Es ist gerade so leise, dass man nur das Blätterrauschen hört und die heiseren Krähen, die den ganzen Tag vor sich hinkrächzen. Die weitere Entwicklung der Pandemie verläuft bis heute nicht unerwartet. Das wissen alle, die regelmäßig meinen Blog lesen oder einschlägige ExpertInnen auf Twitter, Bluesky oder Mastodon, wo es auch weiterhin seriöse Infos zur Pandemie und ihre Folgewirkungen abzuholen gilt. Wir wissen schon länger, dass der Mutationsspielraum von SARS-CoV2 längst nicht ausgereizt ist und sich ständig neue Varianten entwickeln, meist in immungeschwächten Personen, deren Schutz vielfach aufgegeben wurde. Während der Flugverkehr auf Rekordkurs ist, der Tourismus über hohe Nächtigungszahlen jubelt und heuer offiziell Weihnachtsfeiern stattfinden, freut sich das Virus über die nette Einladung und hat sich bereits einen Platz reserviert.
Die vorzeitige Beendigung des Internationalen Gesundheitsnotstands durch die WHO war ein Fehler, der auf politischen Druck zustandekam. Das Gerede vom Ende der Pandemie wie dem allgemeinen Sprachgebrauch „nach der Coronakrise“ basierte nicht auf Fakten, sondern Wunschdenken. Jetzt stehen wir splitternackt vor dem Kaiser, der sich selbst entkleidet, damit seine Fehleinschätzung nicht so auffällt. Seit meinem letzten Beitrag vor zwei Wochen ist die Infektionslage ziemlich eskaliert. Corona hat abgehoben, Influenza und RSV starten gerade, gleichzeitig breitet sich das zuerst in China bekannt gewordene Bakterium Mycoplasma pneumonia auch in Europa in epidemischem Ausmaß aus (z.B. Dänemark). Es ist gut behandelbar, verursacht aber in 10% der Fälle Lungenentzündungen und spricht nur auf bestimmte Antibiotika an, die Inkubationszeit ist mit 2-4 Wochen lang. In Dänemark grassiert gleichzeitig auch eine Keuchhusten-Epidemie, was durch rechtzeitige Booster-Impfungen vermeidbar gewesen wäre. Es gibt unverändert einen akuten Medikamentenmangel, der sich angesichts der Infektionslage in den kommenden Monaten erneut zuspitzen dürfte.
Wie gehts jetzt weiter? Naja, es wird schiach. In Österreich haben sich erst 3,6 % der Bevölkerung mit dem angepassten XBB-Impfstoff impfen lassen, bei Influenza werden es am Ende wohl auch kaum über 15% sein. Problem: Impftermine sind bis Jahresende ausgebucht, es gibt kaum Möglichkeiten, sich gratis impfen zu lassen, das gilt für Corona und Influenza. Gleich ein Hinweis: Wer sich jetzt impfen lässt und sich wundert, dass im E-Impfpass der bivalente BA.5-Impfstoff steht – der wird nicht mehr verimpft, aber es schaffen offenbar nicht alle Ärzte, in ihrer Software auf XBB zu aktualisieren. Das ist dann formal falsch, aber keine Sorge, ihr habt den ‚richtigen‘ Stoff im Arm. Ab jetzt kann zudem auch der angepasste Novavax-Proteinimpfstoff verimpft werden, auf den viele gewartet haben, die mRNA-Impfstoffe wegen ausgeprägter Impfreaktionen nicht vertragen haben.
XBB.1.5 zirkuliert zwar auch immer weniger, aber noch erzeugen die angepassten Booster genügend Kreuzimmunität gegen BA.2.86-Varianten, um schwere Akutverläufe/Todesfälle weitgehend zu verhindern. Geht impfen!
Der Siegeszug von BA.2.86
Als viele Ignoranten den Wiederanstieg im Abwasser ab Juli noch gar nicht am Radarschirm hatten, haben wir auf Twitter bereits von einer neuen Variante erfahren: BA.2.86 – erstmals sequenziert in Israel am 13. August. In Summe unterschied sie sich von der vorherrschenden Variante ERIS (EG.5.1) durch 24 Spike-Mutationen. Sie war der größte evolutionäre Sprung seit BA.1 auf DELTA.
