Rund um den Höchststand in den Abwasserzahlen – zugleich die höchsten Infektionszahlen seit Pandemiebeginn – hält die Bundesregierung eine Pressekonferenz zum Thema „Nach Corona“ – Aufarbeitungsprozess

Für die Mehrheit der Bevölkerung ist Corona vorbei, weil man ihnen eingeredet hat, dass es vorbei ist. Bei Rekordkrankenständen wegen dem Coronavirus, bei über 1000 stationären Aufnahmen wegen dem Coronavirus, bei über 2000 Aufnahmen aufgrund von schweren Infekten, die über die Atemwege übertragen werden und durch die gleichen Schutzmaßnahmen verhindert werden könnten wie SARS-CoV2 auch. In der 49. Kalenderwoche (4-10.12.) wird Österreich wahrscheinlich in eine substantielle Übersterblichkeit kippen, bei den 0-14jährigen ist es bereits ein neuer Höchstand . SARS-CoV2 hat weiterhin beträchtliche Langzeitfolgen und wer seine Impfung nicht regelmäßig auffrischt und sich stattdessen wiederholt infiziert, erhöht sein Risiko, diese zu bekommen: Autoimmunerkrankungen, metabolische Störungen und Durchblutungsstörungen des Gehirns, erhöhtes Risiko für Schlaganfälle, Epilepsie und Demenz, schwere kognitive Einbußen auch in jungen Jahren mit einer Post-Covid-Symptomatik, die sich zwei Jahre und länger halten können – kurz gesagt, ein ganz normales Erkältungsvirus, wie wir es schon vor der Pandemie kannten (ich sollte Ironie besser kennzeichnen).

In diese aktuelle Situation mit Höchstständen bei den Infektionszahlen, die niemand bestreiten wird, nicht einmal jene, die gleichzeitig sagen, dass die Pandemie vorbei ist und nicht verstehen, warum sie sich ständig infizieren, in diese Situation hinein wird also das „Ende des Aufarbeitungsprozess“ NACH CORONA präsentiert, auch Versöhnungsprozess genannt, was einen bitteren Nachgeschmack hat, weil nach Ende der Apartheid in Afrika auch Versöhnungskommissionen eingesetzt wurden:

„Besonders umstritten war, dass die Täter für ihre gestandenen Taten nicht nur vor Strafverfolgung geschützt waren, sondern auch vor zivilrechtlichen Schadensersatzklagen von überlebenden Opfern oder Hinterbliebenen.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Wahrheits-_und_Vers%C3%B6hnungskommission#cite_note-csvr-8

Der Bundeskanzler hustend vor der Presse: „Tschuldigung, ist ein grippaler Infekt…(hust) … mit längerer Zeit.“ Ein Journalist vom ORF, offensichtlich krank: „Entschuldigen Sie, ich bin auch bedient.“ Nehammer: „Ich verstehs.

Keine Masken.

Katharina Reich, Generaldirektorin für Öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium:

„Ja, nun sind die Zeiten anders, die Pandemie ist vorbei. Wir erleben jedoch, ja, derzeit die größte Coronawelle bisher.“

Damit wäre eigentlich schon alles gesagt.

Leider kam der Hinweis, dass es sich um eine Satiresendung mit Laiendarstellern handelt, nie. Die Pandemie geht weiter, in den Zustand „nach Corona“ werden wir nie kommen (siehe aktuelle Coronawissen-Kolumne). Unabhängige Aufarbeitung my ass, es wurde von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften betreut, Präsident ist Heinz Faßmann, ÖVP und Bildungsminister in den ersten Pandemiejahren.

Der ÖAW-Soziologe Alexander Bogner hat in einem Kommentar in der deutschen „Zeit“ schon vor längerer Zeit klargemacht, wo er steht:

„Während einige Experten auch angesichts immer neuer Mutationen dazu aufrufen, „mit dem Virus zu leben“ (wie es der ehemalige WHO-Epidemiologe Klaus Stöhr formuliert hat), fordern andere – ebenfalls noch einmal verstärkt mit Blick auf Mutationen – eine sofortige radikale Senkung der Inzidenzzahlen (wie die No-Covid-Initiative). Beide Positionen berufen sich auf wissenschaftliche Einsichten und wissenschaftliche Autorität, beide modellieren die Zukunft entlang wissenschaftlicher Wahrscheinlichkeiten. Prominente Namen auf den Unterschriftenlisten im Anhang von Stellungnahmen und Memoranden unterstreichen dies.“

Bogner in der ZEIT (30.04.2021)

False Balance also – und ausgerechnet Stöhr wird zitiert, der ein Jahr später das hier sagte:

“Letztlich betrifft eine Atemwegspandemie wie Corona hauptsächlich die Vulnerablen – also diejenigen, die näher am Ende stehen als andere.”

