
Wenn ich alle Facetten über Virologe Drosten diskutieren wollte, müsste ich wohl ein Buch verfassen. Ich kann vieles hier daher nur anreißen. Neulich hörte ich den episch langen Jung-und-Naiv-Podcast (4 Std. 44 Min!) mit Drosten, um mir ein differenzierteres Bild über seine aktive Rolle in der Pandemie zu machen. Die geht weit über das personifizierte „Hassobjekt“ der Rechten und der „Drosten-Jünger“ eines Teils von „Team Vorsicht“ hinaus, die ihn häufig auch sehr unsachlich wegen seiner Aussagen zur Schleimhautimmunität nach SARS-CoV2 kritisieren. Ich hab auch sein Buch „Alles überstanden?“ mit dem Co-Autor und Journalist „Georg Mascolo“ gelesen. Podcast und Buch teilen die Gemeinsamkeit in der Einfältigkeit der Fragen. Es ist weder ein wissenschaftsorientiertes Buch noch Podcast, sondern es werden die populistisch zugespitzten Fragen behandelt, die in den Medien seit dem Ende der Pandemie laufend ab und ab gespielt und von rechtsextremen Parteien instrumentalisiert werden. Tiefer als im damaligen NDR-Podcast wird es nie mehr werden. Das ist für die Reichweite natürlich nachvollziehbar, aber der Erkenntnisgewinn hält sich entsprechend in Grenzen.
Teil 1: Ihre Rolle in der Pandemie – Infektiologe Wenisch (03.01.25)
Über seinen Werdegang
Drosten hat Medizin studiert und wollte ursprünglich Anästhesist werden. Um sich das Studium zu finanzieren, hat er in der Pflege und Intensivmedizin gearbeitet. Früh im Studium war er dann fasziniert von Viren und wurde zum Experten für Coronaviren. Daher war es naheliegend, dass er seine Expertise mit der Öffentlichkeit und Politik teilen würde. Er entwickelte den ersten PCR-Test, um SARS-CoV2 nachzuweisen. Er warnte frühzeitig vor der Pandemie und auch vor einer schweren Winterwelle. ZiB2-Zuschauer wissen das vom April 2020. Im gleichen Monat erwähnte er im NDR-Podcast erstmals die Rolle der Aerosol-Übertragung und revidierte seine anfängliche Skepsis gegenüber einer Maskenpflicht, die nicht nur auf das Gesundheitswesen beschränkt war. Drosten ließ keine Unklarheiten aufkommen, was die Rolle der Kinder betraf. In epischer Länge besprach er Studien, wonach Kinder ähnlich hohe Viruslasten wie Erwachsene hatten und demzufolge ähnlich ansteckend sein konnten. Es ließ nie Zweifel daran, dass Kinder eine Rolle im Infektionsgeschehen spielen würden. In späteren Beiträgen sprach er erstmals die breite Desinformation in den Medien an, unter dem Begriff PLURV bekannt. Ohne den NDR-Podcast hätte ich nie von PLURV gehört und die Methoden in meine Faktencheck-Routine aufgenommen! Drosten nahm kein Blatt vor dem Mund, was er von focused protection der rechtslibertären Great-Barrington-Declaration-Vertreter hielt: Nichts. Alle diese Punkte sind in seinen NDR-Podcasts nachzulesen.
Drosten hat sich laut eigener Aussage drei Mal infiziert, das erste Mal im Schweden-Urlaub (Sommer 2022, BA.5), das zweite Mal ironischerweise bei einem WHO-Treffen in Genf (Herbst 2022, BF.7), und das dritte Mal war er Index-Person am Silvesterabend und habe symptomfrei singend seine Partygäste infiziert, aber erst am Folgetag Symptome bekommen (2023/24, JN.1?).
Der Podcast
Ich hab mir während dem Anhören Notizen gemacht und möchte ein paar Punkte wiedergeben, die mir relevant erschienen.
Drosten sieht sich nicht als Medienprofi, wie übrigens viele Wissenschaftler, die plötzlich durch ein Ereignis in der Öffentlichkeit stehen und das nicht regelmäßig tun. Er besitzt einen ethischen Grundkompass und kritisiert Wissenschaftler scharf, die politisch agieren und sich wissenschaftlich falsch zur Pandemie geäußert haben (und immer noch tun). Die Vertreter der Great-Barrington-Declaration seien etwa Pseudoexperten, in ihren Fächern gut, aber hätten Politik betrieben. Die Öffentlichkeit erkennt nicht, dass Mikrobiologe Bhakdi keine Corona-Expertise hat und schon lange nicht mehr aktiv forscht. Das müsste er selbst erklären, aber wenn er es unterlässt, fördert er Desinformation und richtet Schaden an.
