(in Überarbeitung)

Seit 1. Juni 2024 haben sich die WHO-Mitgliedstaaten in Genf darauf geeignet, dass die WHO künftig einen „pandemischen Notfall“ ausrufen darf. Dieser ist über folgende Kriterien, die alle vorhanden sein müssen, definiert:

Kriterien für die Ausrufung eines „pandemischen Notfalls“

A Pandemic Emergency aims to trigger a more effective international collaboration in response to events that are at risk of becoming, or have become, a pandemic.

Nach aktuellem Stand, Juli 2025, erfüllt SARS-CoV2 nicht mehr länger die Kriterien 1, 4 , 5 und 6. Demzufolge sollte die WHO die Pandemie beenden, so wie sie die am 10. August 2010 die A(H1N1)pdm09-Pandemie beendet haben.

Darüberhinaus hat das Kriterium 1 mit dem Ende des PHEIC am 5. Mai 2023 gleichzeitig die Pandemie beendet – so wie es Politiker, Wissenschaftler und Journalisten von Beginn an zutreffend gesagt haben. Manche von uns, mich eingeschlossen, wollten das nicht wahr haben, und haben erbitterte Kritik am vermeintlich irreführenden Wording geübt. Wir haben jedes Wort „auf die Goldwaage“ gelegt statt zu hinterfragen, ob

Virologe Ian M. Mackay, von dem auch die berühmte „Käsescheiben“-Grafik stammt, sieht die Zeit gekommen, damit aufzuhören, das Wort „Pandemie“ zu entwerten. Er sei jemand von der alten Schule, der glaubt, dass Wörter Absichten verfolgen und Bedeutung haben. „Aber die Leute werden glauben, dass …“ Brudi, dieser Zug ist abgefahren und nicht mehr einzuholen. Er ist weg. Doch wir *könnten* die Gelegenheit beim Schopf packen und darüber aufklären, was „weiterhin“ getan werden könnte.

Hintergrund

PHEIC

Der Ausbruch von SARS-CoV2 wurde von der WHO am 30. Jänner 2020 als Internationaler Gesundheitsnotstand (PHEIC) deklariert und am 05. Mai 2023 wieder beendet. Das begleitende Statement von WHO-Chef Tedros ließ anklingen, dass das PHEIC auf Druck der Mitgliedstaaten aufgehoben wurde:

it no longer fit the definition of a PHEIC. This does not mean the pandemic itself is over, but the global emergency it has caused is, for now.”

“This virus is here to stay. It is still killing, and it’s still changing. The risk remains of new variants emerging that cause new surges in cases and deaths. The worst thing any country could do now is to use this news as a reason to let down its guard, to dismantle the systems it has built, or to send the message to its people that covid-19 is nothing to worry about.”

Die Kriterien für ein PHEIC (Public Health Emergency of International Concern) sind erfüllt, wenn …

  • ein außergewöhnliches Ereignis vorliegt
  • ein Öffentliches Gesundheitsrisiko für andere Staaten durch internationale Verbreitung besteht
  • international koordiniertes Vorgehen erforderlich ist

Die Ausrufung und Beendigung des PHEIC hat mehr rechtliche Konsequenzen für die Staaten als gesundheitliche für den Einzelnen. Zudem wurde das Ende der PHEIC unter Wissenschaftlern durchaus kritisch gesehen, wie diese Zusammenstellung des britischen Science Media Centres zeigt – es würde lediglich die politische, aber nicht die epidemiologische Realität widerspiegeln.

WHO und Pandemie

Am 24. Februar 2020 sagte ein WHO-Sprecher der Nachrichtenagentur Reuters, dass sie den Begriff Pandemie nicht länger verwenden, aber der Covid19-Ausbruch ein internationaler Notfall bliebe, der sich wahrscheinlich weiter ausbreiten würde.

