endemischer Zustand?

Ein endemischer Zustand bedeutet nicht, dass Covid19 dadurch harmlos geworden ist (Aris Katzourakis, 24.01.22). Endemisch heißt, das eine Krankheit kontrollierbar ist oder unterhalb eines „akzeptablen“ Niveaus zirkuliert. Was akzeptabel ist, variiert von Ort zu Ort, über die Zeit, verglichen mit anderen Krankheiten, aber es gibt jedenfalls einen Schwellenwert. Bei einer schweren Erkrankung ist dieser Wert sehr niedrig, etwa bei der Pest, bei anderen sehr hoch, etwa bei Schnupfenviren. Endemisch heißt, wir müssen SARS-CoV2 dauerhaft überwachen und einschreiten, wenn die Fälle über das akzeptable Niveau ansteigen. Bei Influenza machen wir das auch. (Epidemiologin Ellie Murray, 21.01.22)

Die österreichische Regierung hat – ohne die Bevölkerung über die Folgen aufzuklären – entschieden, dass die derzeitigen Hospitalisierungs-, Todes- und LongCOVID-Raten ein akzeptables Niveau sind, mit dem wir leben können. Ganzjährig erhöhte Krankenstände, Arbeitskräftemangel in allen Bereichen, besonders aber in Bildung und Gesundheit zählen jetzt zur Normalität „nach der Pandemie“. So ehrlich müsste man sein.

Settele:Einen klügeren, reflektierteren und erfahreneren „Meinungsmacher“ als Primar Wenisch gibt es in der Behandlung von Covid19 wohl kaum in Österreich. Wie kommt er dazu, dass Sie – Expertise Lebensmitteltechnologie – ihn so verunglimpfen? WAS WISSEN SIE? Heraus damit! Hier, jetzt!

Gesammelte Aussagen von Wenisch die letzten Jahre:

Gesammelte Zitate von Wenisch aus den letzten drei Jahren, vielfach unreflektiert und ohne wissenschaftliche Substanz vorschnell getroffene Aussagen.

Verschwunden ist die Seuche jedenfalls nie, so das Resümee des medizinischen Direktor des Zentrums für Infektionskrankheiten in Vancouver, Kanada, Dr. Brian Conway:

„And probably we didn’t make it clear enough that COVID was never gone and none of us who work in the field had an expectation that COVID would be gone. So, it’s here, it never left.“

Faktencheck zur Sendung

Die Sendung beginnt mit dem Abwassermonitoring in Wien und dass die Zahlen „wie jeden Herbst“ steigen würden. Verzeihung fürs pedantisch sein, aber kalendarisch befinden wir uns noch im Spätsommer. Der September wird wahrscheinlich als wärmster September seit Aufzeichnungsbeginn abschließen. Von Kälteeinbruchen keine Spur, diese gab es zuletzt in der ersten Augusthälfte.

SARS-CoV2 ist kein saisonales Virus. Die Wellen werden vor allem von abnehmender Immunität in der Bevölkerung und neuen Varianten mit Immun Escape getrieben. Alle Anstiege der „Herbstwelle“ begannen – im Gegensatz zu Influenza – nicht erst ab November, sondern schon Mitte Juni bis Anfang Juli. Von 2020 bis 2021 halfen Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht, die Wellen einzudämmen. Im Sommer 2022 gab es eine starke Sommerwelle, im unkontrollierten Winter 2022/2023 gab es gleich mehrere Covid- und Influenzawellen.

Wenisch

Der erste Interviewpartner ist Infektiologe Christoph Wenisch (fälschlicherweise als Epidemiologe bezeichnet).

Settele: „Unsere Sendung heißt – die verschwundene Seuche. Was wurde aus Covid19? Würden Sie mir eigentlich sagen, der Titel ist gar nicht so falsch? Es gibt zwar noch LongCOVID usw., aber das, was Sie da hinten (deutet auf das Spitalsgebäude) in dem Haus retten, ist vorbei.

