Auf den Seiten habe ich die Informationen zu der Entstehung von neuen Varianten, ihr Verlauf in der Pandemie und ihre Eigenschaften beschrieben. Ein bisschen mehr ins Detail gehe ich hier, wo die einzelnen Mutationen erläutert werden. Nun bin ich aber kein Molekularbiologe und kann mich nur auf die Aussagen von Experten stützen, u.a. J.P. Weiland, Marc Johnson, Ryan Hisner, Ulrich Elling sowie die Autoren von den jeweiligen Fachartikeln zu neuen Varianten und wie Mutationen entstanden sind. Mike Honey aus Australien postet seit 2021 die Sequenzierdaten weltweit auf X/Bluesky, wodurch ein Bild bekommt, welche Variante gerade wo dominant ist. Ryan Hisner ist Lehrer aus Indiana, USA, ohne besondere Vorbildung in Virologie, aber offenbar ein klassischer „pattern thinker“.

Warum ich das hier anführe, obwohl ich wenig von der Funktion der Mutationen verstehe? Der Vollständigkeit wegen. Sollte irgendjemand einmal fragen, warum SARS-CoV2 nicht einfach verschwunden ist, verweist auf diese, folgenden Aussagen – das Virus mutiert, Mutationen sind komplex, es bilden sich neue Varianten, die aber nicht immer dominant werden, weil sich gleichzeitig weitere neue Varianten bilden, die die effektiveren Mutationen aufweisen. Einzelne Mutationen waren bei einer Variante hocheffektiv, bei einer anderen Variante haben sie kaum Auswirkung. Es gibt in der Genetik die multiple-hit Theorie bei der Entstehung bestimmter Erkrankungen. Dabei müssen mehrere bestimmte Mutationen gleichzeitig vorhanden sein, um eine bestimmte Eigenschaft entstehen zu lassen. So ist es anscheinend auch bei Viren.

Evolutionäre Sprünge

Phylogenetischer Stammbaum von SARS-CoV2 – mit BA.2.86 sehr weit vom Ursprungsvirus entfernt, Quelle: Eric Topol, 25.10.23
Spike-Aminosäure Mutationen relativ zum Wildtyp von BA.2, XBB.1.5, JN.1 und BA.2.87.1

Eigenschaft von Mutationen

Auswirkung auf Infektiösität, Immun Escape und Pathogenität

Furin Cleavage Site (FCS) – Furinspaltstelle

Um Spike-Proteine 681-685 herum situiert, eines der ausgeprägtesten Eigenschaften von SARS-CoV2. Seine Anwesenheit verursacht, dass das Spike-Protein innerhalb der Zelle von Furin zerteilt wird (S wird zu S1 und S2), damit wird es für die Membranverschmelzung vorbreitet und für den Zelleintritt (welches ein zweites Spike-Protein benötigt, das von TMPRSS2 zerschnitten wurde). FCS ist essentiell für die Infektion der Lungen, für Weitergabe und Immunflucht, durch P681R/P681H wird FCS verstärkt (Ke et al. 2023 preprint) und die virale Fusion erhöht und beschleunigt (Saito et al. 2021). Bei JN.1 sind vermehrt FCS-zerstörende Mutationen aufgekommen (v.a. S:683W, seltener S:E683Q), trotzdem ist JN.1 dominant geworden, also vmtl. ein Tradeoff mit anderen Mutationen.

Glykane (Zuckerketten)

S31del: Sowohl S:∆S31 als auch S:R190T fügen Glykane hinzu, Zuckerketten können u.a. dem Spike-Protein dabei helfen, sich vor Antikörpern zu verstecken. Bei JN.1 ist die aktivste Region für Mutationen S:22-35, die erfolgreichsten Mutationen dort haben entweder eine dramatische Änderung erzeugt (S31F, klein und hydrophil, zu großen hydrophoben Aminsäuren) oder ein Glykan hinzugefügt (T22N, T29N, ∆S31, F32S). Zudem wurde eine S:16_MPLF hinzugefügt. Insertionen sind dort extrem selten. In Kombination mit 24-27 kehrt das Spike-Protein zur Länge des Wildtyps zurück. Die jetzigen Mutationen wurden teilweise auch bei Gamma beobachtet. Ryan Hisner spekuliert, ob JN.1 tatsächlich mehr in Richtung Fledermaus-Sarbecovirus zurückmutiert, das vor allem im Magendarmtrakt aktiv ist. Dafür gibt es aber noch keine direkte Evidenz. Mutationen wie ∆S31, die Glykane hinzufügen, sind tiefgreifend und dürften längere Zeit den Variantenzirkus dominieren.
S31del erhöht die konformationale Stabilität des Spikeproteins und sorgt für starken Immun Escape (Li et al. 2024 preprint), Rt wird aber nur um ca. 15% erhöht, das verlängert maximal Wellen, aber sorgt nicht mehr für Verdopplung von Rt wie 2022.