Es gebe keine offizielle Kategorie für eine Pandemie – das alte System der 6 Phasen (Phase 1: vorwiegend Berichte von tierischer Influenza, bis Phase 6: Pandemie) wie bei H1N1 von 2009 werde nicht mehr verwendet. Damals gab es Kritik an der schnellen Ausrufung der Pandemie, weil die Verläufe meistens mild waren und Pharmakonzerne verfrüht zur Entwicklung von Impfstoffen gezwungen wurden, die dann nicht mehr notwendig waren. Entsprechend würde eine Pandemie einen Ausbruch eines neuartigen Erregers bezeichnen, der sich weltweit leicht von Mensch zu Mensch überträgt.

Die Pandemie wurde am 11. März 2020 durch die WHO ausgerufen, obwohl die führende Coronavirus-Expertin der WHO sagte, dass sie keine Pandemien ausrufen.

“While the international public health emergency may have ended, the pandemic certainly has not.”

Hans Henri P. Kluge, Regionaldirektor für die WHO Europa, 12.06.23

Für die WHO spielt es daher keine Rolle, wie ansteckend und krankmachend das Virus ist und wie viel Bevölkerungsimmunität da ist. Pandemie herrscht, wenn das Virus mehrere Länder abdeckt. Endemisch wird es dann genannt, wenn es auf eine bestimmte Region begrenzt ist, wie Malaria etwa in manchen afrikanischen Ländern. Eine Pandemie kennt keine Grenzen, während eine Epidemie innerhalb einer bestimmten Region wütet, aber meist eingedämmt oder kontrolliert werden kann.

WHO-Exekutivdirektor Mike Ryan geht noch einen Schritt weiter. In den meisten Fällen würde eine Pandemie wahrhaftig erst dann enden, wenn die nächste beginnt. Ryan sagt, dass es keinen Zeitpunkt geben wird, wo die WHO herkommt und sagen würde, die Pandemie sei beendet.

Herr Krammer, ist die Corona Pandemie für Sie eigentlich vorbei?

Florian Krammer: Für mich nicht. Für mich sind auch Influenza-Pandemien der Jahren 1968 und 2009 nicht vorbei. Wir müssen uns mit den Konsequenzen beschäftigen, und wir müssen uns damit beschäftigen, wie unser System darauf reagiert und wie man sich besser davor schützen kann. Diese Viren zirkulieren ja weiter. Also für mich ist die Pandemie in dem Sinne nicht vorbei.

Interview von Elke Ziegler, ORF (04.04.24)

Krammer führte weiter auf Twitter aus, dass wir auf Influenza bezogen dann sagen müssten, dass wir immer noch in der 1968er H3N2-Pandemie sein würden. Auch saisonale Influenza würde jährlich 290 000 bis 650 000 Tote hervorrufen, ein Großteil davon durch H3N2. Nur durch den Umstand, dass das Virus weiterhin zirkuliert und enorme Schäden anrichtet, hätten wir viele Pandemien, die immer noch andauern.

Die WHO sei diesbezüglich inkonsequent, wann eine Pandemie vorbei sei und wann nicht (siehe HIV vs. Influenza, die HIV-1-Pandemie ist formal nicht beendet). Er würde dafür auch Faktoren wie die Fallsterblichkeitsrate (CFR), verfügbare Gegenmaßnahmen und Vorliegen eines Internationalen Gesundheitsnotstands betrachten. Eine große Welle wie im Frühwinter 2023/2024 JN.1 wäre noch kein Beleg für eine Pandemie, das hätte es 1947 auch mit der “pseudopandemischen” Influenza gegeben.

