Die Viruslast im Abwasser steigt weiter an, wobei Wien mit der besten Abdeckung die höchsten Werte zeigt. In Wien hat am 4. September 2023 die Schule begonnen.

Mir fällt es schwer einen Titel zu finden, denn: Die Politik wird darauf nicht reagieren, die Medien spulen wie bei jeder die Infektionswelle das Verharmlosungsprogramm ab, damit der Konsum nicht zurückgeht. Sonst tut sich aber schon mehr als in den letzten Jahren, es gibt einen Offenen Briefe engagierter Ärzte an die Ärztekammer und auch der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) hat das Thema Prävention entdeckt. Gleichzeitig gibt es beunruhigende Neuigkeiten über die neue Variante BA.2.86.

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Mitmach-Aktion

Ich spende bis Jahresende pro Höhenmeter, den ich erwandere oder mit dem Mountainbike fahre, 10 Cent an die Österreichische Gesellschaft für MECFS und lade andere bergaffine Menschen dazu ein, es mir gleich zu tun, wahlweise je nach Budget und Zahl an Touren mit größerer oder kleinerer Summe. Gleichzeitig kann man für das wichtige Thema ’schwerwiegende chronische Erkrankung nach viralen Erkrankungen‘ sensibilisieren.

Wie sich LongCOVID mit Belastungsintoleranz auswirkt und welcher K(r)ampf mit Behörden entsteht, die Schwere der Erkrankung beweisen zu müssen, schildert die Schwerstbetroffene Eva Maria Burger in diesem Protokoll. Seit September 2023 zählt LongCOVID offiziell als Autoimmunerkrankung.

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Derzeit breiten sich vor allem die Variante EG.5.1 und andere XBB*-Varianten aus, die von den monovalenten XBB.1.5.-Impfstoffen gut abgedeckt sind (Pfizer ist bereits zugelassen, Moderna sollte bald kommen, Novavax noch ausständig). Das Nationale Impfgremium (NIG) empfiehlt allen in der Bevölkerung eine Auffrischimpfung, besonders (altersunabhängig) jenen mit Risikofaktoren. Es darf also jeder, der das möchte – allerdings gibt es heuer nur 1,9 Millionen Impfdosen, das reicht nur für ein Fünftel der Bevölkerung („nicht genug Rettungsboote auf der Titanic“).

Nach dem SARI-Dashboard steigen Hospitalisierungen wegen Covid19 stark an. Der gesicherte Anteil von Covid19 an allen stationären Aufnahmen beträgt inzwischen 21,6% (KW34), allerdings beträgt der Teil unbekannter Ursache über 75%. Im August wurde auch viele Kleinkinder wegen Covid19 ins Krankenhaus aufgenommen.

Der Trend bei den Covid19-Diagnosen mit schweren Verläufen zeigt also nach oben – trotz „robuster Immunitätslage“ (O-Ton Immunologe Andreas Bergthaler), nachdem über 95% der Bevölkerung bereits mehrfachen Kontakt mit Virus und/oder Impfung hatte. Das Problem: Die Immunität ist nur kurzlebig, meist wenige Monate, und es entstehen ständig neue Varianten, die die Immunität umgehen. Bei Immunität muss man zudem differenzieren zwischen steriler Immunität (gegen Infektion; nur wenige Wochen bis Monate nach Infektion/Impfung und nur bei niedriger Virusexposition) und klinischer Immunität (gegen Erkrankung; abhängig von Virusexposition und Immunsystemstatus). Reinfektionen bleiben ein Risiko für LongCOVID. Weltweit nehmen Hospitalisierungen und Todesfälle derzeit zu. Die neue Variante BA.2.86 sorgte für einen Ausbruch in einem Pflegeheim in England, mit hoher Ansteckungsrate und vielen symptomatischen Verläufen, jedoch nur geringer Hospitalisierungsrate. In England gab es seit Ende Juli eie Zunahme von 150% an symptomatischen Fällen, 249% mehr wöchentliche Spitalsaufnahmen und 224% Zunahme an wöchentlichen Todesfällen (Quellem: ZOE App, coronavirus.data.gov.uk).