Drosten wurde damals von der CDU in den Sachverständigenausschuss gesetzt, ist dann aber rausgegangen, weil er die parteipolitische Argumentation nicht mehr ausgehalten hat. Man müsse sich auch Maßnahmen anschauen, wenn sie einem privat nicht gefallen, z.B. Kontaktbeschränkungen (vgl. Infektiologe Wenisch, der unter den Kontaktbeschränkungen während seiner Scharlach-Erkrankung in der Kindheit so gelitten hat, dass er sie in der Corona-Pandemie immer möglichst schnell abschaffen wollte).
„Kontaktreduktion: Das, was niemand wollte, war das effektivste.“
Die Öffentlichkeit hatte eine falsche Vorstellung über die Beraterrolle der Experten für die Regierung. In der Virologie bespricht man nicht, ob man Schulen schließen soll, Maskenpflicht beschließt oder Kinder impft, sondern da geht es darum, wie ansteckend das Virus ist, ob Aerosole eine Rolle spielen, ob Masken etwas nützen, generell die Eigenschaft von Viren und Immunität. Welche Maßnahmen daraus abgeleitet werden, sei Sache der Politik.
„Die neutrale Instanzseite müsste Journalismus sein, es gibt sonst keine.“
Bei den Beratungen gab es meist eine Fragerunde von etwa zehn Minuten, dann durfte ein Experte etwa zehn Minuten frei reden, danach gab es eine interne politische Diskussion. Es wurde immer nie die Gruppe von Experten befragt, darunter von Beginn an nicht nur Virologen („man habe nur auf Virologen gehört“). Im Innenministerium etwa gab es auch eine Beratergruppe ohne Virologen. Generell hätten Politiker eine hohe Auffassungsgabe, sonst hätten sie keine Spitzenposition inne (ok, Deutschland), Merkel als Naturwissenschaftlerin sei keine Autokratin, sondern es gab Zielkompromisse.
Internationale Studien („Evidenzsynthese“) hätten gezeigt, dass Kontaktbeschränkungen die effektivste Maßnahme waren. Homeoffice habe sehr viel gebracht, Schulschließungen hatten einen sehr starken Effekt. Maßnahmen im laufenden Schulbetrieb hatten auch einen Effekt, der aber schwächer ausgeprägt war. Masken zeigten einen deutlich nachweisbaren Effekt. Ständiges Testen im Schulbetrieb war vergleichbar mit Quarantäneregelungen, doch politische Vorwürfe gingen ins Leere, denn im ersten Jahr gab es noch keine Schnelltests und die gepoolten PCR-Tests waren noch nicht ausgereift. Dasselbe der Ruf nach ständigen Tests statt Lockdown, dabei gab es noch keine Kapazitäten, das sei Parteipolitik (vgl. Kurz und „Testen statt Lockdown“, die Kapazität gab es nur in Wien mit LeadHorizon).
Wenn die Maßnahmen unterschiedlicher Staaten verglichen werden, müsse man aufpassen. Im globalen Süden sei die Bevölkerung jünger und mehr draußen, aber Deutschland nur mit deutschen Daten aufzuarbeiten greife zu kurz, denn es gibt Datenlücken. Man brauche Vergleiche für statistische Aussagekraft, etwa Industrieländer der Nordhalbkugel vergleichen. Beispiel Schweden: 40% der Arbeitskräfte im Homeoffice, viel Dienstleistung, geht in Deutschland nicht. Bei Vergleich von Maßnahmen müsse man die Struktur des Erwerbslebens/Industrie vergleichen, Digitalisierung (Videokonferenzen), Schule im Fernbetrieb, beides hat in vielen Ländern besser funktioniert als in Deutschland (und Österreich). Bei uns hieß das de facto Schließung.
Doch es habe keine 180 Tage Schulschließungen gegeben, sondern laut OECD maximal 75 Tage, plus minus paar Tage in anderen Ländern. Quälend war vor allem der lange Quarantänebetrieb ab 2021/2022, wovon oft sozial schwache Kinder betroffen waren. Also bei jedem neuen Verdachtsfall wieder Klassen geschlossen, ständiger On/Off-Betrieb.
