Grundsätzlich gilt: Antivirale Medikamente helfen dann am besten, wenn sie möglichst früh nach Infektionszeitpunkt gegeben werden. Das ist aber genau das Dilemma. Unmittelbar nach Infektionszeitpunkt sind die Symptome noch nicht da (Inkubationszeit) und man weiß mangels Test nicht, dass man infiziert ist, und wenn die ersten Symptome da sind, neigen Patienten und Ärzte dazu, erst einmal abzuwarten, und erst, wenn es schlimmer wird, antivirale Medikamente zu verabreichen. Dann ist deren Wirksamkeit aber schon deutlich reduziert!
Für sonst gesunde, mehrfach geimpfte Menschen werden antivirale Medikamente derzeit meist nicht explizit empfohlen. Es wird angenommen, dass die Immunabwehr bei ihnen nach mehreren Antigenkontakten ausreicht, um das Virus zu bekämpfen.
Übersicht bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Deutschland
In Europa zugelassen
Paxlovid
Aktueller Stand in Rita Rubin (06.09.24)
Paxlovid besteht aus zwei Wirkstoffen: Nirmatrelvir gegen SARS-CoV2 und dem Wirkverstärker Ritonavir, der den Abbau von Nirmatrelvir hemmt (siehe Fachinformation). Paxlovid wirkt virostatisch, da es die proteinlösenden Virusenzyme hemmt, aber auch körpereigene Proteasen. Es beeinflusst damit aber auch den Metabolismus von vielen Medikamenten, darunter Immunsuppressiva, von Risikpatienten.
Durch diese Wechselwirkungen (siehe Wechselwirkungsrechner) ist der Kreis der Patienten, für eine Paxlovid-Einnahme infrage kommen begrenzt – in Österreich geltende diese Risikofaktoren als Indikation für Paxlovid-Therapie.
Ethnische Minderheiten mit Risikoindikation erhalten seltener Paxlovid als weiße US-Amerikaner (Xiao et al. 2024)
In Österreich sind Schnelltests für Risikopatienten beim Arzt ab Oktober gratis, ein ärztlich durchgeführter Test ist Voraussetzung für Paxlovid-Freigabe.
- eine frühzeitige Therapie (0-1 Tag nach Symptombeginn oder Diagnose) verringern Sterblichkeit und schwere Akutverläufe signifikant verglichen mit verzögertem Therapiebeginn (2 und mehr Tage), weshalb niederschwellige Tests und rasch verfügbare Medikamente essentiell sind (Wong et al. 2023).
- eine Verlängerung von fünf Tage (Standard) auf zehn Tage verringert das Auftreten von Rebounds mit erneuten Symptomen und/oder steigender Viruslast (Esmaeili et al. 2024, Nair et al. 2024)
- bei 20% der häufiger immunsupprimierten Patienten kommt es zu Rebounds mit erneuter infektiöser Viruslast (Edelstein et al. 2023), sonst liegt das Rückfall-Risiko laut Pharmakologe Markus Zeitlinger bei 4-10%
- als Prophylaxe nach der Exposition wurde kein signifikanter Nutzen in der Verhinderung einer symptomatischen Infektion gefunden (Hammond et al. 2024).
Wirksamkeit bei Mehrfachgeimpften mit maximal einem Risikofaktor
Anekdotisch werden die akuten Symptome gemildert, die Krankheitsdauer verkürzt und damit der Krankenstand.
- bereits in Pfizer-Presseaussendung (2022) mangelnder Nutzen für gesunde Menschen angedeutet
- keine Verbesserung hinsichtlich schwerer Verläufe gegenüber einem Placebo (Hammond et al. 2024).
Wirksamkeit bei Kinder und Jugendlichen
- bei milden Verläufen verringerte Risikoreduktion für schwere Komplikationen über einen Zeitraum von 28 Tagen nachgewiesen (Wong et al. 2024)
Wirksamkeit bei hospitalisierten und Risikopatienten
- Bei hospitalisierten 65+ und 3fach geimpften Patienten ausgeprägter Effekt nachweisbar (Wang et al. 2024)
- Effektive Wirksamkeit gegen Hospitalisierung/Tod bei Risikopatienten (Cha-Silva et al. 2024 systematic review)
Wirksamkeit gegen Spätfolgen
Das Medikament verhindert bei rechtzeitiger Gabe die Virusvermehrung im Körper. Zahlreiche Studien legen nahe, dass ein Teil der Longcovid-Symptome durch andauerndes Virus im Körper entstehen (Chertow et al. 2021, de Melo et al. 2021, Swank et al. 2022, Peluso et al. 2023, Proal et al. 2023, Peluso et al. 2024, Zuo et al. 2024, Yu et al. 2024). Eine rasche Beseitigung des Virus senkt das Longcovid-Risiko (Herbert et al. 2024), was grundsätzlich einmal für eine breite Paxlovid-Einnahme sprechen würde.
