Die Chefredakteurin vom Kurier, Martina Salomon titelte in ihrem Leitartikel „Ein Phantomschmerz ist geblieben“. Insgesamt strotzt der Artikel nur so von gemischten Botschaften. Scheinbar liest er sich als Kritik an der FPÖ, aber tatsächlich liefert sie eine Aussage nach der anderen, die einfach nicht den wissenschaftlichen Tatsachen entspricht oder bestimmte Ressentiments schürt, ohne Erklärungen zu liefern. Faktenchecks sind seit der Pandemie durch „die einen sagen das, die anderen das“ relativ zahnlos geworden. Ich glaube auch nicht, dass diese Klarstellung hier irgendwen überzeugen wird, dass es anders ist als er denkt, aber es schadet nicht, dem Pandemie-Revisionismus wieder einmal mit Entschlossenheit entgegenzutreten. Folgender Faktencheck ist als Truth Sandwich angelegt:

Fakt: Die Schulschließungen waren die effektivste Maßnahme, um die Fallzahlen niedrig zu halten und viele Opfer zu verhindern. Sie dienten außerdem als Schutz für die Kinder selbst.

Behauptung: „Die gesperrten Schulen wären natürlich eine Zumutung gewesen.“

Es gab einen großen Widerstand gegen geschlossene Schulen aus einer Vielzahl von Gründen: Es wurde frühzeitig behauptet, dass Kinder keine Rolle spielen würden für Übertragung und selbst nicht schwer erkranken könnten. Es gab kaum begleitende Maßnahmen, die soziale und finanzielle Krisen abgefedert hätten. Weder erhöhter Kündigungsschutz bei vermehrt notwendigen Pflegefreistellungen noch finanzielle Hilfen für prekär Arbeitende bzw. beengte Wohnverhältnisse. Es fehlte die technische Ausstattung für Fernunterricht, es mangelte schon vor der Pandemie an Sozialarbeitern und psychologischer Betreuung. Es gab viel Leistungsdruck und die Befürchtung „uneinholbarer Bildungsverluste“. Pisa zeigt, dass sich diese insgesamt nicht bewahrheitet haben.

Eine Zumutung sind bis heute für viele Familien ausfallende Unterrichtsstunden, weil entweder die Kinder oder die Lehrer krank sind. Eine Zumutung ist die hohe Zahl an Halb- und Vollwaisen ebenso wie die anfangs hohe Zahl an MISC-Betroffenen bei Kindern. Eine Zumutung sind die an LongCOVID erkrankten Kinder und deren Angehörige, die sich nicht schützen können, wenn das Kind aus der Schule das Virus nach Hause bringt – das gilt auch für andere Viren.

Fakt: Die Impfung schützte nicht nur vor schweren Verläufen und Tod, sondern auch vor Ansteckung und Weitergabe. Mit dem Verlauf der Pandemie hat sich der Schutz aber verändert. Der Hauptgrund dafür sind die Virusvarianten.

Behauptung: „Es hätte Irrwege und Irrglauben gegeben wie das Versprechen, dass die Impfung vor Ansteckung und Weitergabe schützen würde. Dabei sei das falsch gewesen und sie hätte wahrscheinlich nur vor schweren Verläufen geschützt.“

Das ist definitiv falsch. Voraussetzung für die Impfstoffzulassung war damals, dass die Impfung die Wahrscheinlichkeit für symptomatische Erkrankung (unabhängig von der Verlaufsschwere) um 50% verringern sollte. Das wurde nicht nur erreicht, sondern bei weitem übertroffen. Die ersten mRNA-Impfstoffe erzielten um 95% Impfwirksamkeit gegen Erkrankung, ebenso zeigten zahlreiche Studien eine Verringerung der Weitergabe. Wir erinnern uns an den Ost-Lockdown und die erste Impfkampagne. Die zweifache Impfung reichte aus, um die Alpha-Welle (Britische Variante) signifikant zu drücken und bescherte einen „ruhigen“ Frühsommer 2021, ehe die Delta-Welle dank nachgeholter EM und zu früh gelockerter Schutzmaßnahmen an Fahrt aufnahm. Spätere Studien haben gezeigt, dass selbst „eine Dosis irgendeines Corona-Impfstoffs“ ausreichte, um das Übertragungsrisiko etwas zu senken. Das galt auch für Omicron-Varianten und auch für JN.1. Die aktuelle Forschung hat die Reduktion der Impfwirksamkeit gegen Ansteckung und Übertragung ebenso kommuniziert wie die begrenzte Dauer generell, weil der Impfschutz mit der Zeit abnimmt wie bei fast allen anderen Impfstoffen auch. Die Politik wollte dies aber nicht wahrhaben, weil es dem Narrativ „Die Impfung beendet die Pandemie“ widersprochen hat.

Mit dreifacher Impfung war der Schutz vor Delta noch hoch, erst ab Omicron war hat er sich deutlich verringert. Daher war der „Lockdown für Ungeimpfte“ ebenso ein Fehler wie 2G/3G-Regeln, die Geimpfte scheinbar aus dem Infektionsgeschehen herausnahmen.

Fakt: Pandemieleugner wie Sönnichsen oder Bhakdi wurden völlig berechtigt vom Universitätsbetrieb ausgeschlossen bzw. haben diese sich – ohnehin nur in wenigen Fällen – explizit distanziert.

Behauptung: Die Universitäten hätten Kritiker unerbittlich gecancelt, als ob begründete Zweifel nicht Voraussetzung jeder Wissenschaft wären.

