
Vor fünf Jahren erklärte die WHO den Ausbruch des neuartigen Coronavirus zur globalen Pandemie (Cucinotta and Vanelli 2020). Nachdem ich die letzten Tage und Wochen wieder einmal damit verbracht habe, Verklärungen und Falschaussagen zur Pandemie richtigzustellen, möchte ich es heute mit Faktenchecks belassen und stattdessen in Erinnerung rufen, wie die Pandemie tatsächlich abgelaufen ist, welche Fehler in der Kommunikation gemacht wurden, aber auch viele Menschenleben die Maßnahmen gerettet haben – worauf kaum eingegangen wird. Es wird auch nie die Frage gestellt, ob man weitere Todesfälle und schwere akute und chronische Krankheitsverläufe hätte vermeiden können. Spätfolgen wie Long Covid und MECFS werden immer losgelöst von der Maßnahmenpolitik betrachtet, als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun.
Im ersten Teil möchte ich auf den Verlauf der Pandemie mit Schwerpunkt Österreich eingehen. Im zweiten Teil spreche ich über Versäumnisse in der Gesundheitskommunikation, im dritten Teil geht es über Spätfolgen von Virusinfektionen und im vierten Teil über Lehren für die Zukunft.
Vorab: Ein solcher Rückblick kann niemals vollständig sein. Es werden mehr oder weniger wichtige Details und Ereignisse zwangsläufig ausgelassen. Ich würde es aber als Leitfaden sehen, entlang dem sich die Pandemie entwickelt hat.
Teil 1 – Der Ablauf der Pandemie
Übersicht Virusentwicklung ab Herbst 2021 bis März 2025

Das Um und Auf für seriöse Lehren ist eine faktengetreue Erinnerung an den Ablauf der Geschehnisse. Am 30. Dezember 2019 meldete das öffentlich zugängliche Überwachungssystem ProMED ein neuartiges Virus, das mit schweren Lungenentzündungen einherging.
Am Anfang der Pandemie wussten chinesische Wissenschaftler bereits sehr viel über die Eigenschaften des Virus. Warum? SARS-CoV2 war zu 96% identisch mit SARS, dem epidemischen Virus von 2002/2003, das zum Glück rasch eingedämmt werden konnte. So wusste man, dass nach 15 Jahren immer noch 30% der SARS-Erkrankten unter Spätfolgen litten. Das chinesische Gesundheitssystem ist auf Vorsorge ausgerichtet, nicht auf Akutmedizin – deswegen wählte man den ZeroCovid-Ansatz. Die chinesischen Wissenschaftler wussten früh, dass das Virus präsymptomatisch übertragen wird und Luftübertragung möglich ist. Ebenso wusste man, dass Kinder das Virus übertragen können und in wenigen Fällen (11. März 2020: 6 von 366 Kindern) auch schwer erkranken, selbst ohne bekannte Grunderkrankungen. Zur multisystemischen Eigenschaft und Spätfolgen hatte man ebenfalls ab März schon erste Studienergebnisse. In Österreich sollten die Erkenntnisse erst Wochen bis Monate später bekannt werden.
Am 9. Jänner hat das Early Warning and Response System der EU (EWRS) erstmals gewarnt – die Meldungen dazu erhielten abwechslung Bernhard Benka und Franz Allerberger.
Am 23. Jänner wurde ein Bauunternehmen mit dem Projekt beauftragt, zwei Notkrankenhäuser innerhalb von zwei Wochen in Wuhan aus dem Boden zu stampfen – „Huoshenshan“ und „Leishenshan“, mit jeweils rund 1000 Betten. Spätestens jetzt war klar: Das Virus infizierte zehntausende Menschen und verbreitete sich weiter. Die WHO rief den Internationalen Gesundheitsnotstand aus (PHEIC).
2020
In Deutschland war der Patient Null ein Mitarbeiter bei einem Autozulieferer, der sich bei einer Kollegin aus China angesteckt hatte, die im Rahmen einer Dienstreise vom 19.-22. Jänner 2020 nach Bayern kam.
In Italien soll es die ersten infizierten Personen laut einer Seroprävalenzstudie bereits im September 2019 gegeben haben. Sie lebten in Regionen, wo die Pandemie begann. Offiziell wurden die ersten Fälle am 30. Jänner 2020 identifiziert: Es handelte sich um zwei Touristen aus China. (Apolone et al. 2020).
Das Epizentrum des Ausbruchs in Italien war die Lombardei. Der erste Fall wurde am 18. Februar in Codogno registriert. Bis Mitte Mai stieg die Zahl der Fälle auf über 220 000 an, davon stammten 37% aus dieser Region. Das Champions-League-Fußballspiel am 19. Februar zwischen Atalanta und Valencia war als Superspreading-Event entscheidend (Sassano et al. 2020).
Am 28. Februar 2020 traf sich der Beraterstab der österreichischen Bundesregierung das erste Mal und war sich rasch einig, dass ein striktes Containment (ZeroCovid) nur in totalitären Regimen möglich war. Sie entschieden sich für eine Strategie, die später weltweit unter „flatten the curve“ bekannt werden sollte: Das Infektionsgeschehen soweit einzudämmen, dass die Spitäler nicht überlastet werden, bis ein Impfstoff zur Verfügung steht. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung ging auch Wien diesen Weg. Er war nicht so streng, weil sie auf Vermeidung von Infektionen oder Longcovid gesetzt hätten, sondern weil Wien als 2-Millionen-Stadt viele große Spitäler konzentriert und sich das Virus schneller ausgebreitet hätte.
Superspreading-Ereignis in Ischgl
Beim Pandemierückblick geflissentlich übersehen wird der unrühmliche Anteil Österreichs in der Beschleunigung der Pandemie. Der ÖVP-Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg wies jede Kritik von sich: „Die Behörden haben alles richtig gemacht“ war seine wiederholte Antwort damals in der ZiB2 (16.03.20).
„At the local level—eg, in a small village that relies on tourism as the main source of income—conflicts of interest could represent an insurmountable barrier for implementing appropriate outbreak controls.“
(Schmid et al. 2004 in Zusammenhang mit einem Legionellenausbruch in Österreich)

Von den 16000 bestätigten Fällen bis Mitte Mai stammte ein Fünftel aus Tirol. Der erste Fall wurde am 25. Februar in Innsbruck registriert. Am 5. März wurde Ischgl von Island zum Risikogebiet erklärt. Bis 8. März ergaben Norwegens Testergebnisse, dass 491 seiner 1198 Fälle aus Tirol stammten. Trotz der frühen Warnungen ging der Skibetrieb in Ischgl für neun Tage weiter. Seilbahner und ÖVP-Landeshauptmann Platter argumentierten am 10. März gegen ein vorzeitiges Saison-Aus. Erst am 13. März wurde Ischgl unter Quarantäne gestellt. Es brach ein Abreisechaos aus und viele Urlauber flohen ohne Kontrolle in ihre Heimatländer. Am gleichen Tag erklärte das RKI Ischgl als Hochrisikogebiet. Eine Studie ergab, dass Ischgl zwar das Epizentrum für die Infektionsketten war, nicht aber über die Sterblichkeitsraten. Der Lockdown in Deutschland hatte die weitere Ausbreitung des Virus gestoppt (Felbermayr et al. 2021).
Für Deutschland war der unglückliche Zufall das gleichzeitige Karnvealstreiben (Stichwort: Heinsberg) in den westdeutschen Bundesländern. Dicht besetzte Après-Ski-Bars, Lokale und geteilte Unterkünfte waren ebenso ideale Verbreitungsorte wie die Faschingsanlässe – an beiden Orten wird viel Alkohol getrunken, die Lautstärke ist erhöht, die Aussprache feucht, die Hemmungen, dicht aneinander zu rücken, fallen. Ideal für Aerosol-Übertragung. In Ischgl kam erschwerend hinzu, dass die Kellner Trillerpfeifen verwendeten, um sich Platz zu verschaffen. Intensiver infektiöser Aerosol-Ausstoß also, der die Ausstoßgeschwindigkeit einer FFP2-Maske mit Ventil noch einmal übertraf.
Am 24. August 2023 wurden alle Klagen gegen Ischgl eingestellt.
Aufgrund der Bilder aus der Lombardo (Bergamo) änderte sich in Österreich bereits das Verhalten in der Bevölkerung. Man hielt mehr Abstand und desinfizierte sich häufiger die Hände. Viele Expertinnen und Experten hielten zu diesem Zeitpunkt die Influenza für gefährlicher als Corona (Allerberger, Apfalter, Graninger, Weiss, Greil, Steininger) und warnten vor überschießenden Ängsten.
Der erste Lockdown (16. März bis 01. Mai 2020)

