Fast fünf Jahre nach Beginn der SARS-CoV2 Pandemie und einer LKW-Ladung an neuen und alten Erkenntnissen zur Virusübertragung sollten wir längst weiter sein, als das, was einem in aller Regelmäßigkeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geboten wird. Wir könnten längst darüber reden, wie wir die Luftgüte in Innenräumen im öffentlichen Raum verbessern können, denn CO2-Konzentrationen sind nicht nur ein Indikator für schlechte Luft und erhöhtes Infektionsrisiko, sondern beeinflussen direkt die Stabilität der Viruspartikel in der Luft (Haddrell et al. 2024). So wie es durch die Cholera-Epidemien glücklicherweise einen Lernfortschritt gab, nurmehr sauberes Wasser zu trinken, sollten wir durch die SARS-CoV2-Pandemie mitgenommen haben, nurmehr saubere Luft zu atmen. Sauberes Trinkwasser und Lebensmittel sind durch das Mikroplastik-Problem schon wieder Geschichte, aber in Innenräumen hätten wir noch viel Luft nach oben. Es gibt dazu zwei Möglichkeiten: Entweder übergeordnete Instanzen wie Staat, Behörde und Arbeitgeber sorgen für Luftmaßnahmen (Luftfilter, Lüftung, Dämmung, etc.), oder der Einzelne filtert sich die Luft selbst durch eine FPP2-Maske, was nicht immer funktioniert, sei es bei Kleinkindern, Gehörlosen oder andere Gründe. Die Mehrheit muss solidarisch mithelfen, oder die übergeordnete Instanz legt die Maßnahmen fest.
Seit rund vier Jahren lassen sich Journalisten, Politiker, Wissenschaftler und Mediziner von den rechten Meinungsführern vor sich hertreiben, ohne rote Linien zu ziehen zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung/Bedrohung bis zu direkten Übergriffen. Wie berichtet, geht das soweit bestimmte Impfungen nicht mehr zu empfehlen, etwa gegen SARS-CoV2, „weil das niemand mehr hören will und die FPÖ eine Wahl nach der anderen mit diesem Thema gewinnt“. Also lässt man die Bevölkerung leiden aus Feigheit, dieser Verdrängung und Instrumentalisierung entgegenzutreten. Das hat aber nicht nur Signalwirkung für SARS-CoV2, sondern für alle Infektionskrankheiten, für alle, die besonders gefährdet sind, und diskreditiert letztendlich auch die Wissenschaft, die sich scheinbar überall uneins ist und mit gespaltener Zunge spricht.
In der Ö1-Gesundheitssendung „Am Puls-Sprechstunde“ vom 28.11.24 mit Marlene Nowotny waren Infektiologin Luzia Veletzky, Geriater Marcus Köller und Infektiologe Christoph Wenisch zu Gast. Ich hab mir die Sendung angehört und einen Faktencheck gemacht. Im Ö1-Früh- und Morgenjournal vom 17.12.24 wurden die Aussagen von Wenisch 1:1 wiederholt, wahrscheinlich direkt aus der Sendung übernommen, die von Veletzky und Köller kamen nicht vor, bzw. wurden unzulässig mit jenen von Wenisch vermischt und irreführend verkürzt.
Das Frühjournal
Ich bekam zunächst nur das Frühjournal mit.
„Sprecherin: Die Grippe oder Influenza, Covid und RSV-Infektionen, eine mitunter gefährliche Atemwegserkrankung, die bezeichnet der Infektiologe Christoph Wenisch von der Klinik Favoriten in Wien als die bösen drei. Neben Impfungen gegen diese Erkrankungen sei die regelmäßige Händehygiene im Winter besonders wichtig, so Wenisch.“
Zutreffend sagt Wenisch, dass die drei Virusarten zu den gefährlichen saisonalen Viren im Winterhalbjahr zählen. SARS-CoV2 tritt, wie wir wissen, mit einem sekundären Maximum im Sommerhalbjahr auf, insbesondere begannen Wiederanstiege in den letzten Jahren jeweils im Frühsommer. Das Hauptmaximum wird dennoch meist im Winter erreicht, außer die Sommerwelle war hoch. Daher bezeichnen Experten SARS-CoV2 als saisonale Erkrankung (Wiemken et al. 2023). Im Wort Atemwegsinfekt steckt der Übertragungsweg schon drin. Händehygiene ist sowas von März 2020, obwohl bereits im April 2020 begonnen wurde, auf Stoff- und OP-Masken umzusteigen und ab Jänner 2021 zumindest zeitweise FFP2-Masken vorgeschrieben waren.