Wenisch: „Ist vorbei ja. Seuche ist halt, es ist eine Pandemie, die vorbei ist. Es ist aber eine Krankheit, die wir jetzt aber mehr haben, die wir genauso wie Influenza oder Pneumokokkeninfektion oder Staphylokokkeninfektion in der Reihe, in der langen Liste der Erkrankungen, die wir zu behandeln haben.

Das ist die Anzahl der Aufnahmen wegen Covid19 seit Fall der Meldepflicht am 01.07.23 – Es scheint unterschiedliche Definitionen von „vorbei“ zu geben. Quelle: SARI Dashboard

Der Vergleich mit Influenza oder bakteriellen Infektionen hinkt. Covid19 ist deutlich tödlicher als Influenza – siehe auch den Brief von 16 Top-Ärzten in Österreich.

Sprenger

Im zweiten Interview kommt „Gesundheitswissenschaftler“ Martin Sprenger zu Wort. Wir kennen ihn noch aufgrund seiner treffsicheren Prognosen:

Ab Oktober werde die Anzahl der Personen mit viralen Infekten zunehmen, im Jänner/Februar einen Höhepunkt erreichen und im März/April wieder abnehmen – „so wie in jeder Saison“. Ein Teil davon werde heuer das Coronavirus ausmachen. …aber eines ist sicher, zu einer Überforderung der Krankenversorgung wird es mit hundertprozentiger Sicherheit nicht kommen“ sp Sprenger am 21. August 2020 im Ö1-Journal.

Wir wissen, was kam – eine starke zweite Welle, Lockdown ab November, anonyme Triage-Berichte bis in den Dezember hinein.

Am 18. September 2020 war Sprenger Teil der Ärztegruppe, die die zweite Welle herunterspielte.

„Wir haben keine zweite Welle, sondern einen technischen Labor-Tsunami“

Sprenger wirkte auch beim Impfgegnerfilm „Eine andere Freiheit“ mit, gemeinsam mit Kinderarzt Reinhold Kerbl, der die ÖVP-Bildungsminister beraten hat, mit Bioethikkommissions-Mitglied Peter Kampits und mit Verschwörungserzählerin Ulrike Guerot. Im August 2022 gab Sprenger dem rechtsextremen oberösterreichischen Sender Auf1 ein Interview.

Settele: „Wie gefährlich ist es jetzt, zum 17. Mal mutierte Covidviren?“

Sprenger: „Ich würde sagen, im Endeffekt gleich gefährlich wie die anderen Coronaviren und ähnlich wie andere respiratorische Viren.“

Settele: „Also keine Notwendigkeit mehr für Lockdowns und ähnliches?

Sprenger: „Ich glaube, wir müssen diese Scheinwerfer abschalten. Weil wenn wir jedes Mal genau wissen wollen, welche Bakterien in uns und auf uns sind und welche Viren gerade um uns sind oder auf uns sind, dann machen wir uns nur verrückt.

Ja genau, schaffen wir Public-Health ab, Prävention, wer braucht das. Neue Behandlungsformen, Therapie immungeschwächter Patienten. Settele stellt Strohmann-Fragen wie „Lockdowns“. Niemand redet heute mehr über Lockdowns. Nicht einmal Maskenpflicht ist Thema für die Allgemeinheit.

Franz

Als dritten Interviewpartner hat sich Settele den Internisten Marcus Franz ausgesucht. Das ist jene Person, die Hitler als Linksextremisten bezeichnet hat und regelmäßiger Gast auf mutmaßlichen Verschwörungsplattformen ist, zudem kandidierte er 2017 für die FPÖ und zeigte sich auch sonst als Impf- und Maßnahmengegner.

Settele: „Was Covid19 angeht: Was für eine Art Welle erwarten Sie, wenn Sie eine erwarten, jetzt heuer im Herbst und im Winter?

Franz: „Also aus jetziger Sicht ist davon auszugehen, dass die Welle eher harmlos wird, weil Viren, speziell die respiratorischen Viren, die Tendenz haben, eher harmlos zu werden. Das ist natürlich auch eine Spekulation. Niemand kann das wirklich voraussagen. Es kann natürlich sein, dass sich eine neue Variante, eine sogenannte Variant of Concern entwickelt, die gefährlicher wird, aber die Wahrscheinlichkeit ist relativ gering.

