Grundsätzlich beziehen sich die hier dargestellten Herausforderungen erstens auf österreichische Behörden und zweitens auf MECFS bzw. den LC-Subtyp [3], der sich durch PEM auszeichnet – wo körperliches Training generell kontraproduktiv ist und die Betroffenen konsequent Pacing betreiben müssen, um sich nicht dauerhaft zu verschlechtern.

Bei anderen LC-Subtypen wie nach schweren Verläufen [1] oder mit neu auftretenden oder sich verschlechternden Grunderkrankungen [2] können Betroffene grundsätzlich nach den jeweiligen Symptomen behandelt werden, z.B. Thrombosen, Schlaganfälle, Diabetes, Schilddrüsenerkrankungen, etc – dafür gibt es auch eindeutige Biomarker bzw. Diagnostik.

Probleme mit einer korrekten Diagnose

Ein Mann sei zu ihm in die Ambulanz gekommen, nachdem er seit einem Jahr unter starken Kopfschmerzen gelitten hatte. „Kein Arzt ist mal auf die Idee gekommen, ein bildgebendes Verfahren vom Kopf einzuleiten“, so Lembens. Er habe dann ein MRT angeordnet. „Und herauskam, dass der Mann mehrere kleine Schlaganfälle nach seiner Corona-Infektion hatte“, schildert Lembens.

Seine Kollegen hätten bei vielen Patientinnen und Patienten schlichtweg Krankheiten übersehen. Eine junge Frau habe nach ihrer Corona-Infektion an zunehmender Bewegungseinschränkung gelitten. Bei einer genauen Untersuchung hat Christoph Lembens Multiple Sklerose bei ihr festgestellt.

Andere Männer und Frauen, die zu ihm in die Post-Covid-Ambulanz gekommen sind, hätten Diabetes oder eine Schilddrüsenentzündung entwickelt. „Es ist erschreckend, dass die Kolleginnen und Kollegen die Menschen nicht ernst genommen haben“, wundert sich Lembens.

„Post-Covid-Ambulanz: Bereits mehr als 500 Patienten in Mainz“ (09.01.24)

Die weitere Vorgehensweise steht und fällt mit einer korrekten Diagnose, die anerkennt, dass es sich bei LC und MECFS um eine somatische (körperliche) Erkrankung handelt. Psychiatrische Begleiterkrankungen sind natürlich möglich, können vorher schon vorhanden sein oder erst als Folge der Erkrankung entstehen, aber sie sind nicht die Ursache für die massiven körperlichen Einschränkungen. Leider neigen behandelnde Haus- und Fachärzte zu einer Psychologierung der Symptome (Dr. Aspa Paltoglou – ‘We need Psychologists… but please don’t psychologise Long Covid’, 04.11.24), was zu falschen Therapiemaßnahmen führen kann. Im Schnitt dauert es 5-8 Jahre bis zur richtigen Diagnose.

Das Problem ist nun, dass es im niedergelassenen Bereich noch keine Diagnosen gibt. Im Krankenhaus wird die Diagnose nur gestellt, wenn sie abrechnungsrelevant ist. Viele Betroffene kommen aber gar nicht erst in ein Krankenhaus. Es gibt in Österreich keine seriösen Daten und Zahlen, die der Größenordnung von MECFS gerecht werden.

Allgemein hapert es bei Haus- und Fachärzten sowie bei Gutachtern an aktuellem Wissen zur Erkrankung. Fortbildungen waren bisher freiwillig. Besonders viel Nachholbedarf scheint es bei Neurologen und Psychiatern zu geben.

Probleme mit der ÖGK

… bei chefärztlichen Begutachtungen bezüglich Krankenstand

Bei längeren Krankenständen werden chefärztliche Begutachtungen durch die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) durchgeführt. Auch dabei berichtet die Östereichische Gesellschaft für MECFS von Schwierigkeiten, den Krankenstand zu verlängern. Die ÖGK drängt auf Gesundschreibung und sekkiert die Betroffenen regelmäßig im Abstand von 3-4 Wochen nachzuweisen, dass sie immer noch zu krank zum Arbeiten sind (Felix Schmidtner für Arbeit & Wirtschaft, 25.05.21).

… bei Hilfsmitteln und Therapien

Die ÖGK stellt sich etwa quer bei der Bewilligung eines Rollstuhls zur Erhaltung der Mobilität, oder es werden wichtige Komponenten wie Schiebegriff und Fußstütze herausgestrichen (Jenny Blochberger für FM4, 12.12.23). Auch werden bestimmte Diagnostikverfahren und Offlabel-Medikamente nicht übernommen. Bei MECFS ist es leider häufig Trial und Error, die Ursachen für bestimmte Verlaufsformen zu erkennen und verschiedene Therapieansätze zu wählen.

Probleme mit dem Grad der Behinderung (GdB)

Leider hat die scheidende Bundesregierung bzw. der grüne Gesundheitsministerium die Aufnahme von MECFS in die Einschätzungsverordnung abgelehnt. Begründet wird dies damit, dass man den GdB von MECFS “durch Analogie zu vergleichbaren Krankheiten und Einschränkungen abschätzen könne.

