
Verschiedene Surveillance-Tools bestätigen nun, was sich seit ein paar Wochen abgezeichnet hat: Wir stehen am Beginn einer Frühlings- bzw. Frühsommerwelle. Mein letzter Beitrag war bisserl vorschnell getitelt. In allen Bundesländern werden deutliche Anstiege im Abwasser beobachtet, wenn auch von einem sehr niedrigen Niveau startend. Bis zum 7. Mai wurde auch die etwas übertragbarere Variante LF.7* von der AGES sequenziert. Neuere Daten haben wir leider nicht. Die Trajektorie folgt einem ähnlichen Verlauf wie in den Vorjahren (2023, 2024). Damit scheint sich nun schon eher ein saisonales Muster einzustellen, mit einem Maximum im Spätherbst und einem sekundären Maximum im Sommer.
Die neue Variante NB.1.8.1 wird von der WHO seit dem 23. Mai als „Variant under Monitoring“ geführt. Sie entkommt effektiver neutralisierenden Antikörpern. Immunologe Veldhoen hat mich darauf hingewiesen, dass es sich streng genommen nicht um Immun Escape im engeren Sinn handelt: Das Immunsystem erkennt das Virus weiterhin, aktiviert Immunzellen, Gedächtnis T- und B-Zellen, sowie andere Prozesse. Wenn die Neutralisierung in vitro verringert ist, liefert das nur ein Indiz für die Empfänglichkeit für Infektionen, sagt aber nichts über die Krankheitsschwere aus.
Ich verwende Immun Escape weiterhin, da ihn auch sämtliche Variantentracker, Virologen und Genetiker verwenden – im Sinne von „entkommt den neutralisierenden Antikörpern insofern, dass man sich wieder leichter infizieren kann“ – was auf Populationsebene eben eine neue Welle auslösen kann.
SARS-CoV2 wieder im Sentinelsystem nachgewiesen

Nachdem die letzten Wochen gar kein SARS-CoV2 nachgewiesen wurde, schnellt die Positivrate nun auf 9% hinauf – im Einklang mit den steigenden Abwasserwerten. Zu beachten ist allerdings die sehr geringe Anzahl der Proben.

An der Altersstruktur der Patienten hat sich nichts verändert. An der Spitze weiterhin alte und multimorbide Menschen. Das geringste Risiko für einen schweren Verlauf hat die Altersgruppe 5-44 Jahren. Etwas höher ist es für Säuglinge und Kleinkinder, v.a., wenn sie mit dem Virus noch nie in Kontakt kamen (immun-naiv). Aus diesem Grund wäre es sehr wichtig, das schwangere Frauen impfen gehen, um mütterliche Antikörper auf das Neugeborene weiterzugeben – auch für Schwangere selbst besteht ein erhöhtes Risiko (Martinez-Portilla et al. 2025).
Welche Variante(n) treiben die Welle an?

Derzeit im Abwasser bei uns dominant ist LP.8.1.1 – darauf könnte der nächste Herbst-Booster basieren, denn alle für die Sommerwelle in Frage kommenden Varianten weisen die Spike-Mutationen F456L und Q493E auf, und es wird damit gerechnet, dass die im Herbst dominanten Varianten auf den aktuellen Varianten basieren werden.
NB.1.8.1 ist eine Variant under Monitoring wegen …
- Spike-Mutationen an der Stelle 445 erhöhen die ACE2-Bindung, was auf alle dargestellten Varianten zutrifft (NB.1.8.1 hat außerdem V445H).
- Spike-Mutationen an der Stelle 435 verringern die Neutralisation von Klasse 1 und Klasse 1/4 Antikörper (1 und 4 überlappende AK-Klasse, blockieren ACE2-Bindung teilweise, oft variantenübergreifend, aber schwächer)
- Spike-Mutationen an der Stelle 478 erhöhen die Flucht vor Klasse 1/2 Antikörpern
Die FDA empfahl am 22. Mai für den Herbst weiterhin einen JN.1-Impfstoff, legte sich aber nicht auf eine spezifische Subvariante fest. Die EMA empfahl am 17. Mai hingegen einen Impfstoff, der auf LP.8.1 abziehlt – was auch vorläufige Daten der Impfstoffhersteller bekräftigen, die eine robuste Neutralisierung aktueller Varianten (darunter NB.1.8.1) zeigen (siehe CIDRAP, 22.05.25). Gut möglich, dass es heuer wieder zwei verschiedene Booster geben wird, hoffentlich mit einer früheren Zulassung des LP.8.1-Boosters in Europa.
Update, 29. Mai: Pfizer reicht LB.8.1-Impfstoff für Zulassung in Europa ein, könnte ab September zur Verfügung stehen.