Settele: „Drei Experten, eine Meinung: Das Virus stellt derzeit keine große Gefahr mehr da.“

Settele interviewt zwei Personen aus dem verschwörungserzählerischen Milieu und eine Person mit knackigen, aber leider oft falschen Ansagen. Ist Franz jetzt neuerdings auch Virologe und Experte für Mutationen bei SARS-CoV2? Warum bleibt unwidersprochen stehen, dass respiratorische Viren harmloser werden würden, oder dass SARS-CoV2 überhaupt ein respiratorisches Virus wäre?

Diese drei Interviews zum Einstieg sind ein Lehrbuchbeispiel für False Balance, Strohmann-Argumente und Manipulation des Zuschauers.

Danach kommt Settele und konfrontiert Wenisch damit, das hätte man ja immer der Regierung, ihm und der „Schulmedizin“ vorgeworfen, „Ist eh nur eine Sommergrippe“ und jetzt würde Wenisch sagen, es sei nur eine Sommergrippe.

Wenisch vergleicht es mit der Spanischen Grippe, wonach es zwei Jahre gedauert hätte, bis die Bevölkerung eine Immunität aufgebaut hat, aber diese zwei Jahre wären fürchterlich gewesen, und das sei bei Corona genauso.

Die Behauptung, es sei nur eine Sommergrippe, bleibt unwidersprochen stehen.

* * Schnitt * *

Settele besucht Bergamo. Der lokale Journalist bestätigt, dass der Militärkonvoi wirklich wegen der vielen Leichen ausrücken musste. Im Krankenhaus trägt Settele dann eine OP-Maske, allerdings nicht im Interview. Der ehemalige Covid-Koordinator, Stefano Fagiuoli, dort bestätigt ebenfalls, dass es ein Alptraum war. Settele fragt, warum man damals nicht früher reagiert hat, die Bilder aus China waren schon bekannt, der italienischen Regierung wurde später vorgeworfen, man hätte über 4000 Tote verhindern können. Der Arzt glaubt, dass es schwierig geworden wäre, in einem demokratischen Land drastische Maßnahmen zu ergreifen.

Über Monate wären immer kompliziertere Verhaltensregeln aus den anfangs strengen Maßnahmen geworden.

„Franz: „Am Anfang ist es immer gut, große Vorsicht walten zu lassen, weil man nicht genau weiß, was auf uns zukommt. Dann allerdings ist etwas passiert, was nicht optimal war. Wir haben zu viele Berater, zu viele Meinungen, zu viele verschiedenste Fächer aus der Medizin, aus der Mathematik, aus der Physik, aus der Statistik, alle möglichen sind gekommen und auch in den Medien aufgetreten und auch interviewt worden. Natürlich auch von Ihrer Branche. Verschiedenste Leute, die glauben, sie wissen, wie es geht, und sie können berechnen, schauen und uns erklären, wie das mit Covid weitergeht. Das war aus meiner Sicht das größte Problem.“

Was Franz hier bewusst nicht erwähnt: Der Einfluss der Opposition, der Wirtschaftstreibenden, der Tiroler Adler, der Ärztekammer Oberösterreich, und anderer einflussreicher Kräfte, die einen zweiten Lockdown und weitere Maßnahmen verzögert haben. Es wäre ja lobenswert gewesen, wenn man wirklich auf die Naturwissenschaftler und Mediziner gehört hätte.

Fagiuoli stimmt Franz zu, öffentliche Diskussionen unter den Wissenschaftlern hätten nicht ausgetragen werden dürfen, Meinungsverschiedenheiten passieren in der Wissenschaft ständig, aber in einem bestimmten Kontext, in einer Besprechung. Aber hier passierte es im Fernsehen:

Die Leute fangen an, jemandem zu vertrauen, weil ihnen gefällt, wie er spricht. Oder weil die Person ihrer politischen Gesinnung entspricht. Und das war der Fehler.