„Wenisch: Mit alkoholischer Händehygiene reduziert man das Risiko für diese Infektionen um 11 Prozent. Bei der Maske ist das in Alltagssituationen nicht gezeigt.“
Das ist wie gesagt der Wortlaut vom 28.11.24. Die Ö1-Redaktion hat es in drei Wochen nicht geschafft oder für nötig befunden, diese Behauptung zu überprüfen und die Quelle dafür ausfindig zu machen. Wir wissen nicht, wie dieser Wert zustande kam. Was war das Setting für diese Studie? Wer waren die Teilnehmer? Welches berufliches Umfeld wurde betrachtet? Welche Masken wurden getragen? Hat man anderweitige Ansteckungsorte berücksichtigt? Um welche Viren und Virusvarianten ging es? Wurde die jeweilige Hintergrundinzidenz berücksichtigt und die statistische Wahrscheinlichkeit, auf Infizierte zu treffen? Waren die Teilnehmer kürzlich geimpft? Wie signifikant ist überhaupt eine Risikoreduktion um 11%? Was sind Alltagssituationen? So vieles unklar.
„Sprecherin: Vor weniger gefährlichen Virusinfektionen, also Schnupfen, Husten oder grippalen Infekten, kann ein gutes Immunsystem schützen. „
Was ist das ür eine Aussage? Schnupfen und Husten sind Symptome, ein grippaler Infekt ist ein Virusinfekt. Auch die „bösen drei“ können mild mit Schnupfen oder Husten verlaufen, aber dennoch Spätfolgen erzeugen – wie wir wissen, sowohl mit SARS-CoV2 (LongCovid) als auch mit Influenza. Zu den weniger gefährlichen Virusinfektionen zählen Rhinoviren, Parainfluenza und saisonale Coronaviren – sie sind zwar weniger gefährlich, aber nicht völlig ungefährlich, insbesondere bei einem geschwächten Immunsystem, im hohen Alter, bei Erkrankungen mit immunsupprimierenden Medikamenten bzw. bei Krebserkrankungen. Das betrifft eine – nicht allzu kleine – Minderheit von mehreren hunderttausend Menschen in Österreich. Die können sich von der Aussage, dass ein gutes Immunsystem schützt, nichts kaufen, denn sie haben sich ihren Immunstatus nicht ausgesucht.
„Wer hier vorbeugen möchte, sollte sich gesund ernähren und regelmäßig Bewegung machen, ausreichend schlafen und auf Alkohol und Nikotin verzichten.“
Eine belehrend daher kommende Abwälzung der Verantwortung auf den Einzelnen. Ja, wenn es Armut, prekäre Lohnarbeit, Behinderung und chronische Erkrankung und andere Lebensumstände nicht geben würde, dann könnten alle Menschen im Land super vorbeugen. Doch wir leben nicht in dieser Realität, wo Kalenderspruchempfehlungen ohne weiteres umgesetzt werden können. Davon abgesehen waren viele Betroffene von Long Covid und MECFS vor ihrer Erkrankung gesund und häufig in Bewegung. Selbst wenn man alle Punkte umsetzt, schützt das gegen bestimmte Virusinfektionen und deren Folgen nichts.
Auch hier erwähnt Wenisch [am 28.11.] wieder eine *wunderbare* Studie, die zeigen soll, dass im Winter über sieben Stunden geschlafen wird, wir hätten Strom und es sei immer hell, und können viel arbeiten, und das würde uns empfänglicher machen. [ich wäre froh, wenn es sieben Stunden wären, aber es sind selten mehr als fünf Stunden vor dem Dienst, und das ganzjährig]. Auch hier wäre die Quelle wieder interessant, warum man im Winter weniger schläft als im Sommer. Im Sommer ist es wegen der Sommerzeit abends länger hell, man geht eher später ins Bett, aber Dienstbeginn bleibt ja gleich. Ganz logisch erscheint mir die Argumentation nicht. Dass chronisches Schlafdefizit negativ auf bei Infekten ist, ist lange bekannt (z.B. Besedovsky et al. 2011), aber bei z.B. bei Schichtarbeit oder Eltern von Säuglingen und Kleinkindern kaum zu ändern. Auch hier gilt: Es braucht immer noch einen Infektionsauslöser, den Erregerselbst – und wenn man hier ansetzen würde, das Infektionsrisiko zu verringern, schützt man auch Menschen mit schwächerem Immunsystem oder nachlassender spezifischer Immunität mit.
Wenisch verweist auf eine weitere Studie [am 28.11.], dass regelmäßige Achtsamkeitsübungen (!) pro Woche das Infektionsrisiko deutlich reduzieren würden. Das geht nun schon deutlich in Esoterik.