Nachdem erste Großveranstaltungen bereits abgesagt wurden, wuchs der Druck aus den skandinavischen Ländern für einen strengen Lockdown in Tirol. Am 16. März wurde in ganz Österreich ein Lockdown ausgerufen. Die FPÖ wollte damals ähnlich strenge Regeln wie in Italien mit echten Ausgangssperren (Presseaussendung, 13.03.20). Die Grünen reklamierten die Ausnahmegründe hinein („Es gibt nur vier Gründe, das Haus zu verlassen„), um das psychische Befinden miteinzubeziehen. Flüchtlingen wurde allerdings suggeriert, es würde eine Ausgangssperre geben. Ich arbeitete in der Schicht – wir stellten auf feste Teams um, um Kontakte zu reduzieren. Ich musste weiterhin in die Arbeit fahren, durfte öffentliche Verkehrsmittel aber nicht für die Freizeit benutzen. Alle mit Auto und (Zweit-) Wohnung mit Grün in der Nähe waren im Vorteil. Es hat länger gedauert, bis ich über diese Ungerechtigkeit hinwegkam.

Meine eindrücklichste Erinnerung war eine Radfahrt ein paar Tage später auf die Praterallee. Polizeiautos trieben die Gruppen auseinander. Über dem Prater kreisten Hubschrauber. Ich bretterte mit dem Rad den Reitweg entlang, was eine Frau mit „He! Das ist der Reitweg!“ erbost quittierte. Ich wollte nur weg von dem Lärm und den kriegsähnlichen Szenen und fuhr so tief in den Auenwald hinein, bis ich ein paar Minuten lang alleine war.
Wir lernten uns im Lockdown rasch zu organisieren. Die ersten Bestellservices wuchsen aus dem Boden. Homeoffice und Kinderbetreuung wurden für viele zu einer Belastungsprobe. Gleichzeitig lernten manche schätzen, ihre Kinder so häufig zu sehen wie nie zuvor. Besonders belastet waren finanziell prekär lebende Großfamilien, auf engem Raum, oft ohne eigenes Arbeitszimmer, oft ohne die nötige technische Ausrüstung. Schulkinder mussten dem Unterricht am Handy folgen, weil sie kein Tablet oder Laptop hatten. Es gab die ersten Hauspartys von Jugendlichen, die so den Lockdown umgingen, aber auch die Garagen- und Hinterzimmerpartys von Erwachsenen, die damit ein schlechtes Vorbild abgaben. Am Land fiel das zentrale Gasthaus im Ort als sozialer Klebstoff weg, wohl auch daher die Versuche, die Lockdownregeln zu umgehen bzw. die Kritik an den Maßnahmen. Zudem hatten viele Dorfbewohner den Eindruck, das Virus wäre nur in der Stadt und das Land sei gefälligst sicher gewesen.
Im April kam die Maskenpflicht, anfangs wurden Stoff- und OP-Masken getragen, die weit weniger wirksam sind als FFP2-Masken, aber letztere wurden für das Geundheitspersonal gebraucht und und außerdem herrschte die irreführende Vorstellung, dass das Virus über große Spucktropfen übertragen werde.
Ende April, kurz vor Ende des Lockdowns, warnt Virologe Drosten in der ZiB2 vor einer Winterwelle und erneutem Lockdown. Auch Krammer warnt im Kurier vor einer zweiten Welle mit „großer Wucht“, die zu einer größeren Verteilung führt und schlechter einzudämmen sei als in den Skigebieten im März. Im Mai werden die ersten Rufe laut, die Maskenpflicht wieder zu lockern. Gleichzeitig gab es weitere Warnungen vor einer zweiten Welle (Infektiologe Burgmann, 08.05., Drosten und Popper, 08.05., WHO 18.05., Greil 22.05.). Sie alle weisen daraufhin, dass die Immunität in der Bevölkerung nach der ersten Welle zu gering sei, um weitere Wellen zu verhindern. Infektiologe Wenisch forderte die komplette Öffnung der Schulen, weil Kinder für die Übertragung vermutlich nur eine geringe Bedeutung haben würden. Eine Studie der Berliner Charité kam hingegen zum Schluss, dass Kinder genauso ansteckend wie Erwachsene sein könnten. AGES-Epidemiologin Schmid hatte bereits Anfang Mai eingeräumt, dass viele infizierte Kinder übersehen werden könnten, weil die Infektion bei ihnen häufig asymptomatisch verlaufe.
Das Präventionsparadoxon
Am 13. Juni teilte Bundeskanzler Kurz via Facebook mit:
„Nachdem wir die gesundheitlichen Folgen der Krise
überstanden haben, müssen wir jetzt angesichts der Weltwirtschaftskrise die
Konjunktur in Österreich wieder ankurbeln […]“
In der Folge wurde am 15. Juni die Maskenpflicht aufgehoben – ein verhängnisvoller Fehler, suggerierte er doch, dass die Gefahr überstanden sei.

Mir fiel damals auf, dass die das exponentielle Wachstum auf zunächst niedrigem Niveau gerade da begann, wo die Maskenpflicht gelockert wurde (Blogeintrag am 04. Juli: „Die letzten Öffnungsschritte waren ein Topfen“)
Nachdem vielfach nur symptomatische Personen getestet wurden, gab es eine hohe Dunkelziffer an unerkannten Infektionen im ersten Pandemiesommer. Wie hoch, lassen die nachgemeldeten Todesfälle vom 20. April 2022, bezogen auf den Zeitraum Sommer 2020, erahnen:

