“I’m not toying with the life of a 23-year-old boy. I don’t want that on my conscience.” (Patrick Lefevere, Manager von Quickstep, Giro d’Italia, 17. Mai 2023)
Während sich die Berichterstattung in Österreich erwartungsgemäß vornehm zurückhält, was den Einfluss der aktuellen Sommer-Coronawelle auf die Olympischen Spiele betrifft*, redet man anderswo bereits Klartext.
Das, was wir derzeit erleben, ist nicht normal und sollte nicht mehr beschönigt werden. Noah Lyles wird kurz vor seinem Lauf positiv getestet und gewinnt die Bronze-Medaille. Die Quittung für seinen Einsatz: Er musste nach dem Rennen im Rollstuhl hinausgefahren werden. Malaika Mihambo holt im Weitsprungfinale Silber, muss aber ebenfalls mit Atemnot im Rollstuhl aus dem Stadion gebracht werden. Alessia Zarbo kollabiert in der letzten Runde des 10km-Finales und bleibt auf der Bahn liegen. Sind das noch sportliche Wettkämpfe oder handelt es sich um Gladiatorenkämpfe des alten Roms?
*So ist im Kommentar des Wochenend-Standards zum finalen Wochenende der Olympischen Spiele kein einziges Wort zu den zahlreichen Coronafällen und -ausfällen unter den Athleten zu lesen. Zu Lyles heißt es in einer kurzen Meldung lapidar „reiste mit Corona ab.“
Arthur L. Caplan: Noah Lyles’ collapse with Covid: How not to manage health at the Olympics (09.08.24)
Troy Farah: Noah Lyles‘ collapse underscores our collective COVID denial (10.08.24)
Update: Mihambo beendet Saison vorzeitig wegen Longcovid
Corona-Folgen: Mihambo trifft schwere Entscheidung (27.08.24)
Update 2: Länder, die Covid stärker eingedämmt haben, gewannen mehr Goldmedaillen als erwartet und umgekehrt bei den Olympischen Spielen (Orchard et al. 2024 preprint)
Sportmediziner kritisieren Lyles heftig und warnen davor, auch leichte Infektionen zu unterschätzen:
„Schon bei einer leichten Covid-19-Infektion, aber auch bei anderen grippalen Infekten, sitzen immer einige Viren auf dem Herzmuskel. Wenn ich Sport treibe, dann wird der Herzmuskel stärker belastet und ist dadurch schlechter geschützt. Die viralen Partikel können so zu Entzündungsreaktionen führen. Auch Herzrhythmusstörungen sind möglich. Bei Profisportlern passiert es immer wieder, dass jemand einen plötzlichen Herztod erleidet. Der resultiert häufig aus nicht erkannten oder ignorierten Infekten und gleichzeitiger Belastung.“
Hans-Georg Predel, Institut für Sportmedizin und Kreislaufforschung an der deutschen sporthochschule Köln, 09. August 2024 (Zeit)
Zudem geht eine Infektion auf die Atemwege, verengt die Bronchien und kann Asthma und Atemnot auslösen.
Mihambo hatte sich bereits im Juni 2024 bei der EM in Rom infiziert und sprang trotzdem zur Europameisterin – mit starken Beeinträchtigungen.
Predels Rat an Breiten- und Hobbysportler ist klar:
„Das war ein übles Beispiel. Genauso, wie man es nicht machen sollte. Mein ärztlicher Ratschlag lautet ganz klar: Bitte nicht nachmachen! Bei einer akuten Infektion, egal ob Covid-19 oder ein grippaler Infekt, muss man sich schonen. Und warten, bis die Symptome vollständig abgeklungen sind.“
Corona bei Olympia: Deshalb sind Spitzensportler eher kein Vorbild
Schlagzeile im wdr; 09. August 2024
Dort steht auch, dass sie nicht nur ihre eigene Gesundheit riskiert hätten, sondern auch andere im Team und darüber hinaus anzustecken, vor allem, wenn sie dann keine Maske tragen (und dass man in Frankreich vielfach nur auf die weniger effizienten OP-Masken setzt, ist auch eher fragwürdig bei den finanziellen Summen, die bei Olympia umgesetzt werden).
