Bild aus dem ersten Lockdown – an einem fast strahlend blauem 16. April 2020 bei der Mündung vom Wienfluss in den Donaukanal.

Entgegen meiner Prognose vom April ist die SARS-CoV2-Viruszirkulation weiterhin auf sehr niedrigem Niveau verblieben und damit nahe den bisherigen Niedrigstständen vom Juli 2023 bzw. Frühling 2024. Offenbar hat der Immun Escape der neuen Virusvarianten bisher nicht ausgereicht, um einen neuen Pool an empfänglichen Personen zu generieren. Es herrscht also eine breite Bevölkerungsimmunität, die neue Infektionswellen abmildert oder gänzlich verhindert. Das wird wahrscheinlich nicht ewig so bleiben, denn das Virus mutiert weiter vor sich hin und letztendlich wird es einer neuen Virusvariante gelingen, wieder eine Infektionswelle auszulösen – ungeklärt bleibt nur: wann?

Aktuelle Situation in Österreich

Abwassermonitoring der Regierung, Stand 15. Mai 2025

Schaut man sich die letzten Jahre hochaufgelöst an, sieht man sehr wohl Wiederanstiege in den Bundesländern in den letzten Wochen, jedoch auf niedrigem Niveau (5-25 Genkopien pro Einwohner/Tag*Mio), verglichen mit den Höchstständen (400-800 Genkopien) der letzten Jahre. Wiederanstiege bei so geringer Zirkulation können auch von lokalen Clustern stammen und dürfen nicht überwertet werden.

Bei der Stadt Wien zeigt sich ein kontinuerlicher Anstieg der Viruszirkulation, aber ebenfalls auf sehr niedrigem Niveau:

Monitoring von CoV2, Influenza und RSV

Die derzeitige Kurve scheint der Trajektorie von 2023/2024 zu folgen.

Im Sentinelsystem der MedUni Wien gibt es derzeit sehr wenige Einsendungen von Virusproben, deswegen ist die Grafik mit Vorsicht zu interpretieren:

Situation bis Kalenderwoche 19 in Österreich

Ein klarer Trend bei SARS-CoV2 ist nicht erkennbar. Es dominieren weiterhin Rhinoviren („Schnupfenviren“).

Bei den Spitalsaufnahmen geht die Kurve bei SARS-CoV2 zumindest bis Kalenderwoche 16 noch nach unten.

Wie könnte es nun weitergehen?

Quelle: Federico Gueli und Ryan Hisner, Bluesky

Seit meinem letzten Update ist vor allem von einer Variante immer häufiger die Rede: NB.1.1.8.1 – sie besitzt ähnliche Spike-Proteine wie LP.8.1.1, aber bei chinesischen Patienten noch etwas mehr Immun Escape. Das kann aber mit der anderen Immunitätsgeschichte in China zu tun haben (bis 2022 keine Viruszirkulation!). In den USA und in Kanada scheint NB.1.1.8.1. langsamer zu wachsen.

Schlüsselmutationen von NB.1.1.8.1 gegenüber JN.1 sind F456L (im KP.2-Impfstoff enthalten), T22N/F59S, Q493E, A435S.

In Schweden und Irland wächst LF.7.9 (475V).

In den USA wächst XFG sehr schnell. XFG ist aus einer FLiRT-Variante entstanden und hat 50% Wachstumsvorteil gegenüber LF.7.7.2 in New York (N487D).

XFG und LF.7.9. profitieren von A475V und N487D, die starken Immun Escape hervorufen, doch ist ihr ACE2-Bindung herabgesetzt, damit können sie sich nicht so leicht gegen dominante Varianten durchsetzen. NB.1.8.1 hat sowohl hohe ACE2-Bindung als auch hohen Immun Escape und damit derzeit die besten Chancen, eine globale Welle anzutreiben (Guo et al. 2025 preprint).

(alle Varianten-Steckbriefe auf meinem Blog)

Was heißt das nun auf Deutsch?

Evolution von ALPHA-Coronaviren (links, wie Influenza A), BETA-Coronaviren (Mitte, wie Influenza B) und Influenza H3N2 (rechts, Driftvariante)

SARS-CoV2 verhält sich offenbar weiterhin wie eine Driftvariante, wobei seit JN.1. keine großen evolutionären Sprünge mehr aufgetreten sind. Derzeit dominieren die Rekombinanten, ähnlich wie zuletzt vor dem Sprung auf JN.1 mit XBB und EG.5. Damit sind vorerst keine großen Wellen zu erwarten, da sich die einzelnen Varianten nur in wenigen Mutationen voneinander unterscheiden.

Und warum hat sich BA.3.2. (bisher) nicht durchgesetzt?

Infektiologe Kristian G. Andersen erklärt, warum hochmutierte Varianten sich kaum (bis auf BA.1 und JN.1) gegen den bestehenden Variantenzoo durchsetzen können:

Re (Rt), die effektive Reproduktionszahl ist entscheidend. Über 1 tritt eine Welle auf, darunter nehmen die Infektionen ab. Die meisten zirkulierenden Varianten haben derzeit Re ~ 1.

Re ist vereinfacht gesagt eine Funktion aus zwei Hauptbestandteilen: inhärente Übertragbarkeit einer Variante (R0, die Basisreproduktionszahl) und die Fähigkeit, die Bevölkerungsimmunität zu überwinden (Immunflucht).

  • R0 ist die erwartete Fallzahl, die direkt durch einen Fall in einer vollständig naiven Bevölkerung erzeugt wird (das heißt, die inhärente Fähigkeit des Virus, seine Wirtsbevölkerung zu infizieren).
  • Rt ist andererseits die Zahl der Fälle, die im derzeitigem Stadium der Bevölkerung erzeugt wird, was im Fall von SARS-CoV2 heißt: Es gibt eine breite Bevölkerungsimmunität.

R0 entspricht Rt nur dann, wenn es wenig bis keine Immunität gibt. Danach entscheidet Rt.

Die derzeit hypermutierten Varianten (z.B. BA.3.2, BQ.1.1.1) sind höchstwahrscheinlich in einem chronisch infizierten Patienten entstanden. Im Zeitraum der Mutationen übertragen sie sich aber nicht auf andere Personen (oder nur sehr selten), weshalb sie an Übertragbarkeit verlieren können (R0 wird geringer).

Derzeitige Varianten wie LP.8.1 haben hohe R0-Werte, weil sie gut übertragen können, aber niedrige Rt-Werte, weil sie unseren Immunitätswall nicht überwinden können (bis die Immunität nachlässt). BA.3.2 besitzt deutlich mehr Immunflucht, aber schlechtere Übertragbarkeit.

Die Ursache für diese Entwicklung ist wahrscheinlich unsere hochkomplexe Immunitätslandschaft: Varianten, die durch die Bevölkerung „driften“ sammeln sukzessive günstigere Mutationen an, während hochmutierte Varianten von Zeit zu Zeit auftauchen, mit Rt-Werten um 1 aber im Wettbewerb mit etablierten Varianten unterlegen sind.

Irgendwann könnte es durchaus passieren, dass eine der hochmutierten Varianten genügend vorteilhafte Mutationen aufsammelt, um seine Übertragbarkeit zu erhöhen. Wann das passiert, erscheint aber unklar.