Insbesondere in Wien und Vorarlberg schienen etliche Todesfälle nicht auf. Mit der damaligen Sterblichkeitsrate kann man auf die tatsächliche Inzidenz zurückrechnen, die entsprechend deutlich über den registrierten Fällen lag – der ruhige Sommer 2020 war also offenbar gar nicht so ruhig wie lange gedacht.
In Salzburg gab es im Juni das Rotaryclub-Superspreading-Ereignis. Dabei hatte sich auch eine Person infiziert, die zehn Meter von der Index-Person entfernt stand. Zahlreiche ExpertInnen warnten vor zu sorglosem Umgang mit dem Virus. Wenn die Fallzahlen mit Beginn des Herbsts zu hoch waren, bestand die Gefahr, mit dem Contact Tracing nicht mehr nachzukommen und die Kontrolle zu verlieren. Im Juli erschütterte der Coronacluster in St. Wolfgang erneut den naiven Glauben der Politiker, dass die Pandemie bereits überstanden sei. Selbstverständlich hätte man da nicht einmal auf die heimischen Fallzahlen schauen müssen, es genügte ein Blick in die Nachbarländer, wo die Fallzahlen teilweise im Sommer stark anstiegen. Im August warnte die Deutsche Gesellschaft für Virologie in einer Stellungnahme davor zu glauben, „dass Kinder keine Rolle in der Pandemie und in der Übertragung spielen. Solche Vorstellungen stehen nicht im Einklang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen.“
Bürgermeister Ludwig (Wien) sammelte Pluspunkte bei der Bevölkerung durch die Verteilung von Essensgutscheinen, um die Gasthäuser zu unterstützen. In Großbritannien gab es eine ähnliche Aktion, die Wissenschaftler später als fatal kritisierten – dadurch seien 45000 Personen gestorben. Das Programm hätte die Öffentlichkeit dazu angeleitet, ein epidemiologisches Risiko einzugehen. Besser wäre es gewesen, man hätte der Branche einfach das Geld überwiesen.
In seltener, einzigartiger Klarheit wies Infektiologe Allerberger beim ZiB2-Interview am 19. August auf die Spätfolgen von Covid19-Infektionen hin. Sie könnten sehr viel schwerer und wesentlich öfter als bei Grippe auftreten, auch mildere Verläufe könnten Dauerschäden an den Organen verursachen, die mitunter jahrelang anhalten könnten. Im gleichen Interview stritt er jedoch den Nutzen der Maskenpflicht ab. Public-Health-Mediziner Sprenger war sich im Ö1-Journal vom 22. August sicher, zu einer Überforderung der Krankenversorgung wird es mit hundertprozentiger Sicherheit nicht kommen.
Ich war im gleichen Zeitraum für zwei Nächte in einem Zimmer der Edelrautehütte einquartiert. Die Wirtin hatte es bis ins Fernsehen geschafft für ihre vorbildlichen Sicherheitsvorkehrungen – mit niedrigen Holztrennwänden in den Lagerplätzen. Zu dem Zeitpunkt wusste ich bereits, dass das Virus über Aerosole übertragen wird. In einem Schlaflager herrschte oft stickige Luft, da brachten Trennwände herzlich wenig. Maske trug drinnen keiner mehr. Ich frühstückte am zweiten Tag draußen und aß dort auch zu Abend.
Ende August verkündete Bundeskanzler Kurz in einer Rede an die Bevölkerung: „Es gibt schön langsam Licht am Ende des Tunnels“ und glaubte, dass bereits im folgenden Sommer die Bevölkerung „zurück zur Normalität“ könnte.
Im September stiegen die Infektionszahlen mit den Reiserückkehrern und Schulbeginn deutlich an. Während die Pseudoexperten weiterhin das Narrativ von Kindern, die keine Rolle im Infektionsgeschehen spielen würden, verbreiteten, sagte der Chefberater von Trump I, der Immunologe Anthony Fauci am 18.09. in einem Tweet, dass Kinder laut einer südkoreanischen Studie das Virus so leicht an Erwachsene weitergeben konnten wie Erwachsene untereinander.
Am 18. September kam die berüchtigte Pressekonferenz der „Labor-Tsunami“-Experten, darunter Apfalter, Allerberger, Sprenger, Weiss, Niedermoser und Gattringer. Kinder unter 10 Jahren sollten nicht getestet werden. Sie wollten weg vom anlasslosen Testen und nur symptomatische Patienten beim Hausarzt testen.

Während Kanzler Kurz bereits am 13. September davon sprach, dass Österreich „definitiv“ am Beginn einer zweiten Welle stehe, war Gesundheitsminister Anschober noch am 21. September „zuversichtlich„, nicht in eine zweite Welle zu kippen. Fakt ist, dass das expontentielle Wachstum da bereits bestanden hatte, und mit Verzögerung machte sich dann der Schulbeginn bemerkbar.
Epidemiologe Lauterbach warnte mit Verweis auf die katastrophalen Folgen der Durchseuchung in Brasilien in einem Tweet davor, Herdenimmunität über diesen Weg erreichen zu wollen. „Der Ansatz wäre unethischer Darwinismus. Neben den Toten gäbe es ein Volk voller Longcovid Dauergeschädigter.“ Brasiliens rechtsextremer Präsident Bolsonaro war im April und Mai vom schwedischen Epidemiologen Tegnell beraten worden. Die Folge der Durchseuchung war aber nicht die versprochene Herdenimmunität, sondern die pathogenere Immunflucht-Variante Gamma gegen Jahresende, neben Delta eine der gefährlichsten „Variants of Concerns“ der Pandemie (Zimmerman et al. 2022).
Am 25. September kam es zu einer Änderung im Epidemiegesetz, demnach wurde als Zusatzkriterium die aktuelle Auslastung der Normal- und Intensivstationen eingefügt. Sie waren zu diesem Zeitpunkt bereits mehr Haupt- als Nebenkriterium. Die Regierung unterlag dabei aber einem folgenschweren Irrtum und sollte diesen noch mehrfach wiederholen. Virologin Eckerle fasste das bei Maybrit Illner am 9. Oktober treffend zusammen:
„Wenn ich nach den Intensivbetten-Zahlen schaue und dann Maßnahmen
treffe, treffe ich die Maßnahmen, die ich vor einem Monat hätte treffen
müssen.„
Deswegen lag das Hauptkriterium in Ländern mit vorausschauender Pandemiestrategie bei den Infektionszahlen und nicht bei den Intensivbettenbelegungen.
Anfang Oktober antwortete Intensivmediziner Gustorff mit einem Leserbrief auf einen Presse-Artikel von Köksal Baltaci, der behauptet hatte, dass das Virus für den Großteil der Bevölkerung relativ harmlos sein dürfte und bei jungen gesunden Personen würde die Impfung nicht eilen. Er berichtete hingegen von jungen, gesunden schwangeren Frauen, die tagelang künstlich beatmet werden mussten, auch viele gesunde junge Männer würden auf die Intensivstation kommen.
„Wir sollten die Bevölkerung warnen und endlich die Wahrheit über diese Krankheit erzählen“
In der Erinnerung gerne verdrängt wird der enorme Einfluss der politischen Wahlen auf das Pandemiemanagement. Einer der wesentlichen Gründe für die Verzögerung des zweiten Lockdowns war die Wien-Wahl am 11. Oktober. In der Elefantenrunde davor haben alle Spitzenkandidaten einen zweiten Lockdown ausgeschlossen, nur Birgit Hebein von den Grünen nicht. Das Ergebnis: Ludwig entschied sich gegen eine Fortsetzung der Koalition mit den Grünen und für die NEOS. Im Laufe des Oktobers behauptete Epidemiologin Schmid, dass man mit dutzenden Haushaltsclustern zu tun habe, aber nicht wissen würde, wie das Virus in den Haushalt hineinkäme.
Parlamentarische Anfrage: Wenn eine Person im Umfeld ARBEIT infiziert wird und daraufhin im HAUSHALT weitere Personen infiziert, werden letztere als Ansteckungen im HAUSHALT geführt?
Das Gesundheitsministerium: Ja.
So konnte man Ansteckungen im Schul- oder Gastronomiebereich natürlich verschleiern. Am Montag, 2. November, dem letzten Abend vor dem zweiten Lockdown nutzten zahlreiche Menschen noch einmal die Gelegenheit zu einem letzten Lokalabend – und sorgten damit zynischerweise erst recht für weitere Infektionsketten. In einer obrigkeitshörigen Gesellschaft war es nicht begreiflich zu machen, dass man sich auch vorausschauend vernünftig verhalten konnte. Die mangelnde Vernunft nutzte ein Attentäter aus – der Terroranschlag in Wien forderte vier Menschenleben. Im Umkreis des Anschlags saßen die Lokalbesucher teils für Stunden noch in den Lokalen fest. Auch dabei dürften sich weitere Menschen angesteckt haben. Der Anschlag hat damit wahrscheinlich mehr Opfer gefordert als durch die Hand des Attentäters selbst.
Der zweite Lockdown: 03.11. bis 6.12.20
Der zweite Lockdown gliedert sich in zwei Abschnitte: Einem „Lockdown light“ bis 16.11. und einem strengeren Lockdown bis zum Nikolaustag. Verglichen mit dem ersten Lockdown gab es nun aber viele Ausnahmen, in den Schulen wurde Notbetreuung angeboten. Für mich war die wichtigste Ausnahme, dass ich zu Freizeitzwecken die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen durfte. Der Fehler war zu glauben, ein schwächerer Lockdown würde ausreichen, doch zeigten die Modellberechnungen bald, dass die Spitäler mit den vorhandenen Maßnahmen überlastet werden.
Die NEOS starteten eine Petition für offene Schulen, verwiesen dabei auch auf Tegnell und das Paper von Ludvigsson (Mai 2020), wonach Schulen keine Rolle spielen würden. Ludvigsson war Great-Barrington-Unterzeichner und hatte gelogen, es gab tatsächlich mehrere Schulausbrüche in Schweden. Auch die Epidemiologin und SPÖ-Vorsitzende Rendi-Wagner verwies auf Ludvigsson.
Mitte November kündigte Kurz plötzlich einmalige Massentests an in ganz Österreich an. Ohne unmittelbar nachfolgende Wiederholung blieben sie aber nutzlos. Anfang Dezember wurde erneut gelockert, um das Weihnachtsgeschäft zu ermöglichen. Gleichzeitig gab es anonyme Berichte an TV-Sender über die Dramatik in den Spitälern:
„Die Wahrheit ist: Wir sind seit Wochen in der vollen Triage, und es wird jeden Tag
enger. Jeder kann sich das selbst ausrechnen: Ein Drittel der Intensivbetten im Land sind nun mit Covid-Patienten belegt. Intensivbetten sind auch sonst zu bis zu 80 Prozent ausgelastet. Jeder kann erkennen, dass sich das nicht ausgeht. Trotzdem wird da draußen gesprochen, als wären wir gerade erst am Limit, und nicht schon lange darüber hinaus.“
Entgegen den offiziellen Beteuerungen kam es also zur Überlastung in den Spitälern – die Regierung hatte zu spät gehandelt. Abzulesen ist das auch an der hohen Übersterblichkeit.
Anschober hatte Anfang Dezember ein Spital besucht und mit Personal gesprochen. Davon zeigte er sich später laut eigener Aussage tief betroffen – daraus resultierte sein paradox wirkender Appell am 7. Dezember:
„Jetzt kommt es auf jeden Einzelnen von uns an, damit die aktuellen Öffnungsschritte nicht zu neuerlichen Verschärfungen der Covid-Krise führen„.
Er argumentiert später damit, dass die Akzeptanz für einen Lockdown als Präventivmaßnahme gefehlt hätte. Der österreichische Weg war also, Maßnahmen erst dann zu setzen, wenn es bereits zu spät war.
Zweiter Lockdown: 26. Dezember 2020 bis 7. Februar 2021
In meiner eigenen Statistik wird er als Fortsetzung des zweiten Lockdowns geführt, weil er die zweite Welle betrifft (und bis dahin mehrheitlich noch den Wildtyp). Wieder gab es viele Ausnahmen, darunter auch den Skitourismus. Schulen mussten geschlossen bleiben, aber Skifahren war erlaubt – ich denke, wenig belegte stärker den Stellenwert der Kinder und Jugendlichen in der Pandemie und darüber hinaus. Schulen waren dem Bund unterstellt, Skigebiete waren Privatwirtschaft, aber mit engen Verknüpfungen zu (schwarzen) Politikern, allen voran die mächtigen „Tiroler Adler“, deren Vertreter in einer „Im Zentrum“-Runde sogar einen strengen Lockdown gefordert hatte, um den Wintertourismus zu retten.
Ende Dezember wurde der mRNA-Impfstoff von Pfizer zugelassen. Das Bild mit der erhobenen Faust von Infektiologe Wenisch ging um die Welt. Die Regierung und ihre Experten machten der Bevölkerung Hoffnung, dass die Maßnahmen bald gelockert werden konnten, sobald die älteren und vulnerablen Menschen geimpft sein würden.
2021
Anfang Jänner sollten die Volksschulen zuerst öffnen. Das ging auf eine Initiative von Bildungsminister Faßmann und sein Berater, Kinderarzt Reinhold Kerbl zurück. Der Schlüssel zur Öffnung sollte Allerbergers Nasenabstrichtest sein, mit denen die Kinder alle zwei Tage getestet werden sollten. Nur: Allerberger hatte gelogen. Er gab eine weit höhere Sensitivität an als seine eigenen AGES-Studien belegen konnten. Vier von fünf Infektionen gingen dem Test durch die Lappen. Faßmann musste später zugeben, dass die Genauigkeit der Tests lausig war. Mit den offenen Volksschulen ging die Durchseuchung der Kinder weiter.
Die Impfkampagne lief anfangs schleppend an – es gab zu wenig Impfstoff und ältere und Hochrisikopersonen wurden priorisiert. Die Sektkorken bei den Landes- und Bundesregierungen knallten längst schon, als die Alpha-Variante (B.1.1.7) bekannt wurde, eine neue Virusvariante aus Großbritannien, die sich später als ansteckender und auch etwas pathogener herausstellte. Mit Alpha wurde dann auch begründet, die Abstandsregeln von einem auf zwei Meter zu erhöhen und FFP2-Masken zu tragen. Aus virologischer Sicht war das Bullshit – Aerosol-Übertragung hätte schon immer größere Abstände und bessere Masken verlangt. Heute schmunzeln viele über den Babyelefanten, aber wenn man den Drosten-Podcast verfolgt hatte, war es spätestens ab April, Mai nurmehr peinlich. Der wahre Grund für den Abstandsmeter war, in den Lokalen und Geschäften mehr Kunden pro Verkaufsfläche zulassen zu können.

