CO2-Messung in einem Klassenzimmer einer Schule in Österreich, inklusive Grenzwerte und Auswirkungen – ab 2000ppm atmet man bereits 4% der Luft ein, die andere ausgeatmet haben – aus der Pressekonferenz am 15.12.23

Über Kinder und Jugendliche wird seit dem Ende aller Schutzmaßnahmn viel zu wenig gesprochen. Sie spielen für die Politik keine Rolle mehr und sie werden von den Medien konsequent ausgeblendet. Ein Lichtblick war die Pressekonferenz der IGÖ mit spannenden Daten und Fakten zur unzureichenden Frischluftzufuhr in Klassenzimmern, aber auch zu den vielen infektionsbedingten Krankenständen. In meiner letzten Kolumne im Coronawissenblog habe ich mich ausführlich den vergessenen Kindern gewidmet. Denn ein Großteil ist weiterhin ungeimpft, dafür mehrfach infiziert und das hat für einen wachsenden Teil an Betroffenen Spätfolgen. Es ist schlimm genug, dass nicht einmal eine Maskenpflicht im Gesundheitswesen angedacht ist – wohl aus Angst, das ohnehin knappe Personal würde dann davonlaufen, aber auch im Bildungswesen geschieht leider viel zu wenig, dabei hätte man mit CO2-Messungen und Luftfiltern einen effektiven Hebel, gegenzusteuern. Bei den Kinderkliniken ist die Situation bereits kritisch, was man aus den spärlichen Informationen herauslesen kann, ebenfalls in Deutschland.

Die sonstigen Aussichten sind betrüblich: Das Niveau von SARS-CoV2 in den Abwasserwerten ist weiterhin auf Rekordniveau, gleichzeitig gibt es steile Anstiege bei Influenza und RSV. Die Hospitalisierungen durch SARS-CoV2 steigen weiter an, auch in anderen Ländern und in mutmaßlichem Zusammenhang mit der Dominanz von JN.1. Die Risikokommunikation in Rundfunk und Fernsehen ist mehrheitlich (!) katastrophal, da verharmlosend, und. Die Regierung versagt in der Vorbildfunktion bei Benefizveranstaltungen und die Opposition pisst sich wegen der FPÖ ins Hemd. Keiner ist gewillt, ein Projekt zu starten, um sachlich und fundiert über gesellschaftliche Notwendigkeiten wie soziale Teilhabe, Recht auf Gesundheit und angemessene Versorgung im Krankheitsfall aufzuklären. Stattdessen nivellieren wir uns weiter nach unten, nehmen als Maßstab Länder oder Zeiträume, wo die Situation viel schlechter war, statt den status quo zu normalisieren.

Es ist ein langer, mühsamer Weg, um wieder zu mehr Lebensqualität zu finden, ohne dass alle Bereiche des Lebens direkt (eigene Erkrankung) oder indirekt (Krankenstände anderer) eingeschränkt sind. Derzeit bewegen wir uns nicht dorthin.

Die Virologin Isabella Eckerle (aktuelles Buch: Von Viren, Fledermäusen und Menschen) hat vor kurzem (auf Englisch) getweetet:

„Unpopuläre Meinung: Wir werden so schnell nicht zu einer vor-2020-Wintersaison zurückkehren, vielleicht nie. Wir haben nun ein zusätzliches Atemwegsvirus (SARS-CoV2), das gleichzeitig zirkuliert und zusätzliche Krankheitslast und Todesfälle verursacht. Es ist nicht saisonal und sorgt mit großer Häufigkeit für wiederholte Infektionen. Das ist das neue Normal.“

Virologin Isabella Eckerle (aktuelles Buch: Von Viren, Fledermäusen und Menschen) auf Twitter, 15.12.23

JN.1 übernimmt

Entwicklung der Viruslast im Abwasser seit Beginn 2022 in den Bundesländern und im Durchschnitt.

Die bisherige Welle war nur zu einem Teil von JN.1 getrieben, der andere Teil stammt noch von diversen XBB-Varianten. JN.1 ist jetzt aber auch in Österreich dominant geworden. JN.1. ist keine Rekombinante, sondern ging aus BA.2.86.1. hervor. Die entscheidende Mutation, die JN.1. einen deutlichen Wachstumsvorteil gegenüber allen anderen Varianten verschafft hat, ist L455S. Diese entkommt auch den Antikörper-Klassen, die BA.2.86 nicht überwinden konnte (Yang et al. 2023).