Bereits am 17. August wurde sie von der WHO als „Variant of Monitoring“ eingestuft. Erste Befürchtungen auf ein erneutes „Omicron“-Ereignis wurden durch erste Labortests rasch zerstreut. Trotz der vielen neuen Mutationen wurde die neue Variante gut von den Seren vorherrschender Varianten neutralisiert, zudem wuchs der Anteil der Variante über viele Wochen nur langsam. Die Variante entstand, um der BA.2 Immunität zu entkommen (im 86. Versuch hats funktioniert) – die Ursprungsvariante zirkuliert aber schon lange nicht mehr. Die Anpassung auf XBB-Immunität geschieht jetzt erst mit den Untervarianten von BA.2.86.
In Österreich zeigt das drei Wochen alte Variantenmonitoring, dass Mitte November noch andere Varianten vorherrschend vor. Allerdings zeigten BA.2.86 sowie die ersten Tochtervarianten JN.1, JN.2 und JN.9 bereits expontentielles Wachstum. Inzwischen dürfte JN.1 in Österreich bereits dominant sein.
Im Vergleich zu ERIS weist JN.1 im Variantenpool den deutlichsten Wachstumsvorteil auf und kann sich weltweit durchsetzen, vom Tempo her schon eher vergleichbar mit BA.1/BA.2 als mit allen anderen Varianten, die bisher bei uns eine Infektionswelle ausgelöst haben. Grund dafür ist lediglich eine weitere Mutation (L455S), die JN.1 an die Spitze des Immun Escapes für SARS-CoV2 setzt. Keine Variante konnte das Immunsystem bisher umgehen als JN.1. Seit 22. November wird JN.1 von der WHO als „Variant of Interest“ geführt.
In Österreich werden wir es aufgrund der miserablen Impfraten nie herausfinden, aber interessant dürfte später werden, wie gut sich JN.1 gegen eine Population mit hoher XBB-Impfquote und/oder XBB-Infektionen behaupten kann. Wann wird der aktuelle Trend nach oben gebrochen? Und was kommt nach JN.1? Nach Nowotny, Gartlehner, Wenisch und Drosten vielleicht wieder das Pandemieende oder vielleicht wird dann der Virus endgültig zur Erkältung, aber wer weiß …
Der falsche Fokus: Die Spitalszahlen
Der Einfachheit halber verweise ich auf meine Zitatsammlung von diesem Jahr. Es häuft sich in der Berichterstattung, aber auch durch den Krankheitsminister selbst die Überbetonung auf die Intensivstationen. Dabei können auch Patienten unbehandelt versterben, weil sich aufgrund der vielen Krankenstände nicht genügend Ärzte und Pfleger um sie kümmern konnten, und nicht nur, weil es zu viele Corona-Patienten gibt, die ressourcenaufwändig sind. Das ist leider bis heute nicht zu den Verantwortlichen vorgedrungen.
Aber selbst wenn man den Fokus auf die Spitäler setzt, da liegen wir laut aktuellen Schätzungen im Bereich von 1500 Covid-Patienten. 1500 Seelen, die dort eigentlich gar nicht liegen dürften, weil die Pandemie doch vorbei ist? 1500 Seelen, weil sie vielfach weder die Auffrischimpfungen nachgezogen (viele sind nur 3x geimpft) noch Paxlovid vom Hausarzt bekommen haben, das effektiv darin ist, schwere Akutverläufe zu verhindern. Eine Schande und Ausdruck des Totalversagens des Gesundheitsministeriums, aber auch der Ärztekammer, die nicht willens oder fähig ist, ihre Mitglieder aufzuklären und insbesondere Ärzte, die es gegen den Widerstand militanter Patienten tun, besser zu schützen. Wir erinnern uns an den Brief an die Ärztekammer Anfang September, SARS-CoV2 endlich ernstzunehmen.