Der Trainer von Mihambo, Ulrich Knapp, hingegen mit einer moralisch verwerflichen bis zynischen Aussage angesichts Millionen von Longcovid-Betroffenen:
„Mihambo habe Bewunderung verdient für ihre aufopfernde Leistung. In einer Gesellschaft, wo sich jeder mit Nasenbluten einen Krankenschein nimmt und eine Woche zuhause bleibt, habe Deutschlands Weitsprung-Star angeschlagen alles gegeben.“
aus einem Kommentar von Holger Luhmann, sport1.de (09.08.24)
In der ARD-Berichterstattung vom 08. August 2024 hielten sich die Reporter nicht zurück mit Kritik.
„200 Meter ist jetzt kein Sonntagsspaziergang.“
Im australischen Team gab es 40 Infektionen, weil sie dort getestet haben und nicht weil das australische Team besonders vulnerabel gewesen wäre. Ganz konsequent waren ihre Maßnahmen aber auch nicht:
„Um die Ansteckungsgefahr zu minimieren, nehmen die australischen Sportlerinnen und Sportler lediglich das Abendessen im Speisesaal des olympischen Dorfes ein. Das Frühstück und Mittagessen wird in einem für das Team reservierten Kleingarten zubereitet.“
Sport ORF.at, 05. August 2024
Man möge dem Redakteur erklären, was der Unterschied zwischen minimieren und reduzieren ist. Denn eine minimale Ansteckungsgefahr würde dann herrschen, wenn die Sportler jedes Essen nur im Freien einnehmen würden. Zudem sollten sie eine Maske tragen, um sich auch innerhalb des Teams vor Ansteckung zu schützen. SARS-CoV2 ist kein Frühstücksvirus! Es ist mahlzeitenunabhängig übertragbar!
Mihambo: Unvernunft und Verleugnung bis Vernunft und wichtige Botschaften
In der ARD-Sportschau zu Olympia gab es ein interessantes Interview zu Post-Covid bei Malaika Mihambo, auch mit Trainer Ulrich Knapp – von dem ich einen Audio-Mitschnitt bekommen habe (aus rechtlichen Gründen kann ich das Interview in Österreich nicht abrufen). Davon habe ich Ausschnitte transkribiert:
*
Mihambo: „Mir geht’s wieder ganz gut. Für mich war einfach an dem Abend klar, dass ich Ruhe brauche. Wenn man eben noch nicht ganz wieder bei Kräften ist, oder bzw. meine Lunge ist ja noch einfach eingeschränkt, dann ist es so, dass man durch den Wettkampf zwar kommt, und es gar nicht merkt die Anstrengung, und wenn dann das Adrenalin abfällt, dann ist es von jetzt auf gleich quasi vorbei. Man braucht einfach Ruhe und da hab ich dann die Chance genutzt dann auch die Hilfe in Anspruch zu nehmen – sah bestimmt für die Außenstehenden sehr dramatisch aus, aber ich wusste mit ner halben Stunde Ruhe wird alles wieder gut werden.“
„In dem Moment hab ich einfach das Gefühl gehabt, dass ich nicht genug Luft bekomme. Das liegt wohl daran, dass die Gasaustauschkapazität bei 70% liegt, und dann kann eben nicht genug Sauerstoff in den Körper, nicht genug CO2 raus. Dann, bei der Anstrengung und dem ganzen Stress braucht man eben mehr Luft, dann hab ich eben auch schon gemerkt, dass ich anfange zu hyperventilieren, aber gleichzeitig wusste ich eben auch schon, weil ich das nach meiner ersten Corona-Infektion auch schon hatte, diese Symptomatik, dass alles in Ordnung wieder kommt, dass das nichts Schlimmes ist, kaputt geht, und von daher … […]“
(Während der nächsten Frage des Reporters hustet Mihambo)
Knapp: „Im Grunde wusste ich, dass sie sich wieder erholt, weil wir hatten ja beide parallel die Infektion durchgemacht. Wir waren beide zwei Wochen richtig krank. Nach zwei Wochen, ich konnte nicht mal gehen oder ne Treppe laufen. Malaika musste wieder ganz langsam anfangen mit Training. Als sie ihre ersten Einheiten wieder machte, konnte ich immer noch nicht joggen, mich kaum bewegen. Sie hat immer jeden Tag versucht, auf sich zu trainieren, und es war natürlich auch ein *** Spiel, ob sie überhaupt an den Start gehen kann. […]“
Knapp: „Wenn die Infektion zwei Wochen später gekommen wäre, hätte ich dafür plädiert zu verzichten. Weil wir hatten es in München ja mitgemacht, wo es ihr wirklich extrem schlecht ging. Da hat dann auch ihre Gesundheit darunter gelitten. Wir haben’s bei Noah Lyles gesehen, der es versucht hat, auch zusammengebrochen ist, vom Platz geschoben werden musste. Weil man muss auch ein bisschen an die Gesundheit der Athleten denken.“
Reporter: Es zählt nicht nur der Superlativ.
