“What is now happening to virology is a stark demonstration of what is happening to all of science. It will come to affect every aspect of science in a negative and possibly a dangerous way, as has already happened with climate science.”
Der Schaden für die Wissenschaft durch die Verbreitung der Laborleckhypothese ohne Belege (Alwine et al. 2024).
Justin Ling: What we’re still getting wrong about the origins of COVID-19 (10.06.24)
Fakten:
- Es gibt in Wuhan ein Labor, das SARS-Viren untersucht, aber das diese gibt es weltweit, mehrere davon in China. Anfang 2020 hat eine WHO-Expertengruppe SARS-CoV2 experimentell modelliert. Auch chinesische Wissenschaftler waren anwesend, aber niemand aus Wuhan. SARS-CoV1 wurde in China entdeckt, deswegen gibt es dort viele Labore.
- Das Wuhan-Institut habe gemeinsam mit US-Partnern darauf hingearbeitet, SARS-CoV2-Viren mit einer Furinspaltstelle zu erzeugen, die Laborarbeit hätte in den USA stattgefunden, nicht in China, aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass es gemacht wurde
- Das Wuhan-Labor arbeitet mit BSL-2-Sicherheitsstufe, das ist nicht SARS-CoV2 angemessen. Allerdings gibt es keinerlei Evidenz dafür, dass das Wuhan-Labor einen Vorläufer oder SARS-CoV2 selbst in ihrer Sammlung hatte, ohne SARS-CoV2 gibt es auch kein Leck – selbst das am engsten verwandte SARSr-CoV (RaTG13) unterscheidet sich in mehr als 1100 Mutationen, keine Menge an künstlich erzeugten Mutationen hätte daraus SARS-CoV2 machen können.
- Die Hypothese, dass das Virus von einem Tier eines Wildtiermarkts in Wuhan stammt, wurde mit genug Evidenz veröffentlicht, dass das Paper durch den Peer-Review ging und in Science veröffentlicht wurde. Die Artikel darüber wurden nie zurückgezogen (Worobey et al. 2022).
- Dass die „key evidence“ für den Markt fehlt, ist nicht verwunderlich, weil der Markt geschlossen und die Tiere entfernt wurden. Klare Evidenz wurde unterdrückt, nicht gesammelt oder nicht zugänglich gemacht. Evidenz ist keine Packung Milch. Sie läuft nicht ab, wenn man sie nicht findet. Es dauerte Jahre, bis man das Reservoir für das Marburg-Virus gefunden hat. Niemand zweifelte am zoonotischen Ursprung.
(Thread von Virologin Angela Rasmussen, 06/2024)
„Wir müssen doch grundsätzlich bei Wissenschaftlern, die im akademischen Bereich seriöse Forschung machen, auch wenn sie aus China kommen und in China arbeiten, davon ausgehen, dass sie nicht böswillig und maligne agieren. Wir müssen von der Grundauffassung ausgehen, dass die aufrichtige Forschung machen.“
Virologe drosten im NDR-Podcast am 08. Juni 2021 (Folge 19, Transkript ab Seite 538ff)
Dort beschreibt Drosten z.B. die Gain-of-Function-Forschung, beispielsweise wurde ein Stück Vogelkot sequenziert, daraus hat man die Geninformation von Influenzaviren erhalten mit ein paar verdächtigen Mutationen. Diese fügt man in ein reversgenetisches System (Kopie des Genoms eines Virus auf DNA-Ebene, das gentechnisch verändert werden kann) ein und erschafft das Virus künstlich. Das, was man im Labor macht, kann die Natur auch.
Wenn im Labor gesehen wird, dass sich etwa eine gefährlichere Variante zusammenbraut, wenn bestimmte Mutationen zusammenkommen, dann kann das in der Natur auch irgendwann passieren.
Ob es sinnvoll ist, das im Labor auszutesten ist eine allgemeine Frage, über die in der Wissenschaft viel diskutiert wird, andererseits haben die Labore bestimmte Sicherheitsmaßnahmen, um Unfälle zu verhindern.
Anlass für die Laborleckhypothese war u.a. die sogenannte Furin-Spaltstelle (Protease-Erkennungsstelle). Das Protein auf der Oberfläche des Virus muss in zwei Teile geschnitten werden, um gut zu funktionieren. Influenza- und Coronaviren haben das notwendige Enzym nicht im Handgepäck, sondern nutzen das Enzym Furin, das sich im Ausschleusungsweg befindet, welche die Zelle für die Produktion von Viren bietet. Dieses schneidet die Virusproteine passend, wie sie gebraucht werden. Andere Coronaviren haben diese Spaltstelle nicht. Es ist aber normal, dass manche Viren sie erwerben, andere nicht, etwa hat sie auch die Vogelgrippe.
Sie entsteht im wesentlichen durch zwei Mechanismen:
- zusätzlicher Fehlermechanismus in den Replikationsenzymen dieser Viren
- Furin-Spaltstelle kommt in vielen Proteinen der Zelle vor, für eigene Proteinproduktion, mit Unmengen an Genom-Kopien, darunter Rekombinationsschritte, und dass dann tiertypische Codone (3 Nukleoide hintereiner, z.B. CCG) auftauchen in der Furin-Spaltstelle, ist erwartungsgemäß, wenn das Virus sich diese über Rekombinationsschritte angeeignet habe
Jetzt ist aber nicht davon auszugehen, dass das Einfügen einer Furin-Spaltstelle ein Virus automatisch besser oder stärker übertragbar macht. Es kann sogar eher das Gegenteil passieren, weil eine Furin-Seite mit einem Glykoprotein dazu führen kann, dass das Glykoprotein vorzeitig reift und zu früh aus der Zelle kommt, und der Spaltprozess durch Furin dann in der falschen zeitlichen Abfolge passiert, wodurch die eigene Replikation zum Erliegen kommt.