N*-Protein – Effekt der Phosphorylierung

N ist das Nucleocapsid, das wichtigste Protein von SARS-CoV2.

Ein wesentlicher Aspekt von N ist seine Phosphorylierung – diese beinhaltet die Hinzufügung eines hochgradig negativ geladenen Phosphats (gewöhnlich) an eine S- oder T-Aminosäure. Die N-Phosphorylierung fungiert als „molekularer Austausch“. N wird unmittelbar nach dem Eintritt phosphoryliert. Die N3-Region von N ist sehr dicht phosporyliert. N3 wird hochgradig bei Betacoronaviren konserviert, doch ist es bei SARS-CoV2 häufig mutiert. Bemerkenswerterweise verringern die Mutationen bei N3 ausnahmslos die Phosphorylierung. Die wichtigste Rolle von N ist, das virale Genom einzukapseln und innerhalb des Virions zu verstauen. N bindet RNA stark und das virale Genom hüllt sich um N innerhalb des Virions ein. Doch die Phosphorylierung verringert die Bindungsfähigkeit von N dramatisch. Phosphoryliertes N (pN) kann die gRNA nicht einkapseln.

Warum ist N also phosphoryliert? Es erleichtert die RNA-Vervielfältigung, aber behindert die virale Konzentration. Auf ähnliche Weise verringern die zahlreichen N3-Mutationen die N3-Phosphorylierung, aber verbessern die virale Konzentration – um mehr als das 10fache. Doch verringerte Phosphorylierung behindert die RNA-Replikation. Kann das Virus „das Beste aus beiden Welten“ erzeugen?

Das neue N* Protein, das sich bereits frühzeitig bei B.1.1 gezeigt hat und etwa ein halbiertes N darstellt. Ihm fehlt die phosphorylierte Aminosäure in der N3-Region, welche auch die primäre RNA-Bindungsregion enthält. Dennoch ist N* fähig, das SARS-CoV2 selbstständig einzukapseln. Mit N* kann das Virus N stärker phosphorylieren und die RNA-Bildung steigern, ohne an Viruskonzentration zu verlieren. Die N:R203K/G204R-Mutation, die N* erzeugt, führt zu höheren Viruslasten und schwereren Verläufen.

Als KP.3.3 erstmals auftauchte, besaß es nahezu kein N*-Protein. XEC erbte die N*-zerstörende Mutation von KP.3.3. XEC erlangt weiterhin Wachstumsvorteile, obwohl N* fehlt – das heißt, N* ist nicht länger vorteilhaft. Die einzige Änderung bei N in JN.1-Varianten ist Q229K – am Ende der entscheidenden Leukin-reichen Helix. Ryan Hisner kann ab diesem Punkt nur spekulieren – Hat es N* überflüssig gemacht? (Ganzer Thread – schätze, ein Biologiestudium schadet nicht, um es wirklich zu verstehen)

Rolle des Nsp13232-240 epitope VMPLSAPTL (Nsp13)

Ein Epitop ist ein kleiner Bereich (Molekülabschnitt) auf der Oberfläche eines Antigens, der eine spezifische Immunantwort auslösen kann. Antikörper oder T-Zellen des Immunsystems binden spezifisch an dieser Stelle.

Natürliche Killerzellen (NK) tragen zur Kontrolle von Virusinfektionen bei. Das Nsp13 Epitop sorgt dafür, dass infizierte Zellen für NK empfänglich bleiben, indem verhindert wird, dass die Bindung an den Inhib….. blablabla.

Kürzlich gab es jedenfalls eine Mutation an der Position 2 dieses Epitops (von Methionin zu Isoleukin), der NK blockiert, also verbesserter Immun Escape und zudem erhöhte virale Fitness, insbesondere bei Nachkommen der BQ.1-Variante (Herbst 2022 und später). Das mutierte Epitop ähnelt Sequenzen von verwandten Peptiden bei endemischen humanen Coronaviren (Bilev et al. 2024).