Knapp: „Absolut. Irgendwo ist auch die Fürsorgepflicht des Umfeldes gefragt. In dem Fall hatten wir das Gefühl, sie könnte es schaffen, zumindest einigermaßen fit an den Start zu gehen und dann probieren wir alles.“
Mihambo: „[….] Ich hab ja auch keine akute Corona-Infektion. Hätte ich jetzt akute Krankheit, würde ich nicht an den Start gehen, aber das sind jetzt die Folgen von der Infektion, die zwei Monate zurückliegt. Ich glaub, das muss man eben auch im Kopf behalten, dass das schon länger her ist und mich zwar noch intensiv begleitet auch, aber eben nicht, dass wir jetzt irgendwie ein Risiko eingegangen sind, und dann kommt eben dazu, dass mans nicht vergleichen kann mit einem normalen Wettkampf. Es ist Olympia und man hat auch die Ehrenrunde. Natürlich ist da unter 80000 Menschen in so einem vollen Stadium ne ganz andere Stimmung und Druck und Intensität dahinter. Das kann man eben nicht im Training simulieren, und das kann man nicht einschätzen, wie genau der Körper vorher reagiert.“
Mihambo: „Wie gesagt, für mich ist alles in dem Moment einfach, natürlich hätte ich jetzt auch versuchen können, das zu überspielen (räuspern), aber genau darum geht’s ja auch, dass man einfach authentisch bleibt und für mich war in dem Moment Pause gut, und wenn es heißt, dass man mit dem Rollstuhl vom Platz geschoben wird, dann ist es in Ordnung. Ich finde, wenn man auch weiß, dass es einem in einer halben Stunde wieder bessergeht oder in ner Stunde, finde ich das in Ordnung, aber das gehört eben auch dazu zu sehen, dass Corona eben nicht eine einfache Erkältung ist für jeden, und dass es ein bisschen komplizierter ist, andererseits ist auch die Frage: Was ist die Alternative? Soll ich jetzt zuhause bleiben und für mich trainieren? Die Silbermedaille zeigt ja, dass ich fit genug bin.“
Mihambo: „Für mich war das einfach nochmal ein Prozess, wo ich soviel gelernt hab, weil es mir eben nicht mehr leichtgefallen ist, weil ich da seit der Corona-Infektion wirklich große Steine auch hatte, die auf meinem Weg lagen. Dass dann alles zusammenzubringen, im Wettkampf, und da über sich hinauszuwachsen, das gibt mir persönlich sehr viel, was ich dann auch in den nächsten Wettkampf weitertragen kann. Ich glaube auch, was man an andere Menschen weitergeben kann, weil es mich mental so stark gemacht hat, nicht aufzugeben, sondern an mich zu glauben. Und natürlich alles abzuschätzen. Wie gesagt, es gab ja in dem Fall jetzt kein Risiko, weil mir gehts ja heute genauso wie es mir am Tag des Finales ging. Und dass ich am Tag des Finales eben deutlich mehr gemacht habe als heute.“
*
Meine Interpretation:
Die Infektion wird kleingeredet. Zwar schlimmer als eine Erkältung, aber man sei kein Risiko eingegangen, während die Spätfolgen der letzten Infektion zwei Monate später immer noch deutlich spürbar waren, mit verringerter Lungenkapazität. Auch wenn sich die Lunge erholen wird, bleiben die anderen Gefahren, wo Corona eben mehr ist als eine Lungenkrankheit, sondern auf die Organe und Gefäße gehen kann. Der Trainer kommt hier deutlich sozialer herüber als im Sport1-Artikel. Er betont etwa die Fürsorgepflicht und dass Corona für ihn alles andere als harmlos war.
