Vor fünf Jahren erklärte die WHO den Ausbruch des neuartigen Coronavirus zur globalen Pandemie (Cucinotta and Vanelli 2020). Nachdem ich die letzten Tage und Wochen wieder einmal damit verbracht habe, Verklärungen und Falschaussagen zur Pandemie richtigzustellen, möchte ich es heute mit Faktenchecks belassen und stattdessen in Erinnerung rufen, wie die Pandemie tatsächlich abgelaufen ist, welche Fehler in der Kommunikation gemacht wurden, aber auch viele Menschenleben die Maßnahmen gerettet haben – worauf kaum eingegangen wird. Es wird auch nie die Frage gestellt, ob man weitere Todesfälle und schwere akute und chronische Krankheitsverläufe hätte vermeiden können. Spätfolgen wie Long Covid und MECFS werden immer losgelöst von der Maßnahmenpolitik betrachtet, als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun.
Im ersten Teil möchte ich auf den Verlauf der Pandemie mit Schwerpunkt Österreich eingehen. Im zweiten Teil spreche ich über Versäumnisse in der Gesundheitskommunikation, im dritten Teil geht es über Spätfolgen von Virusinfektionen und im vierten Teil über Lehren für die Zukunft.
Vorab: Ein solcher Rückblick kann niemals vollständig sein. Es werden mehr oder weniger wichtige Details und Ereignisse zwangsläufig ausgelassen. Ich würde es aber als Leitfaden sehen, entlang dem sich die Pandemie entwickelt hat.
Im aktuellen Trend ist die Influenza glücklicherweise rückläufig, im näheren und weiteren Umfeld erkranken derzeit aber immer noch viele Menschen an Influenza A oder B. Zwischen beiden Genotypen besteht übrigens keine Kreuzimmunität. Wer am Beginn der Influenzasaison A hatte, kann sich jetzt noch mit B anstecken. Auch wer früh impfen kann, kann sich jetzt leichter anstecken, weil die Impfwirkung nach ein paar Monaten nachlässt. Humane Metapneumoviren, Rhinoviren und RSV sind sonst noch etwas aktiver, SARS-CoV2 wird in den Sentinelproben und auch im Abwasser weiterhin kaum nachgewiesen.
In den Abwasserdaten für Österreich ist der R-Wert knapp über 1, auch der Unsicherheitsbereich ist angestiegen, das heißt, eine Trendumkehr erscheint möglich. Das zeigen auch die Bundesländerdaten, wo die Talsohle aktuell erreicht zu sein scheint (siehe oben).
Der wahrscheinlichste Kandidat für eine kleinere Frühlingswelle scheint derzeit die Variante LP.8.1 (.1). Sie kann der Immunantwort etwas besser entkommen und hat wahrscheinlich eine deutlich stärkere ACE2-Bindung als bisherige Varianten – das heißt, sie ist infektiöser und kann sich dadurch einen Fitnessvorteil erarbeiten. Die gute Nachricht: LP.8.1. hat die sogenannten FLiRT-Mutationen – F456L und R346T, die auch im KP.2-Impfstoff von Pfizer enthalten sind – also ist das wahrscheinlich der passendste Impfstoff derzeit. Sollte man nur JN.1-Impfstoffe (Pfizer und Novavax) bekommen, ist das aber auch kein Fehler.
Was eine kleine Frühlingswelle stützt:
nachlassende Interferenz durch Influenza
nachlassende Immunität durch die allgemein geringere Viruszirkulation seit der großen JN.1-Welle im Herbst 2023
saisonale Effekte – in den kommenden Wochen wird es wiederholt Kaltlufteinbrüche geben, der Frühlingsmotor stottert noch
viele Influenza-geschädigte, deren Immunsystem jetzt anfälliger für Folgeinfekte sein kann
Was gegen eine große Welle spricht:
LP.8.1. hat nur etwas mehr Immun Escape, wer gegen JN.1 geimpft ist oder sich die letzten 1-2 Jahre mit JN.1-Varianten infiziert hat, besitzt eine gewisse T-Zellen-Immunität gegen neue Varianten
keine neue Variante in Sicht, die auf absehbare Zeit große Welle auslösen könnte. Zwar wurde vor kurzem BA.3.2 entdeckt, das 57 Mutationen aufweist, aber es kann sich offenbar noch nicht gut in der Bevölkerung verbreiten und es ist fraglich, ob und wann das passiert
Die wachsende Impfskepsis mahnt jedenfalls zur Wachsamkeit, nicht nur bei Covid und Grippe. Ich kann es nicht nachvollziehen, warum sich so viele Menschen nicht gegen beides impfen lassen, auch die jährliche Grippeimpfung wird ausgelassen – obwohl es mancherorts auch Aktionen in den Betrieben gibt. Regelmäßig liegen ganze Familien, die halbe Schulklasse flach. Ja, die Impfung kann auch zu einem Tag Krankenstand führen, ja, man kann trotz Impfung erkranken, aber man muss das immer in Relation zum möglichen Krankheitsverlauf sehen, den man durch die Impfung verhindern kann. Long Influenza existiert, Influenza kann die Herzmuskeln ebenso schädigen wie die Insulinproduktion beeinflussen (Diabetes-Risiko). Nach der Influenza ist man anfälliger für Folgeinfekte wie bei (fast) jedem Virusinfekt. Dieses Risiko kann man sich durch eine allgemein gut verträgliche Impfung ersparen, die es für Kinder sogar als Nasenspray gibt! Keine Spritzen!
