Ich habe die letzten Jahre immer wissenschaftlich argumentiert, bin aber auch nicht frei von Einflussnahme und Echokammereffekten. Insbesondere die Gefahr der verzerrten Wahrnehmung (Bias) ist sehr hoch, die Interpretation von Daten und Studien alles andere als trivial. Je weiter man sich in Gebiete vorwagt, wo man überhaupt keine Vorahnung hat, desto größer die Gefahr, sich zu verirren.
Im Februar korrigierte mich Epidemiologe Robert Zangerle deutlich: „Sie verrennen sich, das hat mit Immunschwäche genau nichts zu tun.“, schrieb er mir persönlich. Ich wollte es dennoch lange Zeit nicht wahrhaben und klammerte mich lieber an die Behauptung, dass Covid die Immunsystem geschreddert habe, und deshalb viele starke Wellen anderer Viren und Bakterien nach Aufhebung der Maßnahmen folgten. Das stellt sich heute als Trugschluss heraus, aber es ist nur logisch, sich zu irren, wenn man von den Grundlagen keine Ahnung hat.
Wer nur sich nur ein wenig mit RSV, Influenza, Mycoplasmen, Keuchhusten und anderen Infektionserregern beschäftigt, stellt rasch fest, dass viele Erreger in epidemischen Wellen um den Globus zirkulieren, und die Menschen spezifische Immunität gegen diese entwickeln, die von unterschiedlicher Dauer ist. Manche mutieren stärker, andere schwächer. Es gibt häufig verschiedene Subtypen, aber nicht immer Kreuzimmunität. Für zwei Jahre gab es in weiten Teilen der Welt kaum Zirkulation von Bakterien und Viren, nicht nur Covid. Die spezifische Immunität ließ nach, die Wellen kehrten zurück, aber es gab nun wesentlich mehr empfängliche Personen als vorher. Würde man Covid jetzt erneut 1-2 Jahre unterdrücken, würden die Wellen danach höher ausfallen. Das ist also das, was unter Immunitätslücken und Nachholeffekte gemeint war. Ich hab gerade letzteren Begriff oft scharf kritisiert, weil er zu sehr nach Immunschuld klang, als ob man etwas nachholen musste. Da haben Virologinnen wie Isabella Eckerle weiterhin recht – es gibt keinen Zwang, sich ständig zu infizieren, man kann auch eine Welle auslassen und wird dann bei der nächsten Infektion irgendwann später nicht daran sterben.
Die folgenden Zeilen werden vielen Lesern auf den Schlips treten. Es ist beinahe unmöglich, es so zu formulieren, dass ich allen gerecht werde.
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