„Zinktabletten zu lutschen oder regelmäßig in die Sauna zu gehen kann ebenfalls dazu beitragen, das Immunsystem zu unterstützen.“
Wenisch am 28.11: „Zinktabletten lutschen, das ist bei uns nicht so beliebt, aber anderswo, das ist sinnlos, für die Therapie als auch für die Prävention.“
Die Ö1-Redaktion schlägt hier sogar das Gegenteil von dem vor, was Wenisch gesagt hat!
Das Morgenjournal
Im Morgenjournal kommen ausführlichere Aussagen, die sich ebenfalls aus dem 28.11. bedienen. Es wird schlechte Luft in Innenräumen auch die Zirkulation im Flugzeug erwähnt und kurz darauf der Hinweis von Wenisch mit seinen 11% Händehygiene. Er reduziert den Schutz der Maske auf Krankenhaus, im engen Kontakt mit Erkrankten und auf die Heimpflege, worauf ich spekulieren könnte, dass es sich hier um eine Krankenhausstudie handelt, die nicht repräsentativ für den Alltag ist (fährt Wenisch viel Zug?).
Für Tröpfchen- und Schmierinfektion gibt es keine direkten Belege. Das Risiko, sich über kontaminierte Oberflächen zu infizieren, wurde anfangs übertrieben (Goldman 2020).
Schmierinfektion spielt keine bis nur geringe Rolle: Mondelli et al. 2020, Port et al. 2020, Zhang et al. 2021, Rocha et al. 2021, Butot et al. 2022, Zhang et al. 2022, Pan et al. 2023, Sammartino et al. 2023, Matsui et al. 2024, Lin et al. 2024), das gilt auch für andere Erreger, wie Influenza, Rhinoviren, RSV und saisonale Coronaviren (Dokumentation mit zahlreichen Studien hier). Man kann also grundsätzlich schon sagen, dass Lufthygiene-Maßnahmen wie von der Initiative Gesundes Österreich (IGÖ) empfohlen, gegen alle respiratorischen Erreger, auch Bakterien (z.B. Keuchhusten, Tuberkulose, Streptokokken) eine Risikoreduktion bringen, aber umgekehrt Handhygiene nur gegen wenige Erreger (Magendarmviren, manche Bakterien, Lebensmittelverunreinigung) wirksam sind.
Masken schützen nicht nur im engen Kontakt, sondern auch bei Aerosol-Übertragung über weitere Distanzen. Gerade das Flugzeug ist ein gutes Beispiel.
„Die Länge eines Linienflugs korreliert mit dem Infektionsrisiko. Dieses steigt deutlich (25fach) an bei Langstreckenflügen über 6 Stunden. Masken schützen (Zhao et al. 2024).“
„The virus-laden droplets expelled by a cough can be transmitted to the region two to three rows away from the generator.“ (Li et al. 2022)
Mag sein, dass es unangenehm ist, die gut sitzende FFP2-Maske über 6-8 Stunden zu tragen (es gibt für solche Anwendungssituationen Masken mit Sip-Ventil, wo man trotzdem trinken kann, oder überhaupt Ventilmaske, wenn man sich sicher ist, selbst nicht infiziert zu sein, erleichtert die Atmung), aber zwei Monate hochdosiertes Cortisonspray nach einer bakteriellen Lungenentzündung als Draufgabe auf eine Virusinfektion sind auch kein Pappenstiel. In den meisten Fällen und das betrifft die Mehrheit der Bevölkerung, sind Zug- und Flugreisen deutlich kürzer als 8 Stunden [Wenisch hat man 28.11. behauptet, es würde man kaum aushalten, acht Stunden eine Maske aufzusetzen].
Masken schützen natürlich nur dann, wenn man sie richtig trägt und bei Verschmutzung oder zu viel Feuchtigkeit wechselt, zudem FFP2-Masken besser als OP-Masken schützen. Wer nach der Flugreise während einer Grippewelle ungeimpft ins Wirtshaus geht, darf sich nicht wundern, sich trotz FFP2-Maske im Flieger angesteckt zu haben. Aber die 11% Handhygiene reißen ihn da auch nicht heraus.
Conclusio:
Auf journalistisch unprofessionelle Art und Weise wurde hier ein Sendungsbeitrag vor drei Wochen als Empfehlung für die kalte Jahreszeit verwurstet. Ungeachtet der noch angesprochenen Impfempfehlungen gehen Händehygiene und starkes Immunsystem an Public Health im Wortsinn vorbei. Wir sollten viel weiter sein statt Mythen aus der präpandemischen Zeit ständig zu wiederholen. Denn gerade ältere Zuhörer, Ö1 ist kein Jugendsender, die tendenziell stärker gefährdet für schwere Verläufe bei Virusinfektionen sind, nehmen daraus die falschen Schlussfolgerungen mit, setzen sich weiterhin, weil es immer schon so war, frisch Hände gewaschen zum Christbaum und stecken sich dann bei den hustenden Familienmitgliedern an. Am Ende war es dann die Impfung ein paar Tage vorher. Das gestrige Journal fällt nämlich in die gerade beginnende Influenzawelle und erneut steigende CoV2-Zahlen, gerade jetzt wären wirksame Maßnahmen wichtig.