Am 17. Jänner 2021 sah es kurzzeitig nach einer Kehrtwende der Pandemiestrategie aus („No Covid“)
„ Erstmals ist davon die Rede, dass die Inzidenz „deutlich unter 50“ gesenkt werden müsse.“ (Christian Nusser 2021)
Bei der anschließenden Pressekonferenz wurde verkündet, dass man bis 8. Februar 2021 eine Inzidenz von 50 annähernd erreichen wollte, bevor geöffnet wird. Zu diesem Zeitpunkt lag die Inzidenz bei 130.
„Wir gehen ins Risiko.“ (Bürgermeister Ludwig, SPÖ, 01. Februar 2021)
Am 1. Februar wurden erste Öffnungsschritte verkündet, mit der gleichzeitigen Warnung, dass „ab einer Inzidenz von 200 eine massive Alarmstimmung gegeben sei“, bei einem 7-Tages-Wert von 200 in einem Bundesland würden die Alarmglocken schrillen. Am 8. Februar wurde dann bei einer Inzidenz von 104 geöffnet. Am 26. Februar behauptete Gesundheitsminister Anschober im Ö1-Mittagsjournal, dass Österreich noch „ein gehöriges Stück weit weg“ von einer Inzidenz von 200 sein würde. Am 01. März wurden weitere Lockerungen angekündigt. Der Schwellenwert lag in den Bundesländern jetzt bei 400. Am 3. März wurde bundesweit eine 7-Tages-Inzidenz von 169 erreicht. Die Zielinzidenzen wurden dem Erwartungsdruck der Wirtschaft angepasst (PLURV: „Torpfosten verschieben“).
In Tirol breitete sich schon ab Jänner eine Kombination aus Alpha und der Fluchtmutation E484K aus, die deutlich schwerere Krankheitsverläufe zur Folge hatte. Sie ähnelte damit der Beta-Variante, die ebenfalls E484K enthielt, und ebenfalls vermehrt in Tirol aufgetreten ist. Die Virologin Dorothee von Laer forderte am 3. Februar einen tirolweiten Lockdown für einen Monat und erntete dafür einen Shitstorm und Drohungen, was sie veranlasste, nurmehr mit Perücke außer Haus zu gehen und schließlich ins Burgenland zu übersiedeln. Stattdessen entschied man sich für eine Ringimpfung im Bezirk Schwaz Mitte März und Mitte April und konnte somit die Variante erfolgreich eindämmen. Es handelte sich entgegen öffentlicher Aussagen aber nicht um ein zusätzliches Kontingent an Impfdosen, sondern sie wurden aus der EU-Bestellung vorgezogen.
Im März wurde das Zusatzkriterium Intensivstationen im Epidemiegesetz auch offiziell zum Hauptkriterium erklärt und damit der Fehler, grundsätzlich zu spät zu reagieren, einzementiert. Gesundheitsstadtrat von Wien, Peter Hacker, nährte die Hoffnung auf die Schanigarten-Öffnung ab Ende März.
Im Spätwinter 2021 kamen auch erstmals die „Wohnzimmertests“ zum Einsatz, Schnelltests (Antigentests) für zuhause, die später als Eintrittstests zweckentfremdet wurden, dabei waren sie nur zuverlässig bei positiven Ergebnissen und nicht zum Ausschluss einer Infektion.
Am ersten März wurden weitere Lockerungen verkündet, wenngleich Kurz auf einer Pressekonferenz zugab, dass Kinder und Jugendliche derzeit die höchsten Ansteckungszahlen aufwiesen. Die „Modellregion“ Vorarlberg lockerte in die Alpha-Welle hinein, dort stiegen die Infektionszahlen noch wochenlang deutlich an.
Im Laufe des März wurde immer deutlicher, dass die Alpha-Variante sich rasch ausbreitete und dabei zu schwereren Verläufen auch bei jüngeren Menschen führte. Klimek warnte vor weiteren Lockerungsdiskussionen, während die Kapazitäten auf den Intensivstationen bereits am Anschlag waren. Anschober verhandelte mit den Landeshauptleuten von Wien, Niederösterreich und dem Burgenland, um einen neuerlichen Lockdown durchzusetzen.
Dritter Lockdown: 1. April bis 2. Mai 2021
Gesundheits- und Sozialminister Anschober erlitt die Quittung für die durchgehend hohe Belastung und kam wegen Überlastungssymptome ins Spital. Selbst dort wurde er noch von Bundeskanzler Kurz attackiert. Am 13. April trat Anschober zurück und machte Platz für den TCM-praktizierenden Allgemeinarzt Wolfgang Mückstein, der vom politischen Geschäft von Beginn an überfordert war.
Der dritte Lockdown fand nur in Wien und Niederösterreich in voller Länge statt. Das Burgenland öffnete bereits ab 18. April. In den anderen Bundesländern blieb man bei sogenannten Ausreisetests, also Schnelltests, wenn man einen Bezirk mit Hochinzidenz verlassen wollte.

