Behauptung: Die Impfpflicht sei ein Fehler gewesen, weil Omicron ja viel milder gewesen wäre.

Rückblick auf die Ereignisse:

Viele revisionistische Aussagen funktionieren deswegen so gut, weil sich die Leute falsch oder gar nicht erinnern. Die Impfung wurde Ende Dezember 2020 zugelassen. Dann kamen die ersten Virusvarianten Alpha und Delta, die zuerst infektiöser waren und dann auch den Antikörperschutz durch Impfung und Infektion unterliefen. Im Sommer behauptete die Bundesregierung, dass die Pandemie für Geimpfte vorbei sein würde. Berater der Regierung, darunter Virologin Redlberger-Fritz und Oswald Wagner, rechneten mit Herdenimmunität bis Jahresende durch Geimpfte und „Genesene“. Die Durchimpfungsrate stockte im Hochsommer bei 65% (2 Impfungen), als sich Delta ausbreitete. Delta sorgte vermehrt für Durchbruchsinfektionen bei Zweifachgeimpften. Im Herbst 2021 wurde zu spät Schutzmaßnahmen ergriffen. Der Lockdown für Ungeimpfte war zu wenig, es kam ein Lockdown für alle. Die Regierung verlor dadurch massiv an Vertrauen in der Bevölkerung, die sich betrogen sah – sie hatten alle Maßnahmen mitgetragen und dann nahm man sie nicht aus der Gleichung.

Um einen weiteren Lockdown zu verhindern, weil sonst die Intensivstationen überlastet würden, wurde am 19. November 2021 eine Impfpflicht angekündigt und am 20.01.2022 beschlossen. Dadurch sollte die Impfquote soweit angehoben werden, dass die Belagszahlen in den Intensivstationen deutlich genug sinken würden. Am 4. Februar 2022 trat sie in Kraft, mit geplanten Strafen ab 16. März 2022. Am 9. März 2022 wurde die Impfpflicht nach Evaluierung einer Expertenkommission wieder ausgesetzt. Am 23. Juni 2022 wurde, ohne dass die Impfpflicht je in Kraft getreten wäre, ihr Aus beschlossen.

Das wurde einerseits damit begründet, dass die Impfpflicht niemanden zum Impfen bringen würde, andererseits mit der „weniger letalen Omicron-Variante“, zudem sei die Wirksamkeit der Impfung gegen Ansteckung reduziert worden.

Fakten:

Richtig ist, dass die bestehenden Impfstoffe gegen die Omicron-Varianten deutlich an Infektionsschutz eingebüßt haben, er betrug aber für 4-5 Wochen weiterhin 40-50%, für mehrere Monate 30-40% (Canetti et al. 2022).

Richtig ist, dass Impfskepsis ein wachsendes, weltweites Problem ist (Stamm et al. 2022, Wocjzewski et al. 2024, Matina et al. 2024), wobei aber Desinformation eine tragende Rolle spielt (Chowdhury et al. 2021, Sule et al. 2023, Fenta et al. 2024, Weng et al. 2024). Was hat die Regierung getan, um diese Impfskepsis abzubauen und Desinformation zu unterbinden? Zu wenig.

Falsch ist die Behauptung, dass Omicron weniger letal gewesen sei.

Zu differenzieren ist hier außerdem in BA.1 und BA.2. Omicron trat praktisch von Beginn an mit zwei Sublinien auf (vgl. A und B zu Pandemiebeginn):

BA.1 ging mit geringerer Abwasserlast einher als vorherige Varianten (Rector et al. 2023), es gab weniger Geruchs- und Geschmacksverlust (Brandal et al. 2021, Vihta et al. 2022, Chen et al. 2022), und weniger Hospitalisierungen ((Wolter et al. 2021, Maslo et al. 2021, Davies et al. 2022). In London wurde dafür eine Rekordzahl an Hospitalisierungen bei Kleinkinder beobachtet, vor allem durch Erkrankungen der oberen Atemwege (Martin et al. 2022).