NSP 6 (Non-structural protein)

Key message: Mit wachsender Immunisierung verringerte sich die Spike-Funktion, während RNA-Replikation als Kompensation zunimmt. NSP6 kapert die Lipidtröpfchenmaschinerie des Wirts und verspeist Lipide (Ricciardi et al. 2022), das passiert auch während der Infektion. Bei BA.1 haben Mutationen in NSP6 diesen Prozess verringert und das korreliert mit verringerter Virusreplikation.

ORF1a:L3829F (NSP6:L260F) wird bei bekannten Varianten BQ.1 und XBB.1.16 gefunden, es erhöht die Replikationsgeschwindigkeit. Die Mutation wird vermehrt in der Lunge experimentell infizierter Nerze gefunden (Adney et al. 2022), was darauf hinweist, dass es den Tropismus verändert (von der Lunge zum oberen Atemwegstrakt), das könnte die verringerte Krankheitsschwere erklären. Bis XBB.1.16 war die Mutation vorhanden, bis BQ.1.1 wurde sie in geringen Mengen weiterhin detektiert. JN.1 weist diese Mutation nicht auf, hat aber R3821K (NSP6:R252K), welche ebenfalls die Replikationsgeschwindigkeit erhöht, wenn auch nicht so stark wie L260F (Taha et al. 2024 preprint).

Immun Escape Mutationen oder Infektiösität

  • L452R entkommt zellulärer Immunität und erhöht Infektiösität (Motozon et al. 2021)
  • nsp6 deletion (Delta 105-107): Immun Escape
  • R346T – höherer Immun Escape (Chakraborty et al. 2023)
  • Schlüsselmutation F456L führt zu Immun Escape von 1,5fachem Titerabfall, etwa bei EG.5 und HK.3, oft gefolgt von L455F (FLip), entkommt Class-1-Antikörper (Focosi et al. 2023, Arantes et al. 2024), begünstigt bessere Bindungen für Q493E bei KP.3 (Feng et al. 2024 preprint)
  • Y473F – riesiger Immun Escape, aber geht massiv zulasten der ACE2-Bindung, daher selten gesehen.
  • Q493R: Immun Escape
  • ORF3a: K67N: Immun Escape? (Azad and Khan 2021, bis 14.09.20 gesammelte Daten)
  • XBB-Linien konvergieren auf die RBD 455-456, das erhöht Immun Escape und ACE2-Bindung (Jian et al. 2023)
  • R203K und G204R: Mutationen im Nukleokapsid: erhöhte Infektiösität
  • H655Y, N679K, P681H: effektiverer Zelleintritt
  • ORF6:D61L: bei BA.2 und BA.4 reduzierte Wechselwirkung mit Nup98-Rae1 und beeinträchtigte Immunflucht (Kehrer et al. 2023), bei BA.1 unterdrückte Mutationen (Bouhaddou et al. 2022 preprint)

andere Eigenschaften

  • Q493E: erste große Spike-Mutation seit JN.1, echte strukturelle/epistatische Veränderung gegenüber der stufenweise AK-Mutationen, die kaum mit der zunehmenden Bevölkerungsimmunität mithalten konnten (Thread von Ryan Hisner, 2024)
  • Delta69-70 deletion – Wechsel auf S:H69+ S:V70, kann normalerweise nicht rückgängig gemacht werden. Es gab noch nie eine insertion an der Stelle S:69-70: nur wenn eine neue Variante aus einer alten, verschwundenen Linie entsteht, die diese Mutation nie hatte und sich monatelang in einer Person entwickelt
  • S:H655Y bei BA.1 verlängerte die Zeit, die das Spike-Protein in einer Zwischen-Konformation verbringt, wodurch es anfälliger für manche S2 gerichtete Antikörper wird (Qing et al. 2024) –

weitere bekannte Mutationen relativ zu BA.2

Konformationen

aus Lu et al. 2020

Es gibt verschiedene Orientierungsformen der rezeptorbindenden Domain (RBD), die die Infektiösität beeinflussen (Valério et al. 2022), dazu gibt es eine up/down RBD conformations (Lee et al. 2023).

Die Schlüssel-Mutation von KP.3 (und später XEC) mit S31del fördert eine „down RBD conformation“ (Wang et al. 2024). Das ist offenbar wichtig, aber ich kann nicht erklären warum – sorry.