Cherrypicking

Die WHO hat …

  • das PHEIC zu spät ausgerufen
  • sich aus falscher Rücksicht auf China zuerst geweigert, das Virus SARS (2) zu nennen. COVID19-Virus ist doppelt gemoppelt. So hat man verhindert, aus SARS-CoV (1) zu lernen, mit dem SARS-CoV2 genetisch eng verwandt ist.
  • Pressekonferenz im Februar 2020, wo Mike Ryan Tedros bei „airborne“ korrigiert hat – fortan wurde nurmehr von Tröpfchen geredet
  • Händewaschen wurde überbetont
  • Zuerst wurde von Masken gegen die Allgemeinheit abgeraten, angeblich, weil sie nur bei aerosolgenerierenden Prozessen im Krankenhaus einen Nutzen hätten – tatsächlich herrschte anfangs eine Knappheit an Masken
  • 1-2m Abstand halten ohne Evidenz dafür
  • späte Einigung auf eine Definition von LongCOVID, keine Berücksichtigung für das PHEIC
  • späte Anerkennung von Aerosolen als Hauptübertragungsweg

Es mutet daher wie Rosinen picken an, den Status der Virusverbreitung daran festzumachen, was die WHO sagt. Viel wichtiger sind wissenschaftliche Begründungen, um diese Meinung zu validieren, oder als Lehre aus der Pandemie im Hinblick auf andere Infektionskrankheiten und der Zunahme von impfbaren Erkrankungen wie Masern und Keuchhusten unabhängig von SARS-CoV2 auf Infektionsschutz (Lufthygiene u.a.) zu beharren. Die WHO-Ansicht ist damit nicht irrevant, aber auch nicht das Maß aller Dinge.

Es gibt mehrere Definitionen für ein Ende der Pandemie

Historiker unterscheiden das medizinische Ende, wenn die Zahl der Erkrankten stark zurückgeht vom sozialen Ende, wenn die Angst vor der Krankheit abnimmt, die Menschen die Einschränkungen nicht mehr hinnehmen wollen – und lernen, mit der Krankheit zu leben (siehe Beitrag auf Quarks, 08.09.20)

Molekularbiologe Ullrich Elling hat im Juli 2021 die entscheidende Frage gestellt:

„Die Frage wird sein, wie viele Tote und Long-Covid Patienten versus wie viel Lockdown die Gesellschaft akzeptiert.“

Wie wir bereits 2021 durch Parteigründungen wie MFG, Partei-Initativen wie „Grüne gegen Impfung“ und die massive Abwehr zur Beibehaltung von Tests, Masken, Isolation und anderer Schutzmaßnahmen quer durch die Gesellschaft gesehen haben, war die Bevölkerung offenbar schnell bereit, „Vulnerable“ zu opfern, um „in mein normales Leben“ zurückzukehren. Lufthygiene-Maßnahmen wurden weder politisch, wissenschaftlich noch medial so breit diskutiert wie es einer echten Lernkurve aus der Pandemie entsprochen hätte.

2022 und 2023 war die Situation in meinen Augen noch nicht entscheidend besser, um den Zugang zu Medikamenten (v.a. Paxlovid) und Boosterimpfungen je nach Land teilweise stark einzuschränken. Nicht einmal mehr für Risikogruppen waren Schnelltests gratis. In der hohen JN.1-Welle im Herbst 2023 betrug die Übersterblichkeit in Österreich 20%, die Booster-Rate aber nur 7% und dazu gab es einen akuten Mangel in der Paxlovid-Versorgung – bei optimaler Versorgung hätten viele Tote verhindert werden können.

Was das soziale Ende betrifft, haben die Regierungen kräftig nachgeholfen, indem sie Omicron und nachfolgende Untervarianten als mild herunterspielten, und so die „Angst“ gewichen ist, bevor die Impfrate wirklich signifikant gestiegen ist. Die Politiker haben die Einschränkungen als größeren Schaden als die Virusfolgen hingestellt, um Wählerstimmen zu (zurück)gewinnen. Richtig gelernt, mit der Krankheit zu leben, hat indessen niemand, denn bei neuen Wellen sind viele wieder überrascht, dass es das Virus überhaupt noch gibt, und wer bis heute versucht, sich weiterhin zu schützen, wird gesellschaftlich ausgegrenzt.

Die Medizinhistorikerin Dora Vargha weist darauf hin, dass die Pandemie von unterschiedlichen Gruppen anders erlebt wird. Sie sprach schon im März 2021 davon, dass es im besten Fall eine „neue Normalität“ geben würde.