Klaus Stöhr, 13. Juli 2022

Der eine sagt mehr oder weniger unverblümt, dass man in so einer Pandemie die Vulnerablen opfern könnte, weil sie sowieso gestorben wären, die anderen hätten gerne so viele Menschenleben gerettet. Kann man das gleichsetzen? Ich finde nicht.

Um Kritik gleich vorzubeugen, Stöhr war schon vor April 2021 verhaltenskreativ:

und ist durch wiederholte Falschinformationen aufgefallen, zudem hat er an einer Veranstaltung mit Impfgegnern und Anthroposophen teilgenommen und hat fleißig einen der Mitverfasser der Great-Barrington-Declaration zitiert. Dieses exzellente Portfolio qualifizierte ihn dazu, im Juli 2022 auf Vorschlag der CDU in den Sachverständigenrat gewählt zu werden. Von 1992 bis 2007 war in der WHO als Epidemiologe aktiv, pikanterweise hatte er auch eine aktive Rolle in der ersten SARS-Pandemie, hätte es also besser wissen müssen.

Was soll man sonst sagen? Polaschek will gegen Wissenschaftsskepsis kämpfen, weigert sich aber, mobile Luftreiniger in die Klassenzimmer aufzustellen, bis überall moderne Lüftungsanlagen eingebaut wurden. Rauch spricht vom Vergangenheitszustand der Pandemie als Ausnahmesituation und behauptet ernsthaft, das Gesundheitssystem habe diese Krise bewältigt, der Sozialstaat würde tragen – angesichts weiterhin existierenden Paxlovidmangels, unter 6% Durchimpfungsrate mit dem aktuellen Booster, etlicher gesperrter Betten, ausgelasteter Spitäler und etlicher Ansteckungen in den Spitälern selbst eine Farce sondersgleichen. Aber auch LongCOVID/MECFS-Betroffene können angesichts dieser Worte nicht einmal mehr lachen, denn es gibt weder Versorgungssicherheit, geschweige denn einen in der Praxis funktionierenden Versorgungspfad noch Anerkennung der Erkrankung für die gesetzliche Krankenkasse und die Pensionsversicherung. Chronische Erkrankungen sind der Weg in die Armutsfalle.

Die gesamte Studie umfasst 177 Seiten und wurde von Alexander Bogner herausgegeben. Die Teilstudie II.5 zur Wissenschaftsskepsis soll recht gelungen sein. In der Einleitung fällt leider kein Wort dazu, dass Corona nicht vorbei ist, sondern nun dauerhaft als hochinfektiöses Virus präsent. Im gesamten Text kommt Long/Post-COVID (bis auf eine Aufzählung in einer Bürgerempfehlung im Anhang, S. 165, Nr. 181) ebenso wenig vor wie MECFS, chronische Erkrankung. So kann „Aufarbeitung“ nicht funktionieren.

Aus Dialogveranstaltungen in allen neun Bundesländern hat man insgesamt 185 Empfehlungen erhalten und daraus 38 Kernempfehlungen abgeleitet. Pikant dabei dieser Hinweis:

Man könnte einwenden, dass bei den Dialogen keine Kinder und keine spezifisch vulnerablen Gruppen anwesend waren. Immerhin wurde aber versucht, über die Vignetten auch bewusst die Situation der Kinder in die Diskussion einzubringen. Zudem wurde besonders darauf geachtet, dass auch ältere Menschen an den Diskussionen beteiligt sind, die sicherlich über eine gewisse Erfahrung zur Situation von Kranken und Pflegebedürftigen verfügen.“ (S. 139)

Und was ist mit all jenen Vulnerablen, die weder alt sind noch pflegebedürftig, sondern mitten im Leben stehen, Klassenkameraden, aber auch Arbeitskollegen? Wie so oft wird über sie geredet, aber nicht mit ihnen, den vergessenen Kindern.