Wachstumsvorteil gegenüber EG.5.1. (der Variante, die bis zur Übernahme von JN.1 dominiert hat) , Quelle

JN.1 wurde erstmals am 25. August 2023 in Luxemburg identifiziert und weist einige bemerkenswerte Mutationen im Spike-Protein auf. Im Vergleich zu XBB.1.5, auf die der aktuelle Impfstoff von Pfizer, Moderna und Novavax zugeschnitten wurde, enthält JN.1 41 einzigartige Mutationen – darunter auch ein paar „alte Bekannte“ aus der Zeit vor Omicron, wie E484K (Beta) und P681R (Delta). Ein ausführlicher Artikel zu den Eigenschaften von JN.1 wurde von William A. Haseltine für Forbes verfasst.

Trajektorie von SARS-CoV2 von den ersten Varianten bis JN.1 – Das Virus ändert die Art und Weise, wie es über die ACE2-Rezeptoren in die Zelle eindringt. JN.1 tut dies vermehrt im Magendarmtrakt und weniger in den Lungen (Aggarwal et al. 12/2023 preprint), aber die Auswirkungen davon sind unklar. Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass JN.1 zu vermehrtem Ausscheiden von Virus im Abwasser oder vemehrten Magendarm-Symptomen führt. Die Abwasserkurven bilden das Infektionsgeschehen also weiterhin sehr gut ab.

JN.1. entkommt auch der aufgebauten Immunität durch den aktualisierten Impfstoff stärker sowie durch Durchbruchsinfektionen mit XBB.1.5 (Winterwelle 2023) bzw. EG.5.1. (Spätsommerwelle 2023). (Kaku et al. 09.12.23 preprint). Allerdings ist noch unklar, ob sich das zwingend in einer steigenden Krankheitslast niederschlägt. Bei einer Impfquote unter 5% wie derzeit in Österreich werden wir von einer hohen Impfquote jedenfalls nicht profitieren können.

Was festzuhalten bleibt: Der monovalente Impfstoff gegen XBB.1.5 (in Österreich: Pfizer oder Novavax) ist der effektivste Impfstoff, den wir zur Zeit haben. Vermehrte Durchbruchsinfektionen sollten aber nicht überraschen aufgrund der hohen Immunfluchteigenschaften von JN.1.

JN.1. ist in der Gruppe der Pirola-Varianten (BA.2.86) zuhause. Pirola kommt von Pi, also nicht mehr Omicron, sondern ein neuer Variantenstrang, der derzeit sämtliche XBB-Varianten verdrängt. Es scheint momentan aber unwahrscheinlich, dass die WHO JN.1 als „Variant of Concern“ betitelt und den Namen Pi einführt. Das ist zugleich ein Dilemma, denn falls JN.1. wirklich mehr schwere Verläufe und Todesfälle verursacht als vorherige Varianten, erfahren wir das frühestens in 1-2 Monaten. Bis dahin ist die Welle aber schon durch und ein Hochfahren von Maßnahmen aufgrund veränderter Gefahrenlage kommt zu spät.

Auch in den Niederlanden korrelieren wöchentliche Spitalsaufnahmen und Abwasserwerte weiterhin eindeutig.

Weiterhin schlechte Risikokommunikation

Die Regierung war gewarnt, dass mit der derzeitigen Risikokommunikation keine hohen Durchimpfungsraten erzielt werden können (Stamm et al. 03/2023). Das ist insofern pikant, weil die Erstautorin gleichzeitig Leiterin von BETTER (Being equiped to tackle epidemics right) ist, einem Forschungsprojekt, das Lehren und Empfehlungen aus der Pandemie ableiten soll. Der Experte für Politische Kommunikation und frühere Leiter des ACPP (Austrian Corona Panel Project), Jakob-Moritz Eberl, hat ebenfalls im März gewarnt, dass ausbleibende Gesundheitskommunikation gravierende Folgen haben wird:

„Nun steuern wir in den Gesundheitsnotstand und stehen splitternackt da. Keine Medikamente. Niedrige Impfrate. Hohe Infektionszahlen. Keine Prävention.“

Nur wenige Expertinnen und Expertinnen trauen sich klare Botschaften zu wie Maskenpflicht im gesamten Gesundheitswesen und fallweise auch in öffentlichen Verkehrsmitteln. Stattdessen „beruhigen“ viele, dass keine „Zwangsmaßnahmen“ notwendig seien und übernehmen damit das Querdenker-Wording.

“ Wenn die Gesellschaft keine Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr will, dann wollen wir nicht, dass in einer Demokratie sowas passiert.“

Molekularbiologe Ulrich Elling, „Bei Budgen“, Wien heute, 16.12.23

Die Gesellschaft will auch keine Steuern, wollte lange Zeit kein absolutes Rauchverbot und auch keine härteren Maßnahmen für Klimaschutz. Zum Glück entscheidet der Staat gelegentlich noch mit wissenschaftlicher Evidenz und gegen populistische Stimmungen.

