Derzeit kursieren in den Medien Berichte über angeblich neue Symptome durch die Virusvariante XEC. Dieses Phänomen gibt es von Beginn an mit jeder neuen Variante. Anfangs waren die Vermutungen teilweise noch begründet, weil vor allem hospitalisierte Patienten auf die Variante untersucht wurden. Die meisten Länder haben dieses Service aber eingestellt und daher sind Mutmaßungen über neue Symptome schlichtweg Spekulation.
So behauptet „Bestlifeonline„, XEC würde „umhauen“ und die Symptome würden der Grippe stärker ähneln als vorher, mit Fieber, Husten, Glieder- und Kopfschmerzen. In der Vergangenheit seien es eher Husten und Erkältungssymptome gewesen. Die Berliner Morgenpost schrieb von dem Onlinemedium ab, ohne die Vertrauenswürdigkeit dieser Angaben zu hinterfragen.
Die Ursache, weswegen XEC weltweit dominant werden wird, ist nicht restlos geklärt, aber ich versuche einen kleinen Überblick zu geben, was es mit der neuen Variante auf sich hat.
XEC
X deutet an, dass es sich um eine Rekombinante handelt – hier eine Kreuzung aus KS.1.1 (mit F59S und T22N) und KP.3.3 (mit Q493E). Sie wurde erstmals Ende Juni in Berlin sequenziert („EM-Variante“) und zeigte im August einen globalen Wachstumsvorteil über die noch vorherrschenden S31del-Varianten, zu denen KP.3 und Tochtervarianten gehören.
- Die entscheidenden Mutationen sind F59S und T22N. Die Aufgabe von S31del und T22N ist die Hinzufügung von Zuckermolekülen (Glykane). In der Kombination wurden beide Mutationen noch nicht beobachtet. F59S war bisher keine antigenisch relevante Region, könnte aber mit T22N gemeinsam den entscheidenden Wachstumsvorteil generieren. Mit S31del gab es einen massiven Verlust an ACE2-Affinitität, aber wenig bei T22N.
- Bei XEC treten Veränderungen des Nucleocapsids (N) auf, dem wichtigsten Protein von SARS-CoV2.
Rolle des Nukleokapsid-Proteins (N):
Das Strukturprotein N besteht aus Proteinhülle (Kapsid) und Genom, RNA oder DNA (Nukleinsäuren). Bei manchen Viren ist wie SARS-CoV2 ist N zusätzlich von einer Membran umhüllt (behüllte Viren). Es ist u.a. für die Vermehrung des Virus in den Zellen zuständig.
Ein wesentlicher Aspekt von N ist seine Phosphorylierung, das heißt, eine stark negativ geladenes Phosphat wird an eine S- oder T-Aminosäure angehängt. N wird unmittelbar nach dem Eintritt phosphoryliert – insbesondere ist die N3-Region von N sehr dicht phosphryliert.
N3 ist von besonderem Interesse, weil es drei ausgeprägte lineare Segmente enthält, darunter eine leukinreiche Helix (H1). Zahlreiche relevante Mutationen bei neuen Varianten traten in der N3-Region auf.
Die wichtigste Rolle von N ist, das virale Genom einzukapseln und innerhalb des Virions (das komplette Viruspartikel) zu verstauen (Wu et al. 2022). Die Phosphorylierung verringert die RNA-Bindungsfähigkeit von N erheblich (Botova et al. 2024), ihr Vorteil ist die RNA-Replikation. In der N3-Region von N verringern Mutationen immer die Phosphorylierung, aber verbessern die virale Konzentration um mehr als das 10fache.
Die N:R203K/G204R-Mutationen haben ein mutiertes N*-Protein erzeugt – es führt zu höheren Viruslasten und schwereren Verläufen (Wu et al. 2021) und wurde bereits früh mit B.1.1* beobachtet. Es ist in der Lage, das virale Genom einzukapseln und die RNA-Replikation zu steigern, ohne an Bindungsfähigkeit zu verlieren (Mourier et al. 2022). Als KP.3.3 erstmals auftauchte, besaß es nahezu kein N*-Protein mehr. XEC erbte die N* zerstörende Mutation von KP.3.3. XEC erlangt weiterhin Wachstumsvorteile, obwohl N* fehlt – das heißt, das mutierte N ist nicht länger vorteilhaft.
Eine Schlüsselmutation bei JN.1 ist Q229K, die in der leukinreichen Sequenz (218-231) auftritt (Valli et al. 2024), welche auch als N-Protein-Oligomerization-Stelle bekannt ist (Zhao et al. 2023).
Was heißt das nun für XEC? Das mutierte N* – das für schwerere Verläufe und höhere Viruslasten verantwortlich war, scheint nun überflüssig und trotzdem gibt es Wachstumsvorteile und keine beobachtete Abschwächung der Schwere des Krankheitsverlaufs.
