Credits: Randall Munroe, xkdc.com

In der zweiten Welle mit hoher Sterblichkeit gab der König von Schweden zu, dass das Land bei der Bewältigung der Pandemie versagt hätte und dass darunter alle leiden würden (BBC, 17.12.2020).

Die Pandemie in Schweden

Schwedische Timeline (unter “navigering” auf “nästa” klicken)

Epidemiologe Anders Tegnell zog frühzeitig Aufmerksamkeit für seine Strategie auf sich, Herdenimmunität über Durchseuchung zu erreichen. Daher blieben die Schulen offen und betagte Menschen in Pflege- und Altenheimen wurden euthanasiert. Offiziell begründete Tegnell die offenen Schulen damit, dass sonst die Arbeitskräfte fehlen würden. Später wurde behauptet, dass Schulen kaum zum Infektionsgeschehen beitragen würden. Auf die Frage, warum in Schweden im Vergleich zu anderen Ländern so viele Menschen an SARS-CoV2 gestorben sind, antwortete Tegnell so:

Der Impfstoff kam zu früh. Wenn es länger gedauert hätte, hätten die anderen Länder wahrscheinlich aufgeholt” (VI, 17.04.23)

Tegnells Gesundheitsbehörde sprach sich dagegen aus, mRNA-Impfstoffe einzukaufen und wurde von der Regierung überstimmt (Quelle). Tegnell spekulierte lange, wie Ausländer die Infektionen trieben, was jeden Schwedischen Antirassisten hätte provozieren sollen, doch die Medien gingen nicht darauf ein (Tweet).

Peinlich genau wurde deshalb darauf geachtet, dass auf den Intensivstationen stets genügend freie Betten zur Verfügung standen. Solange dies gegeben war, konnten Behörden und Regierung beschwichtigen und Kritik am schwedischen Sonderweg zurückweisen. (FOCUS, 11.10.20)

Bericht der schwedischen Gesundheitsinspektion IVO: In Pflegeheimen Göteborgs ließ man Covid-Patienten einfach alleine sterben, um Personal nicht anzustecken (03.02.21)

Analysen zum Schwedischen Sonderweg

Verbindung von Schwedischem Weg mit der Great Barrington Declaration

GBD-Vertreter haben der Bevölkerung erfolgreich eingeredet, dass es sich wie im roten Fall verhält.

Der „Schwedische Weg“ des ersten Pandemiejahrs erhielt im Herbst 2020 einen pseudowissenschaftlichen Anstrich unter der Bezeichnung „Great Barrington Declaration“ (GBD). Das wissenschaftliche und ethisch vertretbare Pendant dazu war das „John Snow Memorandum“.

GBD-Vertreter stammen aus der rechtslibertären Ideologie, oft mit Beziehungen zu Großindustriellen und neoliberalen Wirtschaftsvertretern.

Ihre Kernaussage lässt sich zusammenfassen mit:

Eine Pandemie lässt sich aus wirtschaftlicher Sicht am besten bewältigen, wenn die gesunde Mehrheit möglichst von Maßnahmen unbehelligt bleibt und die vulnerable Minderheit geschützt wird.“

Dieser Ansatz ist natürlich krachend gescheitert, was aber einerseits vertuscht wird und andererseits zu wenig interessiert.

  • Ein Thread von Maya Chavez zur Entstehung der GBD (12. Mai 2021)
  • Jay Bhattacharya, Mitgründer der Great Barrington Declaration, war mehrfach “Augenzeuge”-Experte, wenn es gegen Maskenpflicht und andere Covid-Maßnahmen ging (Thread, 24.10.21)
  • Great Barrington-Approach funktioniert nicht: Stoddard et al. (Preprint, 2023) – “This work also suggests the importance of public health interventions such as universal masking in essential venues and air quality standards to ensure individual freedom of choice regarding COVID-19.”

allgemeine Analysen zur Pandemiebewältigung

(wird noch überarbeitet, siehe Kapitel Prävention, No Covid)

weitere chronologische Erfassung

Schweden erzielte hohe Impfraten, mit durchschnittlich 2,7 Impfdosen pro Person. Dadurch gab es dort keine Zunahme an Herztoten oder Krebs allgemein.

Myth debunking by Jakob-Moritz Eberle

Der schwedische Weg führte unter anderem dazu, dass insb. in der Anfangsphase der Pandemie wenig bis keine Maßnahmen gesetzt wurden. Dies führte in einer Phase, in der noch keine Impfungen zur Verfügung standen, zur einer enormen Übersterblichkeit im Vergleich zu den skandinavischen Nachbarn:

Genauer gesagt, führte der Nicht-Schwedische-Weg in Norwegen und Dänemark sogar dazu, dass es in the Anfangsphase zu einer negativen Übersterblichkeit kam. Also, dass weniger Menschen starben, als statistisch anhand vergangener Jahre zu erwarten gewesen wäre.