Eine Bevölkerung, die entsprechend über die Risiken aufgeklärt ist, ist auch gewillt zu Hochinfektionsphasen Maske zu tragen. Aber dazu braucht es die entsprechende Gesundheitskommunikation, klare Empfehlung und Vorbildfunktion aus Politik.

Eine Bevölkerung, die entsprechend über die Risiken aufgeklärt ist, wünscht sich Maßnahmen zu Hochinfektionsphasen. Unvernünftig sind lediglich Maßnahmengegner*innen, denen auch Abwesenheit von Maßnahmen zu viel Maßnahmen sind.

Jakob-Moritz Eberl, 11.10.22 und 18.03.23

Damit ist klar: Wenn der Staat intransparent informiert, wenn viele Bürger von der aktuellen Infektionswelle überrascht werden, indem sie z.B. nicht mehr rechtzeitig auffrischen konnten, wenn man sich über Twitter oder Bluesky fortbilden muss, um an seriöse Informationen zu kommen, dann hat der Staat versagt. Dann können Bürger keine eigenverantwortlichen Entscheidungen treffen. Wenn suggeriert wird, dass es keine Gefahr gibt, warum soll man sich und andere dann schützen? Die Verharmlosung geschieht derzeit aber ganz massiv auf allen Kanälen und überdeckt bei weitem die Lichtblicke einzelner Meldungen oder Reportagen. „Mixed Messages“ sind zudem ein Problem, wenn ein Experte sinnvolle Maßnahmen im gleichen Atemzug wie unsinnige Maßnahmen nennt, aber letztere bequemer sind. Bei vorgefertigten Meinungen bleiben die bequerem Aussagen stehen, die meistens heißen „keine Sorge, alles harmlos, wiederholte Infektionen schaden nicht, Masken nicht nötig, nur ein Schnupfen.“

Ebenso sollte man jetzt nicht davon sprechen, dass der Höhepunkt der aktuellen Infektionswelle überschritten sei, nur weil es bei Rekordwerten einen kleinen Knick im Abwasser gibt. Eine Doppelwelle von JN.1. nach den XBB-Varianten scheint sehr wahrscheinlich.

Denn bei einem nur langsamen Rückgang der Infektionszahlen stecken sich mehr Menschen an als bei einem steilen Anstieg mit nachfolgendem steilen Abfall – es zählt das Integral unter der Kurve!

Influenza und RSV beginnen erst

Wiener Abwassermonitoring von SARS-CoV2, Influenza und RSV, Stand 16.12.23

Die aktuelle Abwassergrafik von Wien zeigt einen kleinen Knick der SARS-CoV2-Welle auf hohem Niveau, einen starken Anstieg von Influenza und auch einen steileren Anstieg von RSV. Für die Krankenstände und Gesundheitswesen bedeutet das nichts Gutes, denn die Spitalsaufnahmen aufgrund von SARS-coV2 werden noch weiter steigen wegen der Verzögerung im Krankheitsverlauf, während die Aufnahmen wegen RSV und Influenza dann hinzukommen. Sollte JN.1 die Welle auf hohem Niveau halten, potenziert sich das Problem.

Vergleich der letzten RSV-Wellen in Österreich, Quelle: Virologin Judith Aberle, MedUni Wien

Die Durchseuchung der Kinder in den ersten Pandemiejahren hat zur Entwicklung der starken RSV-Welle 2021 und 2022 beigetragen (Wang et al. 2023), in England gibt es auch im Winter 2023/2023 bereits neue Höchststände bei schweren RSV-Verläufen (v.a. Kinder und ältere Menschen). Da die SARS-CoV2-Welle auch bei uns deutlich vor der RSV-Welle eingesetzt hat, müssen wir auch diesen Winter mit vermehrt schweren Verläufen bei Kindern rechnen. Mein Übersichtsartikel zu den coronabedingten Folgen für das Immunsystem und Folgeinfektionen führt das genauer aus in epischer Breite.

Gegen Influenza und RSV würden sowohl hohe Impfquoten schützen, die wir nicht haben. In Spanien etwa hat eine hohe RSV-Impfrate zu einer Reduktion von 84% bei Hospitalisierungen verglichen zu 2022/2023 geführt. Ebenso schützen natürlich natürlich Maske tragen, Luftreiniger und Isolation von Kranken effektiv vor Übertragungen. Im ersten Coronajahr konnte man RSV und Influenza praktisch verhindern.

In KW 50 hat das Sentinelsystem 140 positive SARS-CoV2-Proben von 392 registriert, ein Wert, der sich nahe den bisherigen Rekorden bewegt. Das entspricht einer Positivrate von 31%, Rhinoviren 10%, Influenza 6% und RSV 5%.