Zu den 1500 Seelen kommen in weiterer Folge in den nächsten Monaten noch zahlreiche Influenza- und RSV-Patienten hinzu. Und da reden wir NUR von Infektionspatienten, nicht von anderen Gründen, im Spital zu landen. Leider infizieren sich viele dort und werden kränker nach Hause geschickt, als sie hineingekommen sind. So bleiben natürlich genügend Betten „frei“. Schutzmaßnahmen im Gesundheitswesen sind weiterhin nicht verpflichtend, man setzt auf „Eigenverantwortung“. Ich nenne es fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolge.
Starke Anstiege werden auch aus Deutschland und auch aus Australien gemeldet, wo jetzt der Sommer beginnt, also mitnichten ein saisonaler Verlauf gegeben ist.
Deutschland
Australien
Prävention kann nur mit LongCOVID-Warnung funktionieren
Wir haben offenbar weder genügend Impfstoffe noch einen niederschwelligen Zugang zu antiviralen Medikamenten (Paxlovid), aus Salzburg wird bereits Paxlovid-Mangel gemeldet, sonst kommt man wie gesagt aufgrund inkompetenter Ärzte kaum daran. Es gibt keine Gratis-Testangebote mehr, weder Schnelltests noch PCR-Tests. Selbst die Testmöglichkeit bei Symptomen beim Hausarzt, dessen Regelung bis Jahresende befristet ist, muss jetzt politisch diskutiert werden, um eine längerfristige Lösung zu finden. Mein bescheidener Hinweis: Wenn Corona gekommen ist, um zu bleiben, müssen auch niederschwellige Testangebote bleiben, die aber aufgrund der akuten Überlastung der Hausärzte auf diese beschränkt bleiben dürfen, sondern wieder auf Apotheken und Labors ausgerollt werden sollten.
Ein großes Problem ist momentan, dass gleichzeitig „entwarnt“ wird, weil die Intensivstationen kaum unter Druck kommen würden, dass keine Maskenpflicht kommt, weil „die Bevölkerung breite Immunität aufweise und die aktuellen Varianten harmlos seien“, aber dann zum freiwilligen Maskentragen appelliert wird.
Die Mehrheit der Bevölkerung sieht sich weder als vulnerabel noch LongCOVID-gefährdet. Es wird auch nie kommuniziert, wodurch man vulnerabel wird, dass auch Gesunde LongCOVID bekommen können. „Das trifft nur andere“, denkt sich die große Mehrheit. Daher werden Empfehlungen ignoriert, immerhin hat man lange genug eingetrichtert, dass Masken nur getragen werden müssen, um Intensivstationen zu schützen. Veraltete Bezeichnungen wie „Erkältungswellen“, wenn es Viren sind, die Infektionen verursachen und nicht Kälte oder Zugluft, erschweren ebenfalls eine realistische Risikoabschätzung für sich und andere.
Einen exzellenten Artikel, der alles beinhaltet, was mir am Herzen liegt, hat kürzlich die ehemalige Patientenanwältin Sigrid Pilz im STANDARD veröffentlichen dürfen – bitte lesen und zahlreichen teilen, danke!
Grundlegende Maßnahmen schaffen wir auch, ohne dass man dafür halbherzige Appelle von Wissenschaftlern oder Politikern braucht:
- wer krank ist, bleibt zuhause
- wer krank raus muss, trägt Maske
- wer zu Ärztinnen, Apotheken, ins Spital geht, trägt Maske
- bei hohen Abwasserwerten Maske überall indoor, wo viele Menschen zusammenkommen, vor allem Öffis
- Luftfilter für Schulen und Kindergärten und im Gesundheitsbereich, aber auch in Firmen etwa für Fortbildungen oder Büros, wo es keine Frischluftzufuhr gibt oder Lüften aufgrund der kalten Witterung kaum angenommen wird
Leider reden wir immer noch zu wenig von Prävention und Langzeitfolgen wie nach Covid oder anderen Infektionen wie MECFS werden von den Medien immer nur getrennt von Prävention aufbereitet, als ob das eine mit dem anderen nichts zu tun hätte.
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