Auch spezifisch bei COVID-19 Toten zeigt sich, dass in Schweden über den Zeitraum deutlich mehr Menschen gestorben sind als bei den skandinavischen Nachbarn.

Für diese Strategie hat schwedische Staatsepidemiologe viel Kritik geerntet, aus Brusselaers et al. 2022:

U.a. wird ihm und der Behörde für öffentliche Gesundheit vorgeworfen wissenschaftliche Einschätzungen von nationalen & internationalen Expert*innen zu Eindämmungsmaßnahmen als Extrempositionen diskreditiert zu haben. Durch die besondere Autorität von Tegnell in Schweden folgten Medien und Politik dann auch dieser Erzählung.

Außerdem wurde die Bevölkerung über zentrale Fakten wie Übertragungswege (Aerosole) und Maskenschutz im Unklaren gelassen. Bzw. wurden Gegenteilige Informationen verbreitet… Und das sind nur ein paar der gut belegten Vorwürfe in dem Fachartikel.

Unabhängig des Outcomes des #SchwedischenWegs handelt es sich hier moralisches Fehlverhalten höchster Stufe, das mit der wiss. Methode nichts mehr zu tun hat. Auch das sollte derzeit berücksichtigt werden, wenn Tegnell mit seinem neuen Buch durch die Medien kursiert.

Man würde sich auch wünschen, dass sich Journalist*innen besser vorbereiten. Denn Tegnell täuscht die Öffentlichkeit weiter, wenn er behauptet, dass #Herdenimmunität nie Teil seiner Strategie war. Dabei lügt er oder kann sich nicht mehr an seine eigenen Strategie erinnern.

Zahlreiche seiner Emails dokumentieren diese Strategie. Internationale Expert*innen beschreiben seine Strategie als solche. Ob er das nun selber nicht mehr so wahrhaben will… das ist nebensächlich.

Aber es gibt auch weitere kleinere Studien. z.B. hier: Der schwedische Weg führte 2020 zu erhöhter Sterblichkeit. Schätzungen zufolge hätten bis zu 4.411 Todesfälle mit einem verpflichtenden Lockdown vermieden werden können.

Und das sind alles nur Studien zu Todesopfern… Der Schwedische Weg hatte natürlich auch zur Folge, dass sich grundsätzlich mehr Personen angesteckt haben. Weitere Studien zeigen hohe Langzeitkrankenstandszahlen in Schweden (Abzhandadze et al. 2024).

Dass Absurde an der ganzen Geschichte ist ja auch, dass ein großer Unterschied zw. Schweden und vielen anderen europäischen Ländern u.a. jener ist, dass es in Schweden nicht einmal eine impfskeptische oder verschwörungsideologische Fundamentalopposition auf Parteiebene gab (Kulin and Sevä 2024).

Um als rechtspopulistische Partei die strategische Rolle der Fundamentalopposition einzunehmen, waren die Schwedendemokraten gezwungen eine Pro-Maßnahmen und Pro-Impfung-Haltung einzunehmen. Heißt, wenn wir über Länderunterschiede sprechen wolle, würde ich auch mal sagen, dass dieser diskutiert werden sollte.

Wer weiß, was in Österreich möglich gewesen wäre, hätte sich die FPÖ nicht sehr früh Bhakdi und Kollegen zugewandt. Von ServusTV ganz zu schweigen. Und es sollte nicht verwundern, dass Pragmaticus dieses Buch verlegt hat. Von vielen wissenschaftlichen Beiträgen wird außerdem grundsätzlich die Problematik thematisiert, mit welcher alleinigen Entscheidungsmacht Tegnell die COVID-Strategie in Schweden bestimmt hat. Da finde ich es derzeit recht witzig, dass gerade unter den Journalistinnen, die sonst immer kritisieren, dass man während der Pandemie zu wenig auf Sozialwissenschaften und zu sehr auf Virologinnen gehört hätte, gerade Tegnell so hoch gelobt wird.

Nach dem ich Zahlen, Publikationen und Emails erwähnt habe, möchte ich auch kurz noch auf etwas anderes Verweisen. Es gilt die Faustregel, wenn Verschwörungsideologen wie Jay Bhattacharya etwas toll finden, hast du etwas falsch gemacht.

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Siehe auch meine beiden Faktenchecks zu Tegnell und Schwedischer Weg sowie zu seiner Rolle bei der Great-Barrington-Declaration