Ludwigs „Wir gehen ins Risiko“ vom 1. Februar 2021 sollte letztendlich Menschenleben kosten. Die Überlastung der Wiener Spitalsbetten ging ich den roten Bereich, es kam zu Triage-Situationen. Der „strenge Wienerweg“ hatte Risse bekommen. Der Schlendrian machte sich auch bei den schleppenden Impfbemühungen bemerkbar. Die Impfquote bei der älteren Bevölkerung stieg zu langsam, um eine weitere Infektionswelle entscheidend abzumildern.
Im März und April rollte Wien das „Allesgurgelt“-PCR-System von den Schulen auf die ganze Stadtbevölkerung auf. Gratis PCR-Tests zum Gurgeln und Spülen, das war nicht nur niederschwellig, sondern auch für Personen wie mich geeignet, die beim Rachenabstrich einen kaum aushaltbaren Würgereiz bekamen. Ein berechtigter Vorwurf lautete aber, dass in Wien Sekundärinfektionen zwar sehr gut dokumentiert wurden, aber Indexfälle trotzdem nicht vermieden wurden. Zudem waren die Tests überwiegend auf freiwilliger Basis, bis auf bestimmte Zugangstests, sodass die Coronaleugner damit nicht erreicht wurden. Als das Testsystem 2022 und 2023 unter Gesundheitsminister Rauch zunehmend filetiert wurde, testeten sich zunehmend nurmehr jene, die ohnehin weiterhin sehr vorsichtig waren (Selection Bias).
Die sogenannte „Oster-Ruhe“ war erfolgreich, aber wiederholt beging man den Fehler, an einem fixen Tag zu öffnen statt zu warten, bis eine Inzidenzschwelle unterschritten war („Get-There-Itis“). Der Hauptgrund für den Inzidenzrückgang in ganz Österreich war nun die Impfkampagne, denn die beiden Wildtyp-Impfdosen wirkten auch gegen die Alpha-Welle weiterhin sehr gut, es gab entgegen späteren Narrativen einen hohen Übertragungsschutz.
Die Delta-Welle

Im Frühling tauchte in Indien die Delta-Variante auf – sie hatte eine 1000x höhere Viruslast als der Wildtyp, war deutlich ansteckender und konnte die Immunantwort besser umgehen. Zwei entscheidende Fluchtmutationen waren L452R und E484Q. Reinfektionen häuften sich erstmals und auch zweifach Geimpfte konnten sich infizieren und ordentlich krank werden, wenn auch meist ohne Hospitalisierung. Sie konnten aber auch wieder ansteckend sein und damit reichten zwei Impfdosen nicht mehr für eine solide Grundimmunisierung aus. Am 30. April wurde der erste Verdachtsfall mit der „Indischen Variante“ in der Stadt Salzburg gemeldet.
Im folgenden Sommer sind mehrere gravierende Fehler passiert, die allesamt mitverantwortlich dafür waren, dass im Herbst 2021 wieder viele Menschen verstorben und chronisch erkrankt sind. Der Lockdown war die Folge dieses Clusterfucks.
Es begann damit, dass man im Juni die PCR-Kapazitäten außerhalb von Wien zurückgefahren hat und auf die weniger sensitiven Schnelltests umstieg. Vom 11. Juni bis 11. Juli fand dann die nachgeholten Europameisterschaft statt. Mehrere Studien konnten inzwischen belegen, dass die Delta-Variante durch diese Großveranstaltungen an Fahrt aufgenommen hat – die EM 2021 hat rund 840 000 zusätzliche Infektionen verursacht (Dehning et al. 2023), die meisten Ansteckungen gab es am Tag des Finalspiels (Kendall et al. 2024).
Für Juli wurden massive Lockerungen angekündigt. Die 3G-Regeln wurden eingeführt („geimpft“, „genesen“, „getestet“). Die Regierung verkündete vollmundig, dass die Pandemie für Geimpfte vorbei sein würde. Ihre wissenschaftlichen Berater haben offenbar geschlafen und die Ausbreitung der Delta-Welle unterschätzt. Delta konnte wie gesagt die Immunität durch Erstinfektion und zweifacher Impfung unterlaufen. Geimpfte und Genese wurden so wieder zum Teil des Infektionsgeschehens. Als „getestet“ galt man auch mit einem negativen Schnelltest, der aber keine Aussagekraft über infiziert ja/nein hatte. Bereits 24 Stunden nach einem negativen PCR-Test konnte man mit Delta ansteckend sein. Kinder waren von den 3G-Regeln teilweise ausgenommen worden und konnten somit als Überträger fungieren.
Das Aufkommen neuer Varianten interessierte damals weder die Bundesregierung, die ihnen unterstellte AGES noch die Opposition, geschweige denn den Großteil der Medien. Im Fokus lag damals die Chat-Affäre von Kanzler Kurz. Im Sommer blieb die Impfkampagne im Kanzleramt liegen. Experten warnten davor, dass die Impfrate im Herbst zu gering war, um eine weitere Welle zu verhindern. Währendddessen kündigten Tourismusministerin Köstinger (ÖVP) und Gesundheitsminister Mückstein einen „Sommer der Lebensfreude“ an. Ich besuchte Ende Juni den Grünen See am Hochschwab, der damals touristisch völlig überlaufen war. Das Hotelpersonal sagte mir mehrmals, dass ich meine Maske absetzen könnte, was ich aber ignorierte. Etwa ab Anfang Juli stiegen die Fallzahlen wieder kontinuierlich an. In Israel hatten Forscher bereits erkannt, dass man gegen Delta drei Impfdosen brauchte, um den hohen Erkrankungs- und Infektionsschutz wiederherzustellen.
Im Sommer gab die Bundesregierung der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) den Auftrag zu modellieren, wie viele Infektionen zugelassen werden konnten, bis die Spitäler kollabierten. Damals errechnete man eine Zahl von 10 900 Neuinfektionen pro Tag, bei der die Grenze von 33% Auslastung (da befand man sich in Wahrheit schon längst in der vollen Triage) erreicht werden sollte – bereits bei wenigen Wochen 1500-2000 Neuinfektionen pro Tag würden 10% Auslastung erreicht (= Regelversorgung eingeschränkt). Hintergrund für diese Berechnungen war die Annahme, dass jüngere Menschen seltener schwer erkranken und somit in dieser Alterskohorte eine höhere Durchseuchungsrate zugelassen werden konnte. Nun kann man diese Frage wohlwollend oder skrupellos interpretieren: Wollte man warten, bis die Auslastungsgrenze erreicht war, bis man die Interventionsmaßnahmen wieder verschärfte, oder wollte man Interventionsmaßnahmen verschärfen, bevor die Auslastungsgrenze erreicht wird?