Bei der nächsten Pandemie brauche es schnelle Entscheidungen, einen nationalen oder regionalen Krisenstab.

Wenisch zu Schulschließungen: „Wo ich immer schon dagegen war, und wurde ja auch kritisiert. Ich find halt, dass man Kindergarten, Volksschule, Unterstufe nie schließen hätte dürfen. Zumal ja die Kinder ohnehin im Großen und Ganzen eher mildere Verläufe hatten. Im 20er Jahr war das noch ok, aber 2021 sicher nicht, 2022.“

Dann muss er auch so ehrlich sein, die Konsequenzen aufzuzählen: Noch mehr kranke Kinder vor der Impfstoffzulassung, mehr kranke Eltern und Großeltern, noch mehr Halb- und Vollwaisen, noch mehr LongCOVID. Als er zum Jahreswechsel 2020/2021 geimpft wurde, konnte es ihm gar nicht schnell genug damit gehen, die noch geltenden Schutzmaßnahmen abzuschaffen. Für Kinder stand erst ab Herbst 2021 eine Impfung zur Verfügung, für Kleinkinder erst 2022. Als man Ende 2019 in Tirol wegen der starken Influenzawelle Schulen geschlossen hat, hat man von Wenisch keinen Aufschrei gehört. So steht es ja auch im Pandemieplan. Corona wie Grippe behandelt heißt, u.a. auch Schulen zu schließen. Wie Wenisch das findet, ist powidl.

Sprenger redet von unerwünschten Effekten von Schulschließungen wie sozialer Ungleichheit, „und bevor die Baumärkte aufgehen, doch bitte die Schulen aufmachen.“

Weder Sprenger noch Wenisch reden von Prävention in den Schulen, durch Lüftung, durch Masken, durch kleinere Gruppen, durch mehr Unterricht im Freien, durch Distance Learning, wenn Cluster auftreten.

Settele resümiert: „Fakt ist, Covid19 ist weit mehr als eine Sommergrippe gewesen. Noch immer gibt es in unserem Land eine Gruppe von Menschen, die das behauptet. Das ist Unsinn, das stimmt nicht, das ist erwiesenermaßen falsch.“

LongCOVID

Settele filmt eine Betroffene und interviewt Stingl, der Belastungsinterolanz erklärt. Im Beitrag wird auch MECFS erwähnt und die 36 Millionen LongCOVID-Betroffenen in Europa, wie von der WHO geschätzt. Es wird auch thematisiert, dass derzeit LongCOVID-Ambulanzen geschlossen werden. Die Frage, weshalb die Versorgung nicht ausreicht, sollte er allerdings dem Gesundheitsminister stellen und nicht dem Neurologen.

Interview mit Ex-Gesundheitsminister Anschober:

Settele: „Was war Ihr größter Fehler rückblickend?

Anschober: „1. Mangelnde Kooperation mit der EU, 2. seine überforderte Rechtsabteilung, die dutzende neue Verordnungen innerhalb kürzester Zeit erstellen musste, 3. „dass wir den Einzelinteressen, die es dann ab Sommer 2020 gab, zu stark nachgegeben haben. Einzelinteressen von bestimmten Wirtschaftszweigen, Stichwort Wintertourismus, Einzelinteressen von bestimmten Bundesländern. Das ist ja nicht ganz unabhängig voneinander zu sehen. Das hat dazu geführt, dass es ganz unterschiedliche Lösungen, Maßnahmen gab. […] Da konnte ich mich nicht mehr durchsetzen.“ Anschober hält es in so einer Krise für vernünftig, bundeseinheitlich zu handeln.

Anschober fordert ehrliche Aufarbeitung und Gespräche mit gesprächsbereiten Covidgegnern suchen, nicht mit den militanten, da habe er keine Hoffnung.

Der Journalismus

Settele fragt sich, welche Fehler die JournalistInnen gemacht haben.

Settele: „Haben wir die Maßnahmen zu wenig hinterfragt?“

Ich hätte die Frage anders gestellt: Habt ihr die Entscheidungen der Politik zu wenig hinterfragt und die vermeintliche Expertise ihrer Berater?

