Das Archiv ist ein Hund

altrömische Methode, etwas “Unliebsames” aus der Geschichte zu löschen.

“The Party told you to reject the evidence of your eyes and ears. It was their final, most essential command.” (George Orwell, 1984)

Viele Erkentnisse aus der Spanischen Grippe 1920-22 gingen verloren. Auch heute wieder. Jetzt wird so getan, als ob die Maßnahmen 2020 und 2021 unnötig gewesen wären. Vergessen hat man die Leichenberge auf den Gängen, die überfüllten Intensivstationen, die verzweifelten Eltern, die keinen Notarzt für ihr Kind fanden. In Österreich wird LongCOVID nicht erwähnt, Arbeitskräftemängel habe mit Pensionierungswelle zu tun, aber sicher nicht mit Covid wie in den USA oder UK. Selbst Bayern hat 350 000 LongCOVID-Fälle seit Beginn der Omicron-Wellen gemeldet. Prävention wird auf Impfung reduziert, in Deutschland werden Luftfilter ABGEDREHT, um Kinder nicht mehr an Covid zu erinnern. Davos und die Vorkehrungen auf Pressekonferenzen der Regierung zeigten aber, dass Prävention für sie sehr wohl ein Thema ist. Für die hohe Zahl an Krankenständen macht man immer noch die Lockdowns vor drei bis vier Jahren verantwortlich. Die WHO hatte bereits im Juli 2022 vor einer multiplen Herbstwelle gewarnt, im Herbst waren alle überrascht samt Pharmakonzerne, die sich an den Vorjahren für Medikamentenbedarf orientierten.

Auch bei der Pest ähnlicher Ablauf – einsame Rufer zu Beginn, dann Chaos, Maßnahmenverweigerung, Destabilisierung und Opportunismus, schließlich Verdrängung.

COVID: there’s a strong current of pandemic revisionism in the mainstream media, and it’s dangerous (16.02.24)

Gefährliche (Miss-) Lehre aus der Pandemie: Neues Pandemiegesetz so anlegen, dass Schutzmaßnahmen für Kindergärten und Schulen ausgeschlossen werden oder zu spät kommen (werden), siehe Debatte in Deutschland angestoßen durch die FDP (Welt-Artikel, 04.04.24)

Literatur und Medienberichte

Jakob Eberle, Bluesky (14.03.25)

Fünf Jahre nach Beginn der Pandemie – was haben wir gelernt und was droht verloren zu gehen?


Ein Thread über verpasste Chancen, verzerrte Erinnerung und den Umgang mit Desinformation und Desinformateur*innen.

2/ Aktuell starten einige Rückblicksformate mit Teasern wie ‚Es wurden viele Fehler gemacht‘ od ‚Braucht es eine Wiedergutmachung?‘. Unklar bleibt welche ‚Fehler‘ genau gemeint sind oder von wem die Forderung nach ‚Wiedergutmachung‘ eig kommt. Dadurch werden diese Aussagen schleichend normalisiert.

3/ Grundsätzlich wäre ich vorsichtig, einzelne „gravierende“ Fehler zu benennen. Viele Entscheidungen wurden unter hoher Unsicherheit getroffen – einige erwiesen sich als sinnvoll, andere weniger effektiv. Manche Maßnahmen hatten vor allem symbolischen Charakter & waren nicht ausreichend durchdacht.

4/ Was jedoch klar ist: Eine system., begleitende Evaluation hätte bereits während der Pandemie geholfen, Anpassungen frühzeitig vorzunehmen. Doch schwerwiegende Versäumnisse zeigen sich v.a. jetzt: Die Chance, aus der Pandemie zu lernen & die öff Gesundheit besser vorzubereiten, wird nicht genutzt.

5/ Stattdessen dominiert zunehmend ein pandemie-revisionistisches Narrativ. Bleibt es unwidersprochen, laufen wir Gefahr, beim nächsten Gesundheitsnotstand wieder völlig unvorbereitet zu sein. Aber was meine ich mit #Pandemierevisionismus?

6/ Pandemierevisionismus bezeichnet die rückblickende Umdeutung der Pandemie, bei der zentrale Aspekte verdrängt oder umgedeutet werden. Das geschieht oft durch politische Narrative und Medienberichterstattung, die bestimmte Deutungsmuster verstärken. Ein Beispiel:

7/ Immer häufiger wird behauptet, viele Maßnahmen seien überzogen gewesen und hätten keine Unterstützung gefunden. Oder dass COVID für die Mehrheit keine Bedrohung dargestellt habe. Doch die Daten zeigen etwas anderes.

8/ Laut Komplexitätsforscher Peter Klimek konnten durch gezielte Maßnahmen zehntausende Todesfälle verhindert werden. Und wir sprechen hier noch gar nicht über Long Covid. Und auch die öffentliche Meinung war keineswegs so ablehnend, wie es manche heute behaupten.

9/ Eine Umfrage für – den durchaus Maßnahmen-kritischen „Der Pragmaticus“ aus dem Dezember 2024 zeigt, dass sogar heute noch viele Maßnahmen rückblickend weiterhin positiv bewertet werden:

🔹 69 % hielten Lockdowns für ‚zeitweise‘ oder ‚absolut‘ richtig

🔹 81 % bewerten die Maskenpflicht als ‚zeitweise‘ oder ‚absolut‘ richtig
🔹 67 % halten Schulschließungen für ‚zeitweise‘ oder ‚absolut‘ richtig

Ich kann mir gut vorstellen, dass „Der Pragmaticus“ ganz andere Ergebnisse erwartet hatte, als sie die Studie in Auftrag gaben.

