Desinformation ist im Jahr 2024 eine Hydra geworden, bei der man sich entscheiden kann, entweder kontinuierlich zu widerlegen, was die wenigsten lesen („the first frame wins“), oder drauf zu scheißen und selbst gut zu informieren. In der öffentlichen Wahrnehmung geschieht Desinformation nur von den Rändern der politischen Landschaft, aber tatsächlich ist sie schon lange gesellschaftsfähig. Im deutschsprachigen Raum spielen Esoterik und nutzlose Medizin seit Jahrzehnten eine gewichtige Rolle. Homöopathie wurde nie hinterfragt, ebenso Osteopathie, orthomolekulare Medizin, Bioresonanz, Eigenblut- oder Stoßwellentherapie und diverse andere pseudomedizinische Therapien mit fragwürdigem Nutzen. Durch den Umgang mit der Pandemie wurden tragischerweise auch viele evidenzbasierte Werkzeuge und Therapien infragegestellt, etwa Impfungen bei Kindern, der Mythos Immunsystem trainieren mit der umstrittenen Hygiene-Hypothese, die Wirksamkeit von Masken gegen luftübertragene Infektionskrankheiten, aber auch die Notwendigkeit von Schutz der Patienten in Spitälern.
Virologe Steininger: „Ein Leben wie vor der Pandemie wird es nicht mehr geben.
Wir werden nicht mehr akzeptieren, dass jemand das Grippevirus in ein
Krankenhaus trägt.“ (DiePRESSE, 31.05.21)
Schlimmer, jetzt kümmert es niemanden mehr, wenn sich PatientInnen im Krankenhaus mit jedweder Infektionskrankheit anstecken. Die regelmäßigen Personalengpässe durch viele Krankenstände werden als naturgegebenes Schicksal hingenommen. Die Coronacluster auf Krebsstationen gehören jetzt dazu, aber Hauptsache, man darf seinen eigenen Luftreiniger nicht mitnehmen, weil es eine Keimschleuder sein würde (Verwechslung mit Umluft-Klimaanlagen).
„You can’t bring facts to a feelings fight.“ (McLoughlin et al. 2024)
ist eine düstere Schlussfolgerung, dass die aktuelle Welle der Desinformation und anti-wissenschaftlichen Parteienzuwächse und Regierungswechsel nicht mehr durch Faktenchecks und seriöse Berichterstattung alleine zu stoppen ist.
„Der ideale Untertan der totalitären Herrschaft ist nicht der überzeugte Nazi oder der engagierte Kommunist, sondern Menschen, für die die Unterscheidung zwischen Fakt und Fiktion, wahr und falsch, nicht mehr existiert.“ (Hanna Arendt)
Ich weiß auch kein Mittel dagegen, außer die Menschen dazu anzuregen, zu hinterfragen, woher ihre Informationen stammen. Es ist aber ein Wettlauf mit der Zeit, denn mit rechten Regierungen und Mediengleichschaltung wird es immer schwieriger, unabhängige Informationen anzubieten.
Stadt Wien mit großer Impfkampagne, aber ohne Covid
Ich dachte, ich sehe nicht Recht, als ich die Werbung der Stadt Wien auf Bluesky in meine Timeline bekam. Es wird gegen Influenza und HPV geimpft, aber SARS-CoV2 wird nirgends erwähnt – erst auf Nachfrage eines Users hieß es, dass stellenweise auch gegen Corona geimpft werden kann.
Ich erinnere an die kürzliche öffentlich signalisierte Bereitschaft der roten Stadtregierung, MECFS-Betroffene zu unterstützen – und wie ich das bereits in meinem Titel prophezeit habe, geschieht genau das: Reparaturmedizin soll unterstützt werden, aber keine Primärprävention – u.a. Corona-Infektionen verhindern und das Risiko für Spätfolgen senken, zu denen auch MECFS zählt. Das ist in sich nicht kongruent. Es erinnert an die Impfaktion in Niederösterreich, wo ebenfalls nur gegen Grippe, HPV (und Masern) geimpft wird, aber angeblich aus Platzgründen im Impfbus nicht gegen Corona – federfördernd hierfür ist die rote Gesundheitslandesrätin Königsberger Ludwig.
Machen wir der Bevölkerung doch bitte nichts vor: In Niederösterreich ist seit der rechtsextremen ÖVP-FPÖ-Landesregierung Werbung für die Corona-Impfung explizit verboten, in Wien scheißt sich die SPÖ wegen der Wahlen im Herbst 2025 bereits im vorauseilenden Gehorsam in die Hosen. Weil alles der FPÖ nutzen würde, die – je länger Corona namentlich erwähnt wird, desto länger auf einen irrationalen „feelings fight“ setzen kann, doch wenn man jetzt schon FPÖ-Politik umsetzt, was soll dann das ganze Gefasel von FPÖ verhindern wollen? Denn die FPÖ-Politik, Impfungen generell schlechtzureden, kostet Menschenleben.
