Nach dem Trump-Schock und dem Massenexodus von Twitter hab ich eine Pause gebraucht. Es hat sich ohnehin wenig getan bei der Virusentwicklung in den letzten Wochen und das ist zweifellos erfreulich:
Entgegen der Annahme/Behauptung vieler sogenannter Experten, dass die kalte Witterung die Infektionswelle antreiben würde, sinken die Infektionszahlen derzeit deutlich.
Mein Bauchgefühl vom 6. September hat mich also nicht getrogen, damals äußerte ich auf X:
Das ist genau so eingetroffen: Nach XEC kommt vorerst keine neue Variante nach, die sich signifikant von den Vorgängervarianten unterscheidet. XEX wiederum unterschied sich nur durch die Spike-Mutationen F59S und T22N von KP.3.1.1. und anderen S31del-Varianten. Zwar ist mit XEC signifikante Immunflucht und erhöhte Infektiösität verbunden (Liu et al. 2024 preprint, Kaku et al. 2024), aber das sind erstens Pseudovirusdaten, zweitens ist da die Bevölkerungsimmunität nicht berücksichtigt, die sich durch Impfung und Infektion gegen neue Varianten aufgebaut hat. Deswegen hebt XEC nicht wie JN.1 ab, sondern hat die aktuelle Welle allenfalls etwas gestreckt oder verstärkt. Es gibt zwar ein paar Abkömmlinge von XEC oder KP.3.1.1, aber keiner davon schaut derzeit nach einem deutlichen Gewinner aus.
Spekulativ wird sich der Abwärtstrend also fortsetzen und die Influenzaviren, RS-Viren und saisonale Coronaviren das Ruder übernehmen. Rhinoviren sind unverändert zahlreich unterwegs, aber davon gibt es auch über 100 Subtypen und keine Kreuzimmunität. Eine wichtige Einschränkung bleibt aber: SARS-CoV2 ist nicht weg, selbst wenn die Zirkulation gerade deutlich abnimmt. Es stecken sich immer noch viele an, insbesondere wenn die letzte Auffrischimpfung oder die letzte Infektion eine Weile her ist.
Vogelgrippe
Ich wollte hier eigentlich kein zweites Fass Pandemie aufmachen, weil das sonst ein Vollzeitjob wird. Vor kurzem gab es den ersten H5N1-Fall mit schwerem Verlauf bei einem Teenager in British Columbia, Kanada. Dieser hatte keine Vorerkrankungen und bekam nach anfänglicher Bindehautentzündung, gefolgt von Fieber und Husten schwere Atemnot und musste am 8. November auf die Intensivstation. Am 13. November wurde der Genotyp identifiziert (Influenza A (H5N1), clade 2.3.4.4b, genotype D1.1), der bisher eher milde Verläufe verursacht hat.
Noch genauer wurde eine Mutation am Rest 226 festgestellt, was schlechte Neuigkeiten sind, weil dort die Bindung an menschliche Rezeptoren bereits durch einzelne Mutationen erheblich erhöht wird (Dadonaite et al. 2024).
Die besagte Sequenz ist sowohl an den Stellen Q226 als auch E190 (H3-Nummerierung) mehrdeutig. Beide spielen eine wichtige Rolle bei der Bindungsspezifität der N-Acetylneuraminsäure (NANA). Influenza- und Parainfluenzaviren bilden Hämagglutinin, das als Rezeptor für NANA dient.
Derweil zirkuliert H5N1 noch überwiegend in Rindern („cattle outbreak“), aber es gibt auch etliche Nachweise in anderen Säugetieren und auch menschliche Fälle. Beunruhigend war ein gemeldeter Fall bei einem Schwein am 30. Oktober 2024 auf einem Bauernhof in Oregon, da Schweine auch für die menschliche Influenza empfänglich sind. Wenn zwei verschiedene Influenzaviren einen Wirtsorganismus betreffen, kann es zu einer Austausch von RNA-Segmenten kommen, sodass eine genetisch veränderte Virusvariante erzeugt wird, gegen die Menschen noch keine Antikörper gebildet haben. Es wird vermutet, dass diese „genetische Reassortments“ die 2009er Pandemie ausgelöst haben. Bei diesem Fall wurden keine gefährlichen Mutationen festgestellt, aber dass sich Schweine bereits infizieren können, ist trotzdem beunruhigend (Quelle: CDC-Bericht, 04-11-24).
