Wachstumsvorteile der FLiRT-Varianten relativ zu JN.1 (Quelle), Stand: 17.04.24 – KP.3 ist in der Größenordnung von JN.1 verglichen mit EG.5.1 (siehe unten), mehrere Varianten bleiben dicht auf den Fersen

Vorab – dass die mutmaßliche nächste Welle verhältnismäßig kleiner ausfallen dürfte als die JN.1-Welle sieht auch Eric Topol so in seinem letzten Substack-Beitrag.

In der obigen Abbildung sieht man die Wachstumsvorteile relativ zu JN.1 von den zahlreichen Untervarianten, die aus JN.1 entstanden sind. An der Spitze liegen die sogenannten FLiRT-Varianten (F456L– und R346T-Mutationen im Spike-Protein). Von diesen führt derzeit KP.3 (zusätzlich die Mutation Q493E, welche die Rezeptorbindung erhöhen soll), gefolgt von KP.2 (zusätzlich die Mutation V1104L, deutlich weniger ACE2-Bindung als JN.1). Ihr Anteil ist mittlerweile auch im österreichischen Abwassermonitoring nachweisbar, wenn auch auf niedrigem Niveau.

Wie sind wir beim Buchstaben K gelandet für neue Varianten?

Kurze Rekapitulation, was in den letzten Jahren so gewesen ist:

Handskizze über die letzten Pandemiejahre und dominierende Varianten, sehr sehr grobe skizzenhafte Darstellung, gültig für Österreich

Meine einfache Paint-Skizze soll anzeigen, dass jedes Pandemiejahr mit signifikanten Änderungen zum Vorjahr aufwarten kann. Im ersten Jahr dominierte der Wildtyp (an Weihnachten 2020 in UK streng genommen bereits Alpha) und löste zwei Wellen aus. Im zweiten Jahr dominierten Alpha und Delta, durchaus ähnlicher zweigipfliger Höhepunkt. Voreilige Zungen sprachen bereits von einem saisonalen Verlauf. Im dritten Jahr stellten die Omicron-Varianten alles auf den Kopf, in Erinnerung dürfte auch die Sommerwelle mit BA.5 sein. 2023 erinnerte dann wieder mehr den ersten beiden Pandemiejahren, aber XBB.1.5-Welle war früher (ich bin ein lausiger Zeichner), die JN.1-Welle später und dafür deutlich höher. 2024 lohnt noch keine eigene Grafik, weil wir seit dem Rückgang von JN.1 keine neue Welle mehr hatten. Nach J kommt jedenfalls K und daher haben wir jetzt K-Varianten.

Völlig planlos gehen wir jetzt aber nicht in die nächsten Wochen, denn letzte Woche sind gleich zwei Preprints zu den FLiRT-Varianten erschienen (Kaku et al. 2024, Jian et al. 2024), die keine Überraschung zeigen, wenn man sich den Verlauf der Pandemie vor Augen führt:

  • wer sich noch mit XBB-Varianten (2023) oder davor einmal angesteckt hat, und seitdem keinen XBB-Impfstoffbooster mehr erhalten hat, hat den schlechtesten Schutz gegen die neuen Varianten
  • wer nur den XBB-Impfstoff erhalten hat, dürfte einen gewissen Schutz haben, aber wohl nurmehr einen schlechten Schutz vor Ansteckung
  • wer sich in der letzten Winterwelle (JN.1.) infiziert hat, ist zwar gegen erneute JN.1-Infektion etwas besser geschützt, aber nicht unbedingt gegen die neue Varianten

In anderen Ländern, etwa in Frankreich oder in den USA, wird schon längst dazu aufgerufen, dass zumindest Angehörige von Risikogruppen für einen schweren Akutverlauf über eine weitere (halbjährliche) Boosterimpfung mit XBB.1.5 nachdenken sollten, um in einer mutmaßlichen Frühlingswelle besser geschützt zu sein. Im dt.-sprachigen Raum ist das deutlich schwieriger geworden, überhaupt noch an eine Impfung zu kommen. Reinfektionen und LongCOVID/MECFS sind ein weiteres Thema, aber auch das ein Grund mehr, dass wir mehr auf Booster setzen sollten, da mit zunehmender Anzahl an Impfungen das Risiko von Langzeitfolgen abnimmt.

Am wahrscheinlichsten ist in meinen Augen das Szenario, das mit weiter zunehmenden Anteil der FLiRT-Varianten zumindest der Abwärtstrend im Abwasser in Österreich gestoppt wird bzw. leichte Wiederanstiege anhalten. Die FLiRT-Varianten sind von den Mutationen her noch relativ nah an der Muttervariante, unser Immunsystem kennt R346T z.B. von früheren Varianten, auch F456L ist schon aufgetreten. So gesehen alter Wein in neuen Schläuchen und eher eine kleinere Welle als ein riesiger Wellenberg. Stand heute, denn wir wissen nicht, ob einer weiteren Untervariante wieder so Riesenwurf wie JN.1 gelingt, mit einer einzigen Mutation (L455S). Aber auch dann muss diese potentielle Supervariante wieder einige Zeit zirkulieren und sich schlussendlich durchsetzen.