Auf diese Grafik hab ich gewartet, denn sie zeigt, welche Varianten die größten Chancen haben, in den kommenden Wochen eine neue Welle anzutreiben. Der Übersichtlichkeit wegen habe ich die Grafik abgeschnitten und die wichtigsten Varianten beschriftet. Da liefern sich XFG und NB.1.8.1 ein enges Kopf an Kopf -Rennen. Ihr Wachstumsvorteil ist deutlich größer als von LP.8.1.1 und LF.7*. Zum Vergleich rechts der „evolutionäre Sprung“ mit JN.1 im Sommer 2023 – von der Größenordnung her durchaus vergleichbar. NB.1.8.1 hat sowohl hohe ACE2-Bindung als auch hohen Immun Escape und damit die besten Chancen, eine globale Welle anzutreiben. XFG hat ewas weniger ACE2-Bindung, aber solange NB.1.8.1 nicht mitkonkurriert, deutlich höheren Wachstumsvorteil gegenüber den amtierenden Varianten (Guo et al. 2025 preprint).
Bisher deutet nichts daraufhin, dass die neuen Varianten schwerere Verläufe hervorrufen. Aus Hong Kong werden zwar steigende Hospitalisierungsdaten gemeldet, aber auch ein kleiner Anteil einer großen Zahl (an Infektionen) ist eine große Zahl, also auf die Welle selbst zurückzuführen. Die Mehrzahl wird wahrscheinlich wie bei uns auf sehr alte und multimorbide Personen zurückzuführen sein. Je länger der letzte Booster zurückliegt, desto wahrscheinlicher ein deutlich symptomatischer oder schwererer Verlauf. Ein Herbst-Booster wird für viele vulnerable Personen zweifellos zu spät kommen – ich würde die Auffrischung jetzt mit dem KP.2-Booster vorziehen und ggf. im Winter mit dem angepassten Booster nachimpfen, vorausgesetzt, die Viruszirkulation bleibt hoch. Das Gleiche gilt für alle anderen, die eine Infektion unbedingt vermeiden wollen, etwa mit bestehender Long Covid-Erkrankung oder bekanntem Immundefekt, auch abhängig davon wie hoch das Expositionsrisiko ist (noch ein knapper Monat bis zu den Schulferien, bzw. Urlaubspläne).
In Hong Kong ist die NB.1.8.1 Welle offenbar noch nicht zu Ende. Es haben sich bereits Nachkommen gebildet (PQ.1. und PQ.2), wobei PQ.2 die Mutation Orf3a:W193R aufweist und bereits 25% relativen Anteil erreicht hat.
In Westaustralien ist NB.1.8.1 innerhalb von wenigen Wochen dominant geworden.

Am 18. Mai lag die Positivrate bei 5,9%.
In Europa zirkuliert NB.1.8.1 übrigens schon länger, hatte aber noch keinen großen Impact. Datenanalyst Cornelius Römer sieht XFG ebenbürtig zu NB.1.8.1, es bleibt also etwas unklar, welche der beiden Varianten sich in Europa durchsetzen wird.
Update, 25.05., 12.30 lct:
XFJ ist von Afrika und bereits in 1/6 der Sampleproben von Frankreich enthalten, wurde Anfang April 2025 designiriert: Rekombinante, zusätzliche Spikemutationen L441R, V445P, A475V [das Triple ist bisher immer bei 346T, 493E-Varianten aufgetaucht] und T791A.
Update, 25.05., 14.20 lct:

Laut Update vom 14. Mai zirkuliert XFG schon länger in Österreich, hat jetzt schon rund 20%. LP.8.1 hatte schon 40% und sinkt wieder. NB.1.8.1 steht bei etwa 10%.
Was tut sich bei der Witterung?
Auf die globale Virusentwicklung hat das Wetter kaum einen Einfluss. Es stellt sich also mehr indirekt die Frage, ob man für sich persönlich eine Verhaltensänderung vollziehen kann oder will, etwa berufliche oder private Treffen eher ins Freie zu verlegen. Da geht es nicht nur um die Frage von Langzeitfolgen oder erhöhter Risiken für bestimmte Personengruppen, sondern etwa aus Arbeitgebersicht um den zu stemmenden Krankenstand in der Urlaubszeit, wenn das Personal ohnehin knapp gemessen ist.