Bisher scheint es noch nicht zu einer Übertragung von Mensch zu Mensch zu kommen, aber es scheint angesichts der künftigen US-Regierung eine Frage der (kurzen) Zeit, bis sich das Vogelgrippe-Virus noch besser an den Menschen anpassen kann.
Unterdessen ist auch Österreich seit 8.11. Risikogebiet für die Vogelgrippe (H5N1) geworden.
Facts…
- Der Rinderausbruch in den USA geht auf den Genotyp clade 2.3.4.4b genotype B3.13 zurück (Quelle: Health Security Agency, 24.10.24), der bisher nur in den USA zirkuliert. Bei Menschen wurde eine Mutation (PB2 E627K) beobachtet, von der man weiß, dass sie mit viraler Anpassung an menschliche Wirte verbunden ist.
- Der Teenager-Fall in Kanada geht auf 2.3.4.4b D1.1 zurück, stammt also direkt von den Vögeln ab.
- Es gibt derzeit bei Rindern in Kanada keine Fälle von Vogelgrippe, über die eine Übertragung durch Kontakt oder über Rohmilchprodukte hätte erfolgen können (Quelle: Public Health Agency of Canada, 13.11.24).
- Das Vogelgrippe-Virus in Österreich, das überwiegend Wildvögel und bei engem Kontakt auch Massenvogelhaltung betrifft, hat den Genotyp DE-24-03-N1.1_euDI.
- Eine Dimension wie in den USA wäre bei uns nicht vorstellbar, weil bei uns Rohmilch nur pasteuriziert verkauft wird, außer Direktverkauf am Bauernhof, aber eigentlich sollte man überhaupt keine Rohmilch konsumieren.
In Summe sind die Virologen und Infektiologen bereits tief beunruhigt, speziell, weil nun im Winter sowohl Influenza als auch Vogel-Influenza ko-zirkulieren, und so etwa in Schweinen leichter diese „genetic reassortments“ passieren können. Zudem sind die anfänglichen Symptome ähnlich zu „normalen“ grippalen Virusinfekten, und bei milden Verläufen schaut man vielleicht nicht genauer hin.
Soweit der vorläufige Stand – ggf. aktualisiere ich hier noch einmal.
Befürchtungen von Virologin Angela Rasmussen (11.11.24):
Sie sieht keine unmittelbare Pandemiegefahr und vermutet eine direkte Übertragung von einem Vogel oder einem anderen Tier auf das Kind in Kanada. Wenngleich nicht in Kanada, hätte es die letzten drei Jahre immer wieder H5N1-Fälle gegeben, aber keine Mensch-zu-Mensch-Übertragung. Übersprünge auf den Menschen treten aber zunehmend auf, wenn die Gelegenheiten passend sind, wie in der Rinder- oder Geflügelzucht. Eine kürzliche Studie zeigte, dass 7% der Mitarbeiter von Rinderbetrieben Antikörper hatten. Die Hälfte erinnerte sich an Symptome. Das bedeute, hunderte infizierte Farmen quer über Amerika und keiner bemerkt es (Mellis et al. 2024). Ohne es zu wissen, kann sich der infizierte Arbeiter nicht isolieren und das Virus so verbreiten. Gleichzeitig herrschen starke Befürchtungen der betroffenen Arbeiter, Krankenstände nicht zu melden.
Influenza ist ein segementiertes RNA-Virus, das schneller mutiert und sich rasch an einen neuen Wirt anpassen kann. Es kann sich rasch mit anderen Viren paaren (reassort), und so schnell von einer saisonalen oder epidemischen Fähigkeit zu einer Pandemie werden. In der Grippezeit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein menschlicher Wirt mit beiden Viren infiziert ist.
Bisher gibt es nur begrenzt Tests bei Arbeitern, es wird nicht einmal jede Kuh getestet. Mit der Übernahme durch Trump ab Jänner könnte alles noch viel schlimmer werden. Vielleicht ist der neue FDA-Chef ein Rohmilch-Enthusiast, der die Zahl der menschlichen Infektionen sprunghaft ansteigen lassen könnte. Zudem die versprochenen Massendeportationen – am häufigsten würde das ausgerechnet jene Vieh- und Geflügelbetriebsarbeiter treffen, die das höchste Risiko für eine Infektion haben. Unter den zu erwartenden grausamen und unmenschlichen Abschiebebedingungen hätte das Virus dann ideale Bedingungen, um sich an den Menschen anzupassen und sich kontinentübergreifend zu verbreiten.