Settele interviewt Johannes Huber, selbstständiger Journalist, der die Seite „diesubstanz.at“ betreibt und u.a. für vienna.at und Vorarlberger Nachrichten schreibt. Auch er zweifelte den Sinn von Schulschließungen an und ignorierte LongCOVID mit überbetontem Fokus auf ältere Risikogruppen, auch er missversteht „Freiheitsrechte“ als „im Zweifel Vorrang gegenüber Beschränkungen“, denn in einer Pandemie bedeutet die Freiheit der einen, zugespitzt das Sterben der anderen.

Mit Huber habe sich Settele während der Pandemie regelmäßig ausgetauscht, das erklärt einiges. Huber kritisiert die Parteipolitik, auch etwa während der Wahlen in Oberösterreich. In Summe sei es verwirrend gewesen, so viele Experten zu interviewen. Settele fragt, auf wen sie künftig hören sollen, auf den Infektiologen, auf den Immunologen, auf den Virologen, auf den Hausarzt, auf den Gesundheitsminister, auf den Internisten? „Was ist die Lehre aus dieser Pandemie? Unser Berufsstand hat massiv Schaden genommen.

Huber: „Auf keinen dieser genannten Personen können wir blind vertrauen, am wenigsten würde ich auf den Minister, unabhängig davon, wer das jetzt ist, hören. Weil da immer ein politisches Motiv dahinter ist.

„Pandemie in Österreich. Wer hat sich da ausgekannt? Auch in der Wissenschaft? Das hat niemand sehen können, was da passiert.“

Der österreichische Virologe Florian Krammer, der in New York City forscht, auch die Virologen von Laer, Weseslindtner und Aberle waren früh dahinter, ebenso Mikrobiologe Michael Wagner oder Richard Greil.

„Wir müssen zu einem guten Teil damit leben, dass es niemanden gibt, der jetzt genau weiß, was zu tun ist.“

Man könnte das machen, was ich als Citizen Journalist seit drei Jahren tue: Faktenchecks, Aussagen verifizieren. Wie oft lagen unsere Expertinnen und Experten in den letzten Jahren richtig? Wenn sie ständig falsch lagen, sollte man sie nicht mehr interviewen, oder konfrontieren mit früheren Einschätzungen. Nichts davon hat Settele getan bei Wenisch, Franz und Sprenger. Stattdessen …

…bringt Setttele einen jungen Betroffenen, der durch eine Impfung geschädigt sein soll.

Das Problem ist aber noch ein anderes:

Der junge Fußballer leidet unter einer Herzmuskelentzündung. Er hatte insgesamt drei Impfungen, nach der dritten Impfung wären die ersten leichten Symptome aufgetaucht. Drei Monate später folgte eine Corona-Infektion und zwei Monate danach der Zusammenbruch.

Trotzdem wird die Herzmuskelentzündung auf die Impfung geschoben, nicht auf die Infektion! Es gibt klare Richtlinien für die Rückkehr zum Leistungssport nach einer Infektion mit Herzuntersuchungen (D’Ascenzi et al. 2022). Selbst nach leichten oder symptomfreien Verläufen treten Herzmuskelentzündungen gelegentlich auf, speziell dann, wenn sich die Betroffenen nicht ausreichend schonen, sondern zu früh mit dem Sport beginnen. Impfschäden treten nicht erst fünf Monate nach der Impfung auf.

Laut Epidemiologe Zangerle ist eine Herzmuskelentzündung bei 16-19jährigen am häufigsten, vor allem nach der 2. Impfung, aber sehr selten nach der dritten Impfung. Nach Auffrischung mit dem bivalenten Impfstoff im Herbst 2022 wurden 2 Fälle von Personen bis zum 40. Lebensjahr bei ca. 650 000 Dosen nachgewiesen.

