Herr Krammer, ist die Corona Pandemie für Sie eigentlich vorbei?
Interview von Elke Ziegler, ORF (04.04.24)
Florian Krammer: Für mich nicht. Für mich sind auch Influenza-Pandemien der Jahren 1968 und 2009 nicht vorbei. Wir müssen uns mit den Konsequenzen beschäftigen, und wir müssen uns damit beschäftigen, wie unser System darauf reagiert und wie man sich besser davor schützen kann. Diese Viren zirkulieren ja weiter. Also für mich ist die Pandemie in dem Sinne nicht vorbei.
Viele Aussagen und Entscheidungen in dieser Chronik behandle ich an anderer Stelle weiter, etwa die bewusste Durchseuchung der Kinder durch offene Schulen und ohne Eile für schnelle Durchimpfung, um schneller Herdenimmunität durch Infektionen zu erreichen, das Ignorieren der Übertragung durch die Luft, um die Verantwortung auf den Einzelnen abzuschieben oder die Desinformation zur Vulnerabilität gegenüber schweren Verläufen und LongCOVID, damit die erwerbsfähigen Altersgruppen möglichst rasch unbehelligt von Maßnahmen werden, damit die Wirtschaft, Tourismus und Konsum weiter brummen können, auch die Entwicklung der Impfstoffe und ihr Missbrauch als „vaccine-only“-Strategie zum Pandemieende mit der Brechstange habe ich in epischer Länge betrachtet, ebenso die systematische Vertuschung des Ausmaßes der Pandemie, um besonders rechte Wählerstimmen nicht zu verlieren, denn Länder- und Nationalratswahlen waren ab der zweiten Welle ein Schlüsselfaktor, weswegen dringende Maßnahmen verzögert oder nur halbherzig umgesetzt wurden.
Alles ist aber letztendlich miteinander verzahnt, sehr komplex mit mehreren Playern, angefangen vom Seilbahnkönig über Lobbyverbände bis hin zu Landesregierungen, Wahltermine, rechte und esoterische Ideologien, Interessen von Gewerkschaften und Kammern, aber auch bloßer Inkompetenz.
Was man aber schon sagen kann, und auch muss, als Gegenposition zum allgemeinen Pandemierevisionismus:
- Es war kein Fehler, die Schulen zu schließen (Notbetreuung war immer möglich).
- Auch der zweite, dritte und vierte Lockdown waren notwendig, wenngleich verhinderbar, wenn man die Zeit genutzt hätte, Pandemiemaßnahmen auszubauen.
- Masken wurden nicht zu lange getragen, sondern wurden zu früh wieder aufgegeben.
- Die verpflichtende Impfung wäre zum Zeitpunkt von Delta das kleinere Übel gegenüber einer Durchseuchung gewesen, speziell mit besseren Impfstoffen. Zumindest im Gesundheits- und Bildungsbereich wäre eine Impfpflicht überlegenswert gewesen.
Natürlich wäre es gesamtgesellschaftlich besser, man würde über Information und Aufklärung eine hohe Durchimpfungsrate erreichen. In Österreich ist dafür europaweit fast am meisten Nachholbedarf gegeben.
Es ist wichtig, dass wir uns vergegenwärtigen: Wir haben bei den Schutzmaßnahmen nicht übertrieben, sondern wir hätten viel mehr tun können und müssen. Leider gab es die letzten zwei Jahre nie auch nur den entferntesten Gedanken daran, dass wir gescheitert sind. Stattdessen gibt es nur falsche Dichotomien über offene und geschlossene Schulen, über totalitäre Lockdowns versus epidemiologische Maßnahmen wie Maske tragen oder Kontaktnachverfolgung.
Gedenken an Lisa-Maria Kellermayr
Ein Freispruch also für jenen 61-jährigen Starnberger, der die Ärztin und Impf-Befürwortern Lisa-Maria Kellermayr gerne vor ein „Volkstribunal“ stellen wollte, eine „Kreatur“ wie sie, der ihr per E-Mail schrieb, man „beobachte sie“ – und der das am Mittwoch mit „Angst vor der Impfung“ argumentierte. […]
Der Prozess gegen Roman M. zeigt aber etwas anderes: In der öffentlichen Diskussion zählt das, was Verschwörungsideologen, Rechtsextreme und andere Hass-Täter tun, weniger als die Frage nach der Vulnerabilität des Opfers. Der Gesundheitszustand Kellermayrs wurde während des viertägigen Prozesses in Wels in allen Details vor der Presse ausgerollt.“ (Werner Reisinger für die Augsburger Allgemeine, 09.04.25)
Special: Ein Opfer wird angeklagt (Podcast ÖsterreichWTF?! – Grundner/Quatember, 11.04.25)
- Devi Sridhar: A scientist in the public eye has taken her own life. This has to be a wake-up call
- Austria jolted by suicide of a doctor assailed for defending evidence-based Covid medicine (Codastory, Emily Schultheis)
- Fall Kellermayr: Nichtstun nicht weiter tolerieren (STANDARD, Nikolaus Forgó)
- Austrian doctors speak out after suicide of GP following Covid threats (The Guardian, Kate Connolly)
- Politiker, die sich weigern, ihren Job zu machen: Verantwortet euch endlich! (NeueZeit, Mati Randow)
- Tod einer Ärztin: Äußere Dämonen (STANDARD, Colette Schmidt)
- Wie Ärztin Lisa-Maria Kellermayr Opfer von Hass und Hetze wurde (Augsburger Allgemeine, Werner Reisinger)
- Nachruf auf Dr. Lisa-Maria Kellermayr: Eine Würdigung (Puls24, Corinna Milborn und Magdalena Punz)
- Nachruf: Lisa-Maria Kellermayr 1985–2022 (STANDARD, Colette Schmidt und Oliver Das Gupta)
- Nach dem Tod von Lisa-Maria Kellermayr: Wir müssen über mangelnde Fehlerkultur reden (Semiosis)
Angesichts der weltweiten Entwicklung, die Pandemie rückblickend zu verharmlosen, die falschen Lehren zu ziehen oder überhaupt jegliche Erinnerung zu tilgen, droht ein ähnliches Schicksal wie mit der Spanischen Grippe (1918-1920), die vollkommen in Vergessenheit geriet, aber zum Aufstieg des Faschismus in den 20er und 30er Jahren beitrug.
- Maxwell J. Smith: Gavi’s funding is axed as Trump shuts down research on covid and pandemic threats (31.03.25)
- Maria D. Van Verkhove: Don’t pretend COVID-19 didn’t happen (16.01.25)
- IGÖ (Initiative Gesundes Österreich – für saubere Luft in öffentlichen Innenräumen) – u.a. mit Karte mit Orten mit sauberer Luft
- Verein Long Covid Austria (Betroffeneninitative von LongCOVID-Betroffenen in Österreich)