„Dass eine Epidemie zu Ende ist, wissen wir erst lange nach ihrem eigentlichen Ende.“

Pandemien gehen nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich unterschiedlich zu Ende. Bestehene Ungleichheiten können sich verfestigen, etwa anhaltend hohe Wellen in Entwicklungsländern mit immungeschwächter Bevölkerung und geringere Wellen in Ländern, wo seit jeher eine andere Kultur im Umgang mit Infektionskrankheiten besteht, etwa in Asien.

“I think there is this sort of social psychological issue of exhaustion and frustration,” the Yale historian Naomi Rogers said. “We may be in a moment when people are just saying: ‘That’s enough. I deserve to be able to return to my regular life.’”

New York Times, Mai 2020 (Update Dezember 2021)

In Österreich ging die Pandemie wahrscheinlich schon 2022 gesellschaftlich zu Ende – neben dem sukzessiven Abbau aller Covid-Maßnahmen normalisierte sich auch die Mobilität der Mehrheitsbevölkerung und ihr Sozialleben.

Übergang von der Pandemie in die Endemie

Jacob Stern and Katherine J. Wu (The Atlantic, 01. Februar 2022)

  • Endemisch ist definiert als „auf eine bestimmte Region beschränkt“, z.B. ist Malaria in Afrika endemisch – endemisch bedeutet nicht harmlos
  • Eine Epidemie sind regionale Ausbrüche mit Infektionswellen.
  • Bei einer Pandemie finden die Ausbrüche kontinentübergreifend statt.

Virologe Drosten und weitere ExpertInnen sahen das Ende der Pandemie dann gegeben, wenn der Großteil der Bevölkerung nicht mehr immun-naiv war, also nach Kontakt mit dem Antigen durch Infektion und/oder Impfung.

Veldhoen und Simas (2021) waren früh in der Pandemie davon überzeugt, dass endemisches SARS-CoV2 die post-pandemische Immunität aufrechterhalten werde. Die Impfungen würden die Pandemie beenden. Die Bevölkerungsimmunität wird durch die kontinuierliche Viruszirkulation weiter aufgebaut.

Epidemiologische Betrachtungen

Abseits von Interventionen bezieht sich die Basisreproduktionszahl R_o auf die durchschnittliche Zahl weiterer Personen, die eine Person infizieren kann. In der Frühphase der Pandemie wuchsen die Infektionen exponentiell. Doch diese Phase dauert nicht ewig, weil sich durch die Infektionen Immunität aufbaut, auch wenn sie nicht von Dauer ist. Doch sie ist breit genug, um die Reproduktionszahl auf um 1 zu bringen, das heißt R_eff ist in der endemischen Phase nahe 1 und damit wird eine weitere Person infiziert. Wenn R_eff kleiner als 1 ist, nimmt die Inzidenz ab, bis die Immunität nachlässt, dann nimmt sie wieder zu.

R_eff in Österreich, basierend auf 48 Regionen im Nationalen Abwassermonitoring mit 95% Konfidenzintervall (hohe Stichprobenunsicherheit, außer die Fallzahlen gehen deutlich zurück wie nach JN.1 und KP.3.1.1.

R_o hat sich nicht geändert, sie liegt bei SARS-CoV2 bei 6-10, im Durchschnitt also 8. Ohne Bevölkerungsimmunität würde eine Person acht weitere Personen infizieren, aber wegen Immunität nur eine weitere. Also sind 7 von 8 Personen immun. Es gibt also eine Art Gleichgewicht, bei dem neue Infektionen die Immunität erhöhen, während die Immunität mit der Zeit nachlässt.

Graph von Physiker Michael Fuhrer: Auf der x-Achse die Reduktion von R_o durch Maßnahmen, auf der y-Achse die Infektionsrate (17.04.25)

Wenn man jetzt erneut Schutzmaßnahmen einführt, sinkt zwar die Inzidenz, aber die Bevölkerung wird wieder empfänglicher für Infektionen, weil weniger Personen durch die Infektion immun werden. Das würde langfristig die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen abschwächen, weil die Bevölkerungsimmunität abnimmt (Baker et al. 2022).