Neues zu BA.2.86

Mehrere Studien mit einem Pseudovirus (ein harmloses Schnupfenvirus, das man mit einem SARS-CoV2-Spike-Protein ausgestattet hat) erschienen, das aber die Einschränkung hat, dass damit Wechselwirkungen mit anderen Virus-Proteinbestandteilen nicht untersucht werden können. So zeigten sich bereits bei BA.1 zu optimistische Daten hinsichtlich Neutralisierung des Virus durch Impfung und vorherige Infektion. Die hohe Ansteckungsrate beim oben geschilderten Pflegeheim-Ausbruch spricht eher gegen die gefundene niedrigere Infektiösität als bei den XBB-Varianten. Die bisher zugelassenen monoklonalen Antikörper, mit denen immunsupprimierte Patienten therapiert werden, wirken nicht bei BA.2.86 (Quelle).

Beunruhigender ist aber ein anderes Forschungsergebnis: Die Infektiösität von BA.2.86 ist zwar niedrig in 239T-ACE2-Zellen, aber die höchste von allen getesteten OMICRON-Varianten in CaLu-3-Zellen – das sind Krebszellen der Lunge, meist von Adenokarzinomen. CaLu-3-Zellen werden gerne von Virologen als Modell für respiratorische Übertragung genommen (Zhu et al. 2010), weil CaLu-3 die Protease TMPRSS2 (v.a. in Lungenzellen) exprimiert, die SARS-CoV2 neben der Bindung an den ACE2-Rezeptor (v.a. im oberen Atemtrakt) braucht, um in die Zellen zu gelangen. Bei SARS-1 sorgte das Virus für raschen Zelltod befallener CaLu-3-Zellen (Tseng et al. 2005), der schnellste Weg, an SARS zu versterben. Es wird spekuliert, dass BA.2.86 a) zu mehr schweren Verläufen b) besonders bei Krebspatienten zu schwereren Verläufen führen kann.

Nur: Wie stellen wir das (rechtzeitig) fest, nachdem die Surveillance abgeschafft wurde? Es gibt in Österreich nur bei jedem fünften Antigentest in Arztpraxen einen PCR-Test, es gibt keine aktuellen Sterblichkeitsdaten mehr, das SARI-Dashboard hinkt 3-4 Wochen hinterher.

BA.2.86 ist nicht die einzige hochmutierte (35 Spike-Mutationen) Variante derzeit, am 07.09. wurde BA.5.1.10 gefunden, das 15 Spike-Mutationen aufweist. Der Mutationsspielraum von SARS-CoV2 ist also bei weitem nicht ausgereizt.

Offener Brief der Ärzte an die Österreichische Ärztekammer

15 Ärzte fordern die Rückkehr von FFP2-Masken in Ordinationen und Spitälern in einem ausführlichen Brief mit vielen Referenzen: Brief auf Deutsch und Englisch. Ich kenne einige der ÄrzteInnen, die dort unterschrieben haben, von Vorträgen oder bisherigem Engagement in der Pandemie. Die wissen alle, wovon sie reden. Auch der KURIER hat gestern darüber berichtet.

Wichtig wäre außerdem auch eine Maskenpflicht in Apotheken, wo jetzt wieder vermehrt infizierte Patienten aufkreuzen und andere Kunden und das Personal gefährden. In Österreich funktionierte die vielzitierte Eigenverantwortung nicht, wie die letzten vier Jahre eindrucksvoll gezeigt haben – mangels seriöser Informationen und Aufklärung. Es braucht aber nicht nur eine erneute Pflicht, sondern es müssen auch die positiven Effekte klar aufgezeigt werden, ohne parteipolitisch motivierte Schlachten auszutragen.

Wer jetzt sagt, dass die Bedrohungslage durch SARS-CoV2 aufgrund der Bevölkerungsimmunität eine andere sei, muss fairerweise auch dazusagen, dass das Gesundheitssystem nicht mehr so resilient und leistungsfähig wie zu Beginn der Pandemie ist. Im Gegenteil: Es kommt österreichweit zu Leistungskürzungen, langen Wartezeiten, teilweise lebensbedrohlichen Zuständen für Krebspatienten, immer mehr gesperrte Fachbereiche.

ÖGB setzt sich für Prävention in Schulen und am Arbeitsplatz ein

Im aktuellen 5-Jahres-Programm wird ein ganzes Kapitel dem Schutz der Gesundheit der ArbeitnehmerInnen gewidmet.