Die Trendkurve zeigt sukzessive nach oben, das Ensemblemittel (weiße Linie) zeigt die kommenden 1-2 Wochen zunehmend über 20 Grad C. Ab Juni könnte es in Wien erstmals seit Anfang Mai wieder sommerliche Höchstwerte geben, die Unsicherheit ist da aber schon groß. Dazu werden immer wieder mal Niederschläge gerechnet, meistens in Form von Schauern oder Gewittern, also nicht durchgehend regnerisch. Tendenziell sollte es also spätestens ab Juni leichter werden, in den Biergarten oder zum Grillen im Freien auszuweichen. In den Schulen und in Büros sollte die Bereitschaft zunehmen, öfter zu lüften, wenn auch die Frostbeulen endlich verstummen.
Drift versus Shift
Nachfolgend die Zusammenfassung einer kleinen Diskussion unter Experten auf Bluesky, nachdem VRBPAC-Vorsitz (Vaccines and Related Biological Products Advisory Committee) Monto angemerkt hatte, dass er die Verwendung der Influenza-Begrifflichkeiten (antigenic shift und drift) durch Dr. Nathalie J. Thornburg schätzt, Chefin von CDC’s Respiratory Viruses Laboratory Branch, Coronavirus and Other Respiratory Viruses Division.

Shift (Verschiebung) bedeutet bei Influenza das sogenannte Reassortment (in Tieren, siehe Schweine- oder Vogelgrippe) und kann neue Pandemien auslösen. Drift (langsam Abwandern) bezieht sich auf die antigenische Entwicklung in der menschlichen Bevölkerung. Bei SARS-CoV2 tritt Shift im weiteren Sinne dann auf, wenn es zu einem evolutionären Sprung kommt (wie Omicron oder JN.1), der typischerweise aus einer lang anhaltenden chronischen Infektion in einem immungeschwächtem Individuum hervorgebracht wird. Drift ist ähnlich wie bei Influenza, also stufenweise mutierende Nachkommen der Muttervariante (BA.-Varianten, JN.1-Varianten), wobei man hier laut Infektiologe Kristian G. Andersen Rekombinanten dazu zählen sollte.
SARS-CoV2 pendelt also zwischen einer ladder-like und non-ladder-like evolution. Das macht den passenden Impfstoff leicht, wenn es eine Zeit lang keine antigenic shift gibt wie zwischen Herbst 2023 und aktuell, aber wenn dazwischen ein Sprung auftritt, könnte der Impfstoff etwas an Wirksamkeit verlieren.
Insofern ist die sich abzeichnende globale Dominanz von NB.1.8.1 bemerkenswert, weil es sich eher um eine ladder-like Entwicklung handelt, mit stufenweise hinzukommenden Mutationen und Rekombinationen, aber vom Grundgerüst her noch klar JN.1 bzw. KP.3.1.1.
Einer der möglichen Gründe für die jetzt doch recht deutliche Wachablösung an der Variantenfront könnte die lange Zeit mit verringerter Viruszirkulation sein, die zur allgemein nachlassenden Bevölkerungsimmunität geführt hat. Neue Varianten mit höherem Immun Escape haben es dann umso leichter, eine größere Anzahl von Menschen zu infizieren.
Sterblichkeit 2024 weiter gesunken

Eine gute Nachricht gibt es trotzdem noch: Letztes Jahr ist die Sterblichkeit weiter gesunken und hat bei den 65+ wieder präpandemisches Niveau erreicht. 2024 sind insgesamt 87 407 Menschen gestorben – damit 2,6% weniger als 2023. Zu den Todesursachen ist noch nichts bekannt.
Insgesamt geht die Sterblichkeit aber zurück, entgegen der öfter geäußerten Annahme, dass wiederholte Reinfektionen die Sterblichkeit weiter erhöhen würden (durch erhöhte Risiken für Herzerkrankungen, Schlaganfälle, Krebs, etc.). Das bildet sich zumindest in der Gesamtstatistik nicht ab.
Zu MECFS gab es heute eine Vortragsreihe im Kunsthistorischen Museum (Programm).