In kaum einem Land gebe es soviel Diskussion um Schulen wie bei uns, in Ländern mit hoher Anfangssterblichkeit, weil man zu spät geschlossen hatte, gibt es generell weniger Diskussion um Kontrollmaßnahmen. Dort habe man begriffen, wie gefährlich das Virus war.
Drosten sprach den in Erwägung gezogenen „Circuit-breaker-Lockdown“ an, mit festem Ablaufdatum, der dann doch nicht durchgezogen wurde. Er hätte Öffnungsdebatten verhindert. Seines Wissens ist das nirgends passiert, wo ich ihn korrigieren muss: In Österreich war es Gang und Gäbe, jeden Lockdown mit einem Ablaufdatum zu versehen, egal, wie die Inzidenz sich bis dahin entwickelt hatte.
Man beging in der Delta-Welle dann den Fehler, alles zu schließen, außer Schule und Arbeit, wo aber am meisten übertragen wurde, daher gab es da viele Tote. Virologen hatten von Beginn an angenommen, dass sich das Virus in allen Altersgruppen gleich verbreitet, das habe sich später bestätigt. Maßnahmen, egal wo, mussten also in Summe reichen, um R unter 1 zu drücken und die Verbreitung zu stoppen. Bei Schulen ging das wegen der Hierarchie wahrscheinlich leichter als bei Arbeitsstätten und wirtschaftlicher Lobby.
Präventionsparadoxon: Der Begriff kommt aus der Herzkreislaufmedizin – auf Populationsebene müsse man etwas machen, das dem Individuum sehr wenig nützt. In der Infektionsepidemiologie bedeutet das:
Prävention verhindert, dass man die Dringlichkeit/Gefahr sieht – man nimmt nur die Unbequemlichkeit wahr, man sieht nicht den Nutzen daraus, denn das wurde ja verhindert.
GBD-Vertreter wollten Altenheime abriegeln, das sei nicht nur unmenschlich, sondern wenig treffsicher, um Alte zu schützen, denn nur ein ganz geringer Teil wohnt dort. Die meisten wohnen alleine zuhause, hätten sie sich jahrelang einsperren sollen? Damals wusste man noch nicht, dass bereits innerhalb eines Jahres ein Impfstoff bereitstehen würde. Jedes Leben sei zu schützen.
Zu Kindern
Drosten empfahl die Impfung für Kinder, obwohl deren Risiko gering ist? Dazu nahm Drosten ausführlich Stellung. 2021 empfahl die StiKo die Impfung für grunderkrankte Kinder und in Haushalten mit gefährdeten Angehörigen. Auch gesunde Kinder konnten sich impfen lassen, wenn von ihnen und Eltern gewünscht. Es gab keine explizite Empfehlung für alle Kinder, weil die Infektionsgefährdung zum damaligen Zeitpunkt nicht bekannt war, denn dank Prävention waren ihre Infektionsraten noch gering. Bekannt waren aber Nebenwirkungen durch die Impfstoffe. Drosten widerspricht aber teilweise: Man wusste vom multisystemischen Entzündungssyndrom (MISC), dass ein dosisreduzierter Impfstoff sicher war und Herzmuskelentzündungen dann nicht mehr auftreten würden.
Im Frühjahr 2022 kamen zwei Wellen mit Omicron, Kinder wurden weitflächig durchseucht, das „Experiment“ sei noch einmal gut gegangen. Aber: 1% der symptomatischen Infektionen bei Kindern führten zu Long Covid, bei Erwachsenen 6% (bis Ende 2023). Im Frühjahr 2023 sah die StiKo, dass eine einmalige Infektion bei Kindern nicht genug Immunität erzeugen würde, sie empfohl daher ALLEN Kindern einen Booster. Das war ein Fehler. Besser wäre es gewesen, sie hätten ihn vorher schon empfohlen, denn es war noch nicht klar, ob die Infektion so folgenlos bleiben würde. Nach Auffassung der StiKo seien nicht mehr als 3 Antigenkontakte notwendig, aber mit der Zeit würde der Immunschutz immer schlechter werden und die Infektion sei unausweichlich.