„Ein modernes Arbeitnehmer:innenschutzrecht muss mit den Anforderungen einer sich rasant verändernden Arbeitswelt Schritt halten und mit diesen im Einklang stehen. Unser Ziel dabei ist die Schaffung einer hochqualitativen Präventionskultur am Puls der Zeit bzw. von vorausschauenden Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit aller Arbeitnehmer:innen. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungsergebnisse müssen daher zeitnah in die Schutzgesetze einfließen. Denn wer das ignoriert, setzt Arbeitnehmer:innen wissentlich Gesundheitsgefahren aus. Am „Brennpunkt Arbeitsplatz“ besteht diesbezüglich dringender Handlungsbedarf:  Die Schutzvorschriften sind nach dem Stand der Technik, der Arbeitsmedizin, der Arbeitshygiene und den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechend zu verbessern. Dazu braucht es die Anpassung veralteter gesetzlicher Schutzvorschriften und neue ergänzende Schutzbestimmungen. Nachhaltig verbesserte Arbeitsbedingungen und gezielte Investitionen in den Ausbau von Prävention lohnen sich für Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen: Weniger arbeitsbedingte Erkrankungen, Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle entlasten das Gesundheitssystem und führen zu einer höheren Arbeitsfähigkeit. Gesunde und leistungsfähige Arbeitnehmer:innen sind produktiver. Die Betriebe sparen sich durch geringere Ausfallzeiten zusätzliche Kosten.“

Unter 2.1.4 fordert der ÖGB außerdem:

Den verstärkten Einbau von Luftreinigungsgeräten in den Innenbereichen von öffentlichen Gebäuden – insbesondere Schulen und elementaren Bildungseinrichtungen.

Am 5. September 2023 schrieb der ÖGB auf Twitter (X):

„Die COVID-Pandemie mag für beendet erklärt sein, aber das Virus ist nicht verschwunden. Auch diesen Herbst rechnen Expert:innen mit einem Anstieg der COVID-Infektionen. Viele Schulen in Österreich haben dennoch ihre Pforten ohne Maßnahmen für #SaubereLuft wieder geöffnet. Die Forderung nach dem verstärkten Einbau von Luftfiltern wurde schon letztes Jahr von den Sozialpartnern gestellt. Sie sind nicht nur eine gute Schutzmaßnahme gegen die Verbreitung des Corona-Virus, auch anderen Infektionskrankheiten können somit gut vorgebeugt werden. Gute Luft verbessert auch das Konzentrationsvermögen. Schüler:innen können dadurch besser lernen und Lehrpersonen besser arbeiten. Insbesondere in großen Gruppen auf engem Raum, kann eine hohe CO2-Belastung schnell zu Kopfschmerzen und anderen Beschwerden führen. „Koste es, was es wolle“ gilt offenbar nicht für Schüler:innen und Bildungspersonal. Die Untätigkeit der Regierung darf nicht auf Kosten unserer Gesundheit gehen! Der ÖGB fordert daher nachdrücklich den verstärkten Einbau von Luftreinigungsanlagen. @igoe_at“

Nachdem die Gewerkschaften bisher bis auf wenige Ausnahmen (Risikogruppenverordnung) bzw. einzelne unabhängigen Gewerkschafter eine unrühmliche Rolle in der Pandemie gespielt haben, und sich häufig gegen Impfen, Testen und Maske tragen stellten, ist das das endlich mal ein positives Signal an ihre MitgliederInnen, die auf saubere Luft und Arbeitsfähigkeit angewiesen sind – längst nicht nur im Bildungswesen.

Selbst in der ZiB1 gab es vor kurzem einen Beitrag zur Luftqualität in Schulen, wo auch die Initiative Gesundes Österreich (IGÖ) zu Wort kam.

Wer innerhalb seiner Betriebe auf taube Ohren bei Gesundheitsschutz stößt, kann das Arbeitsschutzgesetz bzw. die Arbeitsverfassung zitieren:

So heißt es im Arbeitsverfassungsgesetz:

§ 38. Die Organe der Arbeitnehmerschaft des Betriebes haben die Aufgabe, die (…) gesundheitlichen (…) Interessen der Arbeitnehmer im Betrieb wahrzunehmen und zu fördern.

§ 97 Betriebsvereinbarungen,

8) Maßnahmen und Einrichtungen zur Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten sowie Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer;

Schutz vor Infektion ist keine „Meinung“

Der Schutz vor einer SARS-CoV2-Infektion wird oft als „private Meinung“ geframed, doch gibt es keine private Atemluft. Wenn wir uns an den jahrzehntelangen Kampf für den Nichtraucherschutz erinnern: Damals durfte im Büro noch geraucht werden, bis man mit Nachdruck ein Rauchverbot durchsetzte, weil auch Passivrauchen zu schweren Gesundheitsschäden führen kann. Die Tabaklobby engagierte wie jetzt die Durchseuchungslobby (Great-Barrington-Declaration) Ärzte und Wissenschaftler, um Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Schädlichkeit von Zigarettenrauch zu säen (Gorski and Yamey 2021).