Mir wurde in der Vergangenheit oft vorgeworfen, ich würde „den ORF“ bashen. Wenn man einzelne Verantwortliche herausgreift, ist es ein Outcalling, was auch wieder nicht Recht ist und meist zur reflexartigen Verteidigung führt. Auf meine Kritik antwortete Elke Ziegler (Ö1-Wissenschaftsredaktion) auf Bluesky so:
Es geht nicht nur um airborne Virusinfektionen, sondern auch um bakterielle. Bei Streptokokken zB sind Schmierinfektionen sehr wohl relevant…
In beiden Beiträgen ging es um Virusinfektionen, nicht um Bakterien. Bei Streptokokken ist die Rolle der Luftübertragung unklar (Oswin et al. 2024), in Maine, USA, wird Luftübertragung für Strep pneumoniae dezidiert erwähnt, und auch bei anderen Streptokokken-Arten für wahrscheinlich gehalten:
„Despite guideline adherence, heavy shedding of S pyogenes by few classroom contacts might perpetuate outbreaks, and airborne transmission has a plausible role in its spread.“ (Cordery et al. 2022)
Regelmäßige Handhygiene ist und bleibt sinnvoll, ist aber gegen respiratorische Erreger, die inhaliert werden, sinnlos. Darum geht es.
Noch ein Wort zu Wenisch …
Im Ö3-„Frühstück bei mir“ vom 31.10.2021 erzählte Wenisch von einer israelischen Studie, bei der mit Beten bessere Ergebnisse erzählt worden wären. Wenischs Fazit damals vollkommen unironisch: „Irgendwas wird’s schon geben.“
Er bezog sich höchstwahrscheinlich auf Leibovici (2001), der den entsprechenden Artikel als „Joke Science“ veröffentlicht hat, also als satirischen Artikel, der nicht ernstgenommen werden sollte. Das fiel mir wieder ein, als ich den 28.11.24 nachgehört habe und Wenisch behauptet hat, Achtsamkeitsübungen würden Infektionen reduzieren.
Wenisch fiel in der ganzen Pandemie durch sehr ambivalente bis umstrittene Aussagen auf, am bekanntesten ist wohl sein Sager zu Kindern:
„Mit Corona und den Kindern hab ich überhaupt keine Angst, das ist mir powidl, weil die Kinder nicht gefährdet sind. Corona ist keine Kinderkrankheit, das ist etwas für Erwachsene“ (06.09.20)
Ein Schlag ins Gesicht für Eltern, deren Kind an Covid bzw. Spätfolgen (MISC) verstorben oder chronisch erkrankt ist.
„Meine Kinder werden alle drei [unter 12 Jahren] geimpft, sobald es die Ursula [Wiedermann-Schmidt, NIG] freigibt„, so Wenisch am 14.09.21
Wenn Kinder nicht gefährdet sein würden, warum gibt es dann eine Impfung für sie?
Dass er einmal Arzt werden möchte, war Christoph Wenisch schon als Kind klar. 1973 erkrankte er an Scharlach und sei deshalb wochenlang im Spital gewesen, wie er sich im Herbst 2020 bei Claudia Stöckl in „Frühstück bei mir“ zurückerinnerte. Seine Eltern konnte der damals Sechsjährige bloß durch eine Glaswand sehen. So etwas wollte er anderen in Zukunft ersparen, dachte er sich. Es habe damals zwar bereits Antibiotika gegeben, „nur der Amtsschimmel hat nicht vertraut und lieber noch Schulen zugesperrt“, meinte Wenisch gegenüber der „Wiener Zeitung“. Er hingegen „wollte immer, das alles am besten mit Medikamenten weggeht“. (News.at, 22.01.24)
Wenisch’s Scharlach-Trauma erklärt möglicherweise zu einem gewissen Grad, warum er die Schutzmaßnahmen immer möglichst schnell abschaffen wollte, und ausschließlich auf Medikamente wie die Impfung setzt. Ein Interessenskonflikt mit der eigenen Vergangenheit. Natürlich spielt auch die angesprochene Feigheit vor der Ausschlachtung durch den Rechtspopulismus eine Rolle, entgegen der Evidenz Handhygiene vor Masken und Luftreiniger zu setzen, aber bei Wenischs Selbstbewusstsein bin ich mir nicht sicher, ob das der Grund für seine Zurückhaltung ist, oder ihm Masken einfach lästig sind.