Am 17. September wurde klar, dass ersteres der Fall war. Der Stufenplan für die Schulen wurde entscheidend geändert: Schulmaßnahmen wie FFP2-Maske im Unterricht wurden nun an die Auslastung der Intensivbetten gekoppelt. Das hatte zur Folge, dass erst mit dem Erreichen der Auslastung der Spitäler die Durchseuchung der Kinder und Jugendlichen gestoppt wurde. Die Entscheidung fiel just auf den Höhepunkt des primären Peaks der Delta-Welle (siehe Grafik), diesen Höcker sollten wir jeden Spätsommer sehen – wahrscheinlich auf den Höhepunkt der Reiserückkehrerwelle zurückzuführen. Danach setzte aber verzögert erst das Infektionsgeschehen durch die Virendrehscheibe Schulen und Kindergärten ein – nun mit einer hochansteckenden Variante.

Bin nur ich das, oder ist diese Strategie an Zynismus nicht zu überbieten gewesen? Kinder und Jugendliche wurden bewusst als Überträger herangezogen, um gemeinsam mit den Geimpften im Herbst Herdenimmunität zu erreichen. Dabei wurde übersehen, dass die Impfrate nicht ausreichte, um eine Überlastung der Spitäler zu verhindern. Viele, auch zuvor gesunde Kinder sind am schweren Multientzündungssyndrom MISC erkrankt (Auslöser ist eine Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus, ähnlich wie bei manchen Erwachsenen bei Longcovid, Goetzke et al. 2025). Zudem war die Delta-Welle höchstwahrscheinlich der Auslöser für schwere Hepatitis-Erkrankungen bei Kindern (Li et al. 2023), mehrere brauchten eine Lebertransplantation. Über die Kinder gelangte das Virus in die Haushalte, sorgte für schwere Verläufe, Tod und Longcovid bei Angehörigen.
Am 26. September erreichte die Impfgegnerpartei MFG in Oberösterreich aus dem Stand heraus 6%, was alle Parteien zu noch mehr Feigheit veranlasste, Maßnahmen zu fordern, aus Angst davor, ihre Wähler zu verprellen. Die NEOS und Virologin von Laer forderten weitere 10% Erhöhung der Impfrate mit Vorbild Dänemark (75%). Dort hatte man aber zu früh gelockert – die Inzidenzen stiegen um 40% an.
Am 9. Oktober trat Bundeskanzler Kurz wegen der Chat-Affäre zurück und Alexander Schallenberg (ÖVP) wurde Interims-Bundeskanzler. Der Skandal verstellte noch für viele Wochen und Monate den Blick auf die Pandemiebekämpfung.
Am 8. November redete Politikberater Thomas Hofer Klartext: Die Regierung habe bewusst die Unwahrheit gesagt. „Schon zu Beginn des Sommers war klar, dass mit Ende November mit einer Vollauslastung der Intensivstationen zu rechnen ist.“ (Puls24) Sogenannte Wächterschulen hätten als Frühwarnsystem dienen sollen, das Alarmsystem war aber ausgeschaltet (Recherche von Semiosis).
Am 12. November wurde die Impfung für Kinder unter 12 Jahren offiziell zugelassen. Im Zuge der Pressekonferenz sprach Mückstein erstmals über das Longcovid-Risiko bei Kindern, was wohl als Versuch gedacht war, die Impfraten zu steigern. Die Wiener Stadtregierung hatte die Impfung angesichts der steigenden Infektionszahlen bereits Wochen zuvor offlabel freigegeben. Eine große Impfkampagne in den Schulen blieb aber aus und die Impfraten bei Kindern blieben ewig niedrig. Dass einzelne Kinder schwer erkrankten, wurde in Kauf genommen – die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen sollte nicht (mehr) mit Maske tragen und Kontaktbeschränkungen belastet werden. Was hätten sich die Kinder und Jugendlichen selbst gewünscht? Wie hätten sie mit vorerkrankten MitschülerInnen umgehen wollen? Wir werden es nie erfahren.
Vierter Lockdown
Mit dem Narrativ „Pandemie für Geimpfte vorbei“ war man in den Sommer hineingegangen. Mit dem Narrativ „Pandemie der Ungeimpften“ kam man in die Delta-Welle hinein. Was richtig war: In den Spitälern lagen nun mehrheitlich Ungeimpfte. Coronaleugner deuteten die Fakten um, es würden mehrheitlich Geimpfte darin liegen. Militante Coronaleugner stürmten die Spitäler, um ihr Narrativ bestätigt zu sehen. Zwar strengte sich die Bundesregierung für eine neuerliche Impfkampagne an, die eine dritte Impfdosis zum Abschluss der Grundimmunisierung vorsah, aber die 35% Ungeimpften erreichte man damit natürlich nicht mehr. Es war also folgerichtig, dass ein Lockdown unvermeidbar war. Die Regierung hatte ihre ganze Strategie darauf aufgesetzt, dass die Pandemie mit der Impfung vorbei war. Escape-Varianten kamen in dieser Strategie nicht vor. Deswegen musste man zuerst den Lockdown für Ungeimpfte verhängen, um die Geimpften nicht vor den Kopf zu stoßen. Dieser begann am 15. November. Eine Woche später musste die Regierung nachschärfen und den Lockdown noch einmal auf die Gesamtbevölkerung ausdehnen – mit den bekannten Ausnahmeregeln bei offenen Schulen (es galt FFP2-Maskenpflicht). Volksschulkinder konnten bei Stoffmasken bleiben, die lungengängige Aerosole allerdings nicht aufhielten. Über Klein- und Volksschulkinder verbreitete sich das Virus weiter, weswegen der Lockdown nur mäßig effektiv blieb. Auch die ungeimpften Coronaleugner hielten sich natürlich am wenigsten an die Schutzmaßnahmen. Der erste Lockdown hatte die Inzidenz von 50 auf 2 gedrückt, der zweite Lockdown von 500 auf 100, der Ost-Lockdown mit Impfunterstützung von 200 auf 7 und der vierte Lockdown von 1000 auf etwa 150 – zu hoch für eine Entspannung der Lage.
Der Lockdown für alle dauerte vom 22. November bis 11. Dezember, der Lockdown für Ungeimpfte von 15. November bis 31. Jänner. Ich habe kein schlechtes Gewissen, denn ich hab den Lockdown für Ungeimpfte immer kritisch gesehen (siehe Blogtext vom 12. November 2021). Auch viele Geimpfte fühlte sich durch den Lockdown betrogen. Sie hatten bis dahin alle Maßnahmen mitgetragen, waren drei Mal geimpft und mussten sich erneut einschränken. Der Solidaritätsgedanke aus der ersten Welle hatte spürbare Risse bekommen.
Etwa Mitte November begannen die öffentlichen Überlegungen für eine geplante Impfpflicht, zunächst nur für Medizinberufe, später für die Gesamtbevölkerung. Für die FPÖ, die MFG, die rechtsesoterische „Grünen gegen die Impfung“ und andere Impfgegner- und Coronaleugnergruppen war diese „Drohung“ Wasser auf den Mühlen. Experten warnten auch hier vor einer möglichen Spaltung der Gesellschaft. Impfraten über Aufklärung und Kampagnen erhöhen sollte Priorität haben. Die Bundesregierung dachte, nur mit einer höheren Impfquote weitere Lockdowns verhindern zu können – als ultima ratio eben über die Pflicht.
Omicron
Am 21. November warnte Ravi Gupta, Professor für klinische Mikrobiologie an der Universität Cambridge vor dem plötzlichen Auftauchen eines komplett neuen Virusstrangs, der Übertragbarkeit, Virulenz oder Immunfluchteigenschaften entscheidend verändern könnte. Er sei sich zu 80% sicher, dass Delta nicht die letzte Supervariante war. Drei Tage später war es soweit:
Am 24. November erschien im „The Guardian“ ein Artikel über eine neue B.1.1.529-Variante, die erstmals in Botswana entdeckt wurde. Sie besaß 32 Mutationen im Spike-Protein, unterschied sich also deutlich von allen vorherigen Varianten. Virologen wie Krammer oder Drosten sprachen später von einem neuen Serotyp. Er konnte der bisher aufgebauten Immunantwort durch Infektion oder Impfung effektiv entkommen. Die Reinfektionsrate stieg von rund 20 auf über 80% an. Ich hab Omicron erstmals am 28. November in meinem Blog erwähnt. Bis Omicron im Bewusstsein der Entscheidungsträger ankam, sollte es aber noch ein paar Wochen dauern. Am 25. Dezember gab es den berühmten Ausspruch von Infektiologe Wenisch: „Omicron ist ein Weihnachtsgeschenk„. Er war davon überzeugt, dass ein leichter übertragbares Virus weniger virulent sein würde. Wenisch hat seine Aussage ein paar Monate später teilweise bereut.
2022

Die Omicron-Variante unterlief den Übertragungsschutz selbst nach drei Wildtyp-Impfungen. Darauf deuteten große Cluster bei Feierlichkeiten in Norwegen hin. Die Impfung schützte aber weiterhin vor schweren Verläufen. Nun hätte es zwei Incentives für die Impfpflicht gegeben: Wollte man den Übertragungsschutz innerhalb der Bevölkerung erhöhen (= Inzidenzen runter, exponentielles Wachstum, das außer Kontrolle gerät verhindern), dann war die Impfpflicht nun zahnlos geworden. Wollte man schwere Verläufe verhindern und damit die Überlastung der Spitäler, hätte die Impfpflicht weiterhin einen Nutzen gehabt.