Der Aufbau eines reversgenetischen Systems, um so eine Furin-Spaltstelle künstlich einzufügen, würde Jahre dauern. Drosten vergleicht es mit dem Klang eines neuen Autoradios. Statt ein neues Radio einzubauen, baut man ein ganz neues Auto von Grund auf und dann das neue Radio ein. Das sei einfach nicht sinnvoll und würde niemand machen.
Das Virus könnte aber auch in einer großen Tiergruppe repliziert haben und dann würde dieser Zufall irgendwann passieren, dass die Furin-Spaltstelle entstanden ist. Coronaviren kommen von Rhinolophus-Fledermäusen, die in großen Höhlenpopulationen leben. Dabei kommt es gelegentlich zum Auftreten, aber auch zum Verschwinden solcher Spaltstellen.
SARS-CoV1 kam in Felltieren, in bestimmten Schleichkatzenarten und in Marderhunden vor. Fledermäuse gebären alle zur selben Zeit, dabei fallen viele tote Neugeborene von der Decke, die von kleinen Raubtieren dann gefressen werden und sich dabei infizieren können. In der Geburtenzeit verbreiten sich auch die Coronaviren leichter, weil die Muttertiere leicht immunsupprimiert sind und die geborenen Kinder immunologisch naiv sind. In China werden immer wieder Marderhunde und Schleichkatzenarten mit SARS-1 gefunden, mit denen dann auf Wildtiermärkten gehandelt wird. Daher lag es auf der Hand zu vermuten, dass SARS-CoV2 sich auf denselben Weg in die menschliche Wirtspopulation begeben hat, mutmaßlich über die Zucht von und Handel mit Marderhunden.

Obwohl die Zusammenhänge zwischen Fledermauspopulationen, Zwischenwirten und bereits erfolgten Übertragungen von Viren auf den Menschen seit etwa Mitte 2020 bekannt sind, scheint die Laborunfallhypothese weitaus größere Aufmerksamkeit zu erhalten. Chinesische Behörden haben die Nachforschungen unterbunden, höchstwahrscheinlich, weil sie sich bewusst waren, dass trotz Verboten mit Wildtieren gehandelt wurde. Als Folge dieser Intransparenz kursieren die schrägsten Verschwörungstheorien, die China vorwerfen, mit SARS-CoV2 absichtlich eine Biowaffe erzeugt zu haben. Auf der anderen Seite ist es ein gutes Beispiel dafür, wie gedankenloses Eingreifen des Menschen in Ökosysteme zu Pandemien führen kann, und zwar aufgrund der Gier nach billigen Fellen. Übrigens nicht nur Chinas Problem, sondern wie eingangs erwähnt auch in westlichen Ländern mit Nerzfarmen. Wir provozieren auch künftig Virus-Übersprünge auf andere Spezies und schließlich den Menschen, wenn wir Ökosysteme unter Druck setzen und zum Verschwinden bringen. Dann überleben nurmehr wenige Arten mit großen Populationen, worin sich ein Pathogen leicht vermehren und mutieren kann (Verdünnungshypothese).
Desinformation ist gefährlich
Nur für die Hypothese, dass das Virus von einem Tier auf den Menschen übersprang, gibt es Belege. Fauci wurde heftig dafür attackiert, als er vor dem Corona Select Subcommittee korrekt aussagte, dass die meisten Wissenschaftler die Zoonose-Hypothese anerkennen würden, während er offen für Belege für die Laborleckhypothese blieb. Ein Wesenszug wissenschaftlicher Methoden ist es, die Hypothese zu aktualisieren, wenn neue Beweise auftauchen. Bei der Laborleckhypothese ist das bisher nicht passiert. Hingegen werden Wissenschaftler ununterbrochen diffamiert und bedroht, bis hin zu Morddrohungen, weil sie sich öffentlich positioniert haben. Faucis Frau und Töchter werden mit sexueller Gewalt bedroht. Der mediale und politische Umgang mit Desinformationen ist eine Gefahr für die gesamte Wissenschaft, ein schlechtes Vorbild für Studenten und angehende Wissenschaftler, die sich eher gegen eine wissenschaftliche Karriere entscheiden, weil sie diesen Shitstorm nicht ertragen wollen. Das kann dazu führen, dass es immer weniger Kritik gibt und Pathogene immer weniger erforscht werden. Dabei beginnen die meisten Pandemien über Zoonosen. Unsere Lebensweise begünstigt Gelegenheiten für das Virus, auf den Menschen überzuspringen. Indem man Viruslabore schließt, erhöht man die Risiken und senkt sie nicht. In der derzeitigen Reaktion auf die wachsende Gefahr durch das Vogelgrippevirus H5N1 sieht man bereits die Auswirkungen antiwissenschaftlicher Stimmungen – sie fällt verzögert und zu schwach aus, um das Virus einzudämmen, BEVOR es sich an den Menschen anpassen kann.
„Scientific questions are settled with evidence, not professions of faith.“
Virologe Angela Rasmussen
und abschließend …
„Scientists in every field must recognize that embracing the lab leak hypothesis without evidence threatens the entire scientific enterprise, as a community and as individuals. It’s a win for agendas over evidence. It fundamentally devalues our work and our profession.“