Tatsachlich ist MECFS nicht mit anderen Krankheiten vergleichbar, weil das Leitsymptom PEM einzigartig für postvirale Syndrome ist. Bei den allermeisten Erkrankungen wird zu Bewegung geraten, um die körperliche Leistungsfähigkeit zu erhalten. Bei PAIS mit PEM ist Bewegung schädlich. Auch die Lebensqualität von MECFS befindet sich bei schweren Verlaufsformen unter denen von MS- oder Krebspatienten – weil es keine wirksamen Therapien und keine Hoffnung auf Besserung gibt.

Die Begutachtung erfolgt durch das Sozialministeriumservice (SMS)

Probleme mit der PVA

bei der Einschätzung der Pflegestufe

Neben der Einschätzungsverordnung ist ein Problem auch die Begutachtung für die Pflegestufe und das daraus folgende Pflegegeld. Hausbesuche werden dabei von der PVA sehr wohl durchgeführt, nicht aber bei der Berufsunfähigkeitsfeststellung. Häufig müssen die Betroffenen von ihren Eltern oder anderen Angehörigen gepflegt werden. Dies beeinträchtigt natürlich die Einkommenssituation im Haushalt. Zudem dürfen sich die pflegenden Personen keinesfalls anstecken oder gar selbst schwer erkranken. Enorm schwierig ist die Lage für Betroffene ohne Angehörige.

bei der Bewilligung von Rehageld und Berufsunfähigkeit

Nach einem Jahr Krankenstand gilt man als “ausgesteuert” und hat keinen Anspruch mehr auf Krankengeld. Dann bleibt der Gang in die Arbeitslosigkeit, in die Wiedereingliederungsteilzeit oder in die Invalidität (Invaliditätspension für Arbeiter, Berufsunfähigkeitspension für Angestellte). Bei befristeter Berufsunfähigkeit wird Rehageld ausgezahlt, bei dauerhafter Berunfsunfähigkeit Pension.

Dafür braucht es ebenfalls eine Begutachtung durch die PVA. Nicht wahrgenommene Termine wegen der Erkrankung führen zur Ablehnung des Antrags. Häufig zwingen inkompetente Gutachter Betroffene zur mitunter Anfahrt, statt sie vor Ort zu begutachten. Für viele Betroffene, die hausgebunden oder sogar bettlägerig sind, sind solche Begutachtungen selbst im eigenen Haus enorm energieraubend und mit Crashs verbunden – das heißt, tagelange oder noch längere Zustandsverschlechterungen. Viele Betroffene mit schweren Verlaufsformen sind nicht transportfähig, leiden unter extremer Reizempfindlichkeit oder können nur unter großer Anstrengung sprechen.

“Wenn der behandelnde Arzt attestiert, dass die Fahrt zur Begutachtung zu einer Verschlechterung führen kann, dann muss die PVA das ernst nehmen.“

Volksanwalt Bernhard Achatz, 20. Mai 2023

Viele Betroffene müssen sich ihr Recht vor dem Sozialgericht erstreiten – was per se bereits eine Tortur ist und häufig zur Zustandsverschlechterung führt. Selbst das Zugeständnis von Berufsunfähigkeit ist nicht zwangsläufig von Dauer, sondern kann nach einem Jahr wieder zurückgenommen werden – etwa mit der Behauptung, der Zustand habe sich gebessert, selbst wenn es dafür keine stichhaltigen Anhaltspunkte gibt (siehe Fall von Maarte Preller, 28.03.24) – dann kann auch das Rehageld wieder entzogen werden.

Besonders problematisch für MECFS-Betroffene ist die Verquickung von Rehageld mit der Mitwirkungspflicht an Rehabilitationsmaßnahmen. So führt etwa die Verweigerung einer aktivierende Reha (Sport-Reha), die unweigerlich zur Zustandsverschlechterung führen würde, zum Entzug des Rehagelds.

Bei der PVA ist etwa von biopsychosozialem Modell, ganzheitlicher Behandlung und “richtige Balance zwischen aktiver Aufmerksamkeit und Entspannungsphasen” die Rede. Ehrlich gesagt klingt das für mich mehr nach einem esoterischen Ansatz und geht an der Tragweite der körperlichen Erkrankung vorbei.

In der Realität bedeutet Pacing nämlich:

“Mein Leben ist extrem eingeschränkt. Ich benötige für die seltenen kleinen Ausflüge ins Freie Begleitung und einen elektrischen Rollstuhl. Die restliche Zeit verbringe ich fast nahtlos im Bett. Tue ich das nicht, dann verschlechtert sich mein Zustand zunehmend. Anders ist das nicht zu bewältigen.“

Bernd P., 13.05.23 (Puls24)

Probleme mit dem AMS

Bei einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit wird man von den Behörden im Kreis geschickt. In den Krankenstand kann man nur gehen, solange man arbeitsfähig ist. Wer chronisch arbeitsunfähig ist, wird vom AMS weiter zur PVA geschickt. Manche Betroffene akzeptieren eine (unzutreffende) psychiatrische Diagnose, damit der Befund für Arbeitsunfähigkeit positiv ausgeht (Andrea Rogy für Kompetenz, 06.12.21). Die Standards für Arbeitsfähigkeit sind niedrig, deswegen gelten viele Betroffene als arbeitsfähig und befinden sich in langwierigen Berufungsverfahren mit der PVA.