BA.2 war etwas infektiöser als BA.1 ( Plesner-Lyngse et al. 2022) und es wurden mehr Symptome und stärkere Beeinträchtigung im Alltag beobachtet (Whitaker et al. 2022), in Hamsterstudien ging die Variante stärker auf Lunge (Yamasoba et al. 2022) und Herz (Mok et al. 2024).

In den USA sorgte BA.1 für eine extreme Welle an Hospitalisierungen. In Österreich bremsten Lockdown und Weihnachtsferien BA.1 und die die Welle ging nahtlos in BA.2 über.

Omicron war deutlich ansteckender als Delta, was vor allem durch den Immun Escape erreicht wurde. Wie darf man sich das vorstellen?

Das Virus traf mit Pandemiebeginn auf eine immun-naive Bevölkerung, die nie mit dem Virus Kontakt hatte und keine Antikörper gegen SARS-CoV2 aufwies. Das Wirtsreservoir war also sehr groß. Nach dem ersten Jahr war erst ein Bruchteil der Bevölkerung infiziert und immun. Im zweiten Jahr kamen daher Varianten, die ansteckender waren und das vorhandene Reservoir schneller leerräumten. Es gab aber auch gleichzeitig die Impfkampagnen und bis Herbst 2021 gab es nurmehr einen begrenzten Pool an Menschen, die gegen das Wildtyp-Virus empfänglich waren. Omicron konnte die bestehende Immunität aus Infektion und Impfung so effektiv umgehen, dass sich das Virus damit ein völlig neues Wirtsreservoir aufmachte. Deswegen infizierten sich sehr viele Menschen in kurzer Zeit.

Nun ist ein kleiner Anteil einer großen Zahl immer noch eine große Zahl. Selbst bei einer verringerten Morbidität einer Virusvariante ist die Zahl der schweren Verläufe aufgrund der deutlich gestiegenen Anzahl an Infektionen groß.

Omicron war nicht milder:

Die damalige Delta-Virusmutation war mit Abstand die bedrohlichste. Die Krankenhäuser waren voll, für Patienten mit Herzinfarkt wäre eine optimale Behandlung bald nicht mehr zu garantieren gewesen. Und dann kam Omikron, das weit weniger gefährlicher war.“ (Alena Buyx, ehemalige Vorsitzende des deutschen Ethikrats, 18.03.20 im ORF „Im Gespräch“)

  • Mildere Verläufe gab es vor allem durch die Impfung und vorhergehende Infektionen, wie eine Studie zur Übersterblichkeit bei Delta und Omicron gezeigt hat (Faust et al. 2022).
  • Der Schutz vor Reinfektion sank von 85% bei Delta auf 19% bei Omicron ab (Head and Elsland 2021) – damit war unabhängig von der Schwere der Erkrankung mit Reinfektionen und insgesamt steigender Zahl an Krankenstandstagen zu rechnen.
  • Bei Krebspatienten war die Sterblichkeit um 4% höher als bei früheren Varianten (Potter et al. 2023).
Belegung der Normalbetten mit Schwellenwerten in den einzelnen Bundesländern, Stand 08.03.22

Wer den Fokus nur auf Intensivstationen legte, blendete die Belastung der Normalstationen aus – wo von Pandemiebeginn an die meisten, gerade ältere, Menschen starben. Anfang März 2022 in der BA.2-Welle gab es in allen Bundesländern Einschränkungen bei der Regelversorgung, in der Steiermark war nurmehr Akutbetrieb gewährleistet und im Burgenland war selbst die Akutversorgung gefährdet (Triage?).

Hinzu kamen die Ausfälle beim Personal selbst, nachdem die Schulen offen waren und sich viele über ihre Kinder infiziert haben.