Vom Zeitraum sehe ich daher bis Pfingsten noch keinen Peak. Dann wirds aber interessant, weil die Fußball-EM von Mitte Juni bis Mitte Juli in Deutschland stattfinden wird. Im zweiten Pandemiejahr fungierte die nachgeholte EM 2020 als Verteilerkreis für die Delta-Variante. Problematisch sind hier weniger die vollen Stadien (im Freien) als die gemeinsame An- und Abreise in Bussen und Fahrgemeinschaften, sowie das Vor- und Nachglühen im Gastgewerbe unter Begleitung von zu viel Alkohol. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, ob wir einen nennenswerten Impact durch die EM auf FLiRT- oder neue Varianten erwarten dürfen, aber im Hinterkopf behalten sollte man es einmal. Die meisten Spiele finden noch in der Schulzeit (Österreich) statt, erst die Finalrunde in den Sommerferien.

Aktuelle Abwasserinzidenzen, Stand vom 23. April 2024

In den aktuellen Abwasserwerten bewegen sich die Bundesländer-Inzidenzen ziemlich auf Höhe des letzten Sommerminimums. Bisher beobachtete Wiederanstiege sind von der Skala her auf niedrigem Niveau und dürften von der Wahrnehmung her kaum auffallen, bzw. bei den anderen grassierenden Viren untergehen (v.a. Parainfluenza, Rhinoviren, Metapneumoviren).

Letzter Stand: Kalenderwoche 16

In Wien sind die Werte ebenfalls *relativ* niedrig und weit entfernt von der Größenordnung der letzten Wellen. Die übelste Zeit ist die Rush Hour, immerhin sieht man da wenigstens ein paar mehr mit Maske.

Meine Empfehlung ist, die kommenden 7-10 Tage das milde Frühlingswetter zu nutzen. Erstens rechnen die Wettermodelle Anfang Mai womöglich die nächste deutliche Abkühlung von Norden, zweitens könnte die Frühlingswelle dann weiter Fahrt aufgenommen haben. Nutzen heißt hier: Viel draußen unternehmen, aber sich drinnen bewusst sein, dass das Infektionsrisiko momentan sehr gering ist bzgl. SARS-CoV2, wenn auch nicht zwangsläufig bzgl anderer Viren.*

Hätte ich jetzt noch Zeit und Muße, würde ich den Beitrag newsletterartig gestalten, denn Keuchhusten ist weiterhin ein Problem in Österreich, ebenso die Masern, und die News aus den USA bezüglich Vogelgrippevirus sind nicht erfreulich. Virusreste werden großflächig in der Milch gefunden, ist also viel weiter verbreitet in den Rindviechern als bisherige Meldungen Glauben machen wollten. Pasteurisierte Milch tötet jedoch zuverlässig jedes lebende Bakterien- und Virusgschnas ab. Aber Vogelgrippeexperten sind natürlich beunruhigt, und mit ein paar Mutationen in Säugetieren könnte uns die nächste Pandemie bevorstehen.

Aber leider hab ich für einen Newsletter keine Zeit mehr und verweise daher guten Gewissens auf folgende Fachblogs:

* z.B. Rhinoviren, die in der letzten Aprilwoche jede dritte viruspositive Probe im Sentinelsystem ausmachten.

PS: CO2-Werte beeinflussen direkt die Übertragungswahrscheinlichkeit!

CO2-Werte in Innenräumen, die wir z.B. mit dem Aranet4 messen können, dienten schon länger als Proxy für die Luftqualität: Je höher die CO2-Werte, desto mehr und länger haben Menschen ausgeatmet und die Luft wurde nicht ausreichend abgeführt seitdem (z.B. Raumabluftanlage, Fenster und Türen öffnen). CO2-Werte sind aber nicht nur ein Indikator für die Luftqualität, sondern beeinflussen direkt die Übertragung virusbeladener Aerosole!

Erste Untersuchungen haben ergeben, dass 90% der anfänglichen Viruslast in der Luft nach zwanzig Minuten bereits inaktiviert wurde (Oswin et al. 2022). Maßgeblichen Einfluss auf die Stabilität von virusbeladenen Aerosolen hat der Säuregehalt (Haddrell et al. 2023). Jetzt hat man den Einfluss von CO2-Werten in der Umgebung direkt nachweisen können (Haddrell et al. 2024).

Beim Ausatmen verdunstet Bicarbonat im virusbeladenen Aerosol. Die Säure verringert sich, wodurch der pH-Wert innerhalb von Sekunden stark ansteigt. Das Virus ist sehr empfindlich auf pH-Werte über 10 und zerfällt dann schnell. Jede kleinste Änderung in diesem Bereich wirkt sich auf die Stabilität des Virus-Aerosols aus. Erhöhte Kohlendioxid-Konzentrationen in der Umgebung bremsen die Zerfallsrate. Wenn sie länger erhöht bleiben, ist noch viel mehr infektiöses Virus in der Luft enthalten (bis zu zehnfache Menge) als bei niedrigen CO2-Werten.

Ein weiterer Grund, weshalb man primär hohe CO2-Werte aus Räumen entfernen sollte, denn mit Luftreinigern bleibt das Problem mit dem Denkvermögen bestehen. Luftreiniger holen aber das Virus (bzw. alle möglichen Viren, Bakterien, Allergene) aus der Luft, und so kann trotz hohen CO2-Werten das Ansteckungsrisiko gering sein. Am effektivsten ist eine Kombination aus beidem: Regelmäßig lüften und Luftreiniger laufen lassen – so wird auch die zugeführte Frischluft gefiltert.

Eine Hiobsbotschaft bleibt laut den Autoren aber über: Die CO2-Konzentrationen steigen durch die anthropogene Freisetzung weltweit auch im Freien an. Das erhöht die Virusstabilität im Freien und kann langfristig die Übertragung unter verschiedenen Spezies und auf den Menschen (neue Pandemie?) begünstigen.