Ein Nachfolger mit potentiellen Wachstumsvorteilen ist laut Virusjäger Mike Honey auch schon in Sicht – mit XEC.1 (Schlüsselmutationen K182R und ORF1a:L4182F), der am ehesten Potential hat, XEC im Laufe des Herbsts zu überholen.
Ist XEC schon dominant?
Mit 1. Oktober dominierte KP.3* immer noch drei Viertel aller Infektionen und XEC wuchs nur langsam.
Es wäre also verkehrt, die steigenden Hospitalisierungszahlen in England auf XEC zurückzuführen – sie steigen mit jeder neuen Welle/Variante an.
Auch im Tessin ist der starke Anstieg im Abwasser nicht auf XEC zurückzuführen, es dominiert hier KP.3 und saisonales Forcing bei gleichzeitigem Schulbeginn. Der Anteil von XEC beträgt etwa 20%.
Gegenüber KP.3.3 gibt es nur drei Aminosäureänderungen bei XEC, davon tritt keine bei der rezeptorbindenden Domain oder Furinspaltstelle (Eintrittspforte) auf – es ist *sehr* unwahrscheinlich, dass mit XEC schwerere Verläufe auftreten.
Leitsymptome seit Beginn nahezu gleich
Die führenden Symptome einer akuten SARS-CoV2-Infektion seit Pandemiebeginn sind Geruchs- oder Geschmacksverlust, (trockener) Husten, Körper- und Kopfschmerzen und Halsweh. Fieber und Schnupfen treten etwas seltener auf. In der Abklingphase der Infektion ist das Leitsymptom Fatigue, also starke Abgeschlagenheit und Erschöpfung, die wochenlang anhalten – und im ungünstigen Fall in eine chronische Fatigue übergehen kann, sowie trockener Reizhusten.
Wenn Zeitungen nun also von „auffälliger Abgeschlagenheit“ schreiben, oder davon, dass die Symptome nun wieder stärker einer echten Grippe ähneln würden, dann sind das keine Neuigkeiten – sie werden fälschlicherweise einer Variante zugeschrieben, die nicht einmal dominiert.
Die Schwere einer Reinfektion wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst, in diesen Zeitungsberichten aber nicht erwähnt werden:
- Vulnerabilität (Vorerkrankungen wie geschwächtes Immunsystem)
- Individuelle Immunisierung (Anzahl der Impfungen, Zeitpunkt letzte Impfung, Kreuzimmunität durch gewöhnliche Coronaviren)
- Viruslast bei Exposition
- weitere unbekannte Faktoren
Viele leichte oder gar asymptomatische Verläufe schaffen es nicht in die Medien, nicht mal zu einem Arzt. Es wird auch viel weniger getestet. Die schweren Fälle, die bekannt werden, sind nicht repräsentativ für die Gesamtheit.
Aus „covid bewusster“ Sicht mag es als Vorteil erscheinen, wenn Journalisten voneinander abschreiben und stärker vor Corona-Infektionen warnen als bisher. Sie tun das aber nicht aus Altruismus, sondern weil es Klicks bringt. Ich würde hier dazu mahnen, nicht unwissenschaftliche Aussagen zu übernehmen, nur weil sie in „unsere“ Agenda passen, sondern weiterhin vorsichtig kommunizieren:
„SARS-CoV2 verursacht überwiegend milde Akutverläufe, die zuhause auskuriert werden können. Mild heißt nur, dass kein Spitalsaufenthalt notwendig ist, die Symptome können trotzdem grippeähnlich ausfallen, aber es sind auch leichtere oder symptomfreie Verläufe möglich. Nach dem Ende der Symptome kann man immer noch ansteckend sein, insbesondere innerhalb eines Zeitfensters von zehn Tagen ab Symptombeginn. Daher ist eine Überwachung mit regelmäßigen Schnelltests anzuraten. Zudem sollte man sich ausreichend körperlich und geistig schonen, um Rückfälle zu verhindern, und das Longcovid-Risiko zu senken.“
Zu suggerieren, dass XEC nun jeden umhaut, hieße im Umkehrschluss, dass leichtere Verläufe oder Husten/Schnupfen-Symptome auf andere Varianten hindeuten, die harmlos wären, bzw. auf Nicht-Corona und keiner besonderen Abklärung/Verhaltensänderung bedürften.
SARS-CoV2 zirkuliert allerdings ganzjährig und es ist nun leider dauerhaft notwendig, auf Corona zu testen, sobald man respiratorische Symptome hat. Auch harmlose Verläufe können Folgen für die Fähigkeit der Immunabwehr haben, andere Erreger abzuwehren, ebenso sind kognitive Beeinträchtigungen bekannt und vielfach in Studien bestätigt worden (neben zig anderen Beeinträchtigungen). Und auch Nicht-Corona-Infekte sollte man nicht unters Volk bringen, sondern Kontakte einschränken und/oder Maske tragen.