Der betroffene Fußballer kommt mir jetzt nicht wie ein Schwurbler vor, aber sie wendeten sich ausgerechnet an den Rechtsanwalt Gottfried Forsthuber aus Baden. Dieser ist 2022 aus der ÖVP ausgetreten, nachdem er sämtliche Maßnahmen vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpft hatte. Auf seinem persönlichen Blog bewegt sich Forsthuber – um es diplomatisch auszudrücken – außerhalb der wissenschaftlicher Realität.

Settele stellt klar: „Das muss eingeordnet werden, diese Aussagen sind Behauptungen.“

Würde er nur bei Sprenger, Franz und Wenisch genauso vorgehen.

Interview mit Andrea Grisold, Impfschadensachverständige:

Grisold: Auf 1000 Impfungen fallen etwa 1-6 Schadensmeldungen, darunter aber auch normale Impfreaktionen. Bei 10-15% würde tatsächlich ein Impfschaden vorliegen, aber es hängt auch davon ab, wie lange die Beschwerden anhalten und von der Schwere der Impfreaktion.

Settele: Das sind ca. 0,01 – bei 20 Millionen verimpften Dosen alleine in Österreich. Bisher gab 2135 Anträge, 266 Personen von 5 Millionen Menschen haben einen Impfschaden bescheinigt bekommen.

[Zum Vergleich: Es gibt laut Schätzungen rund 500 000 LongCOVID-Betroffene, davon rund 60 000 MECFS-Betroffene nach einer Covid19-Infektionen.]

Settele: Fugiuoli in Bergamo glaubt nicht, dass wir die Krise gut überstanden haben. Der private Verkehr habe sich verdreifacht, weil die Menschen öffentliche Verkehrsmittel jetzt meiden. Man habe an Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Wissenschaft verloren, und in die Menschen, die Entscheidungsmacht haben. Wir seien schlecht vorbereitet für das nächste Mal, weil jetzt geglaubt werde, dass Politiker und Wissenschaftler etwas tun, was gegen uns gerichtet wäre.

Settele: Anschober ist optimistischer, er hoffe auf neue Vorwarnsysteme der WHO und auf das neue Epidemiegesetz in Österreich. Das hält auch Wenisch für extrem wichtig.

Wenisch: „Wir haben ein Epidemiegesetz aus dem Jahr 1950. Das müssen wir aktualisieren. Da gibt’s jetzt moderne Maßnahmen. Ich kann jetzt nicht mit dem 50er Jahr Gesetz Krisenkommunikation – das war ja damals anders. Da haben wir kein – wie das alles jetzt heißt – Twitter, Insta und Tiktok. Das gehört aktualisiert, das muss man reinnehmen. Das fehlt uns.“

Da gehört auch Prävention rein, wie saubere Luft in Innenräumen. Ist es nicht eine besondere Ironie, dass am Tag der Ausstrahlung dieser Dokumentationssendung die erste europäische Indoor Air Conference der WHO stattfand? Prävention fehlt uns – ganz besonders diesem Beitrag.

Settele: Der Internist Franz fordert eine eigene medizinische Taskforce.

Franz: Man braucht unabhängig von Politik und Industrie bereitgestellte schnelle Eingreiftruppe.

„Und man braucht auch die Öffnung Richtung kritischer Stimmen, sodass man Leute, die was zu sagen haben, was vielleicht nicht dem allgemeinen Grundtenor entspricht, einbezieht, ohne die niederzumachen.“

Das hat man doch getan: Allerberger blieb bis Juli 2021 Leiter der Öffentlichen Gesundheit der AGES, er vertrat die FPÖ-Positionen als Berater des Gesundheitsministeriums. Mit Gartlehner, Schernhammer, Oswald Wagner, Reinhold Kerbl, Matthias Strolz, Petra Apfalter u.v.a. holte man sich v.a. Berater, die die Maßnahmen schnell loswerden wollten. Aber das hat Franz nicht gemeint, er hätte wohl auch jene wieder hereingeholt, die Hardcore-Positionen vertreten haben.

Huber: „Wenn es um journalistische Glaubwürdigkeit geht, dann müssen wir viel mehr Distanz zur Politik wahren, nämlich kritische, nüchterne Distanz. Nicht Ablehnung, sondern immer bedenken: Was sagt jetzt diese Person? Welche Motive kann es geben? Wie nachvollziehbar ist das? Worum geht es der usw.?