Von Sönnichsen und CO kamen keine begründeten Zweifel, sondern lupenreine Leugnung von Daten und Fakten. So wie Bhakdi jetzt behauptet, es würde keine Belege für die Wirksamkeit der Polio-Impfung geben. Sönnichsen leugnete die Wirksamkeit der Impfung und forderte frühzeitig ein Ende der Maßnahmen, während monatelang weltweit die Pandemie wütete und Millionen von Menschen starben. Begründete Zweifel? Nein.

Fakt: Schweden und Österreich sind direkt nicht vergleichbar.

Behauptung: Am Ende hätte Schweden weniger soziale Isolation und eine geringere Übersterblichkeit als Österreich gehabt.

Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn 2016 hatte laut Eurostat-Daten Schweden EU-weit die meisten Single-Haushalte mit 51,8%. Österreich rangiert bei 37%. Im Sommer 2020 hatte Schweden bereits strengere Maßnahmen als Österreich. Schwedische Altenheimbewohner wurden nicht nur „nicht extra geschützt“, wie Salomon beschönigend schreibt, sondern mit Morphium euthanisiert. Im Gegensatz zu Österreich gibt es in Schweden eine schonungslose wissenschaftliche Aufarbeitung (Brusselaers et al. 2022).

Gesamt-Todesfälle mit PCR bestätigt in Österreich und Schweden pro Million Einwohner, Österreich erfasst seit Juli 2023 keine Covid-Toten mehr
Geringere Übersterblichkeit in Schweden, aber immer noch über 5% und das sehr konstant.

In der Seuchenkolumne von Epidemiologe Zangerle erfährt man jedoch, dass die Übersterblichkeit ein hochkomplexer Gradmesser ist und die Länder untereinander nicht ohne zahlreiche Einschränkungen vergleichbar sind.

Hinzu kommt natürlich auch in Schweden die hohe Zahl an LongCOVID-Betroffenen, die bei Salomon naturgemäß unter den Tisch fallen.

Fakt: Der Großteil der infizierten Patienten ist direkt an COVID-19 als Todesursache verstorben.

Behauptung: Es sei vielleicht ein Problem der statistischen Methode, weil bei uns jeder als Corona-Sterbefall gezählt worden wäre, selbst wenn eine andere, schwere Grunderkrankung vorgelegen hätte.

Ein klassisches Pandemieleugner-„Argument“, das Solomon hier im Brustton der Überzeugung vorträgt. Im ersten Bericht des deutschen Autopsie-Registers stellte man fest, dass 86% aller Todesfälle direkt auf COVID-19 zurückzuführen waren. Die häufigste Ursache war eine Schädigung der Lungenbläschen, gefolgt von Multiorganversagen (Stillfried et al. 2022). Eine Analyse der Spitalsauslastung in Österreich ergab 2023, dass der Großteil „wegen“ und nicht „mit“ Corona im Spital lag. Das ist aber nicht alles. Die Mehrheit der Todesfälle ereignet sich gar nicht im Krankenhaus, sondern außerhalb (Ferro and Riganti 2024). Eine zufällig festgestellte Infektion ist kein harmloser Nebenbefund, sondern kann Grunderkrankungen verschlechtern und zu Komplikation während und nach Operationen führen. Erhöht ist zudem die Sterblichkeit derer, die sich im Spital infizieren.

Pikantes Detail am Rande: Die Todesfälle in Österreich werden auch deswegen seit Ende der Meldepflicht nicht mehr erfasst, weil: „Todesfälle seien häufig eine Folge verschiedener Faktoren und würden daher „voraussichtlich“ nicht veröffentlich, hieß es aus dem Gesundheitsministerium zur APA. Das Ministerium verweise diesbezüglich auch auf die im Zuge der CoV-Pandemie geführten Debatte darüber, ob die nach einer Infektion Verstorbenen „an oder mit Covid gestorben“ seien.“ (ORF-Meldung zum Ende der Meldepflicht, 30.06.23)

Dieser Schritt war nicht nur ein Kniefall vor Pandemieleugnern, sondern verhindert auch, weiterhin Risikofaktoren für bestimmte Patienten- oder Berufsgruppen zu erforschen, um diese besser schützen zu können. Zudem würde sich anhand der Todesfälle noch besser auf die ungefähre Inzidenz zurückrechnen lassen.

Fakt: Es war keine Panik, wenn man Sterbefälle unabhängig von Vorerkrankungen zählte.

Behauptung: Im Rückblick sei man weiser. Es hätte Irrtümer gegeben, die in der Panik passiert wären. Das könne die Regierung ruhig zugeben.

Todesfälle schwächer zu gewichten, wenn es sich um „Vorerkrankte“ handelt, ist eine zutiefst inhumane, moralisch und medizinethisch verwerfliche Grunderhaltung. So rechtfertigte man im Nationalsozialismus Eugenik. Es ist daher kein Irrtum gewesen, COVID-19 unabhängig von Grunderkrankungen als Todesursache ausweisen, weil jedes einzelne Menschenleben zählt. Es gab keine Panik, sondern vielfach das genaue Gegenteil, nämlich Verharmlosung und Desinformation in der Regierung. Anfangs gab es nur „tot oder genesen“, aber nichts dazwischen. Später unterschied man zwischen „Gesunden“ und „Vulnerablen“. Die Regierung hat eine Menge Fehler gemacht (Pandemieversagen) und die Risikokommunikation war und ist ein Alptraum aus Public-Health-Sicht. Die angeführten Beispiele der Chefredakteurin zählen nicht dazu.