Vergleich von Hong Kong, Neuseeland und Österreich:

Inzidenz und Todesfälle von März 2020 bis März 2022

In Hong Kong schoß die Zahl der Todesfälle nach oben, in Neuseeland und Österreich kaum.

Hong Kong lag deutlich zurück bei den Booster-Impfungen. Zwar hatte man in vielen Altersgruppen mehr als 90% Impfquote erreicht, bei über 80jährigen aber nur 50%. In Neuseeland waren dagegen fast alle über 75 Jahre mindestens einmal geimpft. In Österreich betrug die Impfquote bei den 55-64jährigen 70%. Sehr gering war die Impfquote bei den unter 15 jährigen, hier waren erst etwas mehr als 20% zweifachgeimpft.

In Hong Kong war die Infektion mit Omicron bei Ungeimpften ähnlich schwer wie der Wildtyp, nur mit Immunität durch Impfung oder bei Reinfektion weniger schwer (Wong et al. 2023).

Selbst ohne Betrachtung der langfristigen Folgen durch Long Covid nach einer oder mehrerer Infektionen kann man also mitnichten sagen, dass Omicron viel milder gewesen sei. Milder als Delta ja, aber dafür infektiöser.

Fakten zum Impfschutz vor Ansteckung

Zur oft kritisierten Aussage des Pfizer-CEO, dass die Impfung vor Ansteckung schützen würde (Februar 2021, Quelle gerade nicht auffindbar).

u diesem Zeitpunkt hatten wir den ersten Impfstoff, aber bereits die zunehmende Alpha-Variante, damals als „Britische Variante“ oder B.1.1.7 bekannt. Alpha war deutlicher infektiöser als der Wildtyp, aber unterschied sich sonst glücklicherweise nicht so dramatisch, dass die Impfwirksamkeit beeinträchtigt gewesen wäre. Daher gab es mit zwei Impfdosen auch gegen Alpha noch rund 90% Infektionsschutz. Ein sehr guter Wert.

Gegen Delta wirkten zwei Impfdosen nicht mehr so gut. Delta war die erste weltweit dominante Variante mit Fluchtmutationen. Sie entkam der Immunantwort nicht nur effektiver, sondern war auch deutlich infektiöser. Schon 24 Stunden nach einem negativen PCR-Test konnten infizierte Personen ansteckend sein, die Viruslast war 1000x höher als beim Wildtyp (Li et al. 2021). Israel hat im Juli 2021 erfolgreich getestet, dass 3 Impfdosen wieder einen hohen Schutz vor Infektion erzielen. Europa brauchte immer etwas länger, denn sie hatten schon Mühe, mit zwei Impfdosen eine hohe Bevölkerungsimmunität zu erreichen. Erst im Herbst 2021 gab es eine Impfkampagne für den dritten Stich zur „vollständigen Grundimmunisierung“. Bis zum Auftreten von Delta war man davon ausgegangen, dass zwei Impfdosen reichen würden. Führende Virologen hatten nicht damit gerechnet, dass so frühzeitig Virusvarianten auftreten würden.

Jede Impfung braucht eine gewisse Zeit, bis sie ihre Wirkung im Körper entfalten kann. Man rechnete mit 7-10 Tagen, bis der Infektionsschutz vollständig gegeben war – je nach Individuum auch 14-21 Tage. Hier sind sicherlich Kommunikationsfehler passiert. Viele haben wohl geglaubt, sie könnten ab dem „Stichtag“ wieder unbesorgt in die Menschenmenge gehen (Hoehl et al. 2021). Dadurch nahmen Ansteckungen im Zeitfenster zu, wo der vollständige Infektionsschutz noch nicht vorhanden war. Wer sich kurz vor oder nach der Impfung ansteckte, schob die Symptome auf die Impfung statt auf die Infektion und bezeichnete die Impfung fälschlicherweise als unwirksam. Dabei war ihr eigenes, risikoreiches Fehlverhalten die Ursache.