- verringert bei älteren Menschen (Durchschnittsalter 66) das Auftreten von Thrombosen und Lungenembolien, hat sonst aber kaum Verringerung der meisten LongCOVID-Symptome zur Folge. (Ioannou et al. 2023)
- protektiven Effekt gegen kognitive Beeinträchtigungen (Preiss et al. 2024 preprint)
- Verringerung des Risikos für LongCovid-Symptome (Ganatra et al. 2022, Xie et al. 2023, Liu et al. 2023, Jiang et al. 2024)
- keine Verringerung von Long-Covid-Symptomen in einer großen Kohorte (n = 988) während der BA.2/BA.5-Variante, vorwiegend Geimpfte, nicht hospitalisierte Personen (Durstenfeld et al. 2024)
Metformin
Bei einem BMI über 30 oder Diabetes in der Familie kann man Metformin andenken (Bramante et al. 2023), es hemmt die Glukosebildung, durch den reduzierten Stoffwechsel des infizierten Gewebes reproduziert auch das Virus schlechter (Wiernsperger et al. 2022). Die Viruslast wird deutlich reduziert, das Hospitalisierungsrisiko gesenkt. Rebounds kommen seltener vor als mit Paxlovid. Auch das LongCOVID-Risiko wird gesenkt. (Bramante et al. 2024).
Anwendung: 500mg am ersten Tag, dann 2x täglich 500mg am 2-5. Tag, dann 500mg morgens und 1000mg abends bis Tag 14.
Diabetes-Medikament! Bitte keine Hamstervorräte anlegen, Diabetiker brauchen dieses Medikament dringender!
International
Xocova (Ensitrelvir)
Bei schweren Verläufen (wo Remdesivir nicht anschlägt), unabhängig von Risikofaktoren und Impfstatus einsetzbar, evtl. Vorbeugung von LongCOVID-Symptomen, verkürzt Symptomdauer um durchschnittlich einen Tag (Yotsuyanagi et al. 2024) – bisher nur in Japan zugelassen.
Simnotrelvir
Bei milden Verläufen, verkürzt symptomatische Phase, bisher nur in China zugelassen – unklar, ob die Wirksamkeit verallgemeinert werden kann. in China gab es bisher vergleichsweise weniger Antigenkontakte als in den anderen Ländern, die die Durchseuchungsstrategie gefahren sind.
Im Entwicklungsstadium
ML2006a4 (Boceprevir)
Entstanden aus dem Hepatitis-C-Virus-Protease-Inhibitor Boceprevir, zeigt robuste antivirale Aktivität in vitro und in Mäusen und könnte oral verabreicht werden (Westberg et al. 2024)
Ibuzatrelvir
Paxlovid hat nur begrenzte Stoffwechsel-Stabilität, weshalb Pfizer einen neuen Inhibitor entwickelt hat. Der neue Wirkstoff braucht kein zusätzliches Ritonavir – der Grund für häufige Kontraindikationen (Brewitz and Schofield 2024), denn Ritonavir verstärkt die Plasmawerte von zahlreichen Medikamenten über die therapeutischen Grenzen hinweg, es ist außerdem für den metallischen Geschmack verantwortlich. Eine Phase 2b-Versuch war erfolgreich – Ibuzatrelvir zeigt robuste antivirale Wirkung und verringert statistisch signifikant die Viruslast am dritten und fünften Tag.
Weitere Studien
- Franchini et al., Avoided and avoidable deaths with the use of COVID-19 convalescent plasma in Italy during the first two years of pandemic (12.08.24 preprint)
- Shepard et al., PI3Kγ inhibition circumvents inflammation and vascular leak in SARS-CoV-2 and other infections (03.07.24)
- Knoll et al., The life-saving benefit of dexamethasone in severe COVID-19 is linked to a reversal of monocyte dysregulation (03.07.24)
- Focosi et al., COVID-19 therapeutics (Review, 21.05.24)
- Elias et al., Viral clearance as a surrogate of clinical efficacy for COVID-19 therapies in outpatients: a systematic review and meta-analysis (03.04.24)