Das heißt, die hohen Abwasserwerte sind nicht übertrieben, das hohe Infektionsrisiko durch SARS-CoV2 ist real.

Strohmann-Aussagen

Statt zu sagen …

Es ist inakzeptabel, dass so viele vulnerable Menschen aufgrund fehlender Impfung und Medikamente im Spital landen

heißt es …

Die Hospitalisierungsrate ist weit unter der in der Delta-Welle, es gibt daher kein Grund zur Beunruhigung.

Das erinnert mich an die Aussagen von Franz Allerberger 2020 und 2021, der lange behauptet hat, Corona sei weit weniger gefährlich als ursprünglich befürchtet, wo man mit 30% Mortalität wie bei MERS gerechnet hätte (hat niemand getan), es seien ja „nur“ 1% und weniger. Durch die künstliche Überhöhung werden relativ viel kleinere Prozentzahlen normalisiert, die aber absolut gesehen dennoch signifikantes Leid bedeuten. Mit einer MERS-Sterblichkeitsrate hätte man Covid schon 2020 ausgerottet. MERS hat seit der ersten Diagnostik 858 Todesfälle verursacht, SARS-CoV2 7 Mio bestätigte Todesfälle, Dunkelziffer deutlich höher.

Warum legen wir nicht unsere Messlatte höher und orientieren uns weniger an Ländern oder Zeiträumen, wo alles noch schlechter war, sondern daran, wie man die inakzeptabel hohe Krankheitslast verringern kann, was ja letztendlich auch ein Gewinn für die Wirtschaft ist, und selbst Neoliberale überzeugen sollte.

Gesunde Menschen haben (vermeintlich) Vorrang

The entire pandemic response has been shaped around accommodating the distress intolerance of privileged people.

Hannah Davis, LongCOVID-Forscherin und Betroffene, 07. Mai 2022

Die schwarzgrüne Regierung hat Mitte Jänner angekündigt, alle Covid-Maßnahmen abzuschaffen auf Basis vorhandener Impfung, Medikamente und „hoher Immunität“. Leider leider gibt es hier einen Bias, nämlich wie schon von Beginn an, zugunsten „gesunder Menschen“. Unabhängig von LongCOVID erkrankten „gesunde“ Menschen schon immer deutlich seltener schwer als vulnerable Personengruppen. Mit Impfung noch seltener. Der Schmäh der Herdenimmunität war ja, dass eine geimpfte Mehrheit eine trotz Impfung schlechter geschützte Minderheit schützt.

Mit drei Impfungen hätte man das gegen Delta vmtl. noch erreicht, weil die Übertragung deutlich reduziert worden ist mit Impfung alleine. Mit NPIs hätte man da noch viel mehr erreichen können. Mit Ankunft von Omicron war allerspätestens klar, dass Impfung alleine nicht ausreicht. Geimpfte sind – leider, aber das war auch nicht das Ziel der Impfkampagne – seit Delta (mit 2 Impfungen) und seit Omicron (trotz 3 Impfungen) weiterhin Teil des Infektionsgeschehens, können sich anstecken und übertragen. Und sind damit eine Gefahr für alle, die Schutz brauchen.

„Gesunde“ können also eher damit leben, dass Null Prävention betrieben wird – aus Sicht der Regierung und leider auch der Opposition, weil sie das geringere Risiko haben. „Vulnerable“ haben das höhere Risiko UND Null Schutz, plus zu wenig Impfangebot/-aufklärung und Paxlovid.

Und damit haben wir – Stand 2023 – trotz Impfung – eine formvollendete Umsetzung der „Great-Barrington-Declaration“-Ideologie in Österreich:

Die Mehrheit lebt wie vorher, die Minderheit ist dauerhaft exkludiert aus der Gesellschaft.

Dazu kommen einige nicht berücksichtigte Faktoren wie LongCOVID, das auch vorher Gesunde betrifft, speziell nach Reinfektionen, und dass viele nicht wissen, dass sie Risikofaktoren haben, oder diese verdrängen. Diese Zweiteilung in „gesund“ und „vulnerabel“ ist real nicht da. Sie ist auch nicht korrekt, denn nicht jeder, der vulnerabel ist, ist zwangsläufig krank. Eine Behinderung kann vulnerabel machen, aber der Mensch mit dieser Behinderung würde sich nicht als krank bezeichnen, z.b. mit einer körperlichen Behinderung, die angeboren ist. Wie das von vielen auch schon angesprochen wurde, ist das eine sehr stigmatisierende Richtung, in die wir uns da bewegen. Man zwingt Menschen dazu, ihre Grunderkrankung oder Behinderung offenzulegen, damit sie selbstverständlichen Schutz begründen können.