Ich werd mir die Studien noch bei Gelegenheiten tiefer zu Gemüte führen.

Wir halten jedoch fest, dass in der öffentlichen Diskussion in den etablierten Printmedien und auch in der wissenschaftlichen Diskussion (mit Ausnahme der
meisten Vertreter:innen von Virologie und Epidemiologie) schon nach dem ersten Lockdown überwiegend befürwortet wurde, Schulen offen zu halten oder Schüler:innen nur punktuell und gezielt ins Distanzlernen zu schicken. Auch
Expert:innen aus der Mikrobiologie und Simulationsfachleute wiesen im Dezember 2020 darauf hin, dass Schulschließungen zwar epidemiologisch wirksam seien, es aber eine Frage politischer Prioritäten gegenüber anderen Kontakteinschränkungen sei, Schulen zu schließen oder offenzuhalten.
“ (S. 64)

Dabei orientierte sich die Regierungspolitik überwiegend an virologischen und epidemiologischen Evidenzen und den entsprechenden Indikatoren. Diese wurden dann, wenn es um Öffnungen oder differenzierte Maßnahmen ging, gegen regional spezifische Wirtschaftsinteressen abgewogen. Es scheint, dass die Abwägung zwischen „Schulen und Skiliften bzw. Gasthäusern“, die in der Presse ebenso wie in den Äußerungen von Betroffenen und Interessenvertreter:innen immer wieder vorkommen, expliziter Bestandteil des politischen Prozesses war.“

Das Fazit der Autoren zur Teilstudie über Schulschließungen lautet, die Regierung habe versucht, sich „durchzuwurschteln“ (muddling through). Was im gesamten Text naturgemäß fehlt, ist ein Hinweis auf das Erkrankungsrisiko der Kinder und Jugendlichen selbst, auf vulnerable Kinder und deren Angehörige, auf die Zahl der Kinder, die durch Corona zu Halb- oder Vollwaisen wurden. So richtig schlau bin ich jetzt aus der Lektüre auch nicht geworden, was genau die Empfehlung ist.

Ich schaff das leider aus Zeitgründen nicht, aber bitte vergleicht einmal den Influenza-Pandemieplan (3. Auflage November 2006) mit dem aktualisierten Pandemieplan für respiratorische Erreger (Wien, nach April 2023 verfasst) – das wäre eine schöne Bachelorarbeit im Bereich Gesundheitspolitik. Am besten gefällt mir diese Aussage:

Abwassersignal und Zitat aus dem Fazit des aktualisierten Pandemieplans

Das aktualisierte Dokument enthält eine Reihe weiterer faktenwidriger Aussagen, die einen ausführlicheren Faktencheck erfordern will (Klarstellungen sind leider wesentlich zeitaufwendiger als einfach etwas behaupten, um sich ins beste Licht zu rücken).

Was hat man also gelernt, was ist das Résumée der Aufarbeitung einer Krisensituation, die noch nicht beendet ist? Offenbar nichts. Was immer auch an klugen Empfehlungen in den Teilstudien steht, offenbar wird davon nichts umgesetzt. Der Kanzler stellt sich mit respiratorischen Symptomen ohne Maske vor das Mikro, um zu symbolisieren, dass es wirklich vorbei ist. Der Gesundheitsminister beweihraucht sich mit der so erfolgreichen Krisenbewältigung, um von seinem Versagen in der aktuellen Coronawelle abzulenken. Die Wiener Linien weisen in ihren Durchsagen ständig auf Taschendiebstähle hin, empfehlen aber nicht, aus Respekt vor vulnerablen Fahrgästen, eine Maske aufzusetzen – den wenigsten Respekt bekommen Säuglinge und Kleinkinder, die keine Maske tragen können (ok, in Singapur können das auch Zweijährige). So bleibt die ganze Veranstaltung eine Farce, ein billiger Versuch, Stimmen von „Maßnahmenkritikern“ wiederzugewinnen und die restliche Bevölkerung zu beruhigen, dass das Coronakapitel jetzt endgültig abgeschlossen sein würde.

Als Ausblick auf den nächsten Blogtext:

„Verwendete psychologische Abwehrmechanismen, um COVID herunterzuspielen.“