Methodische Erfassung schwierig und umstritten

Auf Social Media und auf seinem Blog analyisiert Immunologe Marc Veldhoen immer wieder kritisch neue Long Covid Studien – lesenswert!

Transparenzhinweis zum Artikel von Talpos:

Allgemein wird erwartet, dass LC immer seltener auftritt, weil …

  • durch zunehmende Bevölkerungsimmunität schwere Verläufe immer seltener werden (sinkende Hospitalisierungsrate) und das LC-Risiko dadurch abnimmt.
  • die Anzahl der Infektionswellen und damit die Reinfektionsgefahr abnimmt.

Positive Entwicklung, mit einem Aber:

  • Selbst geringe einstellige Prozentrisiken sind hohe Zahl an Betroffen.
  • Multimorbide Menschen gehören besser geschützt

Interpretation der Studien allgemein

Verschiedene Arten von Verzerrungen in der Wissenschaft(Auswahl)

Seriöse Studien haben am Ende des Artikels einen “Discussion”-Teil, wo explizit auf die Grenzen ihrer Erkenntnisse hingewiesen wird, z.B.

  • kleine Teilnehmerzahl
  • keine oder kleine Kontrollgruppen
  • homogene Teilnehmerzahl (z.B. nur Veteranen)
  • veraltete Situation wie Daten vor Impfkampagne und mit alten Virusvarianten
  • keine Erhebung der Situation vor der Erkrankung (MRT-Studien)
  • Zu kurzer Nachuntersuchungszeitraum
  • monozentrische Studien (nur in einem klinischen Zentrum, z.B. in einer Praxis)
  • Daten von schweren Verläufen werden verallgemeinert
  • “self reported” und Angehörigen-Daten bei Fragebögen
  • verschiedene Zeiträume, Studienpopulationen und Studiendesigns (Methodik)
  • verschiedene LC-Definitionen
  • sehr milde Verläufe zunehmend unterrepräsentiert, weil nicht mehr getestet wird (kann auch Kontrollgruppe betreffen)
  • Fehler bei Datenerhebung z.B., dass ein Ende einer Diagnose in einer medizinischen Akte nicht zwangsläufig bedeutet, dass die Erkrankung nicht mehr existiert [Anm: oder dass bestimmte Diagnosen gar nicht erhoben werden, weil nicht kodiert wird]
  • auch Kontrollgruppen können fehlerbehaftet sein, z.b., weil Personen mit Grunderkrankungen häufiger getestet haben, dann vergleicht man Kranke mit Kranken
  • in vitro wirksame Wirkstoffe müssen nicht zwangsläufig in vivo (beim Menschen) wirken, etwa gegen Infektion oder Long Covid

Wenn man Studien unkritisch teilt und etwa die Limitationen weglässt, besteht die Gefahr des Confirmation Bias, das heißt, nach Informationen zu suchen, die die eigenen Überzeugungen bestätigen – und das geschieht am häufigsten innerhalb einer Blase von Gleichgesinnten.

James Heathers: I Have Written You A Book On Forensic Metascience (14.02.25)

Anlassfall:

Zhang et al., Reinfection with SARS-CoV-2 in the Omicron Era is Associated with Increased Risk of Post-Acute Sequelae of SARS-CoV-2 Infection: A RECOVER-EHR Cohort Study (30.03.25 preprint)

Prof. Michael Fuhrer argumentiert folgendermaßen: Diese Studien erzählen uns nicht das, was wir denken.

Wenn wir den Zusammenhang zwischen einer Covid-Diagnose und nachfolgender Erkrankung studieren, stellen wir fest, dass Covid mit hunderten Erkrankungen in jedem Organ zusammenhängt, von PTBS bis Nierenerkrankung und Haarverlust (siehe z.B. Davis et al. 2021). Das sollte uns die Methodik hinterfragen lassen.

Die ‘falsche’ Interpretation dieser Studien ist, dass Covid in jedem Organsystem neue Erkrankungen entstehen lässt. Eine andere Interpretation ist, dass Vorerkrankungen, einschließlich undiagnostizierter Erkrankungen oder Neigung für bestimmte Erkrankungen eher zu einer Ansteckung führt oder zu schweren Verläufen (das heißt, Patienten, die häufiger das Gesundheitssystem aufsuchen und daher in der RECOVER-Studie aufscheinen, weil sie etwa Vorerkrankungen haben).

Wenn man größere Populationen betrachtet, gibt es kein generell erhöhtes Risiko z.B. von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen bei infizierten Personen, aber vor allem bei schweren Verläufen (Nielsen et al. 2024). Wenn jede Covid-Infektion das Risiko z.B. für Nierenerkrankungen oder Diabetes erhöht, sollte man das sehen. Es ist auch kein Alleinstehungsmerkmal von Covid. Bei Influenza gibt es nahezu identische Folgen bei 94 Erkrankungen in allen Organsystemen (Xie et al. 2024).

Plot von Michael Fuhrer – Große Varianz der Symptome, aber kein einzigartiger Fingerprint von PASC

Kontrollgruppe: Bestimmte Diagnosen kann man unmöglich Covid zuordnen, z.B. chronische Nierenerkrankungen, PTSD, GAD, Alzheimer, Reflux, etc – da diese Diagnosen über 30 Tage hinweg Bestand haben müssten, doch scheinen sie hier bereits nach 30 Tagen mit Covid/Influenza zusammenzuhängen (bei Alzheimer unmöglich).