Wenn R_o hoch (rot) ist, erzeugen moderate R_o-Verringerungen durch Maßnahmen für viel kleinere Inzidenzrückgänge. Die gleiche Intervention, die Infektionen 87fach in der epidemischen Phase reduziert hat, tut das nur mehr um den Faktor 1,03 in der endemischen Phase. Immunität ist in der endemischen Phase also notwendig, um Infektionen zu kontrollieren.

Deshalb haben wir 2025 großteils keine Maßnahmen mehr als 2020. Ausnahme: Impfungen! Sie bieten keinen perfektiven Schutz vor Infektionen oder dauerhafte Immunität, aber Infektionen tun das auch nicht. Vor den Omicron-Varianten betrug der sterile Schutz noch über 80% für mehrere Monate. Auch heute könnten sie noch für mehrere Monate bevölkerungsweit die Infektionsraten um 30-50% reduzieren. Daher wären hohe Durchimpfungsraten so wichtig – um auch jene zu schützen, die weniger von der Impfung profitieren (immungeschwächte Personen) oder noch nicht geimpft werden können (Säuglinge).

Die Vorteile von Luftreinigungsmaßnahmen wären gering. Im öffentlichen Raum verringern sie die Übertragung nicht deutlich genug, um sich sicherer zu fühlen – mit Ausnahme Schulen und Gesundheitssystem. Da sind FFP2-Masken effektiver.

Endemische Phase im Hinblick auf neue Varianten

Infektiologe Kristian G. Andersen erklärt, warum hochmutierte Varianten sich kaum (bis auf BA.1 und JN.1) gegen den bestehenden Variantenzoo durchsetzen können:

Re (Rt), die effektive Reproduktionszahl ist entscheidend. Über 1 tritt eine Welle auf, darunter nehmen die Infektionen ab. Die meisten zirkulierenden Varianten haben derzeit Re ~ 1.

Re ist vereinfacht gesagt eine Funktion aus zwei Hauptbestandteilen: inhärente Übertragbarkeit einer Variante (R0, die Basisreproduktionszahl) und die Fähigkeit, die Bevölkerungsimmunität zu überwinden (Immunflucht).

  • R0 ist die erwartete Fallzahl, die direkt durch einen Fall in einer vollständig naiven Bevölkerung erzeugt wird (das heißt, die inhärente Fähigkeit des Virus, seine Wirtsbevölkerung zu infizieren).
  • Rt ist andererseits die Zahl der Fälle, die im derzeitigem Stadium der Bevölkerung erzeugt wird, was im Fall von SARS-CoV2 heißt: Es gibt eine breite Bevölkerungsimmunität.

R0 entspricht Rt nur dann, wenn es wenig bis keine Immunität gibt. Danach entscheidet Rt.

Die derzeit hypermutierten Varianten (z.B. BA.3.2, BQ.1.1.1) sind höchstwahrscheinlich in einem chronisch infizierten Patienten entstanden. Im Zeitraum der Mutationen übertragen sie sich aber nicht auf andere Personen (oder nur sehr selten), weshalb sie an Übertragbarkeit verlieren können (R0 wird geringer).

Derzeitige Varianten (Stand 25.4.25) wie LP.8.1 haben hohe R0-Werte, weil sie gut übertragen können, aber niedrige Rt-Werte, weil sie unseren Immunitätswall nicht überwinden können (bis die Immunität nachlässt). BA.3.2 besitzt wahrscheinlich mehr Immunflucht, aber schlechtere Übertragbarkeit.

Die Ursache für diese Entwicklung ist wahrscheinlich unsere hochkomplexe Immunitätslandschaft: Varianten, die durch die Bevölkerung „driften“ sammeln sukzessive günstigere Mutationen an, während hochmutierte Varianten von Zeit zu Zeit auftauchen, mit Rt-Werten um 1 aber im Wettbewerb mit etablierten Varianten unterlegen sind.