Mit Omicron (BA.1, BA.2, etc…) änderte sich das Virus aber grundlegend. Es wies nun so hohe Immunfluchteigenschaften auf, dass die Impfung nicht mehr vor Ansteckung schützte. Eine vorhergehende Infektion ebenfalls nicht – das Reinfektionsrisiko vervierfachte sich (Head and Elsland 2021)! Daher mussten neue, auf BA.1 angepasste Impfstoffe her.

Südafrika hatte drei Mal so viel Übersterblichkeit wie Sterblichkeit, die Omicron-Welle war dort nicht viel milder als vorherige Varianten, wurde aber als Richtwert für die Bewertung von Omicron genommen. (Quelle)

Bald sah man in Daten aus Südafrika, dass BA.1 viel mildere Verläufe verursachte. Dort sind aber viele ältere und vulnerable Menschen schon in den ersten Wellen gestorben (hohe Übersterblichkeit!) und die Bevölkerung ist viel jünger (Durchschnittsalter unter 30) als in Europa. Zudem übersah man, dass Omicron deutlich ansteckender war und auch wenn pro Fall weniger schwere Fälle auftraten, waren viele Fälle eben doch noch eine hohe Anzahl an schweren Fällen. Deswegen gab es 2022 in Österreich ähnlich viele Tote wie 2020.

Dennoch wurde BA.1 als „Weihnachtsgeschenk“ gesehen. Die Regierungen ließen sich plötzlich Zeit mit der Impfstoffanpassung. Pfizer und Moderna hatten noch im November/Dezember gesagt, sie könnten innerhalb weniger Monate einen angepassten Impfstoff herausbringen. Das war zutreffend. Im März 2022 hätte der bivalente BA.1-Impfstoff ausgeliefert werden können.

Quelle: Spiegel-Artikel vom August 2022

Es kam anders. Die Intensivstationen waren weniger belastet als bei Delta, dafür die Normalstationen umso mehr und es erkrankte zudem viel Gesundheitspersonal, weil die Schulen offen blieben. Man schob die Zulassung von BA.1 in den Herbst hinaus und redete fortan nurmehr von der Herbstwelle.

Bis zum Herbst erlebte der Großteil der Bevölkerung seine Erstinfektion, meist auf Grundlage von 2-3 Wildtyp-Impfdosen. In dieser Zeit kamen einige Longcovid-Fälle hinzu, über die niemand spricht, und wenn es Impfgegner tun, glauben sie, das wären alles Impfschäden. Aber das ignoriert eben die Eigenschaft der Omicron-Varianten. Manche Virologen sprachen anfangs sogar von einem neuen Serotyp, „SARS-CoV3“. Ein anderes Virus quasi, worauf der erste Impfstoff nicht mehr so gut passte. Er verhinderte zwar weiterhin schwere Verläufe, aber eben milde bis moderate Verläufe nicht mehr. Der BA.5-Impfstoff kam ebenfalls im Herbst, als die BA.5-Welle gerade das zweite Mal durchlief. Im Sommer infizierten sich viele in der hohen BA.5-Sommerwelle. Im Herbst 2022 waren also schon viele mindestens einmal, manche schon zwei oder gar drei Mal infiziert worden. Durch das ständig wiederholte Gerede „Omicron ist mild“ und durch die kürzliche Infektion war der Hunger auf eine weitere Impfdosis entsprechend sehr sehr gering. Und seitdem sind die Impfstoffraten am Tiefpunkt, obwohl die Impfstoffe schwere Verläufe/Todesfälle weiterhin in hohem Ausmaß verhindert haben, egal welcher Impfstoff. Auch Astra Zeneca.

Die Bevölkerung hangelt sich von Infektion zu Infektion, viele sind am Stand 3 Impfdosen stehengeblieben. Infektions-generierte Immunität ist aber sehr sehr heterogen, was frühe Studien ebenfalls schon gezeigt haben, speziell seit Omicron (Parker et al. 2022).