Im Abwasser dominieren derzeit zu über 50% XEC und im Rest KP.3*-Varianten, die also alle die Immun-Escape-Mutation S31del aufweisen, und so vorhergehender Immunität gegen XBB/JN.1 (Wellen 2023) effektiver entkommen können. Mit anderen Worten: Eine Auffrischimpfung mit den aktuellen Boostern JN.1 und KP.2 ist absolut sinnvoll und es erscheint widersinnig, Millionen Impfstoffe zu bestellen, aber sie dann nicht zu bewerben und viele Impfdosen wegzuwerfen. So wird mittelfristig die Impfrate weiter sinken, und noch weniger bestellt werden.
ORF Kärnten: Corona bei Kindern nicht einmal erwähnt
Der Beitrag thematisiert lang und breit die steigenden Infektionszahlen bei Kindern, aber erst im letzten Absatz wird Corona erwähnt – wenn auch nicht im direkten Zusammenhang mit den Kindern und Jugendlichen. Auch der Kinder- und Jugendarzt Robert Birnbacher (LKH Villach) erwähnt Corona nicht. Dabei ist seit langem bekannt, dass SARS-CoV2 Diabetes 1 und 2 auslösen kann. Die Impfung verringert auch das Risiko vor einer Typ 2 Diabetes nach der Infektion (Kowall et al. 2023). Der Großteil der Kinder ist jedoch heute ungeimpft und steckt sich dafür wiederholt an. Wie kann man das als seriöser Kinderarzt nicht einmal thematisieren wollen?
Ö1-Beitrag zu Winterinfektionen, 28.11.24
Der Beitrag ist noch für kurze Zeit nachhörbar – befragt wurden Marcus Köller (Akutgeriatrie, Klinik Favoriten), Luzia Veletzky (Infektiologie MedUni Wien) und Christoph Wenisch (Infektiologie Klinik Favoriten).
Leider wurde im Beitrag nicht zwischen saisonalen Coronaviren und SARS-CoV2 unterschieden. Wenisch erläuterte das saisonale Maximum im Winter durch die Austrocknung der Schleimhaut, die an Dicke verliert und so die mechanische Anhaftung von Viren und Bakterien erleichtert (weswegen Schleimhäute befeuchten grundsätzlich sinnvoll ist), ebenso mehr Kontakte in Innenräumen und die Notwendigkeit, regelmäßig zu lüften. Außerdem würden wir jetzt – anders als in den ersten zwei Jahren nach der Pandemie – noch auf die Winterwelle warten. Das könnte an den Rhinoviren liegen. Bei der Infektion wird Interferon gebildet, das reicht nicht, um den Schnupfen wegzukriegen, aber um Corona zu verhindern (Anm.: siehe Wu et al., 2020; Greer et al. 2009, Dee et al. 2021, Cheemarla et al., 2021, Deleveaux et al. 2023).
Es wurde über schwere Verläufe und Vorerkrankungen geredet – Infektiologin Veletzky erwähnte, dass auch junge gesunde Patienten schwer erkranken können. Geriater Köller wies auf das Risiko von alten Menschen hin, die bei Bettlägerigkeit innerhalb von drei Tagen bereits 10% der relevanten Muskelmasse verlieren.
Wenisch informierte, dass die Multiplex-PCR-Tests, die über 30 verschiedene Viren und Bakterien erkennen können, nur dann angewendet werden, wenn es sich um schwere Verläufe und vorhandene Entzündungsmarker handelt. Bei postviralen Folgen sei etwa chronischer Husten bekannt, für das eine symptomatische Therapie notwendig sei. Post Covid wurde nicht erwähnt.
Übertragung von Infektionskrankheiten
Wir nähern uns dem kritischen Punkt: Veletzky erklärt zutreffend, dass Flugzeuge ein großes Risiko darstellen sich anzustecken, insbesondere mit Influenza, aber es stimmt auch für SARS-CoV2 und RSV. Köller ergänzte, dass eine Studie gezeigt hätte, dass durch die Luftzirkulation im Flugzeug die hinteren Reihen ein höheres Risiko hätten. Wenisch meinte, die HEPA-Filter in Flugzeugen würden zu selten getauscht und die Luft sei irrsinnig trocken.
So weit so klar. Luftübertragung von Infektionskrankheiten steht da mehr oder weniger deutlich zwischen den Zeilen. Moderatorin und Wissenschaftsjournalistin Marlene Nowotny fragt nach, ob man eine Maske tragen soll.
Wenisch: Das hält man acht Stunden lang kaum aus. Es würde ein Allerweltsmittel geben: Händedesinfektion. Das würde alle Infektionen um 11% reduzieren, hätte eine Studie gezeigt – er nennt aber keine Quellen (aus Infektiologenkreisen ist zu hören, dass es sich um eine Online-Fortbildung handelt). Bei Maske in Alltagssituationen sei das nicht gezeigt wurden, wunderbar gezeigt in Hochrisikosituationen.