Irgendwann könnte es durchaus passieren, dass eine der hochmutierten Varianten genügend vorteilhafte Mutationen aufsammelt, um seine Übertragbarkeit zu erhöhen. Wann das passiert, erscheint aber unklar.

Virus-Evolution geht ewig weiter

Die kontinuierlichen Veränderungen im Spike-Protein und teilweise auch in anderen Bereichen führen dazu, dass die Immunantwort auf das eindringende Virus immer wieder aktualisiert werden muss.

Mit Stand Juli 2025 sind die Intervalle zwischen den einzelnen Wellen deutlich größer geworden (bi-annual), im Gegensatz zum ersten Jahr ohne Schutzmaßnahmen (2022). Das spricht für die zunehmende Immunisierung der Bevölkerung, wenn auch überwiegend durch Virusinfekte und seltener durch Auffrischimpfungen.

Evolution von Alpha-Coronaviren (links, wie Influenza A), Beta-Coronaviren (Mitte, wie Influenza B) und Influenza H3N2 (rechts, Driftvariante)

Virologen unterscheiden hier zwischen shift und drift (siehe Erläuterungen hier). Antigenische Drift führt zu leicht veränderten Antigenen, wobei das Immunsystem aber nicht völlig umgangen wird, weil noch Kreuzimmunität gegen Bestandteile der veränderten Variante besteht. Das ist bisher bei allen Virusvarianten von SARS-CoV2 der Fall gewesen. So gesehen handelt es sich nicht mehr um einen neuartigen Erreger, selbst dann, wenn es innerhalb der Virusentwicklung zu einem Sprung kommt wie mit den Omicron-Varianten oder Pirola (BA.2.86). Es braucht dann keine völlig neuen Impfstoffe, sondern Anpassungen an die jeweiligen Spike-Mutationen.

Die von der WHO als “Variant of Interest” eingestufte JN.1-Variante war bis dato die immunflüchtigste ist (Yang et al. 2023). Der nächste evolutionäre Sprung steht nun rund zwei Jahre nach dem letzten bevor – BA.3.2 hat ein stark verändertes Spike-Protein, kann aber von der ACE2-Bindung her nicht mit den aktuellen Varianten mithalten. Es braucht aber möglicherweise nur ein oder zwei Mutationen, damit BA.3.2 so abhebt wie damals BA.2.86 mit der Escape-Mutation L455S. Das ist aber noch nicht zwingend ein Grund zur Sorge, denn der monovalente XBB-Impfstoff erzeugte gegen JN.1. immerhin noch 54% Schutz vor Infektion.

Bei einem shift-Ereignis wird ein Virus mit einem komplett neuen Antigen erzeugt, etwa mit dem Influenzavirus, das in den Jahren 1918 (Spanische Grippe), 1957 (Asiatische Grippe), 1968 (Hong Kong Grippe) und 2009 (H1N1, “Schweinegrippe”) jeweils eine Pandemie ausgelöst hat.

Die Voraussetzungen für eine Pandemie sind demnach dann erfüllt, wenn ein neuartiger Erreger auf eine immun-naive Bevölkerung trifft – im Unterschied zur saisonalen Influenza, die jährlich während einer bestimmten Jahreszeit auftritt und typischerweise weniger schwere Erkrankungen verursacht, weil es von vorhergehenden Virussträngen Kreuzimmunität gibt.

Im Unterschied zu Influenza mutiert SARS-CoV2 wesentlich häufiger (Markov et al. 2023) und die antigenische Drift führt gemeinsam nachlassender Immunität zu mehreren Wellen pro Jahr (Albright et al. 2023). Es hat sich bisher nicht bewahrheitet, dass SARS-CoV2 mit fortschreitender Virusentwicklung und Bevölkerungsimmunität nurmehr “Miniwellen” verursachen würde (Callaway 05/2023). Diese und andere Aussagen wie von Virologe Drosten (“virologische Sackgasse”, Die Zeit 11/2022) scheinen regional zu passen, aber nicht global.