Erste Daten aus Südafrika zeigten aber deutlich weniger schwere Verläufe. Das war aber ein Trugschluss: Die Bevölkerung ist deutlich jünger als in Europa, das Risiko schwerer Verläufe grundsätzlich niedriger bei gesunden Menschen. Zudem hatte Südafrika bis zum Auftreten der Omicron-Variante mehrere tödliche Infektionswellen mit hoher Übersterblichkeit gehabt. Spekulativ sind viele vulnerable Personen dabei schon gestorben, weswegen die Sterblichkeitsrate mit Omicron geringer ausfiel. Tatsächlich war Omicron in der Tat weniger lungengängig als die vorherigen Varianten und befiel stärker die oberen Atemwege, wodurch es sich leichter verbreiten konnte. Um zum Schluss zu kommen, dass die Variante damit für alle milder war, hätte man aber Monate warten müssen, um Longcovid zu berücksichtigen – ein Umstand, der in der gesamten Pandemie nie passiert ist.
Mit dem Eindruck einer vermeintlich harmloseren, aber weit ansteckenderen Virusvariante starteten wir also ins dritte Pandemiejahr. „Das Virus kommt wie eine Wand“ prophezeite Komplexitätsforscher Klimek und war sich zugleich sicher, dass nach einem steilen Anstieg auch wieder ein steiler Abfall kam. Er hatte die Rechnung ohne den chronisch kranken Wirt gemacht, der nicht nur „Omicron“ ausbrütete, sondern einen ganzen Variantenstrauß (BA.1 bis BA.5), sodass die Welle immer länger wurde (damals korrekt von Genetiker Ulrich Elling prognostiziert!). Ein weiterer Punkt, der übersehen wurde: Der kleine Anteil einer großen Zahl ist immer noch eine große Zahl. Selbst mit weniger schweren Verläufen steckten die Omicron-Varianten so viele Menschen in kurzer Zeit an, dass die absolute Zahl der schweren Verläufe kritische Schwellen überschritt.

Mit anderen Worten: Infolge der umgebremsten Durchseuchung mit BA.1 und BA.2 kam es in allen Bundesländern erneut zur Einschränkung der Regelversorgung bis hin zum Notbetrieb, weil nun die Normalbetten überlastet waren. Es war aber nicht nur die schiere Anzahl der Patienten, die nun zum Problem wurde, sondern auch der Personalmangel selbst. Wie kam es dazu?
Wollte man zu Jahresbeginn noch das PCR-Gurgelsystem von Wien auf ganz Österreich ausdehnen, vollzog sich im Laufe des Jänners und Februars bereits eine Kehrtwende: Die Quarantäneregeln in Kindergärten wurden gelockert, die Maskenpflicht an den Volksschulen fiel. Die damalige Sektionsschefin für Öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium, Katharina Reich, gab im Ö1-Interview offen zu, dass es zur Durchseuchung [mit Omicron] kommen würde. Ihre Berater versuchten diese der Bevölkerung als gewünscht zu verkaufen „Das ist keine Durchseuchung, sondern eine Immunisierung„, stellte etwa der Simulationsforscher Niki Popper klar. Im Schatten des Überfalls Russlands auf die Ukraine Ende Februar schafften zahlreiche westliche Regierungen ihre Schutzmaßnahmen ab. In Österreich war es am 5. März soweit: Ausgerechnet am Tag mit 40 000 Neuinfektionen wurden weitreichende Lockerungen verkündet. Es war die letzte Amtshandlung von Mückstein, der danach zurücktrat.
Die Regierungsvertreter und ihre Experten ignorierten die BA.1/BA.2-Welle völlig und sprachen gebetsmühlenartig von „wir müssen uns auf den Herbst“ vorbereiten. Ungefähr so, wie wenn Feuerwehrleute einen brennenden Wald ignorieren und davon sprechen, genügend Löschwasser für den nächsten Brand zu speichern. Mit den offenen Schulen schritt die Durchseuchung der Kinder schnell voran. Bis dahin kam das Gesundheitspersonal dank FFP2-Maske gut durch alle Wellen – nun wurden die Väter und Mütter der Reihe nach selbst krank. Daher rührte der Personalmangel in den Spitälern. Auch in den vorherigen Wellen sind mehr Patienten auf den Normal- und nicht auf den Intensivstationen gestorben.
Die am 20. Jänner in Kraft getretene, aber nie exekutierte Impfpfplicht wurde am 09. März ausgesetzt und am 23. Juni wieder abgeschafft. Bis heute sollte sie die Gemüter heftig erhitzen. Viele Experten und Mediziner bereuten öffentlich ihr Inkrafttreten und führten die falschen Narrative an, um die Abschaffung zu rechtfertigen (mehr dazu im zweiten Teil der Nachbetrachtung).
Im Laufe des Mais entwickelten Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen das FutureOperations-Szenarienpapiers, aus dem später der offizielle Variantenmanagementplan (NOCH offiziell verfügbar!) wurde. Ich habe diesen ausschweifend kritisiert (siehe Faktencheck). Mit Verweis auf das milde Omicron als best case scenario hat man im Laufe des Jahres die Testsysteme, Quarantäne, Contact Tracing, Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln weitgehend eingestellt. Die Pandemie sollte nun politisch beendet werden und der neue Gesundheitsminister und Berufspolitiker Rauch war dafür der geeignete Feuerlöscher.
„Ja, die psychische Situation von Kindern und Jugendlichen ist schlecht. Und ja, die Versorgungsituation kann man in weiten Teilen des Landes nur mehr als erbärmlich bezeichnen. Aber das alles auf Corona zu schieben, ist ein Versuch, jahrelanges Ignorieren der Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in Österreich zu verschleiern.“ (Kritik der Ärztekammer Wien an Äußerungen von Rauch über Kinder, 23.07.22)
Rauch vollzog etwa um den Jahreswechsel herum eine Kehrtwende seiner bis dahin vorsichtigen Sichtweise und kündigte Ende Jänner auf seinem persönlichen Blog bereits das Programm an, das er später als Gesundheitsminister durchzog. Darin sprach er von den Masken als demokratische Zumutung und der Rückkehr in den Normalbetrieb (Porträt zu Johannes Rauch, 18.10.2023).
Am 29. Juli beging die Haus- und Impfärztin Lisa-Maria Kellermayr nach monatelanger Bedrohung durch Rechtsextreme Suizid. Die Regierung setzte nach kurzer heuchlerischer Betroffenheit ihren Appeasementkurs gegenüber Wissenschaftsleugnern fort.
Am 8. August erschien eine SPIEGEL-Recherche, die hierzulande wenig Beachtung fand: Die Impfstoffhersteller hatten schon kurz nach dem Auftreten von Omicron angekündigt, dass sie innerhalb weniger Monate eine angepasste Impfung herstellen konnten. Der BA.1-Impfstoff hätte im Frühjahr im Eilverfahren zugelassen werden können. Nachdem die Intensivstationen aber nicht überlaufen waren, baten die Zulassungsbehörden in Europa (EMA) und in den USA (FDA) die Hersteller, weitere klinische Studien durchzuführen. Daher fand die Zulassung von BA.1 erst im Herbst statt, kurz darauf wurde BA.5 zugelassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Virus längst neue Varianten gebildet. Wie viele Menschenleben hätten wohl gerettet werden können, wenn man im Frühjahr in allen Altersgruppen eine BA.1-Impfkampagne gefahren hätte?
Im Sommer und Herbst wütete BA.5 gleich zwei Mal, erst während den Ferien, dann mit Schulbeginn. Rauch berief sich auf die Verfassung, keine Maskenpflicht mehr einzuführen – Rechtsprofessor Forgó sah Fake Law. Die Winterwelle durch SARS-CoV2 blieb aufgrund der starken Sommerwelle gering. Die Auffrischraten durch die angepassten Booster BA.1 und BA.5 blieben niedrig, die Impfbereitschaft sollte in den Folgejahren weiter abnehmen. Fatalerweise wurde auch die Influenza-Impfung kaum angenommen – die 2022/2023-Welle kam früh und heftig. Wer nicht an Covid starb, tat das zur Abwechslung an Influenza. Dabei hätte die Impfung und Maske tragen hier viel bewirkt. Weitere Landtagswahlen und die Bundespräsidentenwahl im Herbst 2022 und im Folgejahr sorgten für eine Fortsetzung des Verharmlosungskurses aller Parteien.