Das ist natürlich ein Blödsinn, natürlich hält man das acht Stunden aus – von welchen Flügen und Zugfahrten reden wir hier? Innerhalb von Österreich wohl kaum und sonst betrifft es wenige Langstreckenflüge pro Jahr oder Jahrzehnt je nach Geldbörserl. Vernunftgesteuertes und aufgeklärtes Gesundheitspersonal hält es täglich so lange aus, eine Maske im Umgang mit Patienten aufzusetzen. Außerdem – was sind schon 11% Reduktion? Und warum sollte Hände waschen und desinfizieren effektiv gegen airborne Übertragung helfen?!
Wenn wir von Alltagssituationen sprechen, meinen wir in der Regel überschaubare Zeiträume: Einkaufen, öffentliche Verkehrsmittel in der Stadt, Arztbesuche.
Nowotny hakt nach: Lichtschalter, Handlauf, Schmierinfektion? Wenisch: Desinfektion auf die Hände in einem sozialen Kontakt.
Meine Blogleser wissen:
Für Tröpfchen- und Schmierinfektion gibt es keine direkten Belege. Das Risiko, sich über kontaminierte Oberflächen zu infizieren, wurde anfangs übertrieben (Goldman 2020).
Schmierinfektion spielt nur eine geringe Rolle: Mondelli et al. 2020, Port et al. 2020, Zhang et al. 2021, Rocha et al. 2021, Butot et al. 2022, Zhang et al. 2022, Pan et al. 2023, Sammartino et al. 2023, Matsui et al. 2024, Lin et al. 2024).
Zum Thema Krankenstand gab es ein paar wichtige Hinweise von allen:
Fieber sei ein Alarmzeichen, da würde er selbst mit Maske nicht arbeiten gehen, sagt Wenisch, aber ein fieberfreier Tag reicht und er schickt seine Kinder zurück in die Schule.
Dazu eine Anmerkung: Viele Infektionskrankheiten sind auch ohne Fieber hochansteckend oder nach Abklingen des Fiebers noch ansteckend. Wenisch selbst spricht danach von der Gefahr von fiebersenkenden Medikamenten, die damit auch die antivirale Abwehr unterdrücken, sodass sich Viren erst Recht im Körper ausbreiten (und Ansteckungsgefahr steigt) – so würde man erst Recht Kollegen im Büro anstecken (also kein Neocitran und Grippostad, und dann arbeiten!). Kinder sind natürlich auch noch ansteckend und so erzeugt man die Winterinfektionswellen durch Kindergarten und Schule. Das ist Fakt. Ich weiß aber, dass die meisten Eltern schlicht keine Wahl haben – sie müssen arbeiten gehen oder haben nicht unendlich Pflegefreistellungstage, um die Kinder zu betreuen. Ebenso gibt es Leistungsdruck in der Schule und wer öfter fehlt, hat Pech gehabt. Das ist also ein strukturelles Problem, was ich nicht den Eltern umhängen will. Was ich aber schon erwarten würde, sich dafür einzusetzen, dass die Kinder in den Schulen ein geringeres Ansteckungsrisiko haben (saubere Luft), statt das Gegenteil zu tun: Kinder nicht impfen und zu glauben, Infektionen seien notwendig.
Köller ergänzt: Ältere Menschen haben oft kein oder wenig Fieber, hier müsse man vorsichtig sein.
Zum Thema Prävention kam saubere Luft nicht mehr, bei den Impfehlungen wies Wenisch auf das Expositionsrisiko hin (viele Kontakte), Schwangere werden durch die aktive Impfung (Abrysvo) geschützt. Die monoklonalen Antikörper sind für Säuglinge u. Kleinkinder
Corona sei eine Herbstimpfung für Risikogruppen geworden – was erneut unterschlägt, dass Corona ganzjährig zirkuliert.
Sehr gut der Hinweis von Köller auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, nicht krank zum Dienst zu erscheinen.
Wenisch: In der Pandemie war Isolation/Quarantäne normal, heute dürfen Menschen überall hin, im Spital Auflage: sobald Symptome, herrscht Maskenpflicht – auch im regulären Arbeitsleben sei Arbeiten mit Maske in Ordnung. Dann erwähnt er leider erneut alkoholische Händehygiene für die Vorsorge (und mit 30 Sekunden mit Wasser gurgeln).
Zudem hätte man Testen erwähnen können, aber das gab die Dauer des Ö1-Beitrags wohl nicht mehr. In Summe ein paar gute, differenzierte Aussagen von allen, aber die Überbetonung der Händedesinfektion bleibt wohl hängen, und damit wird erneut die Fürsorgepflicht des Staats, die gesamtgesellschaftliche und wirtschaftliche Verantwortung, Innenräume frei von Viren, Bakterien und Allergenen zu machen, auf den Einzelnen abgewälzt – der mit Händedesinfektion leider nicht weit kommt, wenn es um „Winterinfektionen“ geht.