11/ Unsere eigenen #ACPP Daten zeigen, dass die Akzeptanz der Maßnahmen über die gesamte Pandemie hinweg hoch war. Zwischen 2020 und 2023 bewerteten nie weniger als 61 % die Maßnahmen als angemessen oder nicht ausreichend.

12/ Im März 2022, als weitreichende Öffnungsschritte angekündigt wurden, hielten 51 % der Befragten die Maßnahmen für *eher nicht* oder *gar ausreichend*.

13/ Damals war wenige Monate zuvor die Impfpflicht – bei Nacht & Nebel – verkündet worden. Gleichzeitig sind wir von der Welle mit den 2. höchsten Todeszahlen in jene mit den 3. höchsten Todeszahlen geschlittert. #Omicron

14/ Diese Zahlen widerlegen den oft vermittelten Eindruck, dass die Maßnahmen insgesamt auf breite Ablehnung gestoßen seien. Dennoch, werden diese Aussagen nun medial und politisch immer wieder wiederholt und damit normalisiert – und tragen zu einem pandemierevisionistischen Narrativ bei.

15/ Viele Erkenntnisse über das Virus, seine Übertragungswege & Schutzmaßnahmen sind nun schon über Jahre wissenschaftlich gesichert.

Doch in Politik & Medien wird noch immer über grundlegende Fakten gestritten – etwa, dass COVID über die Luft übertragen wird, Masken schützen & Impfungen wirken.

16/ Besonders problematisch ist der Umgang mit Desinformation, Contrarians & False Balance in der medialen Berichterstattung. Wenn etablierte Medien Verschwörungsideolog*innen als gleichwertige Diskussionspartner zu Virolog*innen einladen, zeigt das ein fundamentales Problem.

17/ Das sind Menschen, die Wissenschafter*innen & Journalist*innen unterstellen „gekauft“ zu sein, die sie vor einem „Tribunal“ sehen wollen. Menschen, die Desinformation zu „Turbokrebs“, „Unfruchtbarkeit“ oder „5G“ verbreiten. Menschen, deren Hauptziel es ist zu verunsichern. Alles dokumentiert.

18/ Statt wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse konsequent in die öffentliche Debatte einzubringen, wird längst geklärtes immer wieder infrage gestellt. Das erschwert nicht nur eine faktenbasierte Aufarbeitung der Pandemie, sondern behindert auch die Vorbereitung auf zukünftige Krisen.

19/ Selbstverständlich gibt es in der Wissenschaft Debatten – aber sie werden dort geführt, wo sie hingehören: in Fachjournalen, in Forschungsteams, in Konferenzen. Nicht in TV-Runden, die False Balance erzeugen und gesicherte Erkenntnisse relativieren.

20/ Es gibt einen Grund, weshalb die Stimmen, die in FPÖ-Kreisen am meisten zitiert und eingeladen werden, in wissenschaftlichen Kreisen irrelevant sind. Ihre kruden Thesen halten außerhalb von Settings wie bei ServusTV oder FPÖ-Wahlkampfveranstaltungen keiner kritischen Prüfung stand.

21/ Das heißt nicht, dass wir nicht ehrliche Diskussionen darüber führen können, ob, statt Schulschließungen, HomeOffice-Regelungen sinnvoller gewesen wären. Welche Abwägung damals gemacht wurden. Dass man versucht zu verstehen, warum manche Entscheidungen auf Biegen & Brechen hinausgezögert wurden.

22/ Wie es dazu kommen konnte, dass die Pandemie X-mal für beendet erklärt wurde. Dass Impfkampagnen ausblieben & ausbleiben. Ob es so sinnvoll war, sich an den Intensivbetten zu orientieren, statt rechtzeitig non-intrusive Maßnahmen zu ergreifen, im Sinne einer Niedriginzidenz-Strategie.

23/ Warum die Versorgung für LongCovid noch immer nicht ausreichend ist. Wie man insb. Schulen sicherer machen kann. Wie man den Datenzugang in Zukunft besser regeln kann. Wie man den Austausch zw. Wissenschaft und Politik langfristig besser organisieren kann usw.

24/ Das wären alles ehrliche Diskussionen, die aber auch nur mit ehrlichen Diskutant*innen geführt werden können. Da geht es um strategische und politische Abwägungen, die getroffen wurden… von politisch gewählten Entscheidungsträger*innen.

25/ Das absurde ist ja: Diese ganze Scheindebatte um „Wiedergutmachung“, ist was extrem österreichisches. Weil wir es bis heute nicht verstanden haben, dass wir nicht über jedes Stöckchen springen müssen, dass uns die FPÖ hinhält.

26/ Der Rechnungshofbericht zu COVID-Fonds in NÖ spricht eine eindeutige Sprache. Diese „Wiedergutmachung“ ist ein gefährlicher Marketinggag, der Korruption Tür und Tor öffnet. Wer wirklich Unterstützung in NÖ braucht, sind LC-Betroffene.

27/ In anderen Ländern wird darüber diskutiert, wie man mehr Leben hätte retten können. Gerade das, wäre auch in Österreich eine wichtige Frage. Die entscheidende Frage 5 Jahre später ist mMn also: Lernen wir aus der Pandemie oder laufen wir blind in die nächste Krise?