Umstrittene Aussagen:
Natürlich zur Durchseuchung der Kinder mit den Omicron-Varianten:
„Das Experiment sei noch einmal gut gegangen.“
Im Dezember 2022 klang das im „Tagesspiegel“ anders:
„Derzeit bekommen Immunologen Befunde, die suggerieren, dass diese Alterung des Immunsystems bei Kindern nach Coronainfektion viel fortgeschrittener ist, als man es erwarten würde. Man kann sich nun zugespitzt fragen, ob ein ungeimpftes Kind nach Infektion vielleicht mit 30 das Immunsystem eines 80-Jährigen haben wird. Die Durchseuchung der Kinder wäre dann ein riesiger Fehler gewesen. Das wäre ein extremes Szenario, das man aber mit erwägen muss. Allerdings haben wir keine Infektionskrankheit so gut erforscht wie Sars-Cov-2. Gut möglich, dass es sich bei anderen Infektionen auch so verhält und das Phänomen nach zwei, drei Jahren verschwindet, weil gerade junge Kinder noch naive Immunzellen nachproduzieren können. Wir wissen all dies noch nicht. Ich hatte aus Vorsicht immer für die Impfung und den Infektionsschutz von Kindern plädiert.„
Die Aussage steht im direkten Widerspruch zu seiner zweimaligen Aussage, dass 1% der symptomatisch infizierten Kinder Long Covid entwickelt hätten. Hier wäre es notwendig gewesen, Prozentangaben in Relation zu setzen. 1% sind Millionen Betroffene in Deutschland!
Außerdem wiederholte Drosten seine Aussage und die Auffassung der StiKo, dass drei Antigenkontakte, egal ob Impfung oder Infektion, ausreichen würden, um langlebige Immunität zu erzeugen. Das wurde auf Grundlage aktueller Studien im Februar 2022 abgeleitet, die leider in dem Artikel nicht verlinkt wurden. Die Frage ist nur, was damit gemeint ist. Gegen schwere Verläufe und Tod? Dann sind die Aussagen sehr wahrscheinlich zutreffend, jedenfalls für immunkompetente Menschen. Gegen symptomatische Verläufe mit 1-3 Wochen Krankenstand? Da sagen sowohl anekdotische Evidenz als auch der Blick auf die gestiegene Zahl der Krankenstände, dass drei Antigenkontakte wohl nicht ausreichen. Und Long Covid? Dazu sollte er sich vielleicht einmal in Verbindung mit führenden LongCovid Spezialisten und Ärzten setzen. Long Covid hat weder mit Omicron noch mit Einführung der Impfung geendet. Viele Betroffene haben sich nach drei Wildtyp-Impfungen mit Omicron infiziert (meist BA.2 oder BA.5) und sind chronisch erkrankt. In meinem Bekanntenkreis war das der Fall – leider keine Einzelfälle. Ein regelmäßiger Booster kann daher nicht schaden. Die Folgen einer Infektion übertreffen weiterhin bei weitem die einer Impfung.
Das Buch

Das Buch ist im wesentlichen die Verschriftlichung des Podcasts. Als scharfer Kritiker ist mir bei der Erstlektüre aufgefallen, dass Long Covid nur einmal erwähnt wird, und zwar auf diesen beiden Seiten.
„Wichtig für mich war der Zeitpunkt, an dem man sagen konnte, dass es jetzt diese Solidarität mit den Schwachen nicht mehr braucht.“
Da hat Mascolo leider mangels Expertise nicht nachgehakt. Denn eine Lehre der Pandemie hätte sein können und müssen, dass mehr Solidarität mit Schwachen möglich ist, durch simple Handlungen wie krank zuhause zu bleiben, krank Maske zu tragen, bei Symptomen zu testen, bevor man unter Leute geht, speziell vor dem Besuch „schwacher“ Menschen. Allgemeine Reduktion von Krankheitslast durch mobile Luftreiniger (Li et al. 2025), wo mechanische Lüftungsanlagen nicht installierbar oder vorhanden sind (Altbauten), sowohl im Gesundheitswesen als auch in Bildungseinrichtungen. Ungeklärt und medial bis heute nie reichweitenstark thematisiert ist das Schicksal der sogenannten Schattenfamilien, also Menschen mit Vorerkrankungen, die es heute schwerer haben als vor der Pandemie, Verständnis für Infektionsschutz zu erhalten (siehe Martin Rücker, FAZ-Beitrag, leider Paywall).