Letztendlich sind im Omicron-Jahr ähnlich viele Todesfälle registriert worden wie 2020 durch den Wildtyp. Omicron war also mitnichten milder als vorhergehende Varianten. Streng genommen war Omicron eine ganze Variantenfamilie, die bis heute andauert, während es sich vorher um klar abgrenzbare Varianten ohne fittere Nachkommen gehandelt hat. Doch es waren und sind Politiker und Wissenschaftler, die ständig von Omicron sprachen (auch das fällt in den Teil 2 zur Risikokommunikation).
Im Jahr 2021 sind noch etwas mehr durch Alpha und Delta gestorben. Die Sterblichkeitsanalyse zeigt auch, dass die Fallsterblichkeit (CFR) für BA.1 am geringsten war (0,08%), dann aber wieder gestiegen ist. In der Delta-Welle lag die IFR in Österreich um 0,4% – mehr als doppelt so hoch wie in England, ein Beleg für die schlechte Impfquote in Österreich (Riedmann et al. 2025)
Das Pandemieende 2023
Virologe Drosten hatte bereits im Juni 2022 das Ende der Pandemie am Horizont gesehen, musste sich aber noch einmal korrigieren. Ende Dezember verkündete er erneut das Ende der Pandemie, korrigierte sich kurz darauf, dass man das erst nachträglich sehen könne. Es war zu spät – in Österreich brach Jubel aus unter Politiker, Journalisten und auch in staatsnahen Betrieben, die bis dahin strengere Maßnahmen als der Durchschnitt festlegten, schaffte man mit Jahresbeginn Masken- und Testpflicht ab. Wien schaffte Ende Februar die Maskenpflicht in den Öffis ab, während die XBB.1.5-Variante auf den Höhepunkt zusteuerte. Ende April fiel die Maskenpflicht im Gesundheitswesen. Für klare Empfehlungen, weiterhin Maske zu tragen konnte sich niemand durchringen. Von einem Tag auf den anderen wurde klar, dass die Bevölkerung aus Obrigkeitshörigkeit Maske getragen, aber nie den Sinn dahinter verstanden hatte. Es ging nicht nur um die Intensivstationen, sondern um Eigen- und Fremdschutz – der Person, die am nächsten war, etwa die schwangere Frau im Bus zu schützen, nicht die unbekannte Person aus Schasklappersdorf.
Mit Juli fiel die Meldepflicht in Österreich, während sie im Nachbarland Österreich und in anderen Ländern aufrechtblieb. Im Herbst kam die große JN.1-Welle, aber man konnte sich nicht mal zu einer offiziellen Maskenempfehlung durchringen. Kurz vor Weihnachten erschien am Höhepunkt der Infektionswelle die „Nach Corona„-Aufarbeitung des ÖAW, die von einem schwer hustenden Bundeskanzler Nehammer vorgestellt wurde.
Den weiteren Verlauf hab ich ausführlich dokumentiert – die Maßnahmen wurde weiter aufgehoben, die Pandemieaufarbeitung setzte ein und verbreitete falsche Narrative bis hin zu Geschichtsrevisionismus (eine gute Stellungnahme dazu hat vor kurzem die Gesellschaft für Virologie verfasst – man mag nicht mit allem darin übereinstimmen, aber viele Narrative werden dennoch entkräftet).
Ist die Pandemie vorbei, und wenn ja, seit wann?

Das Virus mutiert weiter und bildet neue Infektionswellen, aber damit unterscheidet es sich nicht von anderen endemischen Viren. Der Umstand, dass es immer neue Infektionswellen gibt, spricht alleine nicht für eine Fortsetzung der Pandemie. Ich hab mich mit der Frage, wie eine Pandemie definiert und wann sie zu Ende ist, sehr ausführlich beschäftigt (siehe WHO und die Pandemie 2024).
Obwohl die Pandemie erst nach dem PHEIC ausgerufen wurde, wurde das Ende des PHEIC von der Mehrheit der Regierungsvertreter weltweit mit dem Ende der Pandemie gleichsetzt. Die WHO betont bis heute, dass die Pandemie weiterhin andauert. Seit 01. Juni 2024 gibt es eine neue Definition für einen „pandemischen Notfall“. Auf SARS-CoV2 angewendet trifft allerdings nurmehr das erste Kriterium zu (geographisch weit verbreitet). Pandemien gehen allerdings nicht nur medizinisch, sondern auch sozial oder gesellschaftlich zu Ende. Das bedeutet leider nicht, dass sie mit Vernunft und Lernbereitschaft zu Ende gehen, sondern dass die Furcht vor der Krankheit abnimmt, sie damit leben lernen – selbst wenn, wie wir wissen, Erkrankungsrisiken weiterhin bestehen bleiben – auch wenn sie in der Gesamtzahl abnehmen.
Ich kann und möchte mich dazu nicht festlegen, ab wann die Pandemie zur Endemie wurde. Zu bedenken gebe ich aber, wenn man die Aufrechterhaltung oder Forderung nach Wiedereinführung von Schutzmaßnahmen immer nur darauf aufbaut, dass einzelne WHO-FunktionärInnen sagen, wir hätten weiterhin eine Pandemie, man in Erklärungsnöte kommt, wenn diese FunktionärInnen nicht mehr da sind oder plötzlich zum Schluss kommen, dass die Kriterien für eine Pandemie nicht mehr vorhanden sind. Schutzmaßnahmen wie saubere Luft im öffentlichen Raum und vor allem Masken im Gesundheitswesen oder höherer Kündigungsschutz im Krankheitsfall und telefonische Krankmeldung sind unabhängig davon sinnvoll, ob Pandemie herrscht oder nicht. Also sollte man nach Gründen suchen, diese ohne den Rückhalt der WHO zu argumentieren.
Zusammengefasst wurde die Pandemiepolitik in Österreich sehr stark von Parteipolitik, Wahlen, Interessenskonflikten und Föderalismus bestimmt. Ich habe mehrfach dazu angeregt, auch die Positionen der beteiligten WissenschaftlerInnen zu hinterfragen und nach möglichen Interessenskonflikten Ausschau zu halten. Das traf genauso auf etliche JournalistInnen zu. Österreich ist in Wahrheit ein einziger freunderlwirtschaftlicher Interessenskonflikt. Unabhängigkeit gibt es hier nicht. Die vielen (Fehl-) Entscheidungen zu hinterfragen, bedeutet, das Wesen von Österreich zu hinterfragen – damit wird man schnell zum Nestbeschmutzer. Rückblickend ist es daher viel leichter, die Schuld Einzelpersonen in die Schuhe zu schieben, und es mit den Fakten und vor allem dem damaligen Wissensstand nicht so genau zu nehmen.
Im zweiten Teil möchte ich auf die Versäumnisse in der Risikokommunikation eingehen.