Die optimistische Aussage, dass es kein Risiko gegeben hätte, kann ich trotz der sicherlich hervorragenden medizinischen Überwachung der Athleten nicht ganz teilen. Da zeigen die Longcovid-Erfahrungen und Studien zu Leistungssportlern doch etwas anderes und zwingt viele zum Karrierende oder noch schlimmer. Bei manchen Leistungssportlern war es dann die dritte Infektion, die zu deutlichen Leistungseinschränkungen geführt hat.
Gerade den „anderen Menschen“ ist dringend davon abzuraten, bei anhaltenden Symptomen nach einer Infektion weiter zu trainieren, zu glauben, man könnte die Symptome wegtrainieren, denn genau das kann zu PEM (Belastungsintoleranz) führen und langfristig erst Recht zu starken Einschränkungen im Alltag. Ich hab dem ein ganzes Kapitel gewidmet, wie wichtig es ist, zu warten, bis die Symptome vollständig abgeklungen sind.
Die Frage, welche Risiken man eingehen will oder muss als Leistungssportler, der nicht eben leichtfertigt entscheidet, die Olympischen Spiele auszulassen und erst in vier Jahren wieder anzutreten, ist schwieriger geworden mit endemischen Corona in diesem Ausmaß an regelmäßigen Infektionswellen, eben auch inmitten des Hochsommers. Was ist die Alternative, fragt sie, und schiebt gleich ein Strohmann-Argument hinterher in einer politisch und medial aufgehetzten Gesellschaft, die zwischen Durchseuchung und strengen Ausgangssperren kein kluges Mittelmaß gefunden hat: Etwa Schutzmaßnahmen wie Maske tragen oder überhaupt Schutzmaßnahmen bei Olympia, die für alle Teams gelten – und wer Kontakt zu den Spielern hat, nimmt sich ein Beispiel bei der Tour de France und trägt gefälligst eine Maske.
SARS-CoV2 ist eben kein Infekt wie andere, sondern erhöht die Risiken beträchtlich. In Österreich sieht es leider so aus, als ob mit den Coronaspielen ähnlich umgegangen wird wie mit dem Weltwirtschaftsforum in Davos Anfang 2023, wo strengste Corona-Maßnahmen gegolten haben, aber kein einziges Medium in Österreich darüber berichten wollte. All jene Ereignisse oder Vorkehrungen, mit denen man wirklich kluge Lehren aus der Pandemie ziehen könnte, werden leider totgeschwiegen.
Stattdessen Peak Denial auch vom Gesundheitsminister Rauch (Grüne), der ausgerechnet am Welttag für schwere MECFS-Erkrankungen ausrichten lässt, man solle nicht „krampfhaft auf Corona starren„.
Im „Kurier“ (Donnerstag-Ausgabe) sagte Rauch, gefragt nach Experten, die auf ein frühes Einsetzen der Covid-Welle hinwiesen: „Ich sehe keine Coronawelle. Beim Abwassermonitoring ist seit zwei Wochen die Tendenz schon wieder sinkend. Dass es wieder Wellen geben wird, ist unbestritten. Ich halte aber das krampfhafte Hinstarren auf Corona für einen Fehler.“
Laut den aktuellen Abwasserdaten gab es zwar nach einem wochenlangen moderaten Anstieg der Werte zwischenzeitlich einen sichtbaren Rückgang. Die jüngsten Messdaten deuten aber wieder darauf hin, dass sich das Virusgeschehen neuerlich leicht erhöht haben dürfte.
Olympia ist im Übrigen nicht vorbei. Vom 28. August bis 8. September finden die Paralympischen Spiele statt. Wird man bis dahin Konsequenzen ziehen und Schutzmaßnahmen erhöhen? Mir fehlt der Glaube dazu …