Die Versorgung der Betroffenen wird hier etwas beschönigt „auch andere Uniklinken sind da sehr gut“ dargestellt. Es gibt sie weiterhin kaum. Im aktuellen Podcast erwähnte Drosten, dass es Fortschritte in der Therapie geben würde, zweifellos richtig, aber eine Untergruppe der LongCovid-Patienten, jene, die MECFS entwickelt haben, warten weiterhin auf eine Heilung und nicht nur Symptomlinderung. Sonst hat sich Drosten kaum zu Long Covid geäußert, weil das nicht seine Expertise sei. Einerseits für mich nachvollziehbar, er möchte kein epistemic trespassing betreiben wie umstrittene KollegInnen, die eine politische Agenda betreiben (jüngstes Beispiel für „upward failing“ ist das Bundesverdienstkreuz für Hendrick Streeck, der für die CDU Wahlkampf macht), andererseits war und ist Long Covid ein so bedeutsamer und gewichtiger Teil der Pandemie, dass man darüber mehr hätte recherchieren können. Das gilt sowohl für die Podcast-Betreiber „Jung und Naiv“, als auch für die beiden Buchautoren selbst.
Auf weitere Aussagen bin ich bereits in einer früheren Kolumne eingegangen. Für Kritik sorgten auch Aussagen wie sinngemäß „Corona muss zur Erkältung werden, daher muss sich jeder mehrfach damit infizieren„. Von saisonalen Coronaviren weiß man, dass es keine langlebige Immunität gibt, sondern man sich immer wieder anstecken kann. In den meisten Fällen verläuft die Infektion zwar unangenehm und mitunter langwierig, aber eher harmlos. Offenbar ist seine Hoffnung, dass durch wiederholte Antigenkontakte die Virusfolgen immer schwächer werden. Als akute Erkrankung betrachtet scheint diese Hoffnung einzutreffen, da die Anzahl der schweren Verläufe stetig zurückgeht. Für Long Covid nach Reinfektion sind die Studienergebnisse widersprüchlich, um es diplomatisch auszudrücken, anekdotische Evidenz bekräftigt eher das Gegenteil, also Spätfolgen durchaus auch erst mit der dritten, vierten oder fünften Infektion. Ich bin aber kein Immunologe und kann die Studien nicht seriös einschätzen.
Zur Aussage Ende Dezember 2022, dass die Pandemie nun vorbei sein würde, korrigierte er sich wenige Tage später, dass man das erst im Nachhinein beurteilen können würde. Kernargument war, dass das Virus nun nicht mehr auf eine immun-naive Bevölkerung treffen würde. Der Großteil der Bevölkerung war zu diesem Zeitpunkt bereits durchseucht. Reinfektionen häuften sich mit Omicron. Ich hab den Dok1-Beitrag „Die verschwundene Seuche“ im Herbst 2023 in einem Punkt zu Unrecht kritisiert, nämlich, dass die Pandemie nicht beendet sei. In einem ausführlichen Beitrag hab ich meine inhaltliche Korrektur erläutert: Die WHO konnte laut eigener Aussage keine Pandemie ausrufen und demzufolgen auch keine beenden. Die Pandemie endet zudem nicht nur medizinisch, epidemiologisch, sondern auch gesellschaftlich, politisch. Und das zu unterschiedlichen Zeitpunkten, spätestens dann, wenn für einen persönlich der Schrecken der Erkrankung nicht mehr vorhanden ist. Das kann objektiv falsch sein, ändert aber nichts daran, wie die Gesellschaft damit nun umgeht. Drosten verstehe ich nun so, dass er aus virologischer Sicht Recht hatte. Es sollten zwar neue Varianten folgen, aber keine Zunahme an schweren Verläufen mehr – weil die Hintergrundimmunität breit genug war. Long Covid wird als Einzelfall und nicht als Massenerkrankung gewertet – auch darüber lässt sich streiten – aber es spielt für die Frage, ob die Pandemie vorbei ist, (leider) keine Rolle mehr. Settele antwortete mir damals, dass für über 100 Gesundheitsminister weltweit die Pandemie beendet sei. Die WHO definierte das anders, aber unverbindlich. Erst mit der neuen Definition „pandemic emergency“ können sie einen pandemischen Notfall ausrufen und beenden – auf SARS-CoV2 trifft dieser nicht mehr zu.
Ich hab Drosten seine Aussage übelgenommen, weil viele Politiker, aber auch Vorgesetzte und Kollegen Pandemieende mit „Das Virus ist vorbei“ gleichgesetzt haben. Schutzmaßnahmen wurden inmitten einer Winterwelle abgeschafft, die nicht nur weitere CoV2-Infektionen verhindert hätten, sondern auch die starke Influenzawelle 2022/2023. Poor choice of wording – vielleicht, aber die Verantwortung tragen die Politiker, Journalisten und Behörden/Verantwortliche in den Betrieben – Don’t blame the messenger!