Meine Lehre aus der Pandemie: Distanz zu Journalisten wahren. Immer bedenken: Warum stellt die Person jetzt diese Fragen? Welche Motive kann es geben? Hat sie sich ausreichend mit dem Thema befasst? Hat sie die Kompetenz einzuschätzen, ob der Experte gerade Unsinn redet?

Settele: „Falls wir wieder eine Situation wie in den letzten Jahren erleben sollten, würde ich gerne jetzt schon wissen, an wen ich mich als neutraler Journalist wenden kann. Wessen Empfehlungen darf ich weitergeben, ohne als Regierungsbüttel beschimpft zu werden?

Nochmal mein Tipp: Sich anschauen, was haben die Interviewpartner der letzten Jahre so gesagt, was davon ist eingetroffen, wie sieht es im Ausland aus? Wenn es in England 70 tote Kinder durch Covid gab, kann man in Österreich nicht davon ausgehen, dass alle Kinder gut durchgekommen sind.

Settele: „Ich frage mich noch immer, bei der nächsten Pandemie, auf was willst du hören?

Innenpolitikjournalist Huber: „Es gibt die gesundheitliche Dimension, es gibt aber vor allem auch die Soziale und die Wirtschaftliche. Und die sind uns genauso wichtig. Wir müssen das Ganze in einer Balance halten. Wir dürfen nicht nur sagen, sobald ein Coronafall auftaucht,wir sperren das ganze Land zu. Das ist Wahnsinn. Weil es gibt nicht DIE Wissenschaft, nicht DIE Wahrheit. In dem Fall zeigt sich das brutal.

Das klingt jetz schon mehr nach dem Huber, dessen Position zur Pandemie ich weiter oben recherchiert habe. Nämlich nach dem Kardinalsfehler von allen in der Pandemie, im Glauben, „es gäbe auch andere Interessen“. Das, was Anschober zurecht kritisiert hat. Und natürlich verwendet Huber auch hier ein Strohmannargument. Niemand hat wegen einem Fall das ganze Land zugesperrt. Wir haben eine fünfstellige Zahl von Infektionen in der DELTA-Welle zugelassen, bevor man überhaupt einen halbseidenen Lockdown veranlasst hat.

Setteles Schlusswort:

„Wer glaubt, dass es bei der nächsten Pandemie den einen, alleswissenden Wunderwuzzi geben wird, der irrt.“

Währenddessen steigen die Zahlen weiter, die Spitalsversorgung ist überall angespannt und die Fehltage in den Schulen häufen sich. Personalmangel überall, auch nicht thematisiert. Prävention auch gegen andere Erkrankungen Fehlanzeige. Es kommen weitere LongCOVID-Betroffene hinzu, auch nach Ende der Meldepflicht in Österreich.

In Summe war diese Dokumentation leider ein Kniefall vor den Gegnern der Schutzmaßnahmen und eine Verharmlosung der Viruserkrankung, wie sich jetzt präsentiert, kein respiratorischer Erreger, sondern eine Multisystemerkrankung.

2 Kommentare

  1. Anita

    Wow!
    Danke!
    Man sollte all Ihre Recherchen/Ihre Dokumentation in einem Buch heraus geben!

  2. Jenny

    > „Trotzdem wird die Herzmuskelentzündung auf die Impfung geschoben, nicht auf die Infektion!“

    Bei so etwas stelle ich mir immer vor, wie ein Beamter des Morddezernats den Gerichtsmediziner bei einem Toten mit eigentlich recht eindeutiger Ursache (sowas wie Schusswunden in Stirn und Herz oder 50 Messerstiche am Oberkörper) fragt, ob der Tote geimpft war.

    Der Gerichtsmediziner zitiert aus dem Impfpass: „Masern, Mumps, Röteln, Diphterie, Tetanus, Covid“ und der Polizist sagt bei der Erwähnung von Covid: „Das ist jetzt schon mein 183. Impftoter in diesem Jahr.“

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