Entgegen der öffentlichen Narrative gab es eine breite Zustimmung zu den Schutzmaßnahmen (hier: Maskenpflicht) wärend der Pandemie (Quelle: Jakob-Moritz Eberl, ehemals ACPP)
Nowotny hat seine Teilnahme wegen Rutter abgesagt. Auch Hörmann hat abgesagt. Der ORF NÖ hat die Veranstaltung nun insgesamt abgesagt, nicht aber, weil man zur Vernunft gekommen wäre, sondern weil man kurzfristig keinen Ersatz für Nowotny und Hörmann gefunden habe. Null Einsicht also.
Insgesamt zeigt die Berichterstattung übrigens schon, wie weit nach Rechts der Diskurs verschoben wurde, dass es offenbar kein Aufreger ist, einen FPÖ-Politiker einzuladen, der Fake News verbreitet, aber nur Rutter alleine als Scharfmacher dargestellt wird. Bezeichnend auch, dass Nowotny und Hörmann erst nach medialem Druck ihre Teilnahme zurückgenommen haben.
Update, 12. März:
Sigrid Pilz, die im Publikumsrat des ORF Mitglied ist, hat im Programmausschuss die Einladung des Rechtsextremen scharf kritisiert. Die Reaktion war:
Der Generaldirektor verwies in seiner Antwort auf die Freiheit der Redaktion bei der Einladung der Gäste.
Mein persönliches Schreiben an das Publikumsservice NÖ wurde nicht kommentiert, sondern lediglich auf die Absage verwiesen.
Thomas Zimmer (Historiker und US-Experte) über die US-Demokraten, die den rechtsextremen Steve Bannon eingeladen haben, auf Bluesky:
„Mainstream actors and institutions should not platform or “debate” far-right politicians and activists who are never arguing in good faith and only seek to establish an aura of “respectability” for their extremist ideas. It can only ever help the extremists.“
GBD-Vertreter haben der Bevölkerung erfolgreich eingeredet, dass es sich wie im roten Fall verhält.
Im letzten Faktencheck zum Tegnell-Hype habe ich die zentrale Rolle von Schweden bei der Begründung der Great-Barrington-Declaration bereits angedeutet. Ihr Ziel war, dass wirtschaftliche Interessen von Schutzmaßnahmen weitgehend verschont bleiben sollten, während man vulnerable Personengruppe von der Durchseuchung abgeschirmt hätte.
Dass dieser Ansatz nicht funktioniert, wurde auch mathematisch nachgewiesen (Stoddard et al. 2023 preprint). Diese rechtslibertäre Initiative („Herdenimmunität über Masseninfektion“) hat in Österreich nie die kritische Aufarbeitung erfahren, die sie verdient hätte. Allenfalls war vom „schwedischen Weg“ nach Vorbild Tegnell die Rede.
Dieser wird übrigens fünf Jahre nach Pandemiebeginn auch in Schweden heftig kritisiert:
„Kommissionen var hård i sin kritik. Sverige hade misslyckats med att skydda de äldre. Ansvaret vilade tungt på regeringen som i sin tur låtit Folkhälsomyndigheten hålla i taktpinnen.“
„Die Kommission war hart in ihrer Kritik. Schweden hatte es versäumt, ältere Menschen zu schützen. Die Verantwortung lag stark auf der Regierung, was wiederum der schwedischen Gesundheitsbehörde erlaubte, das Tempo zu halten.“