Heute beklagt sich niemand mehr über die Einschränkung seiner „Grundrechte“, im Büro nicht rauchen zu dürfen. Infektiöse Aerosole breiten sich ähnlich wie Zigarettenrauch aus. Nahe der Quelle ist die Konzentration am höchsten, mit zunehmender Entfernung dünnt die Wolke aus. Die Verdünnung kann erreicht werden durch HEPA-13-Luftfilter, aber auch durch Maske tragen. Leider sieht man infektiöse Aerosole nicht und Menschen können ansteckend sein, bevor sie Symptome zeigen. Daher müssen bei steigenden Infektionszahlen Tests und Masken zumindest im engen Kontakt bleiben, sofern die long-range airborne transmission durch Luftfilter reduziert werden kann.

Der Schutz vor Infektion ist ein Grundrecht, nämlich das Recht auf Gesundheit. Das ist nicht verhandelbar. Da gibt es keine alternativen Fakten, sondern nur „harte Fakten“: Trends bei Abwasserzahlen, SARI-Dashboard, zunehmende Infektionen im persönlichen Umfeld und sichtbare Folgen wie Fehltage der Kinder in Schulen, Krankheitsausfälle der Lehrer und generelle Ausfälle in Betrieben. Nichts davon ist schicksalshafte Fügung, sondern von uns beeinflussbar, denn die Welle – das sind wir.

Seid nicht so verdorben wie die Regierung, SPÖ!

Um die Titelfrage zu beantworten: Bisher reagieren wir gar nicht und in den Medien werden dieselben PseudoexpertInnen befragt, die die letzten Jahre verharmlost und falsche Einschätzungen zum Ausmaß der Infektionswellen zum Besten geben. SPÖ-Vorsitzender Babler, der als Bürgermeister von Traiskirchen noch Luftfilter für Kindergärten und Schulen anschaffte, tat dies weder bei seinen Wahlkampfveranstaltungen noch spricht er das Thema aktiv an – selbst jetzt, wo die Gewerkschaft für Prävention eintritt.

90% der Reaktionen sind immer gleich: „Mit dem Thema gewinnt er die Wahlen nicht. Die Leute wollen davon nichts mehr wissen.“

Das erinnert mich an den Spätsommer 2020, als man mir sagte, dass „die Leute keinen zweiten Lockdown mehr mittragen werden.“ Man weiß immer sehr genau, was „die Leute“ mittragen und was nicht. Klar, ohne Aufklärung, ohne Informationskampagnen fehlt das Bewusstsein und auch das Verständnis. Manchmal frage ich mich, wozu Parteien Marketingabteilungen haben. Ein signifikanter Teil der Wähler ist selbst vulnerabel, rund eine halbe Million der Bevölkerung hat LongCOVID und zählt zu den neuen Vulnerablen. Viele haben selbst Kinder und wissen nicht wohin, mit den kranken Kindern und begrenzter Anzahl an Pflegefreistellungstagen. Ein Teil der Wähler fordert seit Jahren mehr Prävention für die Rückkehr zur gesellschaftliche Teilhabe – kein Thema der Sozialdemokratie? Darf man nicht einmal Empfehlungen aussprechen? Wenn man die effektivste Maßnahme Maske schon meiden muss, darf man nicht einmal die zweiteffektivste Maßnahme Luftreiniger ansprechen?

Nach der Mehrheitsmeinung potentieller SPÖ-WählerInnen muss Babler damit bis zum – eher unrealistischen – Wahlsieg warten und führt dann im Herbst 2024, vielleicht aber auch erst im Frühjahr 2025 Gesetze für Luftfilter ein – nur welcher Koalitionspartner wird da zustimmen? Wie viele Kinder sind bis dahin an Covid19 gestorben? Wie viele weitere tausend Tote gibt es für einen hypothetischen Wahlsieg von Babler? Wie viele weiteren zehntausenden LongCOVID-Betroffene bis hin zur Bettlägerigkeit? Welche Obergrenze setzt die SPÖ an Leichen und Langzeitkranke für ihren Triumph bei den Wahlen im Herbst 2024? Das ist das